HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 734
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 160/05, Beschluss v. 06.07.2005, HRRS 2005 Nr. 734
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 3. November 2004
a) im Tenor dahin ergänzt, dass der Angeklagte im übrigen freigesprochen wird und die Landeskasse insoweit die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt,
b) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Rostock zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten V. - ebenso wie den Angeklagten D., dessen Revision der Senat gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen hat - wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht bedarf.
Auf die Sachrüge ist der Tenor des angefochtenen Urteils dahin zu ergänzen, dass der Angeklagte im übrigen freigesprochen wird. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten drei tatmehrheitlich begangene Straftaten zur Last gelegt. Soweit das Landgericht den Vorwurf der Köperverletzung zum Nachteil der Zeugen L. und E. sowie den Vorwurf des Diebstahls zum Nachteil des von dem Angeklagten D. tödlich verletzten Jürgen H. als nicht erwiesen angesehen hat, hätte es, trotz des in der Hauptverhandlung gegebenen rechtlichen Hinweises, dass insoweit die Annahme von Tateinheit in Betracht komme, eines Teilfreispruchs in der Urteilsformel bedurft. Um Anklage und Eröffnungsbeschluss zu erschöpfen, ist ein Teilfreispruch wegen nicht erwiesener Taten grundsätzlich auch dann erforderlich, wenn das Gericht - wie hier mit allerdings nicht zutreffender rechtlicher Würdigung - die Konkurrenzen abweichend von der Anklage beurteilt (vgl. nur BGHR StPO § 260 Abs. 1 Teilfreispruch 12; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 260 Rdn. 13).
Die Verurteilung des Angeklagten wegen eines mittäterschaftlich begangenen Totschlags hat keinen Bestand.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Zwischen dem Angeklagten V. und Jürgen H. kam es gegen 7 Uhr morgens in einer Gaststätte zu einer Auseinandersetzung. Nachdem er einen Faustschlag ins Gesicht erhalten hatte und zu Boden gegangen war, verließ Jürgen H. die Gaststätte. Auf den Zuruf des Angeklagten V. "Komm mal mit!" oder "Den greifen wir uns!", reagierte der Angeklagte D. sofort, griff sich einen Aschenbecher, sprang auf, lief an dem "ihm augenblicklich folgenden" Angeklagten V. vorbei nach draußen und warf, ohne zu treffen, mit dem Aschenbecher nach Jürgen H. . Nach etwa 100 Metern holte D. Jürgen H. ein. Im Verlauf der anschließenden Auseinandersetzung gingen beide zu Boden. Als D. wieder auf die Beine gekommen war, trat er auf den am Boden liegenden Jürgen H. ein. "Spätestens zu diesem Zeitpunkt" erreichte auch der Angeklagte V. den Ort des Geschehens.
Die Angeklagten und ein unbekannter Dritter, der entweder gleichzeitig mit dem Angeklagten V. oder kurz danach hinzugekommen war, "standen im Halbkreis um dem wehrlos auf dem Rücken am Boden liegenden H. herum, wobei ihm zahlreiche, jedenfalls mehr als zehn mit größter Wucht geführte, gezielte Tritte ins Gesicht sowie gegen den Hals und die vordere Seite des Oberkörpers versetzt wurden". Hierbei war den Angeklagten klar, "dass der Geschädigte durch diese äußerst massiven, absichtlich gerade gegen besonders empfindliche Körperpartien geführte Gewalttätigkeiten zu Tode kommen könnte. Diese mögliche Folge nahmen sie in Kauf und billigten sie, wobei V. dadurch, dass er D. zur Verfolgung H. s aufgefordert hatte sowie zumindest durch seine unmittelbare Anwesenheit und sein hierdurch gezeigtes Interesse an den Handlungen D. s diesen in seinem Vorgehen bewusst unter stützte und die Tat damit als eigene wollte" (UA 7). Noch bevor das Tatopfer verstarb, entfernten sich die Angeklagten und der unbekannte Dritte.
2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte V. habe sich zumindest durch seine Anwesenheit mittäterschaftlich und mit Tötungsvorsatz an den Gewalthandlungen des Angeklagten D. beteiligt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Der Angeklagte V. hat bestritten, das Tatopfer gemeinsam mit dem Angeklagten D. verfolgt und diesen zur Verfolgung aufgefordert zu haben. Vielmehr hat er sich dahin eingelassen, daß er den Angeklagten D., nachdem dieser die Gaststätte verlassen hatte, gesucht habe. In der F. straße habe er "ein Treiben" bemerkt und sei schnell darauf zu gegangen. Er habe dann den Angeklagten D. erkannt und gesehen, dass dieser dem am Boden liegenden Jürgen H. drei bis sechs Tritte versetzte. Er habe den Angeklagten D. angeschrieen. Dieser habe darauf nicht reagiert. Er habe den Angeklagten D. dann von hinten gepackt und von Jürgen H. weggerissen und dabei in etwa geäußert: "Lass uns abhauen, die Bullen kommen gleich!".
Diese Einlassung ist jedoch nur insoweit rechtsfehlerfrei widerlegt, als das Landgericht festgestellt hat, dass der Angeklagte V. gemeinsam mit dem Angeklagten D., den er hierzu aufgefordert hatte, Jürgen H. verfolgte, um diesen "weiter zu misshandeln". Aus dem zu Beginn der Verfolgung auf die mittäterschaftliche Begehung einer gefährlichen Körperverletzung gerichteten Tatenschluss folgt aber nicht ohne weiteres, dass die von dem Angeklagten D. später mit bedingten Tötungsvorsatz ausgeführten Gewalthandlungen, auch im - stillschweigenden - Einverständnis mit dem Angeklagte V. erfolgten. Dies gilt umso mehr als V. sich, wovon nach den Feststellungen zu seinen Gunsten auszugehen ist, an den Tötungshandlungen nicht aktiv beteiligte (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatbeitrag 4).
Soweit die Beweiswürdigung die Beteiligung des Angeklagten V. durch seine Anwesenheit und die zumindest psychische Unterstützung des Angeklagten D. betrifft, ist sie dagegen widersprüchlich, lückenhaft und damit rechtsfehlerhaft: Das Landgericht hat die insoweit getroffenen Feststellungen entscheidend auf die Bekundungen der Zeugin P. zum äußeren Tatgeschehen gestützt und ausgeführt, dass "das von der Zeugin geschilderte Erscheinungsbild" nicht hätte entstehen können, wenn der Angeklagte V. den Angeklagten D., wie von beiden Angeklagten behauptet, von dem Tatopfer weggerissen hätte (UA 18). Das ist jedoch durch die Bekundungen der Zeugin nicht belegt, denn diese hat das Tatgeschehen nur während der Dauer von "Sekunden" verfolgt, sich dann aber "kurz" nach ihrem Hund, der zurückgeblieben war, umgedreht.
Die von der Zeugin zuvor beobachteten drei Personen, die "im Halbkreis um etwas" herumstanden, hatten sich bereits entfernt, als die Zeugin "Sekunden" später, wieder in Richtung des Tatortes blickte (UA 17/18). Danach ist aber nicht ohne weiteres ausgeschlossen, dass die Auseinandersetzung, wie von beiden Angeklagten behauptet, durch den Angeklagten V. beendet wurde.
Dies hätte ebenso der Erörterung bedurft, wie die nach den Bekundungen der Zeugin ebenfalls nicht ausgeschlossene Möglichkeit, dass der Angeklagte V. den Tatort gerade erreicht hatte, als die Zeugin das Geschehen beobachtete, und mithin, wie von ihm behauptet, noch auf dem Weg zum Tatort war, dabei gesehen hat, dass der Angeklagte D. dem Tatopfer etwa drei bis sechs Tritte versetzte und den Angeklagte D. "angeschrieen" hat. Denn die Zeugin wurde nach ihren Bekundungen durch "lautes Geschrei" auf das Geschehen aufmerksam und konnte das Geschehen erst beobachten, nachdem sie weitergegangen war und in die F. straße hineinsehen konnte.
Die Sache bedarf daher, soweit sie den Angeklagten V. betrifft, neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird gegebenenfalls auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen oder Körperverletzung mit Todesfolge zu prüfen sein.
HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 734
Bearbeiter: Karsten Gaede