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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 319/92, Urteil v. 26.11.1992, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 319/92 - Urteil vom 26. November 1992 (BezirksG Dresden)

BGHSt 39, 54; Strafbarkeit von Fälschungen der Kommunalwahl vom 7. Mai 1989 in der DDR nach der Wiedervereinigung; geschützte Rechtsgüter der §§ 107a, 108d StGB und § 211 StGB-DDR.

§ 2 Abs. 1, 3 StGB; § 7 Abs. 1 StGB; § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB; § 107a StGB; § 108d StGB; Art. 315 Abs. 1 EGStGB; § 22 Abs. 2 Nr. 1 StGB-DDR; § 81 Abs. 3 StGB-DDR; § 211 StGB-DDR

Leitsatz

Zur fortdauernden Strafbarkeit der Fälschung sozialistischer Kommunalwahlen in der ehemaligen DDR (hier: der Kommunalwahlen am 7. Mai 1989) nach der Wiedervereinigung. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichts Dresden vom 7. Februar 1992 werden verworfen.

Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

Das Bezirksgericht Dresden hat den Angeklagten B. wegen Wahlfälschung in Tateinheit mit Anstiftung zur Wahlfälschung in fünf Fällen und den Angeklagten M. wegen tateinheitlich begangener Anstiftung zur Wahlfälschung in sechs Fällen zu Freiheitsstrafen von je einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt (NStZ 1992, 438 = JR 1992, 431 = NJ 1992, 363). Gegen dieses Urteil haben beide Angeklagten Revision eingelegt, mit der sie ihren Freispruch erstreben. Sie rügen die Verletzung materiellen Rechts, der Angeklagte M. auch die Verletzung des Verfahrensrechts. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

I.

Das Bezirksgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Im Januar 1986 wurde der Angeklagte B. Oberbürgermeister der Stadt Dresden. Das Amt übte er bis Juni 1990 aus. Zugleich war er Mitglied des Sekretariats der SED- Stadtleitung Dresden und in dieser Funktion dem ersten Sekretär der Stadtleitung, dem Angeklagten M., unterstellt. Vom 19. Dezember 1989 bis zu seinem Parteiaustritt am 21. Januar 1990 war er stellvertretender Parteivorsitzender der PDS. Der Angeklagte M. wurde im Dezember 1988 durch die Stadtdelegiertenkonferenz zum ersten Sekretär der SED- Stadtleitung Dresden gewählt. Außerdem war er Mitglied der Bezirksleitung Dresden der SED. Deren erster Sekretär war Dr. Mo.. Ende November 1989 trat M. von seinen Funktionen in der SED zurück.

Am 7. Mai 1989 fanden in der ehemaligen DDR die Wahlen zu den örtlichen Volksvertretungen statt. Die Öffnung der sog. Sonderwahllokale für Wahlberechtigte, die am Wahltag verhindert waren, war für die Zeit vom 15. April bis zum 6. Mai 1989, 12.00 Uhr, festgelegt worden. Anfang März 1989 wurde der Angeklagte B. zum Leiter der Wahlkommission für die Wahl der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Dresden und die Stadtbezirksbürgermeister Dresdens jeweils zu Leitern der Wahlkommissionen für die Wahl der jeweiligen Stadtbezirksversammlung bestimmt. Der Angeklagte M. war nicht Mitglied einer Wahlkommission.

Am 27. April 1989 fand im Dienstzimmer des Angeklagten M. eine Beratung zur Vorbereitung der Wahl statt, an der auch der Angeklagte B. teilnahm. Dem Angeklagten B. war aufgrund zahlreicher Eingaben und Wahlveranstaltungen die zum Teil kritische Stimmung der Bevölkerung bekannt. Er erklärte dem Angeklagten M. auf dessen Frage, daß er mit einer Wahlbeteiligung von etwa 91 % und etwa 12 % Gegenstimmen rechne. Dies deckte sich mit der Einschätzung des Angeklagten M.. Beide waren sich bewußt, daß das zu erwartende Wahlergebnis im Widerspruch zur zentralen Vorgabe der SED stand, ein "bestmögliches" Wahlergebnis zu erzielen und nach Möglichkeit das Wahlergebnis der letzten Kommunalwahlen im Jahre 1984 zu erreichen.

Am 28. April 1989 informierte der Angeklagte M. den Angeklagten B., daß "von übergeordneter Stelle" das von B. erwartete Wahlergebnis nicht akzeptiert werden würde. Er forderte B. auf, einen Vorschlag für ein "besseres" Ergebnis zu erarbeiten. Damit wollte er B. dazu bestimmen, das Ergebnis der Kommunalwahlen der Stadt Dresden zu verfälschen. Er wußte, daß B. beabsichtigte, das korrekte Wahlergebnis der Kommunalwahlen zu veröffentlichen. Auch M. hielt dies für richtig. Dennoch fühlte er sich als überzeugtes Parteimitglied aus Parteidisziplin an die Weisungen "übergeordneter Stellen" gebunden und war entschlossen, diese in seinem Zuständigkeitsbereich durchzusetzen.

Beiden Angeklagten war klar, daß eine Wahlmanipulation nur unter Mitwirkung der Stadtbezirksbürgermeister und der ersten Sekretäre der SED auf Stadtbezirksebene erfolgen konnte. Die Stadtbezirksbürgermeister waren als Leiter der Wahlkommissionen auf Stadtbezirksebene für die Wahlen der Stadtbezirksversammlungen verantwortlich. Aber auch die Teilergebnisse für die Stadtverordnetenversammlung mußten durch sie weitergereicht werden. Da die Wahlen in der Stadt und den Stadtbezirken einheitlich gefälscht werden mußten, mußten die Stadtbezirksbürgermeister und damit auch die ihnen politisch weisungsberechtigten ersten Sekretäre der SED- Stadtbezirksleitungen mitwirken. Auf diese Weise konnte auch vermieden werden, daß zu viele Personen Mitwisser wurden, was geschehen wäre, wenn man die Wahlergebnisse schon auf der Ebene der Wahllokale gefälscht hätte. Schließlich bestand so die Chance, daß die Fälschungen nicht nachgewiesen werden konnten, weil die Einzelergebnisse der Wahllokale nicht veröffentlicht wurden und eine flächendeckende Kontrolle aller Ergebnisse auf der Ebene der Wahllokale durch kirchliche und Bürgerrechtsgruppen nach Einschätzung der Angeklagten nicht zu erwarten war.

Am 3. Mai 1989 berieten sich alle Stadtbezirksbürgermeister bei dem Angeklagten B.. Dieser hatte sich aufgrund des Vorgehens des Angeklagten M. zur Wahlfälschung entschlossen, obgleich er hoffte, die "Zentrale" werde in den bis zur Wahl verbleibenden Tagen noch umdenken. Er erläuterte den Anwesenden die Zielvorstellung der Partei für die Wahl und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, das Wahlergebnis zu manipulieren. In der anschließenden Diskussion sprachen sich alle Beteiligten dagegen aus. Da dem Angeklagten B. klar war, daß die Partei ihn aus der Pflicht, ein "bestmögliches" Wahlergebnis zu erreichen, nicht entlassen werde, "orientierte" er die anwesenden Stadtbezirksbürgermeister auf ein Wahlergebnis, das eine Wahlbeteiligung von 95 % und etwa 8 % Gegenstimmen ausweisen sollte. Dieses Ergebnis wurde noch nicht auf die einzelnen Stadtbezirke umgesetzt. Da die Stadtbezirksbürgermeister weiterhin ihren Protest gegen diese Vorgaben anmeldeten, kam man überein, daß B. seinen Einfluß "nach oben" geltendmachen sollte, ein "reales Wahlergebnis" zu erreichen. Seine Bemühungen blieben aber ohne Erfolg. Er teilte die von den Stadtbezirksbürgermeistern geäußerten Bedenken auch dem Angeklagten M. mit.

Am 5. Mai 1989 eröffnete dieser dem Angeklagten B., daß der am 3. Mai 1989 unterbreitete Vorschlag für die Manipulation des Wahlergebnisses abgelehnt worden sei. Wer ihn abgelehnt hatte, sagte er nicht; dies ließ sich auch in der Hauptverhandlung nicht feststellen. Beide Angeklagten erarbeiteten mit Frau F., der Leiterin des Wahlbüros der Stadt Dresden, eine neue Variante, die eine Wahlbeteiligung von 96 % und 5 % Gegenstimmen vorsah. Diese Zahlenvorgaben trugen die Angeklagten den Stadtbezirksbürgermeistern und den ersten Sekretären des jeweiligen Stadtbezirks vor und forderten sie auf, die Zahlen für ihre Bezirke zu übernehmen. Obwohl diese wiederum Bedenken äußerten, waren sie nunmehr aufgrund der Einflußnahme der beiden Angeklagten bereit, die Ergebnisse der Wahlen in der geforderten Weise zu verfälschen.

Am 6. Mai 1989 teilte der Angeklagte M. dem Angeklagten B. mit, daß eine Korrektur der am Vortage den Stadtbezirksbürgermeistern gemachten Vorgaben von 96 % Wahlbeteiligung und 5 % Gegenstimmen erforderlich sei. Mit wem sich M. zuvor beraten hatte, ließ sich nicht feststellen. An diesem Tage gingen auch die ersten Ergebnisse aus den um 12.00 Uhr schließenden "Sonderwahllokalen" ein. In ihnen hatte etwa ein Drittel der Wahlberechtigten, d.h. mehr als 100.000 Personen gewählt und etwa 12.000 Gegenstimmen abgegeben. Nachdem das Wahlergebnis aus den Sonderwahllokalen zutreffend dem Bezirkswahlbüro mitgeteilt worden war, veranlaßten beide Angeklagten durch Anrufe bei den fünf Stadtbezirksbürgermeistern, daß die in den Sonderwahllokalen für den Wahlvorschlag abgegebenen Stimmen nach oben und die Stimmen gegen den Wahlvorschlag nach unten "korrigiert" wurden, so daß die endgültigen Meldungen zum Bezirkswahlbüro nur noch einen Gegenstimmenanteil von etwa 2,5 % auswiesen.

Am eigentlichen Wahltag, dem 7. Mai 1989, legten beide Angeklagten für die fünf Stadtbezirke die jeweilige Wahlbeteiligung und den jeweiligen Gegenstimmenanteil fest und teilten die Zahlen den Stadtbezirksbürgermeistern und den ersten Sekretären der SED-Stadtbezirksleitungen mit. Die Stadtbezirksbürgermeister bzw. die von ihnen beauftragten Wahlhelfer errechneten, wenn auch widerwillig, anhand der vorgegebenen Prozentzahlen die Anzahl der abgegebenen Stimmen, der Ja- und der Nein-Stimmen sowie der ungültigen Stimmen und trugen diese in die dafür vorgesehenen Vordrucke ein, obwohl die Ergebnisse aus den Wahllokalen korrekt an die Wahlbüros der Stadtbezirke weitergeleitet worden waren. Die von den Wahlkommissionen unter Leitung der zuständigen Stadtbezirksbürgermeister offiziell bestätigten Wahlergebnisse lauteten wie folgt:

für Dresden-Mitte: 98 % Wahlbeteiligung und 2,18 % Gegenstimmen,

für Dresden-Nord: 97,4 % Wahlbeteiligung und 2,53 % Gegenstimmen,

für Dresden-Ost: 97,9 % Wahlbeteiligung und 2,3 % Gegenstimmen,

für Dresden-Süd: 98,1 % Wahlbeteiligung und 2,84 % Gegenstimmen,

für Dresden-West: 97,47 % Wahlbeteiligung und 2,61 % Gegenstimmen.

Nach Übermittlung dieser Teilergebnisse an das Rechenbüro der Stadt Dresden errechnete dieses hieraus als Wahlergebnis für die Stadt eine Wahlbeteiligung von 97,81 % und 2,51 % Gegenstimmen. Dies betraf sowohl die Wahlen für die Stadtverordnetenversammlung als auch das zusammengerechnete Ergebnis für die Stadtbezirksversammlungen aus den fünf Stadtbezirken.

Der Angeklagte B. unterschrieb das verfälschte Wahlergebnis als Vorsitzender der Wahlkommission für die Stadt Dresden und leitete es an den ersten Sekretär der Stadtleitung, den Angeklagten M., weiter, der es an die vorgesetzten Stellen übermittelte. Tatsächlich hatte der Gegenstimmenanteil in Dresden, bezogen auf beide Wahlen, mindestens 10 %, möglicherweise auch nahezu 12 % betragen. Die tatsächliche Wahlbeteiligung lag etwa bei 90 %. Eine genaue Überprüfung des Wahlergebnisses war nicht mehr möglich, weil alle Wahlunterlagen entsprechend einer Vorgabe von K., dem Leiter der zentralen Wahlkommission, am 20. Juni 1989 vernichtet worden sind. Die Wahlfälschung hat sich auf die Wahl der einzelnen Kandidaten nicht ausgewirkt. Beide Angeklagten hatten an den Wahlfälschungen mitgewirkt, weil sie befürchteten, bei Weigerung ihre Ämter zu verlieren.

II.

Die Verfahrensrügen des Angeklagten M. greifen nicht durch.

1. Ob die Rüge, das Bezirksgericht habe die gegen die Schöffen Me., G. und Dresden gerichteten Befangenheitsanträge zu Unrecht verworfen, den Zulässigkeitsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt (vgl. hierzu Pfeiffer in KK-StPO, 2. Aufl. § 28 Rdn. 6), kann dahinstehen. Sie ist jedenfalls aus den vom Bezirksgericht angeführten Gründen offensichtlich unbegründet. Die Schöffen sind durch die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat nicht persönlich betroffen. Im übrigen hat der Schöffe G. an der angefochtenen Entscheidung nicht mitgewirkt.

2. Die für eine Einstellung des Verfahrens geltendgemachten Gründe betreffen das sachliche Recht und können nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge sein.

3. Der "Einholung eines demoskopischen Sachverständigengutachtens auf der Basis einer repräsentativen Befragung Dresdner Bürger" über die Frage, ob die Straftaten der Angeklagten jetzt keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesellschaft mehr haben, bedurfte es nicht. Das Gericht konnte dies im Rahmen der Strafzumessung selbst entscheiden. Es kann daher offenbleiben, ob die Beweisbehauptung ausreichend konkretisiert war (vgl. dazu BGHSt 37, 162).

III.

Die Sachrügen beider Angeklagten sind unbegründet.

Zu Recht hat das Bezirksgericht auf die Verfälschung des Ergebnisses der Kommunalwahl im Mai 1989 die Strafvorschrift des § 107a StGB angewendet. Da die abgeurteilten Taten vor dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland in der DDR begangen worden sind, findet Art. 315 Abs. 1 EGStGB i.V.m. § 2 StGB Anwendung. Nach § 2 Abs. 1 StGB bestimmt sich die Strafe nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. Wird dieses Gesetz vor der Entscheidung geändert, so ist nach § 2 Abs. 3 StGB das mildeste Gesetz anzuwenden; die äußerste Milderung ist der Wegfall der Strafbarkeit (BGHSt 20, 116). Das Bezirksgericht hat zutreffend angenommen, daß die von ihm festgestellten Wahlfälschungen sowohl nach dem zur Zeit der Tat geltenden § 211 StGB-DDR als auch nach den zur Zeit der Aburteilungen geltenden §§ 107a, 108d StGB strafbar waren. Rechtsfehlerfrei hat es unter den vorliegenden Umständen § 107a StGB als das mildere Strafgesetz angesehen und aus ihm die verhängte Strafe entnommen.

1. Art. 315 Abs. 1 EGStGB findet nach Art. 315 Abs. 4 EGStGB allerdings keine Anwendung, soweit für die Tat das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland schon vor dem Wirksamwerden des Beitritts gegolten hat. Dieser Sonderfall liegt nicht vor. Für die Verfälschung des Ergebnisses der Kommunalwahl der DDR im Mai 1989 hat vor dem Wirksamwerden des Beitritts ausschließlich das StGB-DDR gegolten.

Die Geltung des Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland schon vor dem Wirksamwerden des Beitritts kann sich aus dem Strafanwendungsrecht der §§ 3 ff StGB ergeben. Infrage kommen hier lediglich die Tatbestände des § 7 Abs. 1 und 2 StGB.

a) Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StGB liegen nicht vor. Danach gilt das deutsche Strafrecht für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. Selbst wenn man die frühere DDR weiterhin wie Ausland behandeln würde und der Begriff des Deutschen im Sinne des § 7 Abs. 1 StGB auch den früheren Bürger der DDR miterfassen sollte (vgl. BGHSt 30, 1; 32, 293), scheitert die Anwendung des § 7 Abs. 1 StGB jedenfalls daran, daß die Wahlfälschung in der DDR nicht als eine gegen einen Deutschen begangene Tat anzusehen ist. Gegen einen Deutschen gerichtet ist eine Straftat, wenn sie ihn in seinen Rechten oder rechtlich geschützten Gütern widerrechtlich beeinträchtigt (BGHSt 18, 283, 284). Die Vorschriften über Straftaten bei Wahlen und Abstimmungen (§§ 107 ff StGB) bezwecken den Schutz der Freiheit der demokratischen Willensbildung und Willensäußerung (Eser in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. vor § 105 Rdn. 1; Willms in LK 10. Aufl. vor § 105 Rdn. 1; Rudolphi in SK-StGB, 4. Aufl. vor § 105 Rdn. 1 m. Nachw.). Sie schützen einen bestimmten oder bestimmbaren einzelnen Deutschen jedenfalls dann nicht, wenn - wie hier - nicht dessen persönliches Wahlrecht beeinträchtigt, sondern der Ausgang der Wahlen insgesamt verfälscht wird.

b) Auch die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB liegen nicht vor; § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB kommt ohnehin nicht in Betracht. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB gilt für andere (nicht schon von Absatz 1 erfaßte) Taten, die im Ausland begangen werden, das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist. Auf die erste Alternative dieser Vorschrift ("Deutscher zur Zeit der Tat") kann die Anwendung des StGB auf Taten von DDR-Bürgern nicht gestützt werden (vgl. Lackner, StGB 19. Aufl. § 7 Rdn. 4). Dies wäre mit der grundsätzlichen Beschränkung des Geltungsanspruchs des StGB auf in der Bundesrepublik begangene Straftaten nicht zu vereinbaren (vgl. BGHSt 32, 293, 297).

Zu erwägen wäre allenfalls die Anwendung der zweiten Alternative dieser Vorschrift ("Deutscher nach der Tat") mit der Begründung, die DDR-Bürger seien mit dem Wirksamwerden des Beitritts Deutsche im Sinne des § 7 StGB geworden (dafür z.B. Liebig NStZ 1991, 372, 373). Einer solchen Auslegung steht entgegen, daß Art. 315 EGStGB i.d.F. des Einigungsvertrags als spezielle Kollisionsnorm die Geltungsbereiche des StGB-DDR und des StGB für vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der DDR begangene Straftaten (sog. Alttaten) gegeneinander abgrenzt (vgl. die Erläuterungen zu den Anlagen zum Einigungsvertrag zu Anlage I Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt II Nr. 1: "notwendige Übergangsregelungen" - BR-Drucks. 605/90 S. 51). Die Bestimmungen des Art. 315 Abs. 1 bis 3 würden leerlaufen, wenn die Neubürgerregelung des § 7 Abs. 2 Nr. 1 Altern. 2 StGB alle durch den Beitritt Bundesbürger gewordenen ehemaligen DDR-Bürger erfassen würde (vgl. Gribbohm in LK, 11. Aufl. § 2 Rdn. 60 b). Hiervon geht auch die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus (z.B. BGHSt 38, 1; 38, 18; BGHR StGB § 2 Abs. 3 DDR-StGB 2 und 5; BGH, Urt. vom 3. November 1992 - 5 StR 370/92 S. 11, zum Abdruck in der amtlichen Sammlung vorgesehen). Auf die Wahlfälschungen war daher zum Zeitpunkt der Taten das StGB nicht anzuwenden.

2. Zutreffend hat das Bezirksgericht angenommen, daß die Taten der Angeklagten nach den damals geltenden §§ 211 (aF), 22 Abs. 2 Nr. 1 StGB-DDR strafbar waren.

Nach § 211 StGB-DDR aF wurde bestraft, wer als Mitglied einer Wahlkommission oder als ein in ihrem Auftrag Handelnder das Ergebnis einer Wahl zur Volkskammer, zu den örtlichen Volksvertretungen, eines Volksentscheids oder einer Volksbefragung verfälscht. Das Merkmal des Verfälschens ist erfüllt, weil die Vorsitzenden der Wahlkommissionen über die Anzahl der gegen die Einheitsliste der Nationalen Front abgegebenen Gegenstimmen und die Höhe der Wahlbeteiligung nach Abschluß der Wahlhandlung (vgl. hierzu OLG Koblenz NStZ 1992, 134) falsche Eintragungen in den amtlichen Unterlagen gemacht haben (vgl. Strafrecht der DDR, Kommentar 5. Aufl. 1987 § 211 Rdn. 2; Arnold/Kühl, NJ 1992, 476, 479). Daß sich die Verfälschung des Wahlergebnisses auf die Wahl der einzelnen Kandidaten nicht ausgewirkt hat, steht der Vollendung des Delikts nicht entgegen (vgl. BGHSt 29, 380, 383). Denn der Tatbestand ist verwirklicht, wenn der Täter die auf eine Verfälschung des Wahlergebnisses hinauslaufende Handlung begangen hat (Strafrecht der DDR aaO).

Der Angeklagte B. war als Vorsitzender der Wahlkommission für die Wahl der Stadtverordnetenversammlung in Dresden Täter der Wahlfälschung, die die Wahl der Stadtverordnetenversammlung betraf. Er hat außerdem die fünf Stadtbezirksbürgermeister in ihrer Eigenschaft als Leiter der Wahlkommissionen für die jeweiligen Stadtbezirksversammlungen zu den Wahlfälschungen gemeinsam mit dem Angeklagten M. angestiftet (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 StGB-DDR). Ob beide Angeklagten hinsichtlich der Wahlfälschungen, die die Stadtbezirksversammlungen betrafen, Tatherrschaft und Täterwillen hatten, kann in diesem Zusammenhang offenbleiben. Denn sie konnten schon deswegen nicht Täter sein, weil die Eigenschaft als Mitglied der Wahlkommission oder in ihrem Auftrag Handelnder nach § 211 StGB-DDR strafbegründendes persönliches Merkmal war, sie diese Eigenschaft aber nicht besaßen. Der Angeklagte M. ist, da er lediglich als Parteifunktionär gehandelt hat, der Anstiftung zur Wahlfälschung in sechs Fällen, nämlich der Anstiftung des Angeklagten B. zur Wahlfälschung bezüglich der Stadtverordnetenversammlung und - insoweit mit diesem gemeinschaftlich handelnd - der Anstiftungen der fünf Bezirksbürgermeister zu Wahlfälschungen bezüglich der fünf Stadtbezirksversammlungen schuldig.

3. Die Änderung der Wahlgesetze der DDR nach der Tat, aber noch vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland hat sich nicht zugunsten der Angeklagten ausgewirkt.

Das zur Tatzeit geltende sozialistische Wahlgesetz vom 24. Juni 1976 (GBl.-DDR I S. 301) in der Fassung der Änderungsgesetze vom 28. Juni 1979 (GBl.-DDR I S. 139) und vom 3. März 1989 (GBl.-DDR I S. 109) ist durch § 44 Abs. 2 des Gesetzes vom 20. Februar 1990 über die Wahlen zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990 (GBl.-DDR I S. 60) außer Kraft gesetzt worden. Bezüglich von Kommunalwahlen ist es durch das Gesetz vom 6. März 1990 über die Wahlen zu Kreistagen, Stadtverordnetenversammlungen, Stadtbezirksversammlungen und Gemeindevertretungen am 6. Mai 1990 (GBl.-DDR I S. 99) ersetzt worden. Diese nach der sog. Wende erlassenen neuen Gesetze über die Wahlen zur Volkskammer und zu den örtlichen Volksvertretungen ermöglichten freie Wahlen im Sinne des auch in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechtsverständnisses.

Durch die Änderung des Wahlrechts hat sich daher das durch § 211 StGB-DDR aF geschützte Rechtsgut inhaltlich geändert. Es betraf nunmehr nicht mehr die Gesetzmäßigkeit sozialistischer Wahlen in der DDR, sondern die Gesetzmäßigkeit freier parlamentarisch-demokratischer Wahlen in der DDR.

Wenn die Meinung der Revision richtig ist, daß eine sozialistische Wahl unter der Zwangsherrschaft der SED und auf der Grundlage der unter ihrer Aufsicht erstellten Einheitsliste der Nationalen Front so wesensverschieden von einer freien parlamentarisch-demokratischen Wahl ist, daß Verfälschungen einer sozialistischen und Verfälschungen einer freien Wahl in ihrem Unrechtskern unterschiedliche Handlungsweisen sind, so könnte § 81 Abs. 3 StGB-DDR eingreifen. Danach gelten Gesetze, welche die strafrechtliche Verantwortlichkeit nachträglich aufheben, auch für Handlungen, die vor ihrem Inkrafttreten begangen wurden.

Eine solche Aufhebung der Tatzeitnorm noch vor der Wiedervereinigung könnte anzunehmen sein, wenn die Bestimmungen des jeweils gültigen Wahlrechts, die das Tatbestandsmerkmal "Wahl" im Sinne des § 211 StGB-DDR ausfüllen, als sog. blankettausfüllende Normen anzusehen wären. Denn eine Änderung von blankettausfüllenden Normen ist bei der Anwendung des § 81 Abs. 3 StGB-DDR wie eine Änderung des Blankettstrafgesetzes selbst zu behandeln; dies hat der Bundesgerichtshof für die vergleichbare Regelung des § 2 Abs. 3 StGB entschieden (BGHSt 20, 177, 180 f; 34, 272, 282). § 211 StGB-DDR war jedoch kein Blankettstrafgesetz in diesem Sinn. Er ahndete nämlich nicht ein Verhalten, das in einem außerstrafrechtlichen Gesetz - hier: dem jeweiligen Wahlgesetz - näher umschrieben ist. Der das Tatunrecht abschließend beschreibende Tatbestand des § 211 StGB-DDR hat vielmehr durch eine Veränderung des außerstrafrechtlichen Rechtszustands und der ihm zugrunde liegenden politischen Verhältnisse einen DDR-internen Bedeutungswandel erfahren. Das hat bei der Ermittlung des dem Angeklagten günstigeren Gesetzes im Sinne des § 81 Abs. 3 StGB-DDR außer Betracht zu bleiben (vgl. Gribbohm aaO § 2 Rdn. 30 für die vergleichbare Regelung des § 2 Abs. 3 StGB).

4. Die Strafbarkeit der Angeklagten ist auch nicht dadurch nach § 81 Abs. 3 StGB-DDR entfallen, daß das 6. Strafrechtsänderungsgesetz (StrÄndG-DDR) vom 29. Juni 1990 (GBl.-DDR I S. 526) § 211 StGB-DDR neu gefaßt hat.

Zwar bezog sich der nach wie vor die Verfälschung von Wahlergebnissen betreffende § 211 StGB-DDR nF nunmehr auch auf freie parlamentarisch-demokratische Wahlen. Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß der demokratische Gesetzgeber des 6. StrÄndG-DDR durch die Neufassung die bereits begründete Strafbarkeit wegen vor der Wende begangener Wahlfälschungen aufheben und den Anwendungsbereich des § 211 StGB-DDR nF insoweit über seinen Wortlaut hinaus einschränken wollte. Dies würde dem Gesetzeszweck der Änderung, den strafrechtlichen Schutz von Wahlen gerade wegen der bekannt gewordenen Wahlfälschungen der SED noch weiter auszubauen (vgl. Dähn NStZ 1990, 469, 471; Teichler NJ 1990, 291, 292), widersprechen.

5. Die tatbestandlichen Veränderungen des § 211 StGB-DDR durch das 6. StrÄndG-DDR führen auch sonst nicht zu einer milderen Beurteilung der Straftaten, als sie nach der zur Tatzeit geltenden Fassung des § 211 StGB-DDR geboten war.

Nach der Neufassung des § 211 StGB-DDR konnten nunmehr auch Mitglieder eines Wahlvorstands und diejenigen, die die Tat veranlaßt oder sie als Mitglieder einer Wahlkommission oder eines Wahlvorstands geduldet haben, Täter der Wahlfälschung sein. Nach der Neufassung wären daher beide Angeklagten in allen Fällen als Mittäter zu verurteilen gewesen, weil sie die Fälschung der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung gemeinsam - der Angeklagte M. als Veranlasser, der Angeklagte B. als Leiter der Wahlkommission - begangen und die Fälschungen der Wahlen zu den Stadtbezirksversammlungen gemeinsam veranlaßt haben. Die Bestrafung als Mittäter wäre für die Angeklagten aber nicht günstiger als die Bestrafung wegen Anstiftung. Allerdings konnte nach § 22 Abs. 4 Satz 2 StGB-DDR die Strafe bei Mittäterschaft nach den Grundsätzen über die außergewöhnliche Strafmilderung (§ 62 StGB-DDR) herabgesetzt werden, während dies bei Anstiftung grundsätzlich nicht möglich war (Strafrecht der DDR aaO § 22 Rdn. 7). Voraussetzung für eine solche Strafrahmenverschiebung zugunsten eines der Angeklagten wäre aber gewesen, daß dessen Tatbeitrag im Verhältnis zur Gesamttat gering gewesen wäre. Davon kann hier keine Rede sein.

6. Auch der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland hat die nach § 211 StGB-DDR bestehende Strafbarkeit der Angeklagten nicht aufgehoben.

§ 211 StGB-DDR ist mit dem Beitritt außer Kraft getreten, weil er nicht zu den fortgeltenden Bestimmungen des StGB-DDR gehört (Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anlage II Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt I des Einigungsvertrags). Dennoch bleibt er, wie oben dargelegt, auf Alttaten anwendbar, soweit ihm entsprechende Vorschriften des StGB vorhanden und diese nicht milder sind. Dem § 211 StGB-DDR entsprechen die §§ 107a, 108d StGB, jedenfalls soweit sie die Verfälschung des Ergebnisses von Kommunalwahlen betreffen.

a) Nach § 107a StGB wird bestraft, wer das Ergebnis einer Wahl verfälscht; nach § 108d Satz 1 StGB gelten die §§ 107 bis 108c StGB für Wahlen zu den Volksvertretungen, für die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, für sonstige Wahlen und Abstimmungen des Volkes im Bund, in den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie für Urwahlen in der Sozialversicherung. Die Anwendbarkeit dieser Vorschriften auf Fälschungen von Kommunalwahlen in der früheren DDR scheitert nicht daran, daß sich der ursprüngliche Geltungsbereich dieser Vorschriften nur auf Wahlen in der alten Bundesrepublik bezogen hat.

Die im 4. Abschnitt des StGB genannten Straftaten gegen Verfassungsorgane sowie bei Wahlen und Abstimmungen sollen nur inländische Belange, also solche der Bundesrepublik Deutschland schützen (vgl. Willms in LK, 10. Aufl. vor § 105 Rdn. 2; Eser in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. vor § 105 Rdn. 2; Rudolphi in SK-StGB, 4. Aufl. vor § 105 Rdn. 3; Lorenz NStZ 1992, 422, 424; Arnold/Kühl NJ 1992, 476, 480). So schützen die §§ 107a, 108d StGB die Wahlen zum Europäischen Parlament nur in ihrem deutschen Teilausschnitt (Willms aaO). Auch aus der Fassung des § 108d StGB ist herzuleiten, daß § 107a StGB nur Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland meint. Aus dem Sinn und Zweck der Übergangsregelung des Art. 315 Abs. 1 EGStGB i.V.m. § 2 StGB ergibt sich, daß die §§ 107a, 108d StGB dennoch auf Alttaten in der DDR anwendbar sind. Der in Art. 315 Abs. 1 EGStGB enthaltene Gesetzesbefehl, auf unter Geltung des StGB-DDR begangene Taten § 2 StGB anzuwenden, soll sicherstellen, daß die Anwendbarkeit des mit dem Inkrafttreten des StGB in dem Gebiet der früheren DDR ohnehin anwendbaren § 2 StGB nicht daran scheitert, daß sich vor der Wiedervereinigung das StGB-DDR und das StGB auf verschiedene räumliche Geltungsbereiche bezogen haben (zum eingeschränkten Geltungsbereich des StGB: BGHSt 30, 1, 4 f). § 2 StGB selbst ist nämlich nur auf den Fall zugeschnitten, daß eine Strafnorm innerhalb desselben räumlichen Geltungsbereichs zwischen Tatbegehung und Aburteilung geändert wird, während Art. 315 Abs. 1 EGStGB den Fall betrifft, daß Strafnormen aus zwei verschiedenen Geltungsbereichen und zwei unterschiedlichen Staats- und Gesellschaftsordnungen miteinander verglichen werden sollen, um die dem Angeklagten günstigste Norm zu ermitteln (vgl. BGHSt 38, 1). Bei dem Vergleich einander entsprechender Normen des StGB-DDR und des StGB muß daher außer acht gelassen werden, daß sie sich vor dem Wirksamwerden des Beitritts auf Tathandlungen aus unterschiedlichen Geltungsbereichen bezogen haben. Es ist vielmehr zu prüfen, ob dann, wenn das StGB schon zur Tatzeit in der ehemaligen DDR gegolten hätte, das nach dem StGB-DDR strafbare Verhalten auch nach einer der DDR-Norm entsprechenden Vorschrift des StGB strafbar gewesen wäre.

b) Sieht man also bei dem intertemporalen Normenvergleich von der zur Tatzeit auf das frühere Bundesgebiet beschränkten Geltung der §§ 107a, 108d StGB ab, so erfüllen die Fälschungshandlungen der Angeklagten auch die Anwendungsvoraussetzungen der §§ 107a, 108d StGB. Das gilt sowohl für die Subsumtion unter den Wortlaut dieser Tatbestände (nachfolgend unter aa) als auch für die Subsumtion unter das durch diese Tatbestände geschützte Rechtsgut (nachfolgend unter bb).

aa) Das StGB legt nicht fest, was erforderlich ist, um die Bestimmung gemeindlicher Volksvertreter noch als Wahl im Sinne der §§ 107a, 108d StGB erscheinen zu lassen. Wegen der Offenheit dieser Vorschriften für unterschiedliche Wahlsysteme muß zur Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals "Wahl" auf das zur jeweiligen Tatzeit geltende, außerstrafrechtliche Wahlrecht zurückgegriffen werden (vgl. Wolf, Straftaten bei Wahlen und Abstimmungen, Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen Bd. 51 S. 27/28; Lorenz aaO S. 425), ohne daß diese Vorschriften dadurch den Charakter von Blankettgesetzen erhielten (vgl. oben unter III 3).

Die in dem zur Tatzeit geltenden WahlG-DDR geregelte rechtstechnische Ausgestaltung der Wahlen reicht - ungeachtet ihrer tatsächlichen Funktion als Mittel zur Durchsetzung der Machtpolitik der SED (nachfolgend unter bb) - aus, um Kommunalwahlen in der DDR formal auch als Wahlen im Sinne der §§ 107a, 108d StGB zu bezeichnen. Bei dieser rechtlichen Bewertung sind die damals üblichen, aber dem WahlG-DDR widersprechenden Manipulationen der SED-Machthaber außer acht zu lassen. Nach § 2 Abs. 1 WahlG-DDR aF wurden die Volksvertretungen in den Bezirken, Kreisen, Städten, Stadtbezirken und Gemeinden von den Bürgern in freien, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen auf die Dauer von fünf Jahren gewählt. Nach § 9 WahlG-DDR aF waren diejenigen Kandidaten gewählt, die mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen auf sich vereinigten; erhielt eine größere Zahl der Kandidaten mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen als Mandate im jeweiligen Wahlkreis vorhanden waren, entschied die Reihenfolge der Kandidaten auf dem Wahlvorschlag über die Besetzung der Abgeordnetenmandate und über die Nachfolgekandidaten. Nach § 32 WahlG-DDR aF waren im Wahllokal Wahlkabinen aufzustellen, die es dem Wähler ermöglichten, die Stimmzettel unbeobachtet für die Abgabe vorzubereiten. Nach § 35 Abs. 5 WahlG-DDR aF konnte jeder Wähler auf dem Stimmzettel Änderungen vornehmen. Nach § 37 Abs. 1 WahlG-DDR aF zählte der Wahlvorstand die Stimmen öffentlich im Wahllokal aus. Die Wähler konnten auch die Ablehnung der unter Führung der SED von der Nationalen Front aufgestellten Einheitsliste ("gemeinsamer Wahlvorschlag" im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 2 WahlG-DDR aF) durch entsprechende Kennzeichnung der Stimmzettel und durch Wahlenthaltung bekunden. Demnach lassen sich der im WahlG-DDR aF geregelten Entscheidung der DDR-Bürger über ihre örtlichen Volksvertreter die Merkmale einer Wahl nicht absprechen.

bb) Die von den Angeklagten veranlaßten Wahlfälschungen richteten sich nicht nur gegen das durch § 211 StGB-DDR geschützte Rechtsgut, sondern auch gegen eine wesentliche Komponente des durch die §§ 107a, 108d StGB geschützten Rechtsguts. Dies genügt.

Bei der nach Art. 315 Abs. 1 EGStGB, § 2 StGB gebotenen Prüfung, ob entsprechende Strafvorschriften des StGB vorhanden sind und sie erfüllt wären, wenn sie schon zum Zeitpunkt der Tat in der DDR gegolten hätten, darf nicht allein auf die bloße formale Erfüllung eines entsprechenden Tatbestandes des StGB abgestellt werden. In den intertemporalen Normenvergleich sind auch die jeweilige Schutzrichtung der formal einander entsprechenden Strafnormen und das jeweils durch sie geschützte Rechtsgut einzubeziehen, wobei auch hier der unterschiedliche räumliche Geltungsbereich als solcher außer Betracht bleibt. Die einander entsprechenden Normen beider Strafrechtsordnungen müssen insgesamt oder in dem zur Anwendung kommenden Teilbereich dasselbe Rechtsgut oder wenigstens übereinstimmende wesentliche Komponenten des jeweiligen Rechtsguts schützen; sie müssen art- und wertgleiches Unrecht beschreiben. Das ergibt sich aus der Verweisung des Art. 315 Abs. 1 EGStGB auf die Grundsätze des § 2 StGB, der die Anwendung eines neuen Strafgesetzes nur zuläßt, wenn es denselben Unrechtskern wie die aufgehobene Tatzeitnorm vertatbestandlicht. Denn sonst würde die Verurteilung aus dem neuen Gesetz gegen das Bestimmtheitsgebot und damit gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen (BGHSt 26, 167, 172 f).

Die Wahrung staatlicher Belange der sozialistischen DDR unter der (behaupteten) Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei (Art. 1 Abs. 1 Verf.-DDR) und die Wahrung entsprechender Belange der Bundesrepublik als eines demokratisch-sozialen Rechtsstaats (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) sind grundsätzlich keine art- und wertgleichen Rechtsgüter. Das Erfordernis der "Kontinuität des Unrechtstyps" (vgl. dazu auch Höchst JR 1992, 360 u. 433) bedeutet daher für den weiten Bereich des aufgehobenen Staatsschutzstrafrechts der ehemaligen DDR, daß auch dann, wenn entsprechende Normen des StGB vorhanden sind, eine fortbestehende Strafbarkeit nur noch in besonderen Fällen in Betracht kommt. Gerade um einen solchen Fall geht es hier.

Der Senat verkennt dabei nicht, daß sich zur Tatzeit Wahlen in der DDR nach ihrer Vorbereitung, ihrem Ablauf und ihrer staats- und verfassungsrechtlichen Funktion grundlegend von freien Wahlen in einer parlamentarischen Demokratie unterschieden haben. Letzteren soll der Schutz der §§ 107a, 108d StGB gelten, während § 211 StGB-DDR aF vorwiegend dem unserer Rechtsordnung fremden Interesse an der Aufrechterhaltung der sozialistischen Gewaltherrschaft durch scheinbare plebiszitäre Bestätigung der bisherigen Machtinhaber zu dienen bestimmt war. Nach Absatz 1 Satz 1 der Präambel des zur Tatzeit geltenden WahlG-DDR standen Wahlen im Dienste der vom IX. Parteitag der SED gestellten "Aufgabe, in der DDR weiterhin die entwickelte sozialistische Gesellschaft zu gestalten und so grundlegende Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus zu schaffen"; Satz 2 bezeichnet die Volksvertretungen als gewählte Machtorgane des sozialistischen Staates der Arbeiter und Bauern. Die Wahlen sollten also nicht, wie in der Bundesrepublik Deutschland, eine Entscheidung des Volkes darüber herbeiführen, welchen der verschiedenen miteinander konkurrierenden politischen Kräfte für eine begrenzte Zeit staatliche Macht anvertraut wird. Denn diese Entscheidung war nach der Verfassung der DDR zugunsten des Sozialismus und des Kommunismus "unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei" ein für allemal gefallen (Präambel und Art. 1 Abs. 1 Verf.-DDR). Bei Wahlen wurde demgemäß nur über einen einheitlichen Wahlvorschlag abgestimmt; ihn hatte die Nationale Front, der gemäß Art. 3 Verf.-DDR Verfassungsrang zukam, unter der Suprematie der SED aufgestellt (vgl. Mampel, Die sozialistische Verfassung in der DDR, 2. Aufl. 1982 Frankfurt/Main Art. 3 Rdn. 3 ff, 13; Autorenkollektiv in Wahlsystem und Volksvertretungen in der DDR, Berlin-Ost 1988 S. 69 f). Auch die Kommunalpolitik der örtlichen Volksvertretungen hatte der Verwirklichung der Staats- und Gesellschaftspolitik der SED zu dienen (vgl. Kapitel I des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen in der DDR vom 4. Juli 1985, GBl.-DDR I S. 213; Riemann/Tech, Warum, was und wie wir wählen, Staatsverlag der DDR Berlin 1986 S. 24 ff).

Der Revision ist daher einzuräumen, daß die Rechtsgüter der gesetzmäßigen Durchführung sozialistischer Wahlen und der gesetzmäßigen Durchführung freier parlamentarisch-demokratischer Wahlen, insgesamt gesehen, einander nicht entsprechen. Rechtliche Bedenken könnten daher erhoben werden, eine auch heute noch strafbare Verfälschung des kommunalen Wahlergebnisses beispielsweise dann anzunehmen, wenn die Anzahl der Ausstreichungen eines Bewerbers auf dem Stimmzettel verfälscht und der auf einen bestimmten SED-Kandidaten entfallende Stimmenanteil zu niedrig oder zu hoch angegeben worden ist.

Die Schutzfunktion des § 211 StGB-DDR in der zur Tatzeit geltenden Fassung erschöpft sich indes nicht in dieser den Erhalt des sozialistischen Staates zu sichernden Aufgabe. Sie erfaßt vielmehr auch die damals bestehende Möglichkeit, der von der Nationalen Front aufgestellten Einheitsliste durch eine entsprechende Kennzeichnung des Stimmzettels (Gegenstimmen) oder durch Wahlenthaltung eine Absage zu erteilen. Daher bestehen nach Ansicht des Senats keine Bedenken, solche Wahlfälschungen auch heute noch als strafbar anzuerkennen, deren Zweck es war, das Ausmaß eines derartigen ablehnenden Abstimmungsverhaltens zu unterdrücken. Gerade hierauf bezogen sich die Wahlfälschungen der Angeklagten, indem sie die wirkliche Anzahl der Gegenstimmen verschwiegen und eine höhere Wahlbeteiligung vortäuschten. Durch solche Wahläußerungen, die sich gegen die Einheitsliste der Nationalen Front insgesamt und damit gegen die durch sie repräsentierte Zwangsherrschaft der SED richteten, machten die Wähler im Mai 1989 von den ihnen verbliebenen rudimentären Elementen freier parlamentarisch-demokratischer Wahlen Gebrauch. Der Schutz dieses Bürgerrechts, aber nicht allgemein der Schutz des gesetzmäßigen Ablaufs sozialistischer Wahlen ist in dem insgesamt viel weiter reichenden Rechtsgut der §§ 107a, 108d StGB mit enthalten. Daher kann der nach Art. 315 Abs. 1 EGStGB und § 2 StGB vorzunehmende Normenvergleich auf diesen gemeinsamen Teilaspekt der insgesamt funktional unterschiedlichen Rechtsgüter der §§ 107a, 108d StGB einerseits und des § 211 StGB-DDR aF andererseits beschränkt werden. Die dem Schuldspruch zugrunde gelegte Verfälschung des Wahlergebnisses bestand darin, die in Übereinstimmung mit den Grundwerten der Bundesrepublik und den Gewährleistungen (Art. 1, 25) des in beiden deutschen Staaten in Kraft getretenen Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (BGBl. 1976 II S. 1068; GBl.-DDR 1976 II S. 108) in Anspruch genommene freie Wahl-Entscheidung des DDR-Bürgers gegen die Einheitsliste der SED-Machthaber zu unterdrücken. Insoweit ist bei Wahlfälschungen die "Kontinuität des Unrechtstyps" auch nach der Wiedervereinigung gewahrt. Dies gilt um so mehr, als die Vorschrift des § 107a StGB über Wahlfälschung nicht den zur Tatzeit geltenden § 211 StGB-DDR in der durch den sozialistischen Gesetzgeber gegebenen, sondern in der durch den demokratischen Gesetzgeber des 6. StrÄndG-DDR gegebenen neuen, auch Alttaten einbeziehenden, Fassung abgelöst hat (s.o. III 3 u. 4).

Eine solche Auslegung, die nur noch bei einer bestimmten Art der Tatbestandserfüllung einer durch den Einigungsvertrag aufgehobenen Vorschrift des StGB-DDR zur Fortdauer der Strafbarkeit nach der Wiedervereinigung führt, kollidiert nicht mit dem Erfordernis der Gesetzesbestimmtheit nach Art. 103 Abs. 2 GG. Denn Art. 103 Abs. 2 GG verlangt die Eindeutigkeit der strafbegründenden Norm, nicht aber mit gleicher Stringenz die gesetzliche Bestimmtheit des Umfangs der strafaufhebenden Wirkung nachträglich eintretender Ereignisse.

Das Bezirksgericht hat nach alledem zu Recht angenommen, daß die Strafbarkeit der festgestellten Wahlfälschungen durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland nicht entfallen und § 107a StGB als die hier für die Angeklagten mildere Norm anzuwenden ist.

Auch im übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 54; NJW 1993, 1019; NStZ 1993, 231

Bearbeiter: Rocco Beck