HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 427
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 53/04, Beschluss v. 30.03.2004, HRRS 2004 Nr. 427
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11. September 2003 - auch soweit es den Mitangeklagten G. betrifft, aufgehoben
a) im Schuldspruch, soweit die Angeklagten im Fall II. 2. der Urteilsgründe wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung - der Mitangeklagte G. in weiterer Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis - verurteilt worden sind,
b) in den Strafaussprüchen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung, schwerer räuberischer Erpressung sowie versuchten Diebstahls - die Angeklagte A. unter Einbeziehung eines früheren Urteils - zu einer Jugendstrafe von jeweils drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Den Angeklagten G., der keine Revision eingelegt hat, hat es wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis sowie wegen versuchten Diebstahls zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren unter Vorbehalt der Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten A. und K. mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel haben auf die Sachrüge den aus der Beschlußformel ersichtlichen Teilerfolg, der gemäß § 357 StGB auch auf den Mitangeklagten G. zu erstrecken ist. Im übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keinen weiteren Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die Verurteilung der Angeklagten und des Mitangeklagten G. wegen der Tat zum Nachteil der Geschädigten T. kann nicht bestehen bleiben. Der Generalbundesanwalt hat in seinen Antragsschriften vom 12. Februar 2004 hierzu ausgeführt:
"Die rechtliche Würdigung des Sachverhaltes als Straftat gemäß § 316 a StGB begegnet rechtlichen Bedenken. Nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die eine enger am Schutzzweck und den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des § 316 a StGB orientierte Auslegung der Vorschrift für geboten hält (BGH, Urteil vom 20. November 2003 - 4 StR 150/03), setzt der Tatbestand des § 316 a StGB nach seinem Wortlaut eine zeitliche Verknüpfung zwischen tauglichem Tatopfer und tatbestandsmäßiger Angriffshandlung dergestalt voraus, dass im Tatzeitpunkt, das heißt bei Verüben des Angriffs, das Tatopfer (noch) 'Führer' oder 'Mitfahrer' eines Kraftfahrzeugs ist. Daran könnte es hier fehlen. Führer eines Kraftfahrzeugs im Sinne des § 316 a StGB ist nur, wer das Kraftfahrzeug in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs und/oder der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist. Das ist regelmäßig nicht mehr der Fall, wenn das Fahrzeug aus anderen als verkehrsbedingten Gründen anhält und der Fahrer den Motor ausstellt. Ob die hier geschädigte Zeugin bei Verüben des Angriffs in dem genannten Sinne 'Führer' ihres (nicht verkehrsbedingt haltenden) Fahrzeuges war, sie - bei noch laufendem Fahrzeugmotor - in einer Weise mit der Beherrschung ihres Kraftfahrzeuges und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt war, dass sie gerade deshalb leichter Opfer eines räuberischen Angriffs war, und ob die Angeklagte und ihre Mittäter die möglicherweise hierin liegenden 'besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs' für ihre Taten ausgenutzt haben, lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Entsprechende Feststellungen müssen daher nachgeholt werden. Die getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich.
Die rechtliche Würdigung des Falles II. 2. als schwere räuberische Erpressung ist dagegen rechtsfehlerfrei. Der Schuldspruch ist allerdings wegen der Einheitlichkeit der Tat insoweit insgesamt aufzuheben (Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 353 Rdnr. 7)."
Dem stimmt der Senat zu (vgl. Senatsbeschluß vom 27. November 2003 - 4 StR 311/03).
Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 2. der Urteilsgründe zieht hier entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts die Aufhebung der Strafaussprüche nach sich. Denn das Landgericht hat den Umstand, daß die Angeklagten in diesem Fall jeweils zwei schwere Delikte verwirklicht haben, ausdrücklich als straferschwerend berücksichtigt. Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, daß der Tatrichter ohne die Verurteilung wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer auf niedrigere Jugendstrafen erkannt hätte.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
Für die vom Tatbestand des § 316 a StGB vorausgesetzte Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs genügt allein der Umstand, daß "die Geschädigte wegen der beengten Verhältnisse im Pkw ... in ihrer Verteidigungsfähigkeit stark eingeschränkt war" (UA 20), nicht (vgl. BGH NStZ 1996, 389 f.; Senatsbeschluß vom 11. Februar 2003 - 4 StR 522/02). Gleiches gilt auch für die Abgelegenheit des Überfallorts. Denn ebenso wie die Beengtheit, die dem Fahrzeug immanent ist, ist auch die Abgelegenheit des Überfallorts keine spezifische Eigenschaft des Kraftfahrzeugverkehrs (Senatsurteil vom 20. November 2003 - 4 StR 150/03, NJW 2004, 786, 788, zum Abdruck in BGHSt bestimmt).
Falls die nunmehr entscheidende Jugendkammer das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 316 a StGB nach der geänderten Rechtsprechung des Senats nicht mehr bejahen könnte, kommt nach den getroffenen Feststellungen jedenfalls eine tateinheitliche Verurteilung wegen Verabredung zu diesem Verbrechen gemäß § 30 Abs. 2 StGB in Betracht. Im übrigen ist der neue Tatrichter nicht gehindert, bei der Bemessung der Strafen strafschärfend zu werten, daß die Angeklagten planmäßig die Bereitschaft des Tatopfers, sie als Anhalter in ihrem Pkw mitzunehmen, ausnutzten und sie die Geschädigte in eine Lage brachten, in der für sie Hilfe nicht zu erwarten war.
HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 427
Bearbeiter: Karsten Gaede