Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 347/92, Urteil v. 30.07.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X
I. Auf die Revision des Generalbundesanwalts wird das Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 15. November 1991, soweit es die Angeklagten S. und B. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an einen anderen Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts zurückverwiesen.
II. Die Revisionen der Angeklagten S. und B. gegen das genannte Urteil werden verworfen.
Jeder dieser Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Angeklagten S. und B. der Beihilfe zum Landesverrat der früheren Mitangeklagten A. und L. Sp. schuldig gesprochen und auf jeweils zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen von zwei Jahren gegen S. und von einem Jahr und zwei Monaten gegen B. erkannt. Die gleichzeitige Verurteilung der Brüder Sp. zu Freiheitsstrafen von zehn Jahren und von fünf Jahren und sechs Monaten ist rechtskräftig.
Die Angeklagten gehörten nach den Urteilsfeststellungen der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), dem damals wichtigsten Geheimdienst der DDR, als ranghohe Offiziere an. Sie waren - S. als Abteilungsleiter im zuletzt erreichten Rang eines Generalmajors, B. in der Sonderstellung eines Offiziers im besonderen Einsatz - zunächst im Bereich der militärischen Aufklärung gegen die Bundesrepublik Deutschland, später auf dem Gebiet der Ausspähung der Nachrichtendienste der Bundesrepublik und anderer westlicher Staaten eingesetzt. Für die damit befaßten Abteilungen IV und IX der HVA war der frühere Mitangeklagte A. Sp., ein Angehöriger des Bundesnachrichtendienstes (BND), seit 1968 nachrichtendienstlich tätig. Unter der unmittelbaren Führung und Betreuung durch den zuerst von Österreich, danach von Ostberlin aus handelnden Angeklagten B. leitete A. Sp. mit Unterstützung seines Bruders L. im Verfolgungszeitraum von 1972 bis November 1989 fast sämtliche ihm dienstlich zugänglichen Erkenntnisse über den BND sowie über militärpolitische und militärstrategische Fragen der Bundesrepublik Deutschland an die HVA weiter. Darunter befanden sich die vom BND verfaßten und als "geheim" eingestuften Jahresabschlußberichte "Militärische Lageberichte Ost" sowie die BND-Studie vom 13. Januar 1986 über "Die militärische Bedeutung der DDR im Warschauer Pakt". Nach Wertung des Bayerischen Obersten Landesgerichts stellten diese Unterlagen ebenso wie die umfassend preisgegebenen Erkenntnisse über die Aufklärungstätigkeit des BND auf militärischem Gebiet, die dabei eingesetzten technischen Einrichtungen und geheimen Mitarbeiter sowie die organisatorische und personelle Struktur des BND jeweils in ihrer Gesamtheit Staatsgeheimnisse im Sinne des § 93 Abs. 1 StGB dar. Der Angeklagte S. war von Anfang an mit der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit den Brüdern Sp. befaßt. Seine Mitwirkung beschränkte sich nicht darauf, als zuständiger Abteilungsleiter die inhaltliche Ausgestaltung und Weiterentwicklung der nachrichtendienstlichen Operation mit den Brüdern Sp. in den wesentlichen Linien zu bestimmen und insbesondere auch Interessenschwerpunkte wie etwa die Beschaffung der Militärischen Lageberichte Ost festzulegen, sondern er beteiligte sich durch die Wahrnehmung von Treffen in der DDR, in Österreich, Jugoslawien und Ungarn auch unmittelbar an deren Führung.
Die Angeklagten S. und B. greifen ihre Verurteilung jeweils mit der auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützten Revision an. Mit seiner zum Nachteil dieser Angeklagten eingelegten Revision beanstandet der Generalbundesanwalt als sachlich-rechtlich fehlerhaft, daß sie nur wegen Beihilfe und nicht wegen Mittäterschaft am Landesverrat verurteilt worden sind.
Die Rechtsmittel der Angeklagten bleiben ohne Erfolg. Dagegen führt die Revision des Generalbundesanwalts im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
Vorab hatte der Senat zu prüfen, ob völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Einwände, welche die Angeklagten im Anschluß an die Auffassung des Kammergerichts in der eine vergleichbare Sache betreffenden Normenkontrollvorlage vom 22. Juli 1991 (NJW 1991, 2501) und Stimmen im Schrifttum gegen ihre Strafverfolgung erhoben haben, Veranlassung geben, das Verfahren auszusetzen und ebenfalls eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Artikel 100 Abs. 1 und 2 GG einzuholen. Dies ist nicht der Fall (vgl. Wilke NJW 1991, 2465).
Der Senat hat bereits in früheren Haftentscheidungen ebenso wie der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGHSt 37, 305) die Meinung vertreten, daß die Strafverfolgung von hauptamtlichen HVA-Angehörigen wegen Landesverrats oder geheimdienstlicher Agententätigkeit (§§ 94, 99 StGB) auch dann nicht gegen allgemeine, in innerstaatliches Recht übernommene Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) und gegen das Grundgesetz verstößt, wenn diese Personen nur außerhalb des früheren Gebiets der Bundesrepublik Deutschland gehandelt haben (BGHR StGB § 94 Beihilfe 1 = NJW 1991, 2498; BGHR StGB § 94 Beihilfe 2 und § 99 Agent 2; Senatsbeschluß vom 15. Juni 1992 - StB 10/92; im Ergebnis ebenso: Gribbohm in LK StGB 11. Aufl. § 2 Rdn. 60 a und 70; Laufhütte in LK StGB 11. Aufl. Rdn. 39, 40 vor § 80; Dreher/Tröndle StGB 46. Aufl. § 99 Rdn. 1 a; Lackner StGB 20. Aufl. § 2 Rdn. 23; Lippold NJW 1992, 18; Renzikowski JR 1992, 270, 272; Schuster ZaöRV Bd. 51 1991 S. 651; Starck VVDStRL Heft 51 1992 S. 7, 30). Daran hält er fest.
1. Für den (Tat-) Zeitraum vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland folgt die grundsätzliche Anwendbarkeit der Landesverratsvorschriften schon aus § 9 StGB in Verbindung mit § 3 StGB (BGHR StGB § 94 Beihilfe 1 = NJW 1991, 2498; BGHR StGB § 99 Agent 2; vgl. auch BGHR StGB § 9 I Tatort 1, zum Abdruck in BGHSt 39, 88 bestimmt), jedenfalls aber aus § 5 Nr. 4 StGB (so BGHSt 37, 305, 307), ohne daß dem völkerrechtliche oder verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen. Auch die Verfolgbarkeit entsprechenden Verhaltens war rechtlich nicht ausgeschlossen (vgl. Senatsbeschluß vom 17. September 1990 - StB 13/90). Das wird selbst von den Vertretern der Auffassung überwiegend anerkannt, nach der die Strafverfolgung (jetzt) unzulässig sein soll, und entspricht nicht nur der Rechtsvorstellung, die § 153 c Abs. 2 und § 153 d Abs. 1 StPO zugrunde liegt, sondern auch der rechtlichen Beurteilung, von welcher der später nicht weiterverfolgte Entwurf eines Gesetzes über Straffreiheit von MfS-Angehörigen bei Straftaten des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit vom 13. September 1990 (BT-Drucks. 11/7871) ausgegangen ist.
Die Angeklagten S. und B. hätten sich im Falle ihrer Ergreifung vor der Wiedervereinigung insbesondere nicht mit Erfolg auf einen aus der sogenannten Staatenimmunität abgeleiteten Schutz vor Strafverfolgung berufen können. Nach diesem völkerrechtlichen Grundsatz sind fremde Staaten und ihre Organe im Falle hoheitlichen Handelns inländischer Gerichtsbarkeit entzogen (sog. sachliche oder funktionelle Immunität; vgl. BVerfGE 15, 25 ff.; 16, 27 ff.; 46, 342 ff.; 64, 1 ff.; BGH NJW 1979, 1101; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht 2. Aufl. Bd. I 1 S. 453 f.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht 3. Aufl. S. 772 ff.; Ipsen, Völkerrecht 3. Aufl. S. 338 ff., jeweils m.w.Nachw.). Diese allgemeine, gewohnheitsrechtlich begründete Regel betrifft in erster Linie den Bereich des Zivilprozeßrechts. Ob sie im Sinne der Anerkennung durch die weitaus größere Zahl der Staaten (vgl. BVerfGE 15, 25, 34; 16, 27, 33) mit gleicher Geltungskraft auch für die Strafverfolgung Bedeutung hat und fremde Staatsorgane über den Kreis der sogenannte persönliche Immunität genießenden Personen (Staatsoberhäupter, Diplomaten) hinaus schützt, kann auf sich beruhen. Nach allgemeiner Meinung erfährt das Prinzip der Staatenimmunität nämlich im Falle der Spionage eine Ausnahme (Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht 3. Aufl. S. 774 Fn. 52; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, S. 80; Albrecht/Kadelbach NJ 1992, 137, 140; Berg ZaöRV Bd. 42 1982 S. 295, 317; Bothe ZaöRV Bd. 31 1971 S. 246, 252, 257; Herdegen ZaöRV Bd. 47 1987 S. 221, 224; Mössner NJW 1982, 1196, 1198; Schuster ZaöRV Bd. 51 1991 S. 651, 657 f.; Simma/Volk NJW 1991, 873). Zwar wird diese Ausnahme im Schrifttum einschränkend auf Fälle der Spionagetätigkeit auf dem Territorium des verfolgenden Staates bezogen und Spionage vom Heimatstaat aus, ohne daß dies in der Staatenpraxis ausreichend belegt ist (vgl. die Übersichten bei Bothe aaO S. 251; Albrecht/Kadelbach NJ 1992, 137, 140 Fn. 71, 72; Kasper NJ 1992, 432, 433/434), dem Immunitätsschutz unterstellt (Wengler, Völkerrecht II 1964 S. 938 Fn. 2; Kasper NJ 1992, 432, 433/434; Bothe ZaöRV Bd. 31 1971 S. 246, 263; a.A. Schuster ZaöRV Bd. 51 1991 S. 651, 657 f.; vgl. auch Schünemann in Lampe Hrsg., Deutsche Wiedervereinigung Bd. II, Die Verfolgung von Regierungskriminalität der DDR nach der Wiedervereinigung - im folgenden: Regierungskriminalität - 1993, S. 173, 180). Jedenfalls für diejenigen fremden Personen ist diese Einschränkung der Verfolgbarkeit jedoch nicht gerechtfertigt, die eingebunden in die konkrete nachrichtendienstliche Operation auch außerhalb ihres Heimatstaates derart eng mit unmittelbar handelnden - zudem noch durch die Verleihung von Offiziersrängen vereinnahmten (UA S. 66, 76) - Staatsbürgern des betroffenen Staates insgeheim zusammenarbeiten und deren Vorgehen bestimmend beeinflussen, wie dies den Angeklagten S. und B. zur Last gelegt wird. Ihr Verhalten ist einer Tätigkeit auf dem Gebiet des verfolgenden Staates sachlich gleichzustellen. Es bedeutet seinen materiellen Auswirkungen nach wegen der rechtlichen Zurechnung der unmittelbaren Spionagehandlungen eine vergleichbare Beeinträchtigung der territorialen und personellen Hoheit des betroffenen Staates. Durch die unterschiedslose Gewährung von Immunitätsschutz für die Spionagetätigkeit fremder Staatsorgane vom Ausland aus würde der völkerrechtlich anerkannten, aus dem Schutzprinzip abgeleiteten Befugnis eines Staates, gegen ihn gerichtete Spionagehandlungen auch dann strafrechtlich zu verfolgen, wenn sie von Ausländern im Ausland begangen werden, ihre praktische Bedeutung weitgehend wieder entzogen.
2. Die Zulässigkeit der Strafverfolgung ist von dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland unberührt geblieben. Die unveränderte Anwendbarkeit der Bestimmungen über Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit ergibt sich aus Art. 315 Abs. 4 EGStGB in der Fassung des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. September 1990 (BGBl. II S. 885 ff.) und aus den übrigen in innerstaatliches Recht übernommenen Regelungen des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 mit seinen Anlagen (Anlage I zum Einigungsvertrag, unter B Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt III 1), wo die §§ 93 ff. StGB und die entsprechenden Rechtsanwendungsvorschriften von der Geltung im Beitrittsgebiet gerade nicht ausgenommen sind (vgl. BGHR StGB § 94 Beihilfe 1 = NJW 1991, 2498; BGHR StGB § 99 Agent 2; Lackner StGB 20. Aufl. § 2 Rdn. 22 und 23 m.w.Nachw.). Allgemeine Regeln des Völkerrechts (a) und Verfassungsrecht (b) stehen nicht entgegen.
a) Zur Staatensukzession durch vertragliche und damit einverständliche Eingliederung eines Staates in einen anderen, wie sie durch die nach Art. 23 GG a.F. vollzogene Wiedervereinigung geschehen ist, haben sich keine allgemeinen, gewohnheitsrechtlich geltenden Regeln des Völkerrechts entwickelt, welche die Verfolgung der vom Gebiet des beitretenden Staates aus durch dessen Organe begangenen Straftaten gegen den aufnehmenden Staat ausschließen würden (vgl. BGHSt 37, 305, 310 f.; Schuster ZaöRV Bd. 51 1991 S. 651, 666; Albrecht/Kadelbach NJ 1992, 137, 141; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht 2. Aufl. Bd. I 1 S. 157 ff.). Auch aus völkerrechtlichen Verträgen, die für die Bundesrepublik unmittelbar oder in Rechtsnachfolge zur DDR (Art. 12 des Einigungsvertrages) gelten, folgen keine Pflichten, aus denen sich ein völkerrechtliches Verbot der Strafverfolgung ableiten ließe. Art. 15 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II S. 1534) und Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 685) gehen über den nachfolgender Erörterung vorbehaltenen Schutz des Art. 103 Abs. 2 GG nicht hinaus (vgl. BGHSt 39, 1, 27).
Auch sind die Gründe, die vom Kammergericht in seinem erwähnten Vorlagebeschluß (NJW 1991, 2501) und von Teilen des Schrifttums für eine entsprechende Anwendung des Art. 31 der Haager Landkriegsordnung (RGBl. 1910, 107 - HLKO) oder doch eines darin zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens dargelegt worden sind (vgl. Luther NJ 1991, 395, 396; Lüderssen, Der Staat geht unter - das Unrecht bleibt? 1992 S. 18, 150; Widmaier NJW 1990, 3169, 3172 f.), nicht geeignet, ein Strafverfolgungsverbot zu begründen (BGHSt 37, 305, 309; Dreher/Tröndle StGB 46. Aufl. § 99 Anm. 1 a; Albrecht/Kadelbach NJ 1992, 137, 139 ff.; Lippold NJW 1992, 18, 20; Schuster ZaöRV Bd. 51 1991 S. 651, 667; Schünemann in Lampe Hrsg. Regierungskriminalität S. 173, 180 f.; Spies, Amnestiemaßnahmen und deren Verfassungsmäßigkeit in Frankreich und Deutschland, 1991, S. 215/216). Art. 31 HLKO, der vorsieht, daß der zu seinem Heer zurückgekehrte Spion im Falle seiner Ergreifung wegen früherer Spionage nicht verantwortlich gemacht werden kann, sondern als Kriegsgefangener zu behandeln ist, betrifft als Sondernorm des Kriegsvölkerrechts sowohl in seinen tatbestandlichen Voraussetzungen als auch in seiner Rechtsfolge einen Sachverhalt, der von dem hier in Frage stehenden derart verschieden ist, daß sich eine entsprechende Anwendung verbietet. Grundsätzlich sind einer analogen Anwendung völkerrechtlicher Vertragsregelungen ohnehin enge Grenzen gesetzt. Sie hängt davon ab, daß im Vertrag selbst oder in der Anwendungspraxis Hinweise zu finden sind, die eine Ausweitung nahe legen. Solche lassen sich für Art. 31 HLKO nicht feststellen.
b) Ein generelles Strafverfolgungsverbot läßt sich aus grundgesetzlichen Regelungen ebenfalls nicht ableiten.
aa) Die Realisierung der schon vorher zulässigen Strafverfolgung nach der Wiedervereinigung verstößt nicht etwa deswegen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil für BND-Angehörige in vergleichbarer Stellung die Strafbarkeit nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches der DDR (§ 80 Abs. 3 Nr. 3 in Verbindung mit §§ 97 bis 100 StGB-DDR) entfallen ist (so jedoch KG NJW 1991, 2501 und Widmaier NJW 1990, 3169; NJW 1991, 2460). Die nach der Wiedervereinigung fortbestehende Strafbarkeit von HVA-Angehörigen wegen zuvor begangenen Landesverrats oder geheimdienstlicher Agententätigkeit unterläge im Hinblick auf die trotz formaler Vergleichbarkeit der Tätigkeiten eingetretene Straffreiheit von BND-Angehörigen nach DDR-Strafrecht nur dann Bedenken nach Art. 3 Abs. 1 GG, wenn sich dafür keine oder nur sachwidrige Gründe finden ließen. Dies ist nicht der Fall (im Ergebnis ebenso: Laufhütte in LK StGB 11. Aufl. Rdn. 39, 40 Fn. 8 vor § 80: Albrecht/Kadelbach NJ 1992, 137, 142; Jakobs in Isensee Hrsg. Vergangenheitsbewältigung durch Recht? 1992 S. 37, 61; Lippold NJW 1992, 18, 20; Schuster ZaöRV Bd. 51 1991 S. 651, 669; Schünemann in Lampe Hrsg. Regierungskriminalität S. 173, 182; Starck VVDStRL Heft 51 1992 S. 7, 30; Volk - Anmerkung - JR 1991, 431, 432). Rechtliche Ausgestaltung und Vollzug des von der DDR frei ausgehandelten Beitritts zur Bundesrepublik Deutschland hatten zur Folge, daß das Schutzgut der Staatsschutzvorschriften des StGB-DDR weggefallen ist, während die Bundesrepublik, wenn auch erweitert um die sogenannten neuen Bundesländer, als Schutzobjekt der §§ 93 ff. StGB fortbesteht und bei abstrakter Betrachtung auch möglichen fortwirkenden Gefahren ausgesetzt ist, die sich auf Grund der früheren Ausspähungstätigkeit der HVA aus der festgestellten Einbindung in das System der Nachrichtendienste des Warschauer Pakts ergeben (BGHSt 37, 305, 315; BGHR StGB § 94 Beihilfe 1 = NJW 1991, 2498). Zudem haben die operativ tätigen HVA-Bediensteten mindestens unter dem Gedanken der Unrechtsteilhabe letztlich mitzuverantworten, daß von ihnen eingesetzte Bürger der Bundesrepublik Deutschland unabhängig von der Wiedervereinigung weiterhin der Strafverfolgung ausgesetzt sind und unter Umständen langjährige Freiheitsstrafen verbüßen müssen. Dagegen trifft die BND-Angehörigen im Hinblick auf die mit der Wiedervereinigung insoweit auch für DDR-Bürger eingetretene Straffreiheit nach DDR-Strafrecht eine vergleichbare Verantwortlichkeit nicht. Bereits diese aus der Eigengesetzlichkeit des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland folgenden Gründe sind ausreichend und sachbezogen genug, um die Differenzierung in den Rechtsfolgen zu rechtfertigen. Bei der Entscheidung der sachlich hier betroffenen Frage, ob und in welchem Umfang Strafnormen wegen nachträglich eingetretener rechtlicher und tatsächlicher Veränderungen für einen Teilbereich ihrer Anwendung "zurückzunehmen" sind, muß dem Gesetzgeber ähnlich wie bei der Entschlußfassung über eine Amnestie (BVerfGE 10, 234, 241, 246; Spies, Amnestiemaßnahmen und deren Verfassungsmäßigkeit in Deutschland und Frankreich, 1991, S. 193 ff.) auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsprinzips ein grundsätzlich weiter Spielraum eingeräumt werden (vgl. dazu Albrecht/Kadelbach NJ 1992, 137, 144).
bb) Die Bestrafung von ehemaligen HVA-Bediensteten wegen Verhaltensweisen, wie sie den Angeklagten S. und B. zur Last gelegt werden, hat infolge der Wiedervereinigung ihre innere Rechtfertigung nicht verloren und verstößt nicht gegen das verfassungsrechtlich abgesicherte Übermaßverbot (vgl. dagegen Kasper NJ 1992, 432, 434/435; ferner Jakobs in Isensee Hrsg. Vergangenheitsbewältigung durch Recht, 1992, S. 37, 61 f.; Schünemann in Lampe Hrsg. Regierungskriminalität S. 173, 189 ff.). Die DDR besteht zwar nicht mehr, so daß von ihr keine neuen Gefährdungen für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgehen können. Davon wird jedoch die Geltung der Strafzwecke, die auch den Normen des Staatsschutzstrafrechts zugrunde liegen, insbesondere die des gerechten Schuldausgleichs und der sogenannten positiven und negativen Generalprävention, grundsätzlich nicht berührt (vgl. Albrecht/Kadelbach NJ 1992, 137, 144). Allerdings kann im Ausschluß neuer Gefährdung ein Strafzumessungsgesichtspunkt liegen, der im Rahmen der dem Einzelfall vorzubehaltenden Gesamtabwägung Bedeutung erlangt.
cc) Verfassungsrechtliche Bedenken folgen auch nicht aus dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG (so jedoch Classen - Anmerkung - JZ 1991, 713, 717; vgl. auch Neumann in Lampe Hrsg. Regierungskriminalität S. 161, 168 ff.; Widmaier NJW 1991, 2460; Arndt NJW 1991, 2466). Eine auf den Tatzeitraum zurückbezogene, nachträgliche Bewertung des Verhaltens der Angeklagten findet nicht statt. Die materiellen Voraussetzungen der Strafbarkeit in Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld standen auf Grund der durch § 9 in Verbindung mit § 3 StGB, jedenfalls aber durch § 5 Nr. 4 StGB begründeten Geltung des insoweit ausschließlich maßgebenden Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland bereits im Zeitpunkt der Tatbegehung abschließend fest. Die durch den Einigungsvertrag vereinbarte Erstreckung des materiellen Strafrechts der Bundesrepublik auf das Beitrittsgebiet ist daher für die Angeklagten unter dem Gesichtspunkt des Rückwirkungsverbots rechtlich unerheblich. Die Anwendung der §§ 93 ff. StGB hätte Rückwirkung, wenn die Regelungen des § 9 StGB (sog. Ubiquitätsprinzip) und des § 5 StGB (sog. Schutzprinzip) - dann aber nicht nur im Verhältnis zur DDR und nicht erst auf Grund der infolge des Einigungsvertrages eingetretenen Änderungen - nichtig wären. Darauf laufen die als Verletzung des sog. Schuldgrundsatzes geltend gemachten Bedenken des Angeklagten S. letzten Endes hinaus. Sie sind indes unbegründet. Daß Strafnormen bindende Wirkung auch über das eigene Staatsgebiet hinaus haben können, gehört zur notwendigen Grundlage der Regelungen des internationalen Strafrechts, die ihrerseits, jedenfalls in dem hier interessierenden Bereich, mit den allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Einklang stehen. Die Kenntnis von Geltung und Inhalt der Strafvorschriften des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit zur Tatzeit ist für die Angeklagten festgestellt. Die Vorstellung, den angedrohten Sanktionen tatsächlich auch ausgesetzt zu sein, ist nicht Bestandteil der Schuld, wie sie nach dem durch Art. 20 Abs. 3 GG gewährleisteten Schuldgrundsatz für eine Bestrafung vorausgesetzt wird.
Die Tatsache, daß durch den Beitritt der DDR und die daraus folgende Ausdehnung der Hoheitsgewalt der Bundesrepublik die Zugriffsmöglichkeit erweitert und die von Anfang an zulässige Strafverfolgung verwirklicht worden ist, wird von dem Schutzbereich des Artikel 103 Abs. 2 GG nicht erfaßt (BGHR StGB § 99 Agent 2; vgl. auch Gribbohm in LK StGB 11. Aufl. § 2 Rdn. 60 a; Dreher/Tröndle StGB 46. Aufl. § 99 Rdn. 1; Albrecht/Kadelbach NJ 1992, 137, 144; Lippold NJW 1992, 18, 23; Schünemann in Lampe Hrsg. Regierungskriminalität S. 173, 184 ff.; Starck VVDStRL Heft 51 1992 S. 7, 30).
dd) Die Angeklagten sind bei ihrem gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Handeln ersichtlich von dem Fortbestand der DDR und des durch sie gewährleisteten Schutzes vor Strafverfolgungsmaßnahmen der Bundesrepublik ausgegangen. Daraus folgt jedoch selbst bei Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Wirksamkeit von Gesetzen mit sogenannter unechter Rückwirkung und zu dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten Vertrauensschutz nicht die Unzulässigkeit der Strafverfolgung (vgl. jedoch KG NJW 1991, 2501; Albrecht/Kadelbach NJ 1992, 137, 146).
Zwar kann auch gesetzlichen Regelungen ohne echte Rückwirkung die verfassungsrechtliche Anerkennung zu versagen sein, wenn sie auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Tatbestände oder Rechtsbeziehungen in der Weise einwirken, daß Umstände und Sachverhalte, die für das in seinen Wirkungen noch andauernde Handeln des Einzelnen die Entscheidungsgrundlagen bildeten, für die Zukunft anders als erwartet gewertet oder rechtlich gestaltet werden (vgl. u.a. BVerfGE 30, 392, 402 f.; 25, 142, 154; 25, 269, 290; 22, 241, 248). Bezogen auf das Verhalten der Angeklagten liegt aber kein Fall unechter Rückwirkung vor (Renzikowski JR 1992, 270, 272; vgl. auch das KG selbst aaO). Denn die durch den Einigungsvertrag und den Vollzug der Wiedervereinigung ermöglichte Verwirklichung der von Anfang an zulässigen Strafverfolgung bedeutet keine rechtliche Neubewertung eines noch nicht abgeschlossenen Sachverhalts.
Auch wenn unabhängig von den besonderen Bedingungen unechter Rückwirkung von Gesetzen auf die für alle geltenden Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (vgl. BVerfGE 87, 48, 63; 51, 356, 362; 30, 367, 386) als verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab unmittelbar zurückgegriffen wird, ist das nicht geeignet, ein Strafverfolgungsverbot zu Gunsten aller mit der Außenspionage gegen die Bundesrepublik Deutschland befaßten HVA-Angehörigen und damit auch der Angeklagten zu rechtfertigen (BGHR StGB § 99 Agent 2; Lippold NJW 1992, 18, 24 f.; Renzikowski JR 1992, 270, 272; Schünemann in Lampe Hrsg. Regierungskriminalität S. 173, 187).
Der Schutz vor fremder Strafverfolgung, der sich aus Rechtsordnung und Hoheitsgewalt der DDR für die HVA-Bediensteten ergab, ist ihnen bereits von ihren eigenen, durch demokratische Wahlen legitimierten Hoheitsträgern mit dem Abschluß des Einigungsvertrages und dessen Vollzug in einer der Bundesrepublik Deutschland nicht zurechenbaren Weise entzogen worden. Davon abgesehen kann Vertrauensschutz unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nur auf Grund normativer Betrachtung gewährt werden. Vertrauen in den Fortbestand einer hoheitlich geschaffenen günstigen Sach- und Rechtslage wird nicht generell geschützt (vgl. BVerfGE 14, 288, 289; 75, 246, 280; 76, 256, 349 f.), sondern nur unter der Voraussetzung, daß eine Wertung aller sachbezogenen Umstände dessen Schutzwürdigkeit ergibt (BGHSt 26, 228, 231). Die demnach gebotene Gesamtabwägung muß aber auf der Grundlage des Grundgesetzes und der übrigen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen werden. Aus dieser Sicht kann das Vertrauen von Tätern (auch) im Ausland begangener Taten, der Strafverfolgung wegen der eben durch diese Rechtsordnung begründeten Strafbarkeit zu entgehen, nicht als schutzwürdig anerkannt werden, soll damit nicht zugleich den Regelungen des internationalen Strafrechts ein wesentlicher Teil ihrer inneren Rechtfertigung entzogen werden. Daß die einmal begründete Strafbarkeit nach der Logik gleichmäßiger Strafrechtsanwendung (Legalitätsprinzip, § 152 Abs. 2 StPO) grundsätzlich die Strafverfolgung nach sich zieht und sich in Sanktionen realisiert, wird gerade durch das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet, aus dem auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes abgeleitet werden. Gleiches gilt für den Gesichtspunkt materieller Gerechtigkeit, unter dem eine Freistellung aller HVA-Angehörigen von Strafe bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der von der Verletzung staatsbürgerlicher Treuepflichten nicht abhängigen Strafbarkeit wegen Landesverrats (vgl. BGHSt 13, 46, 50) und geheimdienstlicher Agententätigkeit für die von der HVA eingesetzten "Bundesbürger" Bedenken ausgesetzt sein könnte (BGHR StGB § 99 Agent 2; vgl. dazu auch Spies, Amnestiemaßnahmen und deren Verfassungsmäßigkeit in Frankreich und Deutschland, 1991, S. 217).
ee) Schließlich bietet auch der von der Verteidigung des Angeklagten B. geltend gemachte Rechtsgedanke innerstaatlicher Rechtsnachfolge weder unter dem Aspekt etwaigen Übergangs von Fürsorgepflichten zu Gunsten von HVA-Angehörigen noch unter dem Gesichtspunkt eines aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Verbots widersprüchlichen Verhaltens (Gedanke des venire contra factum proprium; vgl. auch Zuck MDR 1991, 1009) eine tragfähige Grundlage für ein allgemein wirkendes Strafverfolgungsverbot (vgl. BGHSt 37, 305, 313).
Angesichts der Tatsache, daß die DDR mit den frei vereinbarten Regelungen des Einigungsvertrags den HVA-Angehörigen den Schutz vor Strafverfolgung selbst entzogen hat, ist für die Annahme kein Raum, die Bundesrepublik Deutschland habe, anders als vom früheren Dienstherrn, der DDR, selbst für notwendig erachtet, (nachwirkende) Pflichten dienstrechtlichen Ursprungs übernehmen wollen, die den Schutz vor Strafverfolgung zum Inhalt haben könnten. Die im arbeits- und dienstrechtlichen Bereich für die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich zu bejahende Rechtsnachfolge gegenüber der DDR (vgl. BVerfGE 84, 133, 147; 85, 360, 373) steht dem nicht entgegen, zumal für MfS-Angehörige auf diesem Gebiet insofern Besonderes gilt, als ihre Dienst- und Arbeitsverhältnisse einem außerordentlichen Kündigungsrecht unterliegen, wenn deren Fortsetzung wegen der früheren Tätigkeit unzumutbar erscheint (Anlage I zum Einigungsvertrag unter C Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2; vgl. dazu BAG NJ 1993, 92, 94; Pieroth VVDStRL Heft 51 1992 S. 91, 110 f.; Lansnicker/Schwirtzek MDR 1991, 202 und DtZ 1993, 106). Zwar kann die nach dienst- und arbeitsrechtlichen Maßstäben zu beurteilende Fortführung von Dienstverhältnissen mit der Frage des möglicherweise für eine Strafverfolgung erheblichen Übergangs von Fürsorgepflichten nicht gleichgesetzt werden. Als zusätzliches Indiz für einen mangelnden Übertragungs- und Übernahmewillen in bezug auf Pflichten zum Schutz vor Strafverfolgung darf der vereinbarte Unzumutbarkeitsvorbehalt jedoch nicht außer Betracht bleiben.
Die darüber hinausgehende Beurteilung, ob sich die Bundesrepublik Deutschland das Verhalten des früheren Dienstherrn, der DDR, als sachlogische und damit willensunabhängige Folge der Übernahme der Hoheitsgewalt im Gebiet der DDR zurechnen lassen muß und deswegen eine Strafverfolgung der HVA-Bediensteten als widersprüchlich und unter Umständen als Verstoß gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz fairen Verfahrens erscheint, kann ohne Berücksichtigung der Schwere von Unrecht und Schuld der jeweiligen Taten nicht sachgerecht vorgenommen werden. Eine solche abwägende, letztlich auf den Fall bezogene Wertung läßt aber die verallgemeinernde Rechtsfolge eines absolut geltenden Strafverfolgungsverbots nicht zu. Auch insoweit gilt es zu beachten, daß bei der Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatsprinzips und der in ihm angelegten Gegenläufigkeiten unterschiedslose verfahrensrechtliche Sanktionen für etwaige Verletzungen grundsätzlich fernliegen (BGHSt 32, 345, 350 f. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs; vgl. auch BGHSt 35, 137, 140; BGH NJW 1990, 1000).
3. Bedeutung kann den geltend gemachten Gesichtspunkten - selbst bei einer Gesamtschau - nur unterhalb der Schwelle zur Verfassungswidrigkeit zukommen. Ein gewisses Gewicht ist ihnen insofern nicht abzusprechen, als sie sich der Sache nach darauf beziehen, daß die in der Außenspionage tätigen HVA-Angehörigen den Anforderungen zweier sich widersprechender Rechtsordnungen ausgesetzt waren und ihr formal der nachrichtendienstlichen Tätigkeit anderer Staaten entsprechendes Handeln wesentlich durch die im Bereich beider deutscher Staaten besonders ausgeprägte, nunmehr aber entfallene Konfrontation zwischen Ost und West bestimmt war. Ihnen wird jedoch durch Berücksichtigung bei der Strafzumessung und durch großzügig anzuwendende Maßnahmen nach den §§ 153 ff. StPO regelmäßig ausreichend Rechnung getragen werden können. Darüber hinaus könnte ergänzend auch eine - von verschiedener Seite befürwortete, bisher aber unterbliebene - Amnestieregelung für bestimmte Täterkreise in Betracht kommen (vgl. u.a. BGHSt 37, 305, 315; Schuster ZaöRV Bd. 51 1991 S. 651, 676 f.; Volk JR 1991, 431, 433 Fn. 21; Simma/Volk NJW 1991, 871, 875; vgl. auch Spies, Amnestiemaßnahmen und deren Verfassungsmäßigkeit in Deutschland und Frankreich, 1991, S. 215 ff.; Starck VVDStRL Heft 51 1992 S. 7, 30; kritisch: Quaritsch, Der Staat, Bd. 31 1992 S. 389 ff.). Doch kann dies auf sich beruhen; denn ein Fall, in dem eine mildernde Berücksichtigung bei der Strafzumessung nicht genügend wäre, liegt nicht vor.
Die Revisionen der Angeklagten.
Die verfahrensrechtlichen Beanstandungen dringen nicht durch; auch in sachlich-rechtlicher Hinsicht decken die Rechtsmittel keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Dies hat der Generalbundesanwalt in seinem schriftlichen Verwerfungsantrag im einzelnen zutreffend dargelegt. Anlaß zu weiterer Erörterung geben lediglich die auf die Verletzung des § 74 StPO gestützten, inhaltlich im wesentlichen übereinstimmenden Verfahrensrügen beider Angeklagter sowie nachträgliches Vorbringen des Angeklagten B., mit dem er die tatrichterliche Wertung angreift, die weitergegebenen Jahresabschlußberichte des BND "Militärische Lageberichte Ost" stellten in ihrer Gesamtheit ein Staatsgeheimnis im Sinne des § 93 Abs. 1 StGB dar.
1. Die Zurückweisung der Ablehnung dreier Sachverständiger, die sich in der Hauptverhandlung zur Frage der Bedeutung der Preisgabe bestimmter militärpolitischer und militärstrategischer Erkenntnisse für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland geäußert hatten, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in den angegriffenen Beschlüssen, die der Senat nur in rechtlicher, nicht aber in tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen hatte (BGHSt 8, 226, 232 f.), Besorgnis der Befangenheit zu Recht verneint. Gerade aus der Sicht der in nachrichtendienstlichen Dingen besonders erfahrenen Angeklagten ergab sich daraus, daß die Sachverständigen E. und Sch. als Offiziere der Bundeswehr früher zum BND abgeordnet gewesen waren, daß E. zeitweise sogar an der Erstellung der "Militärischen Lageberichte Ost" selbst mitgearbeitet hatte und daß der Sachverständige H. beide in Kenntnis dieser Umstände zu seiner Unterstützung zugezogen hatte, bei verständiger Würdigung kein Grund, der Unparteilichkeit dieser Sachverständigen zu mißtrauen. Zwar mag ein in nachrichtendienstlichen Fragen unerfahrener Laie das Verhältnis gegeneinander arbeitender Nachrichtendienste als erbitterte Feindschaft verstehen und daraus die Besorgnis der Befangenheit ableiten, wenn ein Sachverständiger dem "gegnerischen" Nachrichtendienst angehörte. Eine solche Vorstellung liegt jedoch bei einem Angeklagten fern, der - wie die geheimdienstlich besonders geschulten Angeklagten S. und B. - mit der Arbeitsweise des für ihn fremden Nachrichtendienstes sowie mit den Erkenntnissen, um die es geht, vertraut und dem Sachverständigen an Sachkunde zumindest ebenbürtig ist. Er wird vor allem beachten, daß das Wissen um seine - des Angeklagten - gleichwertigen Sachkenntnisse den Sachverständigen von vornherein von Unsachlichkeiten abhalten wird, um nicht Gefahr zu laufen, von ihm, dem sachkundigen Angeklagten, bloßgestellt zu werden. Unter diesen Umständen besteht im vorliegenden Fall kein Anlaß davon abzuweichen, daß es regelmäßig keinen Ablehnungsgrund bedeutet, wenn ein Sachverständiger als Beamter oder in beamtengleicher Stellung für den durch die Straftat geschädigten Staat tätig ist und ein Gutachten über Fälle seines eigenen (früheren) Tätigkeitsbereichs abgeben soll (vgl. Dahs in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 74 Rdn. 14; Paulus in KMR - StPO 7. Aufl. § 74 Rdn. 11; Kleinknecht/Meyer StPO 46. Aufl. § 74 Rdn. 7).
2. Die mit der Revision des Angeklagten B. geltend gemachten Zweifel an der tatsächlichen Geheimhaltung der Jahresabschlußberichte des BND "Militärische Lageberichte Ost" gegenüber dem Warschauer Pakt beruhen auf Annahmen, die in den Urteilsgründen keine ausreichende Grundlage finden, und stellen Angriffe gegen die tatrichterlichen Feststellungen sowie die zugrundeliegende Beweiswürdigung dar. Diese weisen auch insoweit keine die Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler auf.
Die Revision des Generalbundesanwalts.
Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Möglichkeit einer (mit-)täterschaftlichen Begehung des Landesverrats durch die Angeklagten S. und B. zu Unrecht aus Rechtsgründen von vornherein ausgeschlossen. Nach seiner Meinung müssen sie sich die Verwirklichung des Tatbestandes durch die früheren Mitangeklagten Sp. deshalb nicht zurechnen lassen, weil sie die fremde Macht "Warschauer Pakt", an welche die Mitteilung der Staatsgeheimnisse gerichtet gewesen sei, "repräsentierten" und diese fremde Macht sich ein deutsches Staatsgeheimnis begrifflich nicht selbst mitteilen könne. Diese Beurteilung ist zwar in ihrem rechtlichen Ausgangspunkt, daß sich eine fremde Macht ein deutsches Staatsgeheimnis nicht selbst mitteilen kann, zutreffend (vgl. Dreher/Tröndle StGB 46. Aufl. § 94 Rdn. 2 und 5; Lackner StGB 20. Aufl. § 94 Rdn. 2); die Anwendung des Rechtsgedankens im konkreten Fall unterliegt jedoch durchgreifenden Bedenken.
1. Daß die "bloße" Entgegennahme eines Staatsgeheimnisses durch die fremde Macht für die Personen, derer sie sich als Staat oder vergleichbare Einrichtung notwendigerweise bedienen muß, durch § 94 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht unter Strafe gestellt wird, entspricht allgemeiner Meinung (vgl. Stree in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 94 Rdn. 20; Sonnen in AK-StGB § 94 Rdn. 24; Dreher/Tröndle aaO § 94 Rdn. 5; Lackner aaO § 94 Rdn. 2). Richtig ist auch die der rechtlichen Wertung letztlich zugrundeliegende Vorstellung, daß es aus sachlogischen Gründen einen Kreis von Personen innerhalb der Organisation der fremden Macht geben muß, die als letzte Empfänger der Mitteilung des Staatsgeheimnisses anzusehen sind und in diesem Sinne die fremde Macht "repräsentieren". Für diese Personen, aber auch nur für sie, trifft rechtlich zu, daß sie sich ein Staatsgeheimnis nicht selbst mitteilen können und deshalb, vom Fall der Weitergabe des Staatsgeheimnisses an eine andere fremde Macht abgesehen, als Täter des Landesverrats ausscheiden. Zwar ist der Landesverrat weder ein echtes Sonderdelikt noch setzt er eigenhändige Begehung voraus. Die allgemeinen Regeln mittäterschaftlicher Zurechnung des Verhaltens Dritter finden daher grundsätzlich auch auf ihn Anwendung (vgl. Träger in LK StGB 10. Aufl. § 94 Rdn. 13/14; Stree in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 94 Rdn. 20/21; Wagner ZStW Bd. 80 1968 , 283, 317). Für die Repräsentanten der fremden Macht als letzte Adressaten der Mitteilung eines Staatsgeheimnisses muß jedoch Besonderes gelten. Rechnete man ihnen das Verhalten ihrer Mittelsmänner und derjenigen zu, die das Staatsgeheimnis unmittelbar auskundschaften und weiterleiten, so würde die Tatbestandshandlung in ihrer Person einen inhaltlichen Bedeutungswandel erfahren: Aus dem Mitteilen eines Staatsgeheimnisses würde das "Sichverschaffen" eines Staatsgeheimnisses, das für § 94 Abs. 1 StGB nicht ausreicht. Eine Gleichstellung wäre nur im Wege einer vom Wortlaut nicht mehr gedeckten analogen Anwendung zum Nachteil des Täters möglich. Diese Repräsentanten der fremden Macht sind von strafrechtlicher Haftung nach dem Landesverratstatbestand allerdings nur frei, wenn sie sich auf eine bloße Entgegennahme des Staatsgeheimnisses beschränken. Geht ihr Verhalten darüber hinaus, machen sie sich, wie im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, der Teilnahme am Landesverrat ihrer Zuträger schuldig. Insoweit gilt Ähnliches wie bei anderen Delikten, deren Handlung die Beteiligung eines anderen denknotwendig voraussetzt, ohne daß dessen Mitwirkung unter Strafe gestellt ist (vgl. zu § 283 c StGB: BGH bei Herlan GA 1967, 265; BGH NStZ 1993, 239; zu § 356 StGB: RGSt 71, 114; vgl. ferner Sowada, Die "notwendige Teilnahme" als funktionales Privilegierungsmodell im Strafrecht, 1992, S. 124 ff., 161 ff., 208 ff.).
2. a) Das Bayerische Oberste Landesgericht hat jedoch den Kreis der "Repräsentanten" einer fremden Macht, für die eine täterschaftliche Begehung des Landesverrats (vom Fall der Weitergabe an eine andere fremde Macht abgesehen) nicht in Betracht kommt, mit der Erfassung der Angeklagten zu weit ausgedehnt. Wie es in einer späteren Entscheidung (NStZ 1992, 543) ergänzend verdeutlicht hat, rechnet es zu den Repräsentanten alle diejenigen für eine fremde Macht tätigen, jedoch nicht selbst "an der Beschaffung des Materials im sicherheitsempfindlichen Bereich des Ausspähungsobjekts" beteiligten Personen, zu deren dienstlichen Aufgaben die Entgegennahme von Mitteilungen über für sie fremde Staatsgeheimnisse gehört, vorausgesetzt sie sind derart eng in die Organisation der fremden Macht - hier: des Warschauer Pakts - eingebunden, daß bei natürlicher Betrachtungsweise der Empfang durch sie als Zugang der Mitteilung an die fremde Macht anzusehen ist. Mit dem Empfang des Verratsmaterials durch solche Personen soll das Mitteilen abgeschlossen sein, weil durch die Weitergabe innerhalb der Organisation der fremden Macht eine zusätzliche neue Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht herbeigeführt werde.
Diese begriffliche Abgrenzung der von der Täterschaft ausgeschlossenen Repräsentanten einer fremden Macht kann sich der Senat nicht zueigen machen. Sie bedeutet der Sache nach eine dem Sinn und Zweck des Landesverratstatbestandes nicht gerecht werdende Übernahme zivilrechtlicher Grundsätze über den Zugang von Willenserklärungen und hat zur Folge, daß der Kreis der in § 94 Abs. 1 Nr. 1 StGB genannten, zu Mittäterschaft fähigen "Mittelsmänner" einer fremden Macht bis zur praktischen Bedeutungslosigkeit eingeengt wird.
b) Wortlaut und engere Entstehungsgeschichte der §§ 93, 94 StGB geben keinen unmittelbaren Aufschluß darüber, wie der Kreis der für eine fremde Macht tätigen Personen festzulegen ist, die im dargelegten Sinne von der Täterschaft ausgeschlossen sind. In den Gesetzesmaterialien, die, soweit ersichtlich, auf diese Frage nicht eingehen, findet sich lediglich eine Gegenüberstellung der "Organe" und der "Mittelsmänner" einer fremden Macht (vgl. Entwurf eines 8. StrÄndG, BT-Drucks. V/898 S. 31; Schriftl. Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform vom 9. Mai 1968, BT-Drucks. V/2860 S. 17), die im Ergebnis nicht weiterführt. Nach Meinung des Senats muß der Kreis der "Repräsentanten", die bei der Entgegennahme der Mitteilung eines Staatsgeheimnisses mit der Folge an die Stelle der fremden Macht treten, daß für sie als letzte Adressaten der Mitteilung eine täterschaftsbegründende Weiterleitung (an dieselbe fremde Macht) nicht in Betracht kommt, ausgehend von dem Begriffsmerkmal der fremden Macht in den §§ 93, 94 StGB und unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks des Landesverratstatbestandes bestimmt werden. Der Begriff der fremden Macht ist mit der Neufassung der Staatsschutzvorschriften durch das 8. StrÄndG an die Stelle des in § 99 Abs. 1 StGB a.F. genannten Merkmals der "fremden Regierung" getreten (ähnlich auch schon der Begriff der "ausländischen Regierung" in § 1 des Gesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse v. 3. Juni 1914 - RGBl. S. 195 - sog. Spionagegesetz). Eine inhaltliche Änderung, die im vorliegenden Zusammenhang wesentlich sein könnte, war damit nicht beabsichtigt (vgl. BT-Drucks. V/898 S. 38; Prot. d. Sonderausschusses für die Strafrechtsreform V S. 1269). Von daher liegt es nahe, den Kreis der Personen, durch die eine fremde Macht als an sich handlungsunfähige Institution bei Empfang und Verwertung der für sie fremden Staatsgeheimnisse notwendigerweise handelt, mit denjenigen gleichzusetzen, die der Leitung der Exekutive auf höchster Ebene angehören. Sie sind die Repräsentanten der fremden Macht. Wer dazu im einzelnen zu rechnen ist, hängt von der rechtlichen und tatsächlichen Struktur und Machtverteilung im jeweiligen Staat (oder in der gleichzustellenden Einrichtung) ab. In aller Regel wird es sich um die Mitglieder der Regierung oder um die Leiter vergleichbarer zentraler Exekutivstellen handeln müssen (vgl. auch schon Stenglein, Strafrechtliche Nebengesetze des Deutschen Reiches 5. Aufl. Bd. II S. 420 zu § 1 des Spionagegesetzes v. 3. Juni 1914). Auch der hohe Bedeutungsgehalt, der dem Verratsmaterial als Staatsgeheimnis zukommen muß, spricht dafür, daß es auf seiten der durch den Verrat begünstigten fremden Macht besonders herausgehobene Exekutivstellen sind, die sich mit den auf Grund der Kenntnis vom Staatsgeheimnis notwendigen Entscheidungen befassen. Von ihrem Handeln gehen letztlich die Nachteile für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland aus, denen § 94 StGB entgegenwirken will. Erst wenn die verratenen Erkenntnisse zu diesen für die Handlungsentscheidung zuständigen "letzten" Adressaten innerhalb der fremden Macht gelangen, ist die mit der Bekanntgabe an sogenannte Mittelsmänner der fremden Macht begonnene Konkretisierung der Sicherheitsgefahr abgeschlossen, und die Verwirklichung des schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik setzt ein.
c) Die Begrenzung des Kreises der von der Täterschaft ausgeschlossenen Repräsentanten auf die für die jeweilige Handlungsentscheidungen zuständigen Personen, die der Leitung der Exekutive auf höchster Ebene angehören, ermöglicht es, zugleich auch den Begriff der Mittelsmänner im Sinne des § 94 Abs. 1 Nr. 1 StGB so festzulegen, daß ihm praktische Bedeutung zukommt. Darunter sind alle Personen zu verstehen, die in einem - nicht notwendig rechtlich zu qualifizierenden - Dienst- oder Auftragsverhältnis zur fremden Macht in der Weise tätig sind, daß von ihnen die Weitergabe der Staatsgeheimnisse (gegebenenfalls über weitere Mittelsmänner) an die Repräsentanten dieser fremden Macht zu erwarten ist (Träger in LK StGB 10. Aufl. § 94 Rdn. 2; Rudolphi in SK-StGB 4. Aufl. § 94 Rdn. 5; Sonnen in AK-StGB § 94 Rdn. 14; Dreher/Tröndle StGB 46. Aufl. § 94 Rdn. 2; vgl. auch Stree in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 94 Rdn. 5). Diese Mittelsmänner nehmen zwar die Mitteilung eines Staatsgeheimnisses für die fremde Macht in dem Sinn in Empfang, daß der einzelne Landesverrat mit der Mitteilung an den ersten Mittelsmann formell vollendet ist, weil damit regelmäßig schon eine konkrete Sicherheitsgefährdung für die Bundesrepublik Deutschland eingetreten ist (vgl. Träger aaO § 94 Rdn. 12). Sie können jedoch durch ihre Mitwirkung an der Zuleitung des jeweiligen Staatsgeheimnisses an die Repräsentanten der für die Bundesrepublik Deutschland fremden Macht auch selbst Landesverrat als Täter begehen (vgl. Träger aaO § 94 Rdn. 2; Sonnen in AK-StGB § 94 Rdn. 14). Auf sie sind die Grundsätze mittäterschaftlicher Zurechnung des Verhaltens dritter Personen uneingeschränkt anwendbar. Ob ihre Beteiligung an dem Gesamtgeschehen vom ersten Zugriff auf das einzelne Staatsgeheimnis bis zur Kenntniserlangung durch die Repräsentanten der für die Bundesrepublik fremden Macht als Mittäterschaft oder als Teilnahme zu beurteilen ist, hängt - wie auch sonst - von einer wertenden Betrachtung der Gesamtumstände, insbesondere des Einflusses auf den Geschehensablauf und des Tatinteresses ab. Würden diese Mittelsmänner von der Täterschaft notwendig ausgeschlossen, ließe sich der besondere Unwert, der in der Weiterleitung auch innerhalb der Organisation der fremden Macht liegen kann, nur unvollkommen erfassen. Dadurch, daß verratenes Material in den Besitz der Mittelsmänner gelangt, verlieren diese Erkenntnisse nicht notwendig ihre Eigenschaft als Staatsgeheimnis. Der nicht selten langwierige und schwierige Vorgang der Bewertung und Auswertung belegt, daß die Mitteilung an den ersten Mittelsmann nicht zwangsläufig bedeutet, daß die fremde Macht damit voll verwertbare Kenntnis von dem Staatsgeheimnis hätte. Der vorliegende Fall, in dem ein Staatsgeheimnis in der Gesamtheit nacheinander gelieferter Unterlagen zu sehen ist (vgl. BGHSt 24, 72, 76 f.), macht dies besonders deutlich. Die fortschreitende Konkretisierung der Sicherheitsgefahr, die durch die Weiterleitung innerhalb der Organisation der fremden Macht eintritt, stellt die Phase der sich an die formelle Deliktsvollendung anschließenden Deliktsbeendigung dar. In diesem Stadium ist mittäterschaftliche Beteiligung grundsätzlich noch möglich (vgl. Eser in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. Rdn. 10 vor § 22 m.Nachw.).
d) Zu den "Repräsentanten" gehören die Angehörigen der für die fremde Macht tätigen Nachrichtendienste in aller Regel nicht. Ihre Aufgabe ist es grundsätzlich nicht, die maßgeblichen Entscheidungen darüber zu treffen, wie sich die ihnen zugehörige fremde Macht auf Grund der durch den Verrat gewonnenen Erkenntnisse zu verhalten hat, insbesondere welche Maßnahmen zu treffen sind, in denen sich der schwere Nachteil für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht. Wie das Bayerische Oberste Landesgericht für die HVA als organisatorisch verselbständigter, "autarker" Einheit selbst dargelegt hat, obliegt es den Geheimdienstangehörigen "nur", die Erkenntnisse zu gewinnen und nach entsprechender Auswertung und Aufbereitung an die Regierung und die Leitung vergleichbarer höchster Exekutivstellen weiterzuleiten. Die Bediensteten fremder Nachrichtendienste sind daher bei entsprechendem Einsatz in der Regel zum Kreis der in § 94 Abs. 1 Nr. 1 StGB genannten Mittelsmänner der fremden Macht zu rechnen, die als Täter eines Landesverrats in Betracht kommen (Träger in LK StGB 10. Aufl. § 94 Rdn. 2; Sonnen in AK-StGB § 94 Rdn. 24; vgl. auch Dreher/Tröndle StGB 46. Aufl. § 94 Rdn. 2). Damit steht in Einklang, daß sie, wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat (BGHSt 24, 369, 377), auch Täter der geheimdienstlichen Agententätigkeit nach § 99 Abs. 1 StGB sein können. Es würde einen Wertungswiderspruch bedeuten, wäre dieser Personenkreis durch eine Qualifizierung als Repräsentanten einer fremden Macht zwar von der täterschaftlichen Begehung des Landesverrats nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 StGB, nicht aber von der täterschaftlichen Verwirklichung des § 99 Abs. 1 StGB, einer subsidiären "Vorfeldschutzvorschrift" im Verhältnis zum Landesverratstatbestand (BGHSt 24, 72, 80), generell ausgeschlossen. Dem Umstand, daß im Rahmen der gesetzgeberischen Vorarbeiten die Angehörigen fremder Nachrichtendienste und die "Mittelsmänner" der fremden Macht in anderem Zusammenhang gelegentlich nebeneinander genannt worden sind (BT-Drucks. V/898 S. 31), kann demgegenüber keine ausschlaggebende, den Ausschluß täterschaftlicher Begehung rechtfertigende Bedeutung zukommen.
Eine Abweichung von der Regel, daß selbst die Personen in der Leitung eines fremden Geheimdienstes nicht als Repräsentanten der ihm zugehörigen Macht anzusehen sind, erscheint entsprechend den dargelegten Abgrenzungskriterien allerdings dann geboten, wenn die verratenen Erkenntnisse in der Weise auf den nachrichtendienstlichen Bereich begrenzt sind, daß die dadurch veranlaßten Entscheidungen in die ausschließliche Zuständigkeit der Leitung des Nachrichtendienstes fallen und höherrangige Exekutivstellen damit nicht befaßt sind, gleichwohl aber die Wertung des Verratsmaterials als Staatsgeheimnis der Bundesrepublik Deutschland ausnahmsweise zu bejahen ist. Dies könnte der Fall sein, wenn die verratenen - als Staatsgeheimnis gewerteten - Erkenntnisse nur die Nachrichtendienste der Bundesrepublik Deutschland betreffen und nicht auch in die Zuständigkeit anderer Stellen der fremden Macht fallende Fragen - etwa militärstrategischer und militärpolitischer Art - erfassen, so daß allein Maßnahmen auf dem Gebiet der Gegenspionage durch den fremden Geheimdienst veranlaßt sind.
3. Da das Bayerische Oberste Landesgericht der Beurteilung, ob die Angeklagten S. und B. den Landesverrat als (Mit-)Täter begangen haben, demnach zu enge rechtliche Grenzen zugrunde gelegt hat, bedarf die Frage der Täterschaft neuer tatrichterlicher Prüfung.
Im weiteren Verfahren wird Gelegenheit gegeben sein, dem zusätzlichen Bedenken Rechnung zu tragen, daß die Verratstätigkeit und die Beurteilung der Angeklagten als Repräsentanten im angefochtenen Urteil ausschließlich auf den Warschauer Pakt als der begünstigten Macht bezogen worden sind. Zwar kann grundsätzlich auch eine zwischenstaatliche Organisation wie der frühere Warschauer Pakt, die wegen ihrer von mehreren Staaten abgeleiteten, gleichwohl aber verselbständigten Gewalt zu eigenem, die Bundesrepublik Deutschland gefährdendem Verhalten in der Lage ist, die begrifflichen Voraussetzungen einer fremden Macht im Sinne der §§ 93, 94 StGB erfüllen (vgl. Entwurf eines 8. StrÄndG, BT- Drucks. V/898 S. 38; Träger in LK StGB 10. Aufl. § 93 Rdn. 10). Aufgrund ihrer Eingliederung in das Bündnissystem des Warschauer Pakts und der darin eingeschlossenen Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf diese von der ehemaligen UdSSR dominierten zwischenstaatlichen Organisation hatte die DDR jedoch ihre Selbständigkeit nicht so weitgehend verloren, daß von ihr keine eigenständigen Gefahren für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik hätten ausgehen können und daß sie deshalb aus dem Kreis möglicher fremder Mächte im Sinne des Landesverratstatbestandes ausgeschieden wäre.
Externe Fundstellen: BGHSt 39, 260; NJW 1993, 3147; NStZ 1993, 587; NStZ 1994, 282
Bearbeiter: Rocco Beck