HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 726
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 540/06, Urteil v. 05.07.2007, HRRS 2007 Nr. 726
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 7. Februar 2006 wird als unbegründet verworfen; jedoch wird der Schuldspruch dahin klargestellt, dass der Angeklagte der besonders schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung" (§§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 2 a, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 52 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Den Verfahrensrügen bleibt insgesamt der Erfolg versagt. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
a) Die Rüge, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Beweisanträge auf Einholung eines "medizinisch-psychiatrischen bzw. psychologischpsychotherapeutischen Glaubwürdigkeitsgutachtens" bezüglich der Geschädigten mit der Begründung abgelehnt, dass es selbst über die erforderliche Sachkunde verfüge, hat - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift - keinen Erfolg.
Soweit die Revision eine Begutachtung deswegen für erforderlich hält, weil die Geschädigte in ihren polizeilichen Vernehmungen Widersprüchliches angegeben habe, ist die Rüge unzulässig erhoben, weil die Verteidigung es unterlassen hat, die fraglichen Vernehmungen wenigstens ihrem wesentlichen Inhalt nach mitzuteilen; ein Verweis auf die bei den Akten befindlichen Vernehmungsprotokolle reicht nicht aus.
Die Rüge ist zudem auch unbegründet. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen ist grundsätzlich die Aufgabe des Tatrichters. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur, wenn die Eigenart und besondere Gestaltung des Einzelfalles eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat. Hier liegen ausweislich der Urteilsgründe keine derart erheblichen Beeinträchtigungen in der Person der Geschädigten vor, dass die Inanspruchnahme der Sachkunde eines Sachverständigen geboten gewesen wäre.
Zwar behauptet die Revision, dass die Geschädigte an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leide. Das zur Begründung dieser Behauptung mitgeteilte Attest bestätigt das aber nicht. Die ärztliche Bescheinigung belegt eine etwa acht Monate nach der Tat erfolgte stationäre Behandlung der Geschädigten in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Homburg/Saar und gibt als Diagnose nach ICD 10 "F 43.21" an, mithin eine Anpassungsstörung in Form einer längeren depressiven Reaktion. Diese Störung wird als leichter depressiver Zustand beschrieben, der als Reaktion auf eine länger anhaltende Belastungssituation auftritt und nicht länger als zwei Jahre dauert. Diese Diagnose musste das Landgericht nicht veranlassen, ein Glaubwürdigkeitsgutachten einzuholen.
Die weitere Behauptung der Revision, die Geschädigte habe sich nach der Tat einer erinnerungsverändernden Hypnosetherapie unterzogen, trägt schon deshalb nicht, weil die Geschädigte ausweislich der Feststellungen bereits unmittelbar nach der Tat und damit vor Aufnahme einer psychotherapeutischen Behandlung in mehreren polizeilichen Vernehmungen das Tatgeschehen wie von der Strafkammer festgestellt geschildert hat. Bei dieser Sachlage gebot auch der Umstand, dass die Geschädigte bei der Tat erheblich alkoholisiert war und in der Hauptverhandlung Erinnerungslücken geltend machte, die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens nicht.
Im Übrigen treten bei der Frage, ob der Tatrichter die eigene Sachkunde zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung zu Recht annehmen konnte, Besonderheiten des Falles und in der Person des Zeugen in ihrer Bedeutung zurück, wenn dessen Aussage in anderen Umständen erhebliche Unterstützung findet (BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 Sachkunde 4). Hier wird die Aussage der Geschädigten durch die frischen Blutspuren des Angeklagten am Tatort objektiv erhärtet.
b) Die auf die Behauptung des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 3 StPO gestützte Verfahrensrüge dringt ebenfalls nicht durch. Der Angeklagte hatte den Vorsitzenden der Strafkammer im Hauptverhandlungstermin vom 3. Februar 2006 erfolglos wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil dieser dem Antrag der Verteidigerin, die Hauptverhandlung für zwei Tage zu unterbrechen, um ihr Gelegenheit zur Vorbereitung ihres Schlussvortrags zu geben, nicht entsprochen hatte. Bereits die Zulässigkeit der Rüge begegnet erheblichen Bedenken, weil die Revision unterlässt, den tatsächlichen Ablauf der Hauptverhandlung vom 3. Februar 2006 vollständig mitzuteilen (Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 258 Rdn. 33). Die Rüge erweist sich jedenfalls als unbegründet. Die Entscheidung des Vorsitzenden, den Unterbrechungsantrag abzulehnen, kann nicht als willkürlich angesehen werden, da der Vorsitzende bereits vor einer längeren Unterbrechung der Hauptverhandlung am 13. Januar 2006 angekündigt hatte, dass am nächsten Verhandlungstag, dem 3. Februar 2006, die Schlussvorträge gehalten werden sollen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2000 - 3 StR 26/00, insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 46, 81).
Vor diesem prozessualen Hintergrund ist auch die Äußerung des Vorsitzenden, gegebenenfalls ohne Schlussvortrag der Verteidigung das Verfahren zu beenden, noch hinzunehmen (vgl. BGH bei Pfeiffer NStZ 1981, 295; BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 1 und § 145 Abs. 1 Weigerung 1).
c) Die Revision rügt ferner, der Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass der Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten wegen deren Verletzungen zwangsläufig zu Blutspuren beim Angeklagten in Hüfthöhe geführt haben würde, sei rechtsfehlerhaft mit der Begründung abgelehnt worden, das angegebene Beweismittel sei völlig ungeeignet.
Diese Rüge ist deswegen unzulässig, weil die Tatsachen, die die Fehlerhaftigkeit des Ablehnungsbeschlusses ergeben, nicht bezeichnet werden (vgl. Meyer-Goßner aaO § 344 Rdn. 22 m.w.N.). Die Verteidigung hat es unterlassen, die Verletzungen der Geschädigten, die zu entsprechenden Blutanhaftungen beim Angeklagten geführt haben müssten, durch Vorlage von in der Akte befindlichen Lichtbildern oder zumindest durch genauere Beschreibung darzustellen.
d) Den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass die am Tatabend bei dem Angeklagten festgestellten Verletzungen nicht ausreichten, um die dem Angeklagten anhand seiner DNA zuzuordnenden Blutspuren am Tatort zu erklären, hat das Landgericht mit zutreffender Begründung wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels zurückgewiesen. Es hat darauf abgestellt, dass der Angeklagte bei seiner Festnahme nicht umfassend, sondern nur oberflächlich über der Kleidung untersucht worden ist, so dass es an den erforderlichen Anknüpfungstatsachen für die beantragte Gutachtenerstattung fehle. Die insoweit erhobene Verfahrensrüge ist unbegründet.
e) Ebenfalls unbegründet ist die Rüge, der Antrag auf Durchführung einer Tatrekonstruktion, hilfsweise auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dessen, dass der Angeklagte unter anderem in Folge seiner Alkoholisierung nicht in der Lage gewesen sei, innerhalb von 25 Minuten die ihm zur Last liegenden Tathandlungen zu begehen, sei vom Landgericht rechtsfehlerhaft wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels abgelehnt worden. Der Antrag stellt sich nicht als Beweisantrag, sondern lediglich als eine nach Aufklärungsgesichtspunkten zu beurteilende Beweisanregung dar (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1957, 142; NJW 1961, 1486, 1487; Meyer-Goßner aaO § 244 Rdn. 26; Herdegen in KK 5. Aufl. § 244 Rdn. 16). Die Zurückweisung des Begehrens wäre nur dann rechtsfehlerhaft, wenn das Tatgericht dadurch seine Aufklärungspflicht verletzt hätte; dass die Zurückweisung in Form der Bescheidung eines Beweisantrags erfolgte, ändert daran nichts (BGH StV 1996, 581).
Die Aufklärungspflicht gebot es hier nicht, dem Begehren der Verteidigung zu entsprechen, da die Auswirkungen der festgestellten Alkoholisierung auf die Leistungsfähigkeit des Angeklagten in der konkreten Tatsituation nicht rekonstruiert werden können (vgl. BGH NJW 1961, 1486, 1487; BGH bei Holtz MDR 1977, 108). Die Überlegung der Revision, "... ein gerichtsmedizinischer Sachverständiger hätte ... die alkoholbedingte Beeinträchtigung des Angeklagten ... berücksichtigen können, welche von einem entsprechend geschulten (Laien)Schauspieler ohne weiteres hätte simuliert werden können", verfängt deshalb nicht.
f) Auch die Ablehnung des Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass die sichergestellten Blutspuren, die anhand der DNA dem Angeklagten zuzuordnen sind, nicht vom Tatabend stammen, sondern mindestens zehn Stunden älter seien, greift die Revision erfolglos an. Das hinsichtlich der Altersbestimmung von Blutspuren sachverständig beratene Landgericht hat den Beweisantrag rechtsfehlerfrei wegen Ungeeignetheit des Beweismittels abgelehnt, weil nach den Ausführungen des Sachverständigen eine derartige zeitliche Eingrenzung nicht möglich sei.
g) Soweit die Revision schließlich das Gebot des fairen Verfahrens als verletzt ansieht, weil der zur Beurteilung der Schuldfähigkeit hinzugezogene Sachverständige den Angeklagten auch in einem zeitgleich durchgeführten Berufungsverfahren begutachtet habe und daher voreingenommen gewesen sei, ist die diesbezügliche Rüge unzulässig. Die Verteidigung, der die weitere Begutachtung bekannt war, hat es unterlassen, im Namen des Angeklagten den Sachverständigen nach § 74 StPO wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Nur die hierauf ergangene Gerichtsentscheidung hätte als verfahrensfehlerhaft beanstandet werden können (vgl. Senge in KK aaO § 74 Rdn. 17). Im Übrigen wäre allein die Mitwirkung des Sachverständigen in einem anderen Strafverfahren kein Ablehnungsgrund wegen der Besorgnis der Befangenheit.
2. Die Sachrüge hat ebenfalls keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils hat weder zum Schuldspruch noch zum Strafausspruch einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler erkennen lassen. Insbesondere mussten sich - entgegen der Ansicht der Revision und des Generalbundesanwalts - dem Landgericht Zweifel an der Zuverlässigkeit der Angaben der Geschädigten auch nicht angesichts der Tatsache aufdrängen, dass sich sowohl im Abstrich von der Bisswunde in der linken Brust des Opfers als auch im entsprechenden Bereich seines Bademantels nur DNA-Spuren der Geschädigten nachweisen ließen.
Aus dem Urteil ergibt sich nicht, dass in dem Abstrich Täter-DNA hätte nachweisbar sein müssen. Hinzu kommt, dass der Angeklagte bei seiner Haftprüfung selbst eingeräumt hat, er habe am Tattage anlässlich eines einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs "Frau G. auch die Bisswunde an der Brust beigebracht".
Angesichts des übrigen Beweisergebnisses, insbesondere wegen der noch während der notärztlichen Versorgung gegenüber der Polizeikommissarin W. getätigten konkreten Angaben der Geschädigten, Täter sei der Angeklagte gewesen, war auch deren lediglich pauschal gehaltene Äußerung gegenüber dem Notarzt, "es habe eine Partnerschaftsstreitigkeit gegeben und sie habe Fußtritte und Schläge erlitten", nicht weiter erörterungsbedürftig. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte der Geschädigten schwerwiegende Verletzungen, unter anderem einen zweifachen Beckenbruch mit zum Teil andauernden Folgen zugefügt hat, indem er sie die 16-stufige Treppe hinunter stieß, mit schweren Arbeitsschuhen auf sie eintrat und einen Wäschetrockner auf die am Boden liegende Frau warf, ist die Höhe der erkannten Strafe trotz der dem Angeklagten vom Landgericht zugebilligten Milderungsgründe revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
3. Der Senat hat den Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte der besonders schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist, da die von § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO geforderte rechtliche Bezeichnung der Straftat eine Kennzeichnung der Qualifikation in der Urteilsformel verlangt (BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 4).
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 726
Bearbeiter: Karsten Gaede