HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 211
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 514/06, Urteil v. 01.02.2007, HRRS 2007 Nr. 211
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 13. Juni 2006 wird verworfen; jedoch wird die Urteilsformel des angefochtenen Urteils dahin berichtigt, dass der Angeklagte Cana C. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt ist.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Vergewaltigung zu einer "Gesamtfreiheitsstrafe" von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Sie beanstandet die von der Strafkammer zu Grunde gelegten Strafrahmen und auch die Strafzumessung im Übrigen. Nach dem Inhalt der Revisionsbegründungsschrift ist die Revision auf den Strafausspruch beschränkt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der noch im Hause seiner Eltern lebende Angeklagte und die zur Tatzeit knapp 20-jährige Nebenklägerin, eine Kusine des Angeklagten, sowie deren Familien gehören der Religionsgemeinschaft der Jesiden an, einer archaischen Gemeinschaft aus den kurdischen Gebieten im Vorderen Orient. Entsprechend dem Ansinnen ihrer jeweiligen Eltern verlobten sich beide im Juli 2005, obwohl die Nebenklägerin - heimlich - einen anderen Freund hatte. Auf den Wunsch der Nebenklägerin hin fand eine große Verlobungsfeier mit mehr als 200 Gästen statt, die vom Vater des Angeklagten finanziert wurde. Diesem Wunsch lag - was nach außen nicht erkennbar war - zu Grunde, durch die Vorbereitung einer aufwändigen Verlobungsfeier Zeit zu gewinnen. Als die Nebenklägerin später einen Streit mit dem Angeklagten provozierte, in dessen Verlauf er sie beleidigte, erklärte sie ihm, sie werde ihn nun nicht mehr heiraten. Seine Entschuldigungen akzeptierte sie nicht.
Am 7. September 2005 kamen der Angeklagte und die beiden Mitangeklagten - ein Bruder des Angeklagten und ein Cousin - überein, die Nebenklägerin zu einem Bekannten des Vaters des Angeklagten nach Lüttich in Belgien zu bringen, um eine Aussprache herbeizuführen und die beabsichtigte Eheschließung "zu retten". Entsprechend dem gemeinsamen Plan passten der Angeklagte und die Mitangeklagten die Nebenklägerin vor dem Anwesen einer Kusine in Saarwellingen ab und verbrachten sie in einem Pkw gewaltsam nach Belgien.
Dort stand die Nebenklägerin unter ständiger Bewachung. Ihr wurden Vorhaltungen und Vorwürfe dahin gemacht, dass sie sich doch mit dem Angeklagten verlobt habe und warum sie ihn nun nicht mehr heiraten wolle. Nachdem sich die Nebenklägerin nicht umstimmen ließ, beschlossen der Angeklagte und die beiden Mitangeklagten, mit ihr wieder nach Hause zu fahren. Die Nebenklägerin erklärte jedoch, sie wolle von ihren Angehörigen abgeholt werden.
Daraufhin wurde der Vater des Angeklagten benachrichtigt, der mit einem Onkel und einer Tante der Nebenklägerin nach Belgien fuhr. Während des Wartens auf die Familienangehörigen redete der Angeklagte weiter auf die Nebenklägerin ein und versuchte, sie im Zusammenwirken mit dem Bekannten seines Vaters - u.a. mit der Drohung, sie würde getötet, wenn sie das Haus verlasse und wenn sie nicht endlich der Eheschließung zustimme - dazu zu bewegen, in die Ehe einzuwilligen, worauf sie aus Angst äußerte, sie sei zur Hochzeit bereit, was sie kurz darauf aber widerrief. Als die Angehörigen schließlich eintrafen und auch sie auf die Nebenklägerin einredeten, erklärte sie, sie werde den Angeklagten nun doch heiraten. Sie erhoffte sich damit, endlich nach Hause gebracht zu werden.
Die Angehörigen forderten von der Nebenklägerin, einen "Beweis" für ihre Heiratswilligkeit zu erbringen, und zwar in der Form, dass sie mit dem Angeklagten geschlechtlich verkehren solle; andernfalls würden sie sie nicht mit nach Hause nehmen. Als der Angeklagte nach diesem Ansinnen mit der Nebenklägerin allein im Schlafzimmer war, schlug diese vor, den Geschlechtsverkehr nur vorzutäuschen, was der Angeklagte aber ablehnte. Schließlich gab die Nebenklägerin aus Angst, sonst nicht nach Hause zu kommen, ihren Widerstand auf und ließ den Geschlechtsakt gegen ihren vom Angeklagten erkannten Willen in hilfloser Lage über sich ergehen. Als sie bemerkte, dass auf dem Tuch, das der Angeklagte ihr untergelegt hatte, Blut zu sehen war, so dass der geforderte "Beweis" entsprechend den Sitten ihrer Religionsgemeinschaft erbracht war, lehnte sie es ab, weiter mit dem Angeklagten geschlechtlich zu verkehren, worauf der Angeklagte - obwohl er nicht zum Samenerguss gekommen war - den Geschlechtsverkehr abbrach. Den Angehörigen wurde sodann das blutbefleckte Tuch übergeben, die daraufhin dem Angeklagten und der Nebenklägerin gratulierten.
Dann begaben sie sich nach Deutschland zurück. Die Nebenklägerin erlitt durch das Tatgeschehen einige Hämatome und Hautabschürfungen. Sie hat im Oktober 2005 ihren (heimlichen) Freund geheiratet und über ihre Verfahrensbevollmächtigte erklären lassen, dass sie mit einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe einverstanden sei und mit diesem Einverständnis dem Angeklagten "die Hand reichen" und zur Befriedung der Situation beitragen wolle.
2. Das Landgericht ist bei der Strafzumessung im Hinblick auf die Geiselnahme von einem minder schweren Fall (§ 239 b Abs. 2 i.V.m. § 239 a Abs. 2 StGB) ausgegangen und hat bei der Vergewaltigung - trotz Verwirklichung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB - den Regelstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zu Grunde gelegt.
Es hat in einer "Gesamtbetrachtung" namentlich strafmildernd berücksichtigt, dass der - nicht vorbestrafte - Angeklagte weitgehend geständig war und so der Nebenklägerin eine weitere Vernehmung erspart hat, dass er Reue und Einsicht in sein Fehlverhalten zeigte, er sich bei der Nebenklägerin entschuldigt und erklärt hat, sich zur Befriedung der Situation innerhalb der auf Grund der fehlgeschlagenen Ehe zerstrittenen Familien für die Nebenklägerin einzusetzen, er dem auf das quasi verpflichtende Eheversprechen der Nebenklägerin und das im großen Stil gefeierte Verlobungsfest gegründeten Erwartungsdruck der Familie habe genügen wollen, er nicht selber, sondern die Familie der "eigentliche geistige Urheber" der Vergewaltigung war und die sexuelle Befriedigung für den Angeklagten nicht im Vordergrund stand. Zu Lasten des Angeklagten hat die Strafkammer berücksichtigt, dass er zwei Tatbestände verwirklicht hat, die Nebenklägerin durch ihre seit der Tat erfolgte Einbindung in ein Zeugenschutzprogramm erhebliche Einbußen an Lebensqualität hinnehmen muss und auch generalpräventive Gesichtspunkte nicht außer Betracht bleiben dürften.
3. Die - auf den Strafausspruch beschränkte - Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatrichters, der auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von Tat und Täter gewonnen hat, die wesentlichen be- und entlastenden Umstände festzustellen, zu bewerten und gegeneinander abzuwägen hat. Das Revisionsgericht kann nur dann eingreifen, wenn die tatrichterlichen Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn sie gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums liegt (vgl. nur BGHSt 34, 345, 349; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Strafhöhe 10, 12, 14). Solche Rechtsfehler liegen hier nicht vor.
Die Strafkammer hat eine rechtsfehlerfreie Gesamtwürdigung (vgl. BGHSt 26, 97, 98 f.) vorgenommen. Sie hat nicht in Frage gestellt, dass für den Angeklagten im Hinblick auf die begangene Tat das deutsche Strafrecht mit seinen Wertvorstellungen verbindlich ist. Sie durfte aber - entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft - unter den festgestellten Umständen strafmildernd berücksichtigen, dass der - wie auch die Nebenklägerin - aus einem anderen Kulturkreis stammende Angeklagte unter dem "Erwartungsdruck" seiner Familie stand und daher zur Begehung der Tat insgesamt eine geringere Hemmschwelle zu überwinden hatte (vgl. BGH NStZ 1996, 80; StV 2002, 20; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 46 Rdn. 43a). Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Rechtsmittelbegründung im Übrigen eine eigene Strafzumessung vornimmt, kann sie damit im Revisionsverfahren nicht gehört werden. Die verhängte Strafe ist zwar niedrig, sie entfernt sich aber unter den vom Landgericht festgestellten und gewürdigten besonderen Umständen des Falles noch nicht nach unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, sondern liegt noch innerhalb des Beurteilungsrahmens, der dem Tatrichter eingeräumt ist (vgl. BGHSt 29, 319, 320).
Der Senat hat die Urteilsformel - entsprechend dem verkündeten Urteilstenor und UA 32 - dahin berichtigt, dass der Angeklagte nicht zu einer Gesamtfreiheitsstrafe, sondern zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt ist.
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 211
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2007, 137
Bearbeiter: Karsten Gaede