HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1381
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 112/24, Beschluss v. 25.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1381
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 8. Dezember 2023
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Einfuhr von Cannabis in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis in drei Fällen sowie der Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis schuldig ist;
b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben; jedoch werden die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen sowie wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Entscheidung über den Maßstab der Anrechnung in den Niederlanden erlittener Auslieferungshaft getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils führt zur Änderung des Schuld- und zur Aufhebung des Strafausspruchs.
a) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen transportierte der Angeklagte am 14. und 16. Juli 2020 als Fahrer mit dem Pkw seiner Mutter jeweils mindestens drei Kilogramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 450 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC) von den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland; dabei hatte er die Absicht, den gewinnbringenden Verkauf des Marihuanas eines niederländischen Lieferanten in Deutschland zu fördern (Fälle II. 1 und 2 der Urteilsgründe). Am 27. August 2020 transportierte er als Fahrer ein weiteres Kilogramm mit einer Wirkstoffmenge von 150 Gramm THC (Fall II. 3 der Urteilsgründe). In der Folgezeit verlagerten sich der gewinnbringende Weiterverkauf und die Übergabe des Marihuanas an die Abnehmer auf Parkplätze in den Niederlanden nahe der deutschen Grenze. In Kenntnis dieser Umstände stellte der Angeklagte zu diesem Zweck in der Zeit vom 21. Oktober bis zum 5. Dezember 2020 einem unbekannten Kurier den Pkw seiner Mutter für jedenfalls drei weitere Fahrten zur Verfügung, wobei dieser jeweils mindestens ein Kilogramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 150 Gramm THC transportierte (Fall II. 4 der Urteilsgründe).
Das Landgericht hat die Fälle II. 1 bis 3 der Urteilsgründe jeweils als Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 StGB) und das Tathandeln des Angeklagten im Fall II. 4 der Urteilsgründe als Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 StGB) gewertet.
Der Schuldspruch hat in diesen Fällen keinen Bestand, weil das Landgericht den Angeklagten für seinen Umgang mit Marihuana - entsprechend der zum Urteilszeitpunkt geltenden Rechtslage - nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt hat. Am 1. April 2024 ist jedoch das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KcanG) vom 27. März 2024 in Kraft getreten (BGBl. 2024 I Nr. 109). Diese Rechtsänderung hat der Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO zu berücksichtigen. Nach der Neuregelung unterfällt Cannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz. Die Strafbarkeit der zu beurteilenden Taten bestimmt sich nunmehr nach dem Konsumcannabisgesetz (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Mai 2024 - 5 StR 1/24, juris Rn. 4; vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24, juris Rn. 4 f. mwN).
Das insoweit festgestellte Tatgeschehen ist deshalb in Fall II. 1 bis 3 der Urteilsgründe als Einfuhr von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 5 KCanG) in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB) und in Fall II. 4 der Urteilsgründe als Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB) zu werten. Dass sich die Taten auf Cannabis in nicht geringer Menge bezogen, stellt lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall dar (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG), das im Schuldspruch keinen Ausdruck findet (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2024 4 - 3 StR 96/24, juris Rn. 12; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 260 Rn. 31 mwN). Die neue Rechtslage unter dem Konsumcannabisgesetz ist bei dem nach § 2 Abs. 3 StGB im Einzelfall gebotenen konkreten Gesamtvergleich angesichts der nunmehr anwendbaren milderen Strafrahmen für den Angeklagten günstiger als die nach dem Tatzeitrecht (§ 30 Abs. 1 Nr. 4, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG); sie ist daher gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StGB maßgeblich.
Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO wie aus der Beschlussformel ersichtlich. Die Regelung des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der umfassend geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
b) Angesichts der Gesetzesänderung bedarf der Strafausspruch der Aufhebung.
Die Einzelstrafen in Fall II. 1 bis 3 der Urteilsgründe zwischen zwei Jahren und sechs sowie zwei Jahren und zehn Monaten können nicht bestehen bleiben, weil § 34 Abs. 3 KCanG einen erheblich milderen Strafrahmen als § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG vorgibt. Auch die Einzelstrafe im Fall II. 4 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, da die rechtliche Würdigung als Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis aufgrund des Vorliegens des gesetzlich vertypten Milderungsgrunds (§ 27 Abs. 2 Satz 2 StGB) einen milderen Strafrahmen zur Folge hat, entweder durch ein Ablehnen der Regelwirkung des § 34 Abs. 3 KCanG oder infolge einer Milderung des dort vorgesehenen Strafrahmens gemäß § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB.
Es ist daher ungeachtet des beachtlichen Schuldumfangs und der - unter dem Konsumcannabisgesetz nicht mehr statthaften (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2024 - 3 StR 96/24, juris Rn. 15) - strafmildernden Berücksichtigung der im Vergleich zu anderen Drogen geringeren Gefährlichkeit von Marihuana nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei Anwendung der jeweils einschlägigen Strafrahmen niedrigere Einzelstrafen gegen den Angeklagten verhängt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO). Die Einzelstrafen sind daher neu zu bemessen. Dies zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
Einer Aufhebung der zugehörigen Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Soweit die Strafkammer zu Gunsten des Angeklagten in allen Fällen gewertet hat, dass es sich bei Marihuana um eine sogenannte weiche Droge handele, liegt darin keine Tatsachenfeststellung. Das zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese den bisherigen nicht widerstreiten.
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1381
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede