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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 419/91, Urteil v. 15.05.1992, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 419/91 - Urteil vom 15. Mai 1992 (LG Osnabrück)

BGHSt 38, 291; Beweisverwertungsverbot durch Vernehmung im ermüdeten Zustand (Anforderungen; Täuschungen: erlaubte List).

Art. 6 EMRK; § 136a StPO

Leitsätze

1. Beeinträchtigung der Willensfreiheit durch Ermüdung. (BGHSt)

2. § 136a StPO verbietet der Polizei nicht jede List (BGHSt 35, 328, 329). (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 2. Januar 1991 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagte An. P. freigesprochen worden ist, und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieser Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft, dahin geändert, dass er wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt wird. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Die Revision des Angeklagten A wird verworfen.

4. Die Angeklagten S und A. haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

A.

Die Staatsanwaltschaft hat den Angeklagten A., S. und An.P. sowie den früheren Mitangeklagten Pe.B. und C.B. in der zugelassenen Anklage zur Last gelegt, am 28. Juni 1989 den Ehemann der Angeklagten An.P., H.P., gemeinschaftlich und heimtückisch getötet zu haben, indem sie ihn aufgrund einer am Tattage getroffenen Abrede über das Treppengeländer im Flur seines Hauses warfen und A. anschließend den Kopf des Tatopfers mit einem Ziegelstein zertrümmerte. Das Landgericht hat die Angeklagten An.P. und C.B. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Den Angeklagten A. hat es wegen gefährlicher Körperverletzung (Einzelstrafe von sechs Monaten) und wegen versuchten Totschlags (Einsatzstrafe von fünf Jahren) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt. Den Angeklagten S. hat es wegen versuchter Bestimmung zur Begehung eines Totschlags (Einzelstrafe von zwei Jahren) und wegen versuchten Totschlags (Einsatzstrafe von vier Jahren) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und den Angeklagten Pe.B. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig, soweit es C.B. und Pe.B. betrifft.

Die Staatsanwaltschaft hat den Freispruch von An.P. mit der Revision angefochten und diese mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Die Angeklagten A. und S. haben gegen ihre Verurteilung Revision eingelegt und diese mit der Sachrüge gerechtfertigt.

B.

Die Strafkammer hat folgenden Sachverhalt festgestellt (UA S. 33 ff.):

Am Nachmittag des 28. Juni 1989 bot der Angeklagte A. den Angeklagten S., C.B. und An.P. an, H.P. zu erstechen. Die Angeklagte P. äußerte in diesem Zusammenhang, daß in der Kochnische vor der Wohnung ihres Ehemanns Messer herumlägen. Die Angeklagten schätzten A. als Angeber ein und hänselten ihn, daß er zu feige sei, etwas gegen H.P. zu unternehmen. So war es tatsächlich. A. hatte in Wirklichkeit nicht die Absicht, H.P. etwas anzutun. Am Abend fuhr der Angeklagte S. den Angeklagten A. zur Wohnung von H.P.. Im Fahrzeug überreichte er ihm ein Paar Handschuhe und einen Schlüssel für die Wohnung von H.P.. Handschuhe und Schlüssel gehörten der Angeklagten An.P.. S. wollte jedenfalls jetzt erreichen, daß A. den Vorschlag, den er am Nachmittag gemacht hatte, in die Tat umsetzte. A. war entschlossen, dem Verlangen von S. nicht nachzukommen. Da er sich aber nicht blamieren wollte, zog er die Handschuhe an und begab sich in die Wohnung von H.P., der dort fernsah. S. war inzwischen in seine Wohnung zurückgefahren. Nachdem auch A. dorthin zurückgekehrt war, gab er an, das Tatopfer in der Wohnung nicht angetroffen zu haben.

Einige Stunden später begaben sich die Angeklagten in das Haus, in dem sich die Wohnungen von H.P. und der Angeklagten C.B. befanden. Die Angeklagten A., S. und Pe.B. warteten im Hausflur auf H.P., um ihn zu verprügeln. Als er nichtsahnend seine Wohnung verließ, versetzte ihm S. einen so kräftigen Schubs, daß er mehrere Meter nach vorn gestoßen wurde. Auch Pe.B. schlug zu. Die Strafkammer konnte nicht ausschließen, daß der Angeklagte S. nunmehr H. P. mit Hilfe von A. und Pe.B. "lediglich" verprügeln wollte. Spätestens im Laufe der Auseinandersetzung entschloß er sich im Gegensatz zu A. und Pe.B., H.P. über das Treppengeländer zu werfen, und nahm dabei billigend in Kauf, daß H.P. dadurch tödlich verletzt würde. Als S. den Angeklagten A. aufforderte, die Beine des Tatopfers zu packen, griff A. ins Leere, weil H.P. aufgrund des Gerangels das Gleichgewicht verloren hatte und bereits rückwärts über das Treppengeländer hinuntergefallen war. Während S. und Pe.B. in die Wohnung B. zurückkehrten, schlug A. dem noch lebenden Tatopfer einen Ziegelstein gegen den Hinterkopf, um ihn zu töten. H.P. starb an den Schädelverletzungen. Die Strafkammer konnte nicht klären, ob der Treppensturz oder der Schlag mit dem Ziegelstein die tödlichen Verletzungen herbeigeführt hat.

C.

I. Revision der Staatsanwaltschaft

Die Revision der Staatsanwaltschaft dringt mit den erhobenen Verfahrensrügen durch. Die Strafkammer hat der den Freispruch der Angeklagten An. P. tragenden Beweiswürdigung lediglich die Einlassungen der Angeklagten A. und C.B. zugrunde gelegt, die diese in der Hauptverhandlung gemacht haben. An der Verwertung der weitergehenden und den Anklagevorwurf stützenden polizeilichen Aussagen dieser Angeklagten hat es sich zu Unrecht durch die Vorschrift des § 136a StPO gehindert gesehen (UA S. 74, 159).

1. Zutreffend macht die Staatsanwaltschaft geltend, daß die Vernehmungsbeamten U. und Be. als Zeugen zu den Angaben hätten vernommen werden müssen, die der Angeklagte A. am frühen Morgen des 30. Juni 1989 gemacht hat. Denn diese Aussage war entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht wegen "Übermüdung" des Vernommenen unverwertbar.

a) Wie die Revision richtig vorträgt, hat der Angeklagte A. damals - anders als in der Hauptverhandlung - unter anderem angegeben (Bd. I Bl. 163, 166, 169 d.A.): Er habe H.P. in dessen Wohnung erstechen sollen. Zur Ausführung der Tat habe An.P. am Nachmittag des 28. Juni 1989 ein Messer in der Kochnische der Wohnung ihres Mannes bereitgelegt. Auch habe er von An.P. schwarze Lederhandschuhe bekommen, damit man später auf dem Messer keine Fingerabdrücke finden könne.

b) Das Landgericht hat die Unverwertbarkeit dieser Aussage wie folgt begründet (UA S. 74 f.): Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Angeklagten A. sei durch Ermüdung beeinträchtigt gewesen. Bei Beginn der Zeugenvernehmung am 29. Juni 1989 um 17.40 Uhr und erst recht bei Beginn der sich anschließenden Beschuldigtenvernehmung um 23.30 Uhr sei er mehr als 30 Stunden ohne Schlaf gewesen. Er habe am Morgen des 28. Juni 1989 die Kinder des Angeklagten S. versorgt. Den weiteren Tagesablauf des 28. Juni 1989 habe er glaubhaft so dargestellt, daß er keinerlei Gelegenheit gehabt habe, sich zum Schlaf niederzulegen. Der Tag habe mit der Tötung von H.P. geendet. Danach habe er in der Wohnung des Angeklagten S. nicht mehr geschlafen, sondern im Bett allenfalls gedöst und zwischendurch die Kinder versorgt. Der Strafkammer erschien es nachvollziehbar und plausibel, daß der Angeklagte A. nach den vorangegangenen Ereignissen (Tötung von H.P.) keinen Schlaf habe finden können. In diesem Zusammenhang seien auch seine Persönlichkeitsstruktur und seine starke körperliche Affektresonanz sowie die lange Vernehmungsdauer von Bedeutung. Darauf, ob die Vernehmungsbeamten die Übermüdung herbeigeführt oder erkannt hätten, komme es nicht an.

Aus gleichen Erwägungen hat die Strafkammer auch die richterliche Vernehmung des Angeklagten A. am Vormittag des 30. Juni 1989 (Bd. I Bl. 228 ff. d.A.) nicht verwertet (UA S. 76). In ihr hatte er seine polizeilichen Angaben aufrechterhalten und bestätigt, daß zwischen ihm, An.P., S. und C.B. vereinbart worden sei, H.P. zu töten. S. habe ihm 1.000 DM versprochen, wenn er H.P. töte. Nachdem er, S. und Pe.B. H.P. am Tattage über das Treppengeländer gehoben hätten, habe S. vorgeschlagen, P. das Genick zu brechen, damit es nach einem Unfall aussehe. Die Strafkammer meint, bei dieser richterlichen Vernehmung habe die unverwertbare polizeiliche Vernehmung fortgewirkt. Hinzu komme, daß A. nach Beendigung der polizeilichen Vernehmung am 30. Juni 1989 um 3.30 Uhr in der Haftzelle nicht geschlafen habe.

c) Die Voraussetzungen eines Verwertungsverbots nach § 136a StPO wegen Ermüdung des Vernommenen liegen nicht vor.

aa) § 136a StPO verbietet rechtsstaatswidrige Vernehmungsmethoden. Nach dessen Absatz 1 Satz 1 darf die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten nicht beeinträchtigt werden durch Mißhandlung, durch Ermüdung, durch körperlichen Eingriff, durch Verabreichung von Mitteln, durch Quälerei, durch Täuschung oder durch Hypnose. Der Begriff der Ermüdung bezeichnet nach dem Kontext, in dem er steht, in erster Linie ein bestimmtes Verhalten des Vernehmenden und nicht einen bestimmten Zustand des Vernommenen (vgl. Rogall in SK, StPO Lieferung August 1987 § 136a Rdn. 33). Dem Vernehmenden ist der Beginn oder die Fortsetzung einer Vernehmung nicht nur dann untersagt, wenn er den Zustand der Ermüdung absichtlich herbeigeführt hat, sondern auch dann, wenn durch die bestehende Ermüdung eine Beeinträchtigung der Willensfreiheit zu besorgen war (BGHSt 1, 376, 379; 13, 60, 61). Das wird in aller Regel zu verneinen sein, wenn der Beschuldigte vor der Vernehmung ausreichend Gelegenheit zur Ruhe und zum Schlaf gehabt und sich bei der Vernehmung nicht auf Übermüdung berufen hat. Macht er nachträglich geltend, daß er trotz der wahrgenommenen Bettruhe keinen Schlaf gefunden hat, so ist das, für sich gesehen, unerheblich; denn die geistige Leistungsfähigkeit kann auch durch Ruhe und Entspannung ohne Schlaf wiederhergestellt werden. Das Landgericht stellt daher zu Unrecht allein darauf ab, wie lange der Angeklagte nach seiner für glaubhaft angesehenen Einlassung in der Hauptverhandlung damals bis zur Vernehmung nicht geschlafen hat. Es läßt rechtsfehlerhaft den Zeitraum außer acht, während dessen er sich zum Schlafen hingelegt und "gedöst" hat.

bb) Schon wegen dieses unrichtigen rechtlichen Ausgangspunkts ist der Senat an die tatrichterliche Feststellung der "Übermüdung" nicht gebunden. Insoweit gilt der Freibeweis. Ob der Senat auch an rechtsfehlerfrei getroffene Feststellungen zur Übermüdung nicht gebunden wäre (so BGHSt 16, 164/165; BGH, Urteil vom 18. September 1979 - 1 StR 399/79; a.A. BGHSt 1, 376, 379: "Tatfrage"), braucht hier nicht entschieden zu werden.

cc) Unter Berücksichtigung dessen, daß der Angeklagte A. bei seiner polizeilichen Vernehmung am 29. Juni 1989 als Zeuge angegeben hat, an diesem Tage gegen 11.30 Uhr von Pe.B. geweckt worden zu sein, daß er in der späteren Hauptverhandlung - dies abschwächend - angegeben hat, am 29. Juni 1989 im Kinderzimmer der Familie S. im Bett "gedöst" zu haben, und daß er sich während der Vernehmung nicht auf Übermüdung berufen hat, hat der Senat keinen Zweifel, daß der Angeklagte der am Nachmittag des 29. Juni 1989 beginnenden Vernehmung gewachsen war.

Es besteht auch kein vernünftiger Anlaß für die Annahme, daß ein nach § 136a StPO relevanter Zustand bei der Fortsetzung der Vernehmung in der Nacht - nunmehr als Beschuldigter - eingetreten ist. Daß der Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr so frisch war wie sonst an einem Tage nach der gewohnten Nachtruhe, versteht sich von selbst. Einen solchen Zustand verlangt das Gesetz auch nicht. Es genügt, daß er sich in einem psychischen Zustand befunden hat, der es ihm ermöglichte, der Vernehmung in freier Willensentschließung zu folgen. Im übrigen sind Vernehmungen zur Nachtzeit nicht unzulässig (BGHSt 1, 376; Kleinknecht/Meyer, StPO 40. Aufl. § 136a Rdn. 8; Boujong in KK-StPO, 2. Aufl. § 136a Rdn. 12). Gerade die Aufklärung eines Kapitaldelikts macht sofortige polizeiliche Ermittlungen erforderlich. Dazu sind ohne Rücksicht auf die Tages- oder Nachtzeit auch wiederholte Vernehmungen der als Täter in Betracht kommenden Personen nötig, die ggf. mit dem erforderlichen Nachdruck auf Widersprüche in ihrer Aussage hingewiesen werden dürfen. Die Polizei muß beim ersten Zugriff unter erheblichem Zeitdruck arbeiten, um möglichst wenig Gelegenheit zur Beseitigung belastender Tatspuren zu geben. Dies hat auch die hier zu beurteilende Vernehmungssituation verdeutlicht. Unmittelbar nachdem der Angeklagte A. in der um 3.30 Uhr abgeschlossenen Nachvernehmung ein Geständnis abgelegt hatte, gelang es den Beamten der Mordkommission, das von dem Vernommenen beschriebene Versteck des Duplikatschlüssels zur Wohnung des Tatopfers unter einem Pflasterstein in der Terrasse der Wohnung S. und die von A. benutzten Handschuhe der Angeklagten An. P. unter einem Bettkasten sicherzustellen (Bd. I Bl. 168 ff., 172 d.A.). Da die Vernehmungsbeamten keinen Anlaß hatten, einen die Aussagefreiheit beeinträchtigenden Zustand der Ermüdung anzunehmen, ist gegen ein solches ermittlungstaktisches Vorgehen aus Rechtsgründen nichts einzuwenden.

dd) Entsprechende Erwägungen gelten für die Zulässigkeit der vom Landgericht für unzulässig gehaltenen richterlichen Vernehmung am nächsten Vormittag. Es ist dem Senat nicht verständlich, daß das Landgericht auch bei dieser Vernehmung eine nach § 136a StPO erhebliche Ermüdung des Angeklagten annimmt, ohne zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und ggf. wie sich der Haftrichter, vor dem der Angeklagte nach richterlicher Belehrung sein Geständnis wiederholt hatte, zu der körperlichen Verfassung des Vernommenen geäußert hat. Der Angeklagte hatte jedenfalls Gelegenheit, sich nach Abschluß der nächtlichen Polizei-Vernehmung bis zum Beginn der richterlichen Vernehmung auszuruhen. Daß er in der ihm ungewohnten Umgebung der Haftzelle und wegen der Erwartung einer langandauernden Inhaftierung keinen oder nur wenig Schlaf gefunden haben mag, begründet noch kein Verbot, ihn nunmehr richterlich zu vernehmen. Die richterliche Vernehmung war im übrigen nicht aufschiebbar, weil sie unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme, also noch am 30. Juni 1989 durch § 128 Abs. 1 i.V.m. § 115 Abs. 3 StPO vorgeschrieben war.

2. Zutreffend macht die Staatsanwaltschaft geltend, daß auch der Verwertung der späteren polizeilichen Vernehmung des Angeklagten A. vom 10. Juli 1989 (Bd. IV Bl. 46 ff. d.A.) kein Verwertungsverbot entgegenstand und daher die Vernehmungsbeamten O. und W. als Zeugen dazu hätten vernommen werden müssen.

a) Am 10. Juli 1989 hat der Angeklagte A. vor anderen Polizeibeamten die Schilderung des Tatgeschehens, durch die er die Angeklagte An. P. schwer belastete, mit gewissen Modifikationen wiederholt. Das Landgericht hält diese Angaben gemäß § 163a Abs. 4, § 136 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 136a StPO mit folgender Begründung für unverwertbar (UA S. 76 f.): Dem Beschuldigten sei die Konsultation seines damaligen Verteidigers verwehrt worden, obwohl dieser sich bei Beginn der Vernehmung schon auf dem Wege in die Justizvollzugsanstalt befand. Der Beschuldigte sei zu der Aussage ferner durch die Täuschung bestimmt worden, er werde nach Hannover überführt, um dort noch einige ergänzende Fragen zu beantworten, während die Polizei in Wirklichkeit eine umfassende Nachvernehmung beabsichtigt habe, die erst durch den später hinzukommenden Verteidiger unterbrochen worden sei.

b) Mit diesen Begründungen konnte ein Vernehmungs- und Verwertungsverbot nicht gerechtfertigt werden.

Der Angeklagte A. ist, was die Strafkammer nicht in Zweifel zieht, vor Beginn seiner Beschuldigtenvernehmung am 29. Juni 1989 darüber belehrt worden, daß er jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen dürfe. Daß er diese Belehrung verstanden hat, hat er durch seine Unterschrift bestätigt (Bd. I Bl. 157 d.A.). Am 30. Juni 1989 ist der Angeklagte von dem Ermittlungsrichter erneut auf sein Recht, schon vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, hingewiesen worden (Bd. I Bl. 228 R d.A.). Diese Belehrungen sind vor der Nachvernehmung am 10. Juli 1989 wiederholt worden (Bd. IV Bl. 46 d.A.). Der Angeklagte hat darauf, wie er durch seine Unterschrift bestätigt hat, geantwortet: "Ich habe die Belehrung verstanden. Ich bin bereit, weiter zur Sache auszusagen. In dieser Sache habe ich bereits einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Meine Interessen werden von dem Rechtsanwalt Ba. aus K. am R. vertreten. Herr Ba. wird mich heute nachmittag in der JVA Osnabrück aufsuchen." Sodann bezeichnete der Angeklagte seine polizeiliche Tatschilderung vom 30. Juni 1989 als richtig und fügte hinzu, daß sich später sein Anwalt für ihn äußern solle. Den Polizeibeamten gelang es jedoch, den Angeklagten zu weiteren Angaben vor dem Eintreffen seines Rechtsanwalts zu bewegen (Bd. IV Bl. 47 ff. d.A.).

Dieses Verhalten der Polizeibeamten macht die Nachvernehmung vom 10. Juli 1989 nicht prozeßordnungswidrig. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Polizei die Sinnesänderung des Angeklagten durch nach § 136a StPO verbotene Maßnahmen oder sonst in rechtswidriger Weise erreicht hätte. Dies hat das Landgericht nicht festgestellt. § 136a StPO verbietet der Polizei nicht jede List (BGHSt 35, 328, 329). Der Angeklagte, der bereits 10 Tage zuvor ein polizeiliches und ein richterliches Geständnis abgelegt hatte, hat freiwillig ohne Anwesenheit seines Verteidigers Angaben gemacht. Er wußte, daß er dies nicht zu tun brauchte. Die vom Landgericht angenommene Täuschung darüber, daß nicht nur eine Befragung zu aufgetretenen Unklarheiten, sondern zum Tatgeschehen insgesamt beabsichtigt gewesen sei, ist für die Annahme eines Verwertungsverbots nach § 136a StPO unerheblich. Denn sie hat die Freiheit der Willensentschließung des Angeklagten ersichtlich nicht beeinträchtigt. Neben der Sache liegt es, wenn das Landgericht in diesem Zusammenhang dem Umstand Bedeutung beimißt, daß die Polizei den Angeklagten, der unter der Untersuchungshaft sehr gelitten habe, bedrängt habe, "die immerhin nun gewohnte Haftumgebung der JVA gegen eine für ihn noch fremdere Umgebung in den Büros der Kriminalpolizeiinspektion einzutauschen" (UA S. 78).

3. Zutreffend macht die Staatsanwaltschaft schließlich geltend, daß auch der Verwertung der polizeilichen Aussage der früheren Mitangeklagten C.B. vom 12. Juli 1989 keine rechtlichen Hindernisse entgegenstanden. Dazu hätten die Vernehmungsbeamten Br. und Ci. vernommen werden müssen. Der Senat teilt die Auffassung der Revision, daß dann, wenn diese Aussage und die polizeilichen Angaben des Angeklagten A. in die Hauptverhandlung eingeführt worden wären, eine Verurteilung der Angeklagten An. P. mindestens wegen eines Versuchs der Beteiligung an einem Totschlag nach den §§ 30, 212 StGB in Betracht gekommen wäre.

a) C. B. hat damals, wie die Revision richtig vorträgt, unter anderem ausgesagt (Bd. IV Bl. 14 ff.): "Es wurde dann ein konkreter Plan geschmiedet. Wir hatten uns darauf geeinigt, daß H. (P.) erstochen werden sollte ... Die ganze Sache sollte wie eine Selbsttötung aussehen ... Aus unserer Runde war An. (P.) die einzige, die Handschuhe hatte. Diese wollte sie zur Verfügung stellen ... An. und ich sind in die Küche der Wohnung des H. geschlichen. An. nahm hier aus der Schublade ein Brotmesser an sich ... und ... legte, wie abgesprochen, das Messer in der Kochnische auf dem Flur ab ... Wir alle waren damit einverstanden, den H. zu töten."

b) Die Strafkammer hält diese Aussage gemäß § 163a Abs. 4, § 136 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 136a StPO für unverwertbar (UA S. 159 f.), weil der Beschuldigten nicht die Möglichkeit gegeben worden sei, ihre Verteidigerin, mit der sie bereits in Kontakt getreten sei, zu der Vernehmung herbeizurufen, obwohl sie diesen Wunsch ihrem geistigen Vermögen entsprechend hinreichend deutlich gemacht habe. Auf die Beschuldigte sei unzulässiger Druck ausgeübt worden. Die Vernehmungsbeamten hätten ihr im Auftrag ihrer Eltern Geld und Kleidungsstücke mitgebracht, jedoch vor der Vernehmung noch nicht ausgehändigt. Die Angeklagte sei aus der ihr vertrauten Umgebung in der Justizvollzugsanstalt, in der sie sich wohl fühlte, in die Räume der KPI Hannover verbracht worden, was ihre Hilflosigkeit verstärkt habe. Als sie die erste Frage nicht beantwortete, habe sie der Zeuge Br. angeschrien.

c) All dies begründet weder für sich allein noch bei zusammenfassender Bewertung ein Verbot, die polizeiliche Aussage der früheren Mitangeklagten in der Hauptverhandlung zu verwerten.

Nicht nachvollziehbar ist, daß das Landgericht in dem Verhalten der Vernehmungsbeamten bezüglich des für die Beschuldigte bestimmten Geldes und ihrer Kleidungsstücke die Ausübung unzulässigen Drucks sieht. Die Vernehmungsbeamten haben damals ihr Verhalten aktenkundig gemacht. C. B. hat nach der von den Beamten erstellten Niederschrift insoweit erklärt (Bd. IV Bl. 12 f. d.A.): "Vor Vernehmungsbeginn ist mir gesagt worden, daß die mich vernehmenden Beamten im Auftrag meiner Eltern Geld und Kleidungsstücke mit zur JVA gebracht haben. Die Reisetasche mit den Kleidungsstücken wurde bereits in der JVA Hannover abgegeben. Von dem Geld wurden mir wunschgemäß Zigaretten gekauft. Den Rest des Geldes erhalte ich, wenn ich zur JVA zurückgebracht werde." Daß diese Aussage unrichtig ist, hat das Landgericht nicht festgestellt.

Auch die Vernehmung ohne die Verteidigerin begründet unter den hier vorliegenden Umständen kein Verwertungsverbot. Die damalige Beschuldigte war am 29. Juni 1989 und am 12. Juli 1989 von der Polizei und am 30. Juni 1989 vom Haftrichter über ihr Recht, jederzeit, auch schon vor ihrer Vernehmung, einen von ihr zu wählenden Verteidiger zu befragen, belehrt worden (Bd. I Bl. 64, 239 R; Bd. IV Bl. 12 d.A.). Daraufhin hat sie am 29. Juni 1989 erklärt, daß sie auf die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts verzichte, und am 12. Juli 1989, daß sie mittlerweile mit der Rechtsanwältin Ri. aus Hannover gesprochen habe und weiterhin aussagebereit sei. Auch in der Hauptverhandlung hat Frau B. nicht gesagt, daß sie damals auf einer Benachrichtigung ihrer Verteidigerin bestanden habe; sie habe den Polizeibeamten nur mitgeteilt, daß sie nunmehr eine Verteidigerin habe (UA S. 160). Aber selbst wenn die Vernehmungsbeamten aus dem Verhalten der damaligen Beschuldigten den nicht verbalisierten Wunsch, in Gegenwart ihrer Verteidigerin auszusagen, hätten entnehmen können, folgt daraus noch nicht die Unverwertbarkeit der ohne Verteidigerin gemachten Aussage. Denn die Vernommene hatte bereits vorher mit ihrer Verteidigerin Verbindung aufgenommen. Sie kannte ihre Beschuldigtenrechte und hat dennoch freiwillig ohne die Verteidigerin ausgesagt. Das Landgericht hat nicht festgestellt, daß sie dazu durch unzulässige Mittel veranlaßt worden ist. Anschreien als solches begründet kein Verwertungsverbot für die daraufhin gegebene Antwort. Hierfür kommt es auf die näheren Umstände der Vernehmungssituation an. Diese konnte das Landgericht nicht klären. Für eine rechtliche Bewertung fehlen Feststellungen dazu, mit welchen Worten oder Vorhaltungen Br. die Beschuldigte angeschrien und ob er ihr Vor- oder Nachteile für ein bestimmtes Aussageverhalten ausdrücklich oder konkludent angekündigt hat. Weder der Inhalt der Frage noch der der Antwort, die durch das Schreien veranlaßt worden sein soll, ist festgestellt.

II. Revision des Angeklagten S.

Die Revision führt zum Wegfall des Schuldspruchs wegen versuchter Bestimmung zur Begehung eines Totschlags. Im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der näheren Erörterung bedarf lediglich die Verurteilung nach § 30 StGB.

Zutreffend hat das Landgericht das Verhalten des Angeklagten S. gegenüber dem Angeklagten A. am Nachmittag des 28. Juni 1989 als Versuch der Beteiligung an der Tötung von H. P. gewertet. Ob es sich hierbei um eine versuchte Anstiftung des Angeklagten A. nach § 30 Abs. 1 StGB oder die Annahme von dessen Anerbieten nach § 30 Abs. 2 StGB handelt, ist unerheblich, weil auch die Annahme eines nicht ernstlich gemeinten Anerbietens den Tatbestand erfüllt (BGHSt 10, 388).

Für eine selbständige Bestrafung der Vorbereitungshandlung nach § 30 StGB ist jedoch dann kein Raum, wenn die "vorbereitete" Haupttat in gleichwertiger, nicht weniger schwerer Erscheinungsform zum Versuch oder zur Vollendung gediehen ist (BGHSt 9, 131, 134; 14, 378, 379). Eine versuchte Anstiftung ist auch dann subsidiär, wenn der Auffordernde selbst als Täter oder Mittäter das Verbrechen begeht, zu dem er einen anderen vergeblich zu bestimmen versucht hatte (vgl. BGHSt 8, 38; Roxin in LK, 10. Aufl. § 30 Rdn. 54). So liegt es hier. Nur wenn die vom Angeklagten S. vergeblich vorbereitete Tötung von H. P. durch Messerstiche des Angeklagten A. als eine schwerere Begehungsform des Totschlags anzusehen wäre als die dann vorgenommene Mißhandlung auf dem Treppenflur mit "nur" bedingtem Tötungsvorsatz, wäre Raum für eine gesonderte Verurteilung nach § 30 StGB. Dies braucht der Senat jedoch nicht zu entscheiden. Denn die Straftat nach § 30 StGB wäre jedenfalls dann subsidiär, wenn der Angeklagte S. nach dem gescheiterten Anstiftungsversuch die Absicht, H. P. zu töten, nicht aufgegeben, sondern nur das Mittel - statt Erstechen tödlicher Wurf über das Treppengeländer - gewechselt hätte. Eine solche Vorstellung des Angeklagten hat das Landgericht nicht ausgeschlossen (UA S. 45). Es konnte sie wegen des Grundsatzes "im Zweifel für den Angeklagten" zwar der Verurteilung nicht zugrundelegen, mußte sie aber bei der Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses der Straftaten nach §§ 30, 212 und nach §§ 22, 212 StGB beachten, weil sie ohne weiteres den dem Angeklagten günstigeren Schuldspruch, nämlich den Fortfall der gesonderten Verurteilung nach § 30 StGB, ermöglicht.

Dies führt aber nicht, wie der Generalbundesanwalt beantragt, zum Freispruch von der versuchten Anstiftung. Denn der Angeklagte hat eine strafbare versuchte Anstiftung begangen. Sie wird nur deswegen nicht in den Schuldspruch aufgenommen, weil ihr Unrechtsgehalt von der Verurteilung wegen versuchten Totschlags mit erfaßt und dort im Rahmen der Strafzumessung gewertet wird (BGHR StGB § 30 I 1 Konkurrenzen 2). Deshalb bestehen auch keine Bedenken, die von der Strafkammer für das Tatgeschehen am 28. Juni 1989 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren als Einzelstrafe aufrechtzuerhalten. Im Hinblick auf die Strafzumessungsgründe des Landgerichts (UA S. 200 ff.) schließt der Senat aus, daß die Strafkammer bei richtiger Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses eine niedrigere Freiheitsstrafe für den allein bestehen bleibenden Totschlagsversuch verhängt hätte.

III. Revision des Angeklagten A.

Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung und eines tatmehrheitlich begangenen Totschlagsversuchs ist auf der Grundlage der insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen rechtlich möglich (vgl. BGH bei Holtz MDR 1979, 279; BGH NJW 1957, 1643) und beschwert den Angeklagten nicht. Ob eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag auf wahldeutiger Tatsachengrundlage in Betracht gekommen wäre (vgl. BGHSt 35, 305; BGH bei Holtz MDR 1977, 282; BGHR StGB vor § 1/WF Tatsachenalternativität 1), kann offenbleiben. Der Senat schließt aus, daß das Landgericht bei einer solchen Beurteilung auf eine Strafe erkannt hätte, die niedriger wäre als die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchtem Totschlag.

Die Strafzumessungserwägungen lassen auch sonst keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts brauchte die Strafkammer die Vorschrift des § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG nicht strafmildernd zu berücksichtigen. Danach wird ein Ausländer ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden ist. Diese Bestimmung ist auf den Beschwerdeführer, der als Portugiese Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates der Europäischen Gemeinschaft ist, jedenfalls nach Ablauf der Übergangszeit Ende 1992 nicht anzuwenden (vgl. § 2 Abs. 2 AuslG, § 15b AufenthG/EWG; Kanein/Renner, AusländerR 5. Aufl. § 2 AuslG Rdn. 18, § 45 AuslG Rdn. 27). Nach § 12 Abs. 4 AufenthG/EWG genügt für EG-Ausländer die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich allein nicht, um die Ausweisung zu verfügen. Da die Ausweisung für den Angeklagten nicht zwingend vorgeschrieben ist, gehört diese mögliche Folge der Verurteilung nicht zu den bestimmenden Strafzumessungsgründen im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO. Das Landgericht brauchte sich daher mit diesem Milderungsgrund nicht ausdrücklich auseinanderzusetzen.

IV. Der vom Generalbundesanwalt beantragten Feststellung, daß das Oberlandesgericht Oldenburg zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kosten- und Entschädigungsentscheidung bezüglich der rechtskräftig freigesprochenen früheren Mitangeklagten C. B. zuständig ist, bedarf es nicht. Denn die Beschwerdeführerin hat keine Entscheidung des Bundesgerichtshofes beantragt. Dessen Unzuständigkeit ergibt sich aus § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO und § 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG (vgl. BGHR StPO § 464 III Zuständigkeit 1 und 3).

Externe Fundstellen: BGHSt 38, 291; NJW 1992, 2903; NStZ 1992, 502; StV 1992, 451

Bearbeiter: Rocco Beck