HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1348
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 134/24, Beschluss v. 23.07.2024, HRRS 2024 Nr. 1348
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 5. Dezember 2023 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die Verfahrensrüge, mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren geltend macht, ist jedenfalls unbegründet.
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde.
Der Angeklagte und der nicht revidierende Mitangeklagte wurden für eine Vorführung beim Haftrichter von R. nach T. gebracht und dort gemeinsam in einer Gewahrsamszelle untergebracht. Zuvor hatte das Amtsgericht die akustische Innenraumüberwachung dieses Haftraums angeordnet. Als Grund für die gemeinsame Unterbringung teilten die Ermittlungsbeamten den Angeklagten wahrheitswidrig mit, alle anderen Gewahrsamszellen seien belegt. Im Rahmen der Überwachung wurde ein Gespräch aufgezeichnet, in dem der Angeklagte versuchte, den Mitangeklagten zu überreden, die Verantwortung für die Tat auf sich zu nehmen und den Angeklagten zu entlasten. Der Angeklagte widersprach der Verwertung dieses Gesprächs in der Hauptverhandlung. Das Landgericht hat die Angaben der Angeklagten als verwertbar angesehen.
2. Bedenken bestehen bereits gegen die Zulässigkeit der Verfahrensrüge insofern, als der im Urteil verwertete Gesprächsteil in der Revisionsbegründung lediglich zusammengefasst wiedergegeben und das Überwachungsprotokoll nicht im Wortlaut vorgelegt wird.
3. Davon unabhängig hat die Verfahrensrüge in der Sache keinen Erfolg.
a) Das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren wurzelt im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt eines staatlichen Verfahrens herabzuwürdigen, und es verpflichtet den Staat zu korrektem und fairem Verfahren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. März 2009 - 2 BvR 2025/07, juris Rn. 14 mwN; BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 701/98, BGHSt 53, 294 Rn. 34 ff.).
aa) Die Ausgestaltung des Strafverfahrensrechts in einer Weise, dass der Grundsatz des fairen Verfahrens gewahrt wird, ist in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann - in den vom Gesetz gezogenen Grenzen - den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsanwendung und -auslegung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Forderungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. März 2009 - 2 BvR 2025/07, juris Rn. 15; vom 26. Mai 1981 - 2 BvR 215/81, BVerfGE 57, 250, 276; vom 17. Mai 1983 - 2 BvR 731/90, BVerfGE 64, 135, 145 f.). Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Februar 1978 - 2 BvR 406/77, BVerfGE 47, 239, 250; vom 14. September 1989 - 2 BvR 1062/87, BVerfGE 80, 367, 375). Das Rechtsstaatsprinzip, das die Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält, fordert nicht nur eine faire Ausgestaltung und Anwendung des Strafverfahrensrechts. Es gestattet und verlangt auch die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Juli 1972 - 2 BvL 7/71, BVerfGE 33, 367, 383; vom 20. Oktober 1977 - 2 BvR 631/77, BVerfGE 46, 214, 222). Der Rechtsstaat kann sich aber nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 19. Juli 1972 - 2 BvL 7/71, BVerfGE 33, 367, 383; vom 20. Oktober 1977 - 2 BvR 631/77, BVerfGE 46, 214, 222; vom 18. März 2009 - 2 BvR 2025/07, juris Rn. 16).
bb) Das Recht auf ein faires Verfahren umfasst dabei das Recht jedes Angeklagten auf Wahrung seiner Aussage- und Entschließungsfreiheit innerhalb des Strafverfahrens. Es hat in dem verfassungsrechtlich verankerten Gebot der Selbstbelastungsfreiheit („nemo tenetur se ipsum accusare“) und in den Vorschriften der §§ 136a, 163a Abs. 4 Satz 2 StPO seinen Niederschlag gefunden. Das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung bedeutet, dass im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98 und 1 BvR 1084/99, BVerfGE 109, 279, 324; Beschluss vom 13. Januar 1981 - 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37, 49; BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 701/98, BGHSt 53, 294 Rn. 36).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind das Schweigerecht eines Beschuldigten und seine Entscheidungsfreiheit, in einem Strafverfahren auszusagen oder zu schweigen, - über die Anwendung von Zwang hinaus - dann verletzt, wenn die Strafverfolgungsbehörden in einem Fall, in dem sich der Beschuldigte für das Schweigen entschieden hat, eine Täuschung anwenden, um ihm ein Geständnis oder andere belastende Angaben zu entlocken, die sie in einer Vernehmung nicht erlangen konnten, und die so gewonnenen Geständnisse oder selbst belastenden Aussagen in den Prozess als Beweise einführen (vgl. EGMR, Urteil vom 5. November 2002 - 48539/99, JR 2004, 127 Rn. 50). Ob das Schweigerecht in einem solchen Maß missachtet wurde, dass eine Verletzung von Art. 6 MRK gegeben ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. EGMR, Urteil vom 5. November 2002 - 48539/99, JR 2004, 127 Rn. 51).
Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das heimliche und täuschende, durch Ermittlungsbehörden veranlasste Ausfragen des Beschuldigten durch private oder verdeckt ermittelnde Personen gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, obwohl hier der Schwerpunkt nicht im Zwang zur Mitwirkung des Beschuldigten, sondern in der Heimlichkeit seiner Ausforschung oder der bewussten Mitteilung eines unvollständigen Sachverhalts liegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Mai 1996 - GSSt 1/96, BGHSt 42, 139, 156 f.; vom 26. April 2017 - 2 StR 247/16, BGHSt 62, 123 Rn. 53 ff. [obiter dictum]; siehe auch KK-StPO/Lohse/Jakobs, 9. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 56). Entscheidend ist danach, ob der Beschuldigte in einer vernehmungsähnlichen Situation gegen seinen Willen zu einer Selbstbelastung gedrängt wird. Dabei ist zu beachten, ob sich der Beschuldigte in Haft befindet, sich bereits auf sein Schweigerecht berufen hatte und mit welcher Intensität, insbesondere bei beharrlichem Drängen unter Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses, auf den Beschuldigten staatlich zurechenbar eingewirkt wurde (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Mai 2010 - 5 StR 51/10, BGHSt 55, 138 Rn. 22 ff.; vom 31. März 2011 - 3 StR 400/10, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 fair-trial 7 Rn. 12 ff.; vom 27. Januar 2009 - 4 StR 296/08, NStZ 2009, 343, 344; KK-StPO/Lohse/Jakobs, 9. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 56). Überdies besteht ein Beweisverwertungsverbot bei einer heimlichen Überwachung von Ehegattengesprächen in einem eigens dafür zugewiesenen separaten Besuchsraum ohne die übliche erkennbare Überwachung in der Untersuchungshaft (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 701/98, BGHSt 53, 294 Rn. 37 ff.).
b) Gemessen an diesen Maßstäben ist das Vorgehen der Ermittlungsbeamten hinzunehmen und das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren nicht verletzt. Maßgeblich ist, dass mit der wahrheitswidrigen Angabe der Ermittlungsbeamten, alle anderen Gewahrsamszellen seien belegt, keine Aussage darüber verbunden war, die Angeklagten könnten sich ungestört und ohne jegliche Überwachung über den Tatvorwurf austauschen. Die Mitteilung diente vielmehr lediglich dazu, die Heimlichkeit der angeordneten Überwachungsmaßnahme zu verdecken. Somit ist anders als in dem zuletzt genannten Fall durch das Vorgehen der Polizeibeamten kein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand auf Seiten des Angeklagten und des Mitangeklagten dahin geschaffen worden, sie könnten sich unüberwacht unterhalten. Ein entsprechender Erklärungswert war mit der Erläuterung zur Belegung der Hafträume nicht verbunden.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1348
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede