HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 662
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 54/04, Urteil v. 17.06.2004, HRRS 2004 Nr. 662
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 24. September 2003 werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem schwerem Raub mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Es hat ferner seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seinem Rechtsmittel, mit dem er allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrem auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittel die Verurteilung des Angeklagten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Sie beanstandet, daß das Landgericht zu Unrecht von der Milderungsmöglichkeit nach §§ 21, 49 StGB Gebrauch gemacht habe. Beide Rechtsmittel haben in der Sache keinen Erfolg.
I. Revision des Angeklagten.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nicht ausgeführten Sachrüge hat weder zum Schuld- noch zum Rechtsfolgenausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
II. Revision der Staatsanwaltschaft.
1. Das Landgericht ist dem Gutachten des angehörten Sachverständigen folgend zu dem Ergebnis gelangt, daß bei dem Angeklagten infolge des vor der Tat konsumierten Alkohols zur Tatzeit ein mittelgradiger Rauschzustand vorlag, der zu einer erheblichen Minderung seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB geführt hat. Die Ausführungen hierzu lassen weder Rechtsfehler erkennen, noch werden solche von der Beschwerdeführerin geltend gemacht. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht demzufolge den Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB nach Maßgabe der §§ 21, 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB gemildert und statt auf eine lebenslange Freiheitsstrafe auf die schließlich verhängte zeitige Freiheitsstrafe von zwölf Jahren erkannt. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft. Sie vertritt im Anschluß an die - nicht tragenden - Erwägungen in einer Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, NStZ 2003, 480 = NJW 2003, 2394; vgl. hierzu Foth NStZ 2003, 597; Streng NJW 2003, 2963) die Auffassung, daß eine Strafrahmenverschiebung nicht in Betracht komme, wenn - wie hier - die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten auf dessen verschuldeter Trunkenheit beruhe.
2. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann von der Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgesehen werden, wenn der Angeklagte seinen Trunkenheitszustand und die Gefahr der Begehung von Straftaten als dessen Folge vorhergesehen hat oder hätte vorhersehen können (vgl. nur BGHSt 34, 29, 33; 43, 66, 78; BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 11, 19 jeweils m.w.N.). Hierbei wird maßgeblich darauf abgestellt, ob der Angeklagte schon früher unter Alkoholeinfluß straffällig geworden ist. In einigen Entscheidungen wird darüber hinaus zusätzlich verlangt, daß die strafbaren Handlungen, mit deren Begehung im Rauschzustand der Angeklagte rechnen mußte, in Ausmaß und Intensität mit der ihm jetzt vorgeworfenen vergleichbar sein müssen (vgl. z.B. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 6, 14,16). Die vom Landgericht vorgenommene Strafrahmenmilderung ist bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe nicht zu beanstanden. Der Angeklagte ist bisher wegen eines Aggressionsdelikts strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Seinen drei Vorstrafen lagen jeweils Diebstahlstaten zugrunde, wobei er in zwei Fällen zu Geldstrafen und in einem Fall zu einer Bewährungsfreiheitsstrafe verurteilt wurde. Anhaltspunkte dafür, daß er die früheren Taten in einem alkoholbedingten Rauschzustand begangen hat, bestehen nicht. Nach all dem kann schon nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der Angeklagte überhaupt damit rechnete oder rechnen mußte, unter Alkoholeinwirkung Straftaten zu begehen. Erst recht fehlt es an jedem Anhalt dafür, daß er die Begehung einer in Ausmaß und Intensität mit der hier abgeurteilten Straftat vergleichbaren strafbaren Handlung vorhersah oder hätte vorhersehen können.
3. Demgegenüber hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in der bereits angesprochenen Entscheidung in einem obiter dictum die Auffassung vertreten, daß eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in der Regel schon allein dann nicht in Betracht kommt, wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf verschuldeter Trunkenheit beruht. Dabei sei es ohne Belang, ob der Täter schon früher unter Alkohol - vergleichbare - Taten begangen habe. Die potentiell nachteiligen Folgen übermäßigen Alkoholgenusses, seine Handlungstriebe entfesselnde und bestehende Handlungshemmungen einschränkende Wirkungen seien allgemein bekannt. Daher sei eine Strafmilderung bei selbstverschuldeter Trunkenheit in der Regel auch dann zu versagen, wenn der Täter nicht über einschlägige Vorerfahrungen hinsichtlich der gefährlichen Folgen übermäßigen Alkoholgenusses verfügt. Denn auch dann sei die abstrakte Gefahr der Trunkenheit für ihn regelmäßig erkennbar.
4. Die aufgetretene Divergenz zwischen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Auffassung des 3. Strafsenats betrifft danach die Frage der Vorhersehbarkeit einer möglichen Straffälligkeit unter Alkoholeinfluß durch den Täter. Im vorliegenden Fall kann diese Frage jedoch offen bleiben, da es auf sie hier letztlich nicht entscheidend ankommt. Übereinstimmung zwischen beiden Auffassungen besteht nämlich darüber, daß die Versagung der Strafrahmenmilderung nur möglich ist, wenn der Alkoholkonsum dem Täter (uneingeschränkt) zum Vorwurf gemacht werden kann. Dies hat der 3. Strafsenat im Anschluß an frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (u.a. BGH StV 1985, 102) in einer dem Urteil vom 27. März 2003 nachfolgenden Entscheidung (Beschluß vom 27. Januar 2004 - 3 StR 479/03) nochmals ausdrücklich klargestellt. Hieran fehlt es jedoch regelmäßig, wenn der Täter alkoholkrank ist oder wenn der Alkohol ihn zumindest weitgehend beherrscht (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 12; BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 19, 26).
So verhält es sich hier. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte den Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen. Er trinkt spätestens seit seinem elften oder zwölften Lebensjahr Alkohol. Zunächst trank er ausschließlich Bier, mit etwa 14 Jahren in zunehmendem Maße auch Whisky. Sein Tagesablauf war zuletzt weitgehend durch den Alkoholkonsum bestimmt: bis zur Mittagszeit trank er Bier, danach Whisky "oder anderen Schnaps". Nach seiner Verhaftung litt der Angeklagte mehrere Wochen unter Entzugserscheinungen wie Zittern der Gliedmaßen und starkem Schwitzen.
Nach den Ausführungen des angehörten Sachverständigen, dem das Landgericht folgt, liegt zudem bei dem mit einem Intelligenzquotienten von 82 intellektuell unterdurchschnittlich befähigten, unter schwierigen häuslichen Verhältnissen aufgewachsenen Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung in Form einer Störung des Sozialverhaltens (ICD - 10 F 91) und einer emotional instabilen Persönlichkeitsstruktur (ICD - 10 F 60.3) vor. Der Sachverständige hat zwar einerseits ausgeschlossen, daß die festgestellte Persönlichkeitsstörung ursächlich für den Hang des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Alkohol sei, jedoch andererseits auch ausgeführt, daß diese ihn weiterhin veranlassen werde, exzessiv dem Alkohol zuzusprechen.
Nach all dem ist die Bewertung des Landgerichts, der Alkoholkonsum könne dem Angeklagten jedenfalls nicht in dem Maße schulderhöhend angelastet werden, daß hier die Versagung einer Strafrahmenmilderung gerechtfertigt wäre, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die getroffenen Feststellungen belegen entgegen der Auffassung der Revision hinreichend, daß sich bei dem Angeklagten seit seiner frühesten Jugend ein Hang zum Alkohol entwickelt hat, der ihn weitgehend beherrscht und ihm daher nicht ohne weiteres zum Vorwurf gemacht werden kann (vgl. BGH StV 1985, 102; BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 26). Das Landgericht hat bei seiner Ermessensausübung zudem zu Recht dem Umstand Rechnung getragen, daß es vor der Wahl zwischen lebenslanger Freiheitsstrafe und einer zeitigen Freiheitsstrafe stand. In derartigen Fällen müssen besonders erschwerende Gründe gegeben sein, um die mit den Voraussetzungen des § 21 StGB verbundene Schuldminderung so auszugleichen, daß die gesetzliche Höchststrafe verhängt werden darf (st. Rspr., vgl. nur BGHR § 21 StGB Strafrahmenverschiebung 7, 8, 12, 18). Solche hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint.
HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 662
Bearbeiter: Karsten Gaede