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HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 181

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 469/04, Urteil v. 13.01.2005, HRRS 2005 Nr. 181


BGH 4 StR 469/04 - Urteil vom 13. Januar 2005 (LG Halle)

Richterliche Vernehmung im Ermittlungsverfahren (Benachrichtigung des Verteidigers nur bei zukünftiger Vernehmung; Wartepflicht im Einzelfall; Anwesenheit der Erziehungsberechtigten; Zulässigkeit einer Verfahrensrüge); schriftliche Urteilsgründe; Begründung einer hohen Jugendstrafe (Abstellen auf ein "völlig cooles und überheblich-arrogantes Verhalten"; Geltung des in dubio pro reo Grundsatzes); redaktioneller Hinweis.

§ 18 JGG; Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. c, d EMRK; § 168c StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 267 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Es erscheint zweifelhaft, ob § 168 c Abs. 5 Satz 1 StPO im vorliegenden Fall eine Pflicht für die Ermittlungsrichterin begründete, den Verteidiger vor Eintritt in die Vernehmung zu benachrichtigen: Der Wortlaut der Vorschrift ("vorher") und ihr Sinn und Zweck legen nahe, dass die Benachrichtigungspflicht nur in der Zukunft liegende Termine erfasst. Daran fehlt es jedoch, wenn die Vorführung bereits stattfindet und erst während dieses Termins durch die Bestellung des Verteidigers dessen Berechtigung zur Teilnahme begründet wird. Ob Grundsätze des fairen Verfahrens in einem solchen Fall es gebieten, mit der förmlichen Vernehmung innezuhalten, bis der Verteidiger Gelegenheit hatte zu erscheinen, ist eine Frage des Einzelfalls, die hier nicht zu entscheiden ist.

2. Die schriftlichen Urteilsgründe dienen nicht dazu, die gesamte Beweisaufnahme im einzelnen wiederzugeben. Der Tatrichter muss sich im Urteil nur mit den für die Entscheidung maßgebenden Umständen auseinandersetzen. Bleibt ein Beweismittel unerwähnt, so ist deshalb daraus nicht zu schließen, dass es übersehen worden ist.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 19. Dezember 2003 in den Strafaussprüchen mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten und die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.

3. Die Staatskasse trägt die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die hierdurch den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten Sch. des schweren Raubes mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie des Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen für schuldig befunden und ihn zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Den Angeklagten W. hat es wegen schweren Raubes mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung eines Urteils des Amtsgerichts Naumburg vom 27. Februar 2003 zu einer Einheitsjugendstrafe von acht Jahren sechs Monaten und den Angeklagten B. wegen schweren Raubes mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie weiter wegen Unterschlagung unter Einbeziehung eines Urteils des Amtsgerichts Naumburg vom 27. Februar 2003 zu einer Einheitsjugendstrafe von acht Jahren neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts, die Angeklagten Sch. und B. auch die Verletzung formellen Rechts rügen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zu Ungunsten der drei Angeklagten eingelegten, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, daß das Landgericht die Angeklagten im Fall II. 3 der Urteilsgründe nicht wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts verurteilt hat. Die Rechtsmittel der Angeklagten haben zu den Strafaussprüchen Erfolg; dagegen erweisen sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft insgesamt als unbegründet.

I.

Das Landgericht hat festgestellt:

Die Angeklagten gehörten zu einer Clique von Jugendlichen aus vorwiegend sozial schwierigen Verhältnissen in Naumburg, die sich gemeinsam mit Alkohol und Haschisch ihre Langeweile vertrieben. Das spätere Tatopfer, Andreas Oe., wohnte mit dem Angeklagten B. im selben Haus. Oe. war homosexuell veranlagt und geistig behindert. B. erzählte in der Clique, zu der gelegentlich auch die wesentlich älteren Brüder Be. stießen, Oe. suche sexuelle Kontakte zu Jugendlichen und bezahle dafür. Dies ließ unter den Angeklagten und weiteren Mitgliedern der Clique den Entschluß reifen, die Neigung des Oe. auszunutzen, um ihn bei einer solchen Gelegenheit zu überfallen und zu berauben.

Mit diesem Entschluß suchten die Angeklagten am Abend des 20. März 2003 Oe. auf, der jedoch nur die Angeklagten W. und Sch. in seine Wohnung ließ. Dort täuschte Sch. dem Oe. vor, dieser dürfe ihn gegen Bezahlung oral befriedigen. Als sich Oe. darauf vor Sch. hinkniete, trat ihm der Angeklagte W. absprachegemäß mit dem beschuhten Fuß mit voller Wucht ins Gesicht, wodurch Oe. zu Boden ging. Beide Angeklagte traten nunmehr gemeinsam auf Oe. ein, der schließlich hilflos mit starkem Nasenbluten liegen blieb, nachdem ihm bereits durch den ersten Tritt zwei Schneidezähne herausgebrochen waren. Die Angeklagten Sch. und W. zogen ihm sodann die Geldbörse mit 14,50 Euro aus der Hosentasche und verließen fluchtartig die Wohnung (Fall II. 1 der Urteilsgründe).

Am späten Nachmittag des folgenden Tages (21. März 2003) trafen sich die Angeklagten Sch. und B. wiederum mit ihrer Clique. Sie berichteten von dem Geschehen des Vortages. Auch wurde darüber gesprochen, Oe. mißbrauche auch Kinder und müsse deshalb "bestraft" werden; zudem sei bei ihm "etwas zu holen" und er könne leicht ausgeraubt werden. Sch. und B. sowie die Brüder Be. und zwei weitere aus der Clique begaben sich daraufhin zur Wohnung des Oe. und verschafften sich gewaltsam Zutritt. Nachdem zunächst Silko Be. auf Oe. eingeschlagen und ihn ins Schlafzimmer gedrängt hatte, schlugen und traten dort beide Brüder Be. weiter auf den Geschädigten ein. "Auch die Angeklagten Sch. und B. schlugen und traten zu, wer genau welchen Tritt und Schlag ausführte, ließ sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen". Während Oe. von den Be. -Brüdern im Schlafzimmer noch weiter "traktiert" wurde, durchsuchten die Angeklagten Sch. und B. sowie die übrigen anwesenden Mitglieder der Clique die Wohnung nach mitnehmenswerten Gegenständen. Sch. nahm die Geldbörse des Geschädigten mit ca. 6 Euro und auch die Wohnungsschlüssel an sich, während sie im übrigen noch Lautsprecherboxen, eine Videocassette und 10 bis 15 Flaschen Bier mitnahmen und damit die Wohnung verließen (Fall II. 2 der Urteilsgründe).

Anschließend kam die Gruppe an ihrem üblichen Treffpunkt zusammen, wo auch der Angeklagte W. hinzustieß. Dort entschlossen sie sich, den Geschädigten erneut aufzusuchen, da dieser "noch nicht genug geschlagen worden" sei und sich in seiner Wohnung noch weiteres Bier und andere mitnehmenswerte Gegenstände befänden. Die drei Angeklagten sowie die beiden Brüder Be. begaben sich daraufhin erneut zu der Wohnung des Oe. Die Be. -Brüder hatten sich jeder einen sog. Bikerhandschuh angezogen, deren Handrücken und Innenflächen mit Plastikteilen verstärkt waren, "um wirkungsvoller auf Andreas Oe. einschlagen zu können". Die Angeklagten und die Be. -Brüder gelangten mit Hilfe des von dem Angeklagten Sch. zuvor entwendeten Schlüssels in die Wohnung. Sie fanden Oe. mit völlig verschwollenem Gesicht, blutverschmiert und hilflos im Schlafzimmer liegend vor. Er konnte sich nicht mehr wehren. Die Brüder Be. schlossen die Tür zum Schlafzimmer und begannen sofort, erneut auf ihn einzuschlagen und einzutreten. "Derweil" durchsuchten die Angeklagten die Wohnung nach weiteren mitnehmenswerten Gegenständen. Ob sie auch dieses Mal selbst auf Oe. "einwirkten", ließ sich nicht feststellen. Jedenfalls nahmen sie die Stereoanlage des Geschädigten und weitere Bierflaschen mit und verließen die Wohnung, nachdem "alle noch einmal einen Blick auf den zu der Zeit bäuchlings vor seinem Bett liegenden und sich nicht mehr rührenden, offensichtlich schwer verletzten Herrn Oe. geworfen hatten. Sie ließen ihn liegen, obwohl ihnen bewußt war, daß er aufgrund seiner schweren Verletzungen sterben könnte". Oe. erlitt massive Frakturen und weitere Verletzungen im Kopf- und Gesichtsbereich. Insbesondere eine Halsmarkzerrung mit Zerreißung des Bandapparates zwischen Wirbelsäule und Schädel führte "kurz danach" zum Tod des Geschädigten. Ob Oe. schon verstarb, als die Angeklagten noch in der Wohnung waren oder kurz nach ihrem Verlassen der Wohnung, konnte nicht geklärt werden. Jedenfalls hätte er nach Beibringung der Halsmarkzerrung nicht mehr gerettet werden können (Fall II. 3 der Urteilsgründe).

Die anschließende Nacht verbrachten die Angeklagten in der Wohnung eines der beiden Brüder Be. Sie unterhielten sich darüber, daß Oe. "wohl nicht überleben werde". Auch am nächsten Morgen wurde wieder darüber geredet, daß Oe. "bestimmt tot" sei. Der Angeklagte B. und ein weiteres Mitglied der Clique suchten nunmehr erneut die Wohnung des Oe. auf. Dort fanden sie ihn tot auf dem Boden liegend vor. Sie durchsuchten die Wohnung wiederum, nahmen den Fernseher und ein Videogerät des Oe. mit und begaben sich zurück in die Wohnung des Be. (Fall II. 4 der Urteilsgründe).

Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Jugendkammer im Fall II. 1 die Angeklagten Sch. und W. sowie im Fall II. 2 die Angeklagten Sch. und B. jeweils des gemeinschaftlich begangenen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 249 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB), im Fall II. 3 alle drei Angeklagten des gemeinschaftlich begangenen schweren Raubes mit Todesfolge (§ 251 i.V.m. § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a) und b) StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB) und im Fall II. 4 den Angeklagten B. der Unterschlagung (§ 246 Abs. 1 StGB) für schuldig befunden.

II.

Revisionen der Angeklagten A. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen der Angeklagten hat zu den Schuldsprüchen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

1. Die Angeklagten Sch. und B. dringen mit den von ihnen erhobenen Verfahrensrügen zum Schuldspruch nicht durch.

a) Sowohl der Angeklagte Sch. als auch der Angeklagte B. beanstanden, ihren in der Hauptverhandlung anwesenden Müttern als ihren gesetzlichen Vertreterinnen sei entgegen § 67 Abs. 1 JGG i.V.m. § 258 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO das letzte Wort nicht erteilt worden. Es kann dahinstehen, ob die von dem Angeklagten B. erhobene Rüge schon deshalb unzulässig ist (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil dieser Beschwerdeführer verschweigt, daß die Beweisaufnahme jeweils in Anwesenheit seiner Mutter nicht nur am letzten Hauptverhandlungstag, dem 19. Dezember 2003, sondern bereits zuvor zunächst am 4. Dezember und sodann ein weiteres Mal am 15. Dezember 2003 geschlossen worden war und jeweils Schlußanträge gestellt worden waren.

Jedenfalls könnte diese von den beiden Beschwerdeführern erhobene Rüge nur zur - schon aus sachlichrechtlichen Gründen gebotenen (s.u. II. B) - Aufhebung der sie betreffenden Strafaussprüche führen, weil die Schuldsprüche auf ihm nicht beruhen können. Die Angeklagten haben sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen; ihre Mütter waren bei dem Tatgeschehen nicht anwesend; deshalb ist auszuschließen, daß sie bei Erteilung des letzten Wortes Ausführungen hätten machen können, die Einfluß auf die Schuldsprüche hätten haben können (vgl. BGHR JGG § 67 Erziehungsberechtigter 3 m.w.N.).

b) Die von dem Angeklagten Sch. erhobene Rüge, das Landgericht habe eine Wahrunterstellung nicht eingehalten, ist jedenfalls unbegründet. Das Urteil setzt sich mit der unter Beweis gestellten Behauptung, der Arzt Dr. T. habe am 21. März 2003 am Körper und im Gesicht des Geschädigten, der sich bei ihm für eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgestellt habe, aus einem Meter Entfernung keinerlei Verletzungen am Körper oder im Gesicht, insbesondere auch keine Zahnlücken erkannt, nicht in Widerspruch.

c) Die weitere, ebenfalls allein von dem Angeklagten Sch. erhobene Rüge, das Landgericht habe entgegen dem von der Verteidigung in der Hauptverhandlung erklärten Widerspruch die Zeugin S., vernehmende Richterin im Ermittlungsverfahren, über die Vernehmung des Angeklagten bei seiner Verhaftung vernommen und ihre Aussage verwertet, obwohl weder die Mutter des Angeklagten als Erziehungsberechtigte noch der bereits bestellte Verteidiger bei der Vernehmung anwesend und sie auch von dem Termin nicht unterrichtet worden seien, ist nicht zulässig ausgeführt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Insoweit hätte es der vollständigen Mitteilung des bei der richterlichen Vernehmung dem Angeklagten vorgelesenen und von ihm bestätigten Protokolls seiner polizeilichen Vernehmung vom 24. März 2003 bedurft (vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 39). Daran fehlt es. Der Senat kann deshalb dahingestellt sein lassen, ob diese Rüge auch in der Sache deshalb keinen Erfolg haben könnte, weil nicht bewiesen ist, daß die Mutter des Angeklagten und der von der Ermittlungsrichterin vor Beginn der Vernehmung bestellte Verteidiger von dem Vernehmungstermin nicht unterrichtet waren. Daß sie bei der Vernehmung nicht anwesend waren, begründet für sich keinen Verfahrensverstoß.

Im übrigen erscheint zweifelhaft, ob § 168 c Abs. 5 Satz 1 StPO unter den hier gegebenen Umständen eine Pflicht für die Ermittlungsrichterin begründete, den Verteidiger vor Eintritt in die Vernehmung zu benachrichtigen. Der Wortlaut der Vorschrift ("vorher") und ihr Sinn und Zweck legen nahe, daß die Benachrichtigungspflicht nur in der Zukunft liegende Termine erfaßt. Daran fehlt es jedoch, wenn - wie hier - die Vorführung bereits stattfindet und erst während dieses Termins durch die Bestellung des Verteidigers dessen Berechtigung zur Teilnahme begründet wird. Ob Grundsätze des fairen Verfahrens in einem solchen Fall es gebieten, mit der förmlichen Vernehmung innezuhalten, bis der Verteidiger Gelegenheit hatte zu erscheinen, ist eine Frage des Einzelfalls, die hier nicht zu entscheiden ist, weil der Beschwerdeführer hierauf seine Rüge nicht gestützt hat.

d) Soweit der Angeklagte Sch. schließlich rügt, die Jugendkammer habe eine Vielzahl von Zeugen vernommen, ohne sich mit deren Aussage im Urteil auseinanderzusetzen, ist die Rüge ebenfalls schon deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil der Inhalt der Aussagen der im einzelnen genannten Zeugen nicht mitgeteilt wird. Im übrigen dienen die schriftlichen Urteilsgründe nicht dazu, die gesamte Beweisaufnahme im einzelnen wiederzugeben. Der Tatrichter muß sich im Urteil nur mit den für die Entscheidung maßgebenden Umständen auseinandersetzen. Bleibt ein Beweismittel unerwähnt, so ist deshalb daraus nicht zu schließen, daß es übersehen worden ist (vgl. Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 267 Rdn. 12 m.w.N.).

2. Die Schuldsprüche halten auch der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand. Die getroffenen Feststellungen beruhen auf einer ausreichenden Beweisgrundlage.

Die Beschwerdeführer erheben insoweit auch keine Einwendungen. Die Angeklagten haben sich in der Hauptverhandlung zwar nicht zur Sache eingelassen. Die Jugendkammer hat ihre Überzeugung vom Tatgeschehen und der Beteiligung der Angeklagten aber - rechtlich unbedenklich - auf die durch Angaben von Zeugen bestätigten geständigen Einlassungen der Angeklagten bei ihren Vernehmungen durch die Polizei und die Haftrichterin gestützt.

Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe läßt erkennen, daß die Angeklagten im Ermittlungsverfahren das äußere Tatgeschehen im Umfang der Feststellungen auch hinsichtlich der Fälle II. 2 und 3 der Urteilsgründe nicht in Abrede gestellt haben. Von den Feststellungen zum äußeren Sachverhalt wird auch die im Rahmen der rechtlichen Würdigung getroffene Wertung getragen, für jeden Anwesenden sei "bei Anspannung der zur Verfügung stehenden intellektuellen und geistigen Möglichkeiten klar ersichtlich" und "jedem vernünftig Denkenden" sei klar gewesen, daß durch die Verletzungen für den Geschädigten die Gefahr des Todes bestand.

B. Dagegen können die Strafaussprüche nicht bestehen bleiben. Sie begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Zwar ist nicht zu beanstanden, daß die Jugendkammer gegen die Angeklagten Jugendstrafen sowohl wegen schädlicher Neigungen als auch wegen der Schwere der Schuld verhängt hat. Auch ist aus Rechtsgründen nichts dagegen zu erinnern, daß die Jugendkammer gemeint hat, die zu verhängenden Strafen müßten "äquivalent" zur Tatschuld "im oberen Bereich" des Strafrahmens festgesetzt werden, "um den erzieherischen Effekt zu erzielen, daß die Angeklagten endlich über ihre große Schuld nachdenken". Das Landgericht hat jedoch die Höhe der erkannten Strafen nur unzureichend begründet. Zumal angesichts dessen, daß die Strafen dem gesetzlichen Höchstmaß nahe kommen, hätte es eingehenderer Erörterung und Darlegung bedurft, weshalb die Strafen in dieser Höhe zur Nachreifung der Angeklagten aus erzieherischen Gründen erforderlich sind (vgl. BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 3, 7 , 8, 10).

Das von den Angeklagten in der Hauptverhandlung gezeigte "völlig coole und überheblich-arrogante Verhalten" läßt nicht ohne weiteres auf eine grundsätzlich rechtsfeindliche Gesinnung schließen, sondern kann auch Ausdruck der noch fehlenden Reife und eines gewissen gruppendynamischen Drucks sein. Schließlich läßt der - nach dem Gesamtzusammenhang im Rahmen der Strafzumessungserwägungen ersichtlich allein den Fall II. 3 der Urteilsgründe betreffende - Klammerzusatz auf UA 30: "(wobei die Kammer bis zuletzt erhebliche Zweifel behalten hat, ob nicht auch bei den Taten am Freitag die Angeklagten sich selbst an den Tätlichkeiten beteiligten)" besorgen, daß die Jugendkammer den auch für die Strafzumessung uneingeschränkt geltenden Grundsatz in dubio pro reo (st. Rspr.; vgl. BGHSt 43, 195, 209; BGH StV 1986, 5) verkannt hat. Ebenfalls nicht unbedenklich erscheint in diesem Zusammenhang, daß die Jugendkammer den Angeklagten moralisierend anlastet, daß sie Oe. "schließlich voraussehbar töteten", obwohl es nach den Feststellungen nicht die Angeklagten, sondern die Brüder Be. waren, die - nicht ausschließbar hinter der geschlossenen Schlafzimmertür, d.h. ohne daß die Angeklagten unmittelbare Zeugen des Geschehens waren - dem Geschädigten die letztlich todesursächlichen Verletzungen beibrachten.

Über die Strafen ist deshalb neu zu befinden. Dabei wird der neue Tatrichter den Eindruck zu vermeiden haben, er laste den Angeklagten auch an, daß sie in der Hauptverhandlung von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht haben. Soweit es den Angeklagten Sch. betrifft, wird der neue Tatrichter auch die im angefochtenen Urteil versehentlich unterbliebene Einbeziehung des noch nicht erledigten Urteils vom 27. Februar 2003 (vgl. UA 31) nachholen können.

III.

Revisionen der Staatsanwaltschaft

Ohne Erfolg wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren Revisionen dagegen, daß das Landgericht (im Fall II. 3 der Urteilsgründe) die Angeklagten nicht wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts verurteilt hat.

1. Das Landgericht hat einen - auch nur bedingten - Tötungsvorsatz der drei Angeklagten trotz der Brutalität und Rücksichtslosigkeit des Vorgehens nicht mit letzter Sicherheit festzustellen vermocht. Die Jugendkammer hat hierbei "das Alter, die mangelnde Lebenserfahrung, die hohen Defizite der Angeklagten auf ethischem Gebiet und die sonstigen Persönlichkeitsakzentuierungen" berücksichtigt. Diese Wertung hält sich noch im Rahmen der dem Tatrichter obliegenden Würdigung und ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen, zumal da es - wie ausgeführt - nicht die Angeklagten, sondern die Brüder Be. waren, die dem Geschädigten die letztlich todesursächlichen Verletzungen beibrachten. Entgegen der Auffassung der Revision ist auch nicht zu besorgen, daß das Landgericht überhöhte Anforderungen an die Feststellung eines (bedingten) Tötungsvorsatzes gestellt hat. Die Wendung im Urteil, "ein ausdrückliches Bekenntnis, daß er bei den Handlungen das Risiko [erg.: eines tödlichen Erfolges] bewußt einkalkuliert habe", habe keiner der Angeklagten abgegeben, gibt keinen Anlaß zu der Annahme, die Jugendkammer mache allgemein die Feststellung eines bedingten Tötungsvorsatzes von einem Geständnis zur subjektiven Tatseite abhängig. Vielmehr hat sie dadurch lediglich zum Ausdruck gebracht, daß in einem solchen Fall erhöhte Anforderungen an die Feststellungen zur subjektiven Tatseite zu stellen sind. Das läßt Rechtsfehler nicht erkennen.

2. Allerdings hat - worauf der Generalbundesanwalt bereits in seiner Antragsschrift vom 18. Oktober 2004 zutreffend hingewiesen hat - das Landgericht nicht erkennbar geprüft, ob den Angeklagten nicht zumindest bedingter Tötungsvorsatz für den Zeitpunkt zur Last fällt, in dem sie im Fall II. 3 der Urteilsgründe durch die wieder offen stehende Schlafzimmertür den "sich nicht mehr rührenden, offensichtlich schwer verletzten" Oe. bäuchlings vor seinem Bett liegen sahen und sie ihn in diesem Zustand ohne Hilfe in der Wohnung zurückließen, "obwohl ihnen bewußt war, daß er aufgrund seiner schweren Verletzungen sterben könnte". Doch führt dies hier nicht zu einem Erfolg der Revisionen der Staatsanwaltschaft, auch wenn die Angeklagten eine Garantenpflicht aus Ingerenz traf und sie deshalb für das Leben des Oe. einzustehen hatten.

Vollendeter Totschlag durch Unterlassen (vgl. zu dieser Sachverhaltskonstellation BGHSt 44, 196, 201) käme hier nach den Feststellungen schon deshalb nicht in Betracht, weil der Geschädigte nicht ausschließbar bereits tot war, als die Angeklagten noch in der Wohnung waren. Die Feststellungen ergeben aber auch nicht, daß die Angeklagten sich zumindest des versuchten Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht haben. Tatsächlich war - wie das Landgericht aufgrund des Ergebnisses des rechtsmedizinischen Gutachtens festgestellt hat - das Leben des Geschädigten bereits aufgrund der ihm von den Brüdern Be. beigebrachten Halsmarkzerrung nicht mehr zu retten.

Insoweit käme, bezogen auf die Angeklagten, lediglich ein untauglicher Versuch des Totschlags durch Unterlassen in Betracht. Das setzte aber die Feststellung voraus, daß die Angeklagten, als sie die Wohnung verließen, die Vorstellung hatten, das Leben des Oe. könne noch durch ihnen mögliche Maßnahmen gerettet oder in rechtlich erheblicher Weise verlängert werden. Dafür ist jedoch nichts hervorgetreten.


[Redaktioneller Hinweis: Vgl. umfassend zur bisherigen, mit den Andeutungen des Senats konfligierenden Auslegung des § 168c StPO die Kommentierung von Wohlers im SK-StPO.]

HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 181

Externe Fundstellen: StV 2006, 228

Bearbeiter: Karsten Gaede