HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 979
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 36/24, Beschluss v. 14.05.2024, HRRS 2024 Nr. 979
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 10. Juli 2023
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte zu Tat III. 1. der Urteilsgründe des Handeltreibens mit Cannabis schuldig ist;
b) in den Aussprüchen über die zugehörige Einzelstrafe, die Gesamtstrafe und die Maßregel aufgehoben; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Tat III. 3. der Urteilsgründe), wegen gefährlicher Körperverletzung (Tat III. 2.) und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Tat III. 1.) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Verfahrens- und Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils führt zu einer durch das Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I 2024, Nr. 109) erforderlich gewordenen (§ 354a StPO) Änderung des Schuldspruchs bezüglich der Tat III. 1. der Urteilsgründe. Das insoweit festgestellte Tatgeschehen - der Angeklagte hielt am 16. September 2022 mehrere mit insgesamt 7,44g Cannabis abgepackte Snaptütchen zum gewinnbringenden Weiterverkauf bereit - ist nunmehr als Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG zu beurteilen. Die Regelung des § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der zu den äußeren Gegebenheiten geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
2. Die gesetzliche Neuregelung zwingt angesichts der abgesenkten Strafrahmenobergrenze zur Aufhebung der für die Tat III. 1. verhängten Einzelstrafe, weil nicht auszuschließen ist, dass das Landgericht auf eine drei Monate Freiheitsstrafe unterschreitende Einzelstrafe erkannt hätte. Dies entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage, so dass sie ebenfalls aufzuheben ist.
3. Auch der Maßregelausspruch hat keinen Bestand.
Der Senat hat seiner Entscheidung gemäß § 354a StPO die zum 1. Oktober 2023 in Kraft getretene Neufassung des § 64 StGB (BGBl. 2023 I Nr. 203) zugrunde zu legen. Die dort normierten und nach § 2 Abs. 6 StGB auch für Altfälle geltenden Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt werden durch das Urteil nicht hinreichend belegt. Das gilt namentlich für den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Substanzkonsum des Täters und der Begehung von Straftaten. Denn die Anlasstat muss nun „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Nach dem Willen des Gesetzgebers reicht eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht - unter sachverständiger Beratung - positiv festzustellen (BT-Drucks. 20/5913 S. 46, 69 f.; BR-Drs. 687/22, S. 50 ff., 79; s. auch BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2023 - 5 StR 246/23, NStZ 2024, 161 Rn. 3; vom 7. November 2023 - 5 StR 345/23; vom 13. Dezember 2023 - 3 StR 304/23, juris Rn. 16 mwN; Urteil vom 27. März 2024 - 3 StR 370/23).
Bei seiner vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens getroffenen Entscheidung hat das Landgericht diesen strengeren Anordnungsmaßstab nicht anwenden können. Es hat lediglich festgestellt, dass der Rauschmittelkonsum des Angeklagten „die Begehung der Taten zu III. 2. und 3. jeweils begünstigt hat“. Damit ist zwar eine - zum Urteilszeitpunkt für die Unterbringung nach § 64 Satz 1 StGB aF ausreichende - Mitursächlichkeit seines Konsums für die Straftaten des Angeklagten belegt; jedoch fehlt eine Aussage dazu, inwieweit letzterer der entscheidende Grund für die verfahrensgegenständlichen Taten war.
Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit erneuter Prüfung und Entscheidung. Durch die Aufhebung der Unterbringungsentscheidung wird zugleich der Anordnung des Vorwegvollzugs der Strafe vor der Maßregel (§ 67 Abs. 2 Satz 4 StGB) die Grundlage entzogen.
4. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil sie von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Eine Ergänzung um solche Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, ist möglich.
5. Im Übrigen hat die auf die Revision veranlasste Nachprüfung des Urteils keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 979
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede