HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 816
Bearbeiter: Fabian Afshar
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 65/23, Beschluss v. 02.05.2023, HRRS 2023 Nr. 816
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 18. August 2022 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der absichtlichen schweren Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung und mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt sowie eine Entscheidung über die Anrechnung im Ausland vollzogener Auslieferungshaft getroffen. Gegen das Urteil wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen erhielten der Angeklagte und ein Mittäter von einer bislang unbekannten Person unter Zusage einer Entlohnung oder eines anderweitigen Vorteils den Auftrag, einen Anschlag auf den Nebenkläger zu verüben, der Mitglied des Vorstandes eines in Nordrhein-Westfalen ansässigen Energieversorgungsunternehmens ist. Das Tatopfer sollte massiv verletzt werden, wobei das Motiv des Auftraggebers ungeklärt geblieben ist.
Der Angeklagte und sein Mittäter kundschafteten die Lebensgewohnheiten des ihnen unbekannten Nebenklägers aus und passten ihn am 4. März 2018 auf einer Straße in unmittelbarer Nähe seines Wohnhauses ab. Sie brachten ihn rücklings zu Boden und schütteten ihm hochkonzentrierte Schwefelsäure in das Gesicht. Dabei handelten sie in der Absicht, dem Tatopfer durch Verätzung schwere, ihn dauerhaft entstellende Verletzungen beizubringen und ihn auf beiden Augen vollständig erblinden zu lassen. Sie wollten den Nebenkläger jedoch weder töten noch in konkrete Lebensgefahr bringen. Das Anschlagsopfer überlebte, erlitt allerdings schwerste Verletzungen im Gesicht und vor allem im Bereich der Augen, die eine Vielzahl von Operationen erforderlich machten und unter anderem zu seiner dauerhaften und erheblichen Entstellung führten. Sein Sehvermögen auf beiden Augen konnte gerettet werden.
Die auf die allgemeine Sachrüge hin veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Im Übrigen weist das Urteil keinen ihn beschwerenden Rechtsmangel auf.
1. Die Strafkammer hat den Angeklagten auf der Basis insgesamt rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen rechtlich zutreffend wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 226 Abs. 1 Nr. 3 Variante 1, Abs. 2 Alternative 1 StGB verurteilt. Denn die Körperverletzungshandlung führte dazu, dass das äußere Gesamterscheinungsbild des Tatopfers durch deutlich sichtbare große Narben und sonstige Hautveränderungen im Gesicht sowie signifikante Einschränkungen der Mimik auf Dauer stark negativ beeinträchtigt ist. Damit wurde der Nebenkläger in erheblicher Weise dauernd entstellt (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 5 StR 420/15, juris Rn. 10; LK/Grünewald, StGB, 12. Aufl., § 226 Rn. 18 ff.; MüKoStGB/Hartung, 4. Aufl., § 226 Rn. 31 ff.; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 226 Rn. 3 ff.). Auf diese Tatfolge kam es dem Angeklagten an, so dass die Qualifikation des § 226 Abs. 2 Alternative 1 StGB verwirklicht ist. Dies hat die Strafkammer mit der Tenorierung der Tat als absichtliche schwere Körperverletzung in der gebotenen Weise zum Ausdruck gebracht (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2007 - 4 StR 522/06, NJW 2007, 1988 Rn. 17).
2. Auch die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 1 und 4 StGB ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Das Tatmittel der hochkonzentrierten Schwefelsäure, die aufgrund ihrer stark ätzenden Wirkung zu massiven Schädigungen der Gesichtshaut, des Gewebes und der Muskulatur des Gesichts sowie der Augen des Tatopfers führte, stellte einen chemisch auf den Körper einwirkenden und im konkreten Fall zur Herbeiführung einer erheblichen Gesundheitsschädigung geeigneten Stoff dar, mithin ein Gift im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 StGB (vgl. MüKoStGB/Hartung, 4. Aufl., § 224 Rn. 9; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 224 Rn. 2b; s. auch BGH, Urteile vom 30. Juni 1976 - 3 StR 469/75, NJW 1976, 1851 f.; vom 12. August 1960 - 4 StR 294/60, BGHSt 15, 113, 114 f.). Der Angeklagte handelte arbeitsteilig zusammen mit einem Mittäter, so dass auch das Merkmal der gemeinschaftlichen Tatbegehung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erfüllt ist. Da die Tatmodalitäten der Verwendung von Gift und des gemeinschaftlichen Handelns weder notwendiger- noch typischerweise bei einer schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 Variante 1 StGB verwirklicht werden, ist gegen die Annahme von Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) zwischen der (absichtlichen) schweren Körperverletzung und der gefährlichen Körperverletzung hier rechtlich nichts zu erinnern (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2013 - 3 StR 301/13, NJW 2014, 645 Rn. 3; LK/Grünewald, StGB, 12. Aufl., § 226 Rn. 40; s. auch BGH, Beschlüsse vom 14. März 2017 - 4 StR 646/16, NStZ-RR 2017, 173; vom 9. Februar 2021 - 3 StR 382/20, NStZ-RR 2021, 138; vom 21. Oktober 2008 - 3 StR 408/08, BGHSt 53, 23 Rn. 4).
3. Dagegen hält der Schuldspruch der revisionsrechtlichen Kontrolle insofern nicht stand, als die Strafkammer den Angeklagten zudem in weiterer Tateinheit wegen versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 226 Abs. 1 Nr. 1 Variante 1, Abs. 2 Alternative 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB verurteilt hat, weil sein Tathandeln neben der - eingetretenen - dauerhaften erheblichen Entstellung des Nebenklägers darauf abzielte, ihn erblinden zu lassen.
Denn mit den in § 226 Abs. 1 StGB beschriebenen verschiedenen Tatfolgen werden nicht jeweils eigenständige Straftatbestände bezeichnet, sondern allein Varianten der Erfolgsqualifikation der schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 StGB (vgl. BeckOK StGB/Eschelbach, 56. Ed., § 226 Rn. 49; LK/Grünewald, StGB, 12. Aufl., § 226 Rn. 40; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 226 Rn. 12). Beabsichtigt der Täter daher - wie hier - die Verursachung mehrerer der in § 226 Abs. 1 StGB aufgeführten Tatfolgen und gelingt ihm das bezüglich einer, hinsichtlich einer anderen jedoch nicht, ist der Qualifikationstatbestand des § 226 Abs. 2 Alternative 1 StGB insgesamt vollendet. Eine weitere Strafbarkeit wegen versuchter Verwirklichung des § 226 Abs. 2 Alternative 1 StGB ist daneben nicht gegeben.
Eine Fallkonstellation dahin, dass der Täter eine in § 226 Abs. 1 StGB bezeichnete Tatfolge herbeizuführen beabsichtigt, dieses Ziel indes nicht erreicht, zugleich aber eine andere Tatfolge gemäß § 226 Abs. 1 StGB bewirkt, insofern aber allein fahrlässig oder mit bedingtem Vorsatz handelt, und in der deshalb eine Strafbarkeit wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung gegeben wäre (vgl. dazu LK/Grünewald, StGB, 12. Aufl., § 226 Rn. 40; MüKoStGB/Hartung, 4. Aufl., § 226 Rn. 53), liegt hier nicht vor.
Der Senat lässt daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung entfallen; § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen.
4. Der Strafausspruch bleibt von der Schuldspruchänderung unberührt. Es ist auszuschließen, dass die Strafkammer bei zutreffender rechtlicher Würdigung eine mildere Strafe verhängt hätte. Denn der Umstand, dass der Angeklagte neben der von ihm beabsichtigten und erreichten erheblichen dauerhaften Entstellung des Nebenklägers dessen vollständige Erblindung erstrebte, wirkt ungeachtet des vorstehend Ausgeführten schulderhöhend.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO. Der geringfügige Erfolg des Rechtsmittels lässt es nicht unbillig erscheinen, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 816
Bearbeiter: Fabian Afshar