HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1156
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 155/23, Beschluss v. 26.07.2023, HRRS 2023 Nr. 1156
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aurich vom 22. November 2022 wird
a) von der Einziehung eines Schuhkartons mit einem Paar Schuhen abgesehen und die Verfolgung der Tat auf die übrigen Rechtsfolgen beschränkt;
b) das Urteil aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der räuberischen Erpressung in zwei Fällen, der versuchten räuberischen Erpressung, der Erpressung in vier Fällen und des Betruges in zwei Fällen schuldig ist, bb) im Adhäsionsausspruch hinsichtlich der festgestellten Ersatzpflicht für materielle und immaterielle Schäden wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, dem Adhäsionskläger sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die diesem künftig infolge der zu seinem Nachteil im Zeitraum von Juli 2021 bis März 2022 begangenen Taten entstehen, sofern sie nicht auf einen Träger der Sozialversicherung übergegangen sind.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten sowie die den Neben- und Adhäsionsklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Erpressung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung, wegen versuchter räuberischer Erpressung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit räuberischer Erpressung, sowie wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verurteilt. Zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen und mehrerer sichergestellter Gegenstände angeordnet. Ferner hat es verschiedene Adhäsionsentscheidungen getroffen und im Übrigen von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abgesehen. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Soweit das Landgericht die Einziehung eines Schuhkartons mit einem Paar Schuhen angeordnet hat, sieht der Senat mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 2 StPO von der Einziehung ab, da diese neben den übrigen Rechtsfolgen nicht ins Gewicht fällt.
2. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und genügt damit nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
3. Die Sachrüge hat eine Änderung des Schuldspruchs in Bezug auf die Taten unter II. 4. und II. 6. der Urteilsgründe sowie eines Teils des Adhäsionsausspruchs zur Folge. Im Übrigen hat die materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht.
a) Nach den vom Landgericht unter II. 4. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen forderte der Angeklagte ab dem 20. September 2021 von dem Neben- und Adhäsionskläger 300.000 € und drohte damit, dass er kompromittierende Fotos an dessen Mutter übersenden werde und der Adressat sowie dessen Familie durch andere Personen verletzt oder getötet würden. Aus Angst vor der Umsetzung der Drohungen überwies der Neben- und Adhäsionskläger zunächst insgesamt 1.425 € und letztmalig 500 € Ende Januar 2022. Trotz fortlaufender Einwirkung erbrachte der Betroffene keine weiteren Zahlungen und wandte sich schließlich an die Polizei.
Diese rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen nicht die rechtliche Bewertung der Strafkammer, der Angeklagte habe sich insoweit in Tateinheit mit der räuberischen Erpressung - in Bezug auf die tatsächlich geleisteten Zahlungen - auch wegen versuchter räuberischer Erpressung - hinsichtlich der darüber hinausgehenden Gesamtforderung - gemäß § 253 Abs. 1, §§ 255, 22, 23, 52 StGB strafbar gemacht. Vielmehr liegt lediglich eine einheitliche räuberische Erpressung vor. Der Versuch eines Deliktes tritt regelmäßig hinter die Vollendung desselben gleichwertigen Deliktes zu Lasten des identischen Geschädigten zurück (vgl. BGH, Urteile vom 6. April 2005 - 5 StR 22/05, NStZ-RR 2005, 201, 202; vom 23. Januar 1957 - 2 StR 565/56, BGHSt 10, 230, 232; LK/Rissing-van Saan, StGB, 13. Aufl., Vorbemerkungen zu den §§ 52 ff. Rn. 151; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 30. Aufl., Vorbemerkungen zu den §§ 52 ff. Rn. 110, 112; SK-StGB/Jäger, 9. Aufl., Vorbemerkungen vor § 52 Rn. 99; im Sinne einer Spezialität NK-StGB/Puppe/Grosse-Wilde, 6. Aufl., Vorbemerkungen zu §§ 52-55 Rn. 14; SSW-StGB/Eschelbach, 5. Aufl., § 52 Rn. 9).
Dies gilt auch für den Fall, dass in Bezug auf den konkreten Tatbestand noch ein weiterer, vom selben Schutzgut erfasster Taterfolg erstrebt war (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - 4 StR 487/15, BGHR StGB § 306 Konkurrenzen 2 Rn. 24; entsprechend zum Diebstahl BGH, Beschluss vom 10. Februar 2009 - 3 StR 3/09, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Konkurrenzen 4 Rn. 3; demgegenüber zum Angriff auf unterschiedliche Personen bei höchstpersönlichen Rechtsgütern etwa BGH, Beschluss vom 8. November 2011 - 3 StR 316/11, BGHR StGB § 249 Abs. 1 Konkurrenzen 6 Rn. 7). Aus der vom Landgericht für seine abweichende Ansicht herangezogenen Entscheidung (BGH, Urteil vom 30. November 1995 - 5 StR 465/95, BGHSt 41, 368, 371) ergibt sich nichts anderes. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof aufgrund des damals maßgeblichen Sachverhalts, bei dem der eine Schusswaffe führende Täter statt erstrebter 1.000.000 DM lediglich 4.000 DM erzielte, die Tat im Schuldspruch allein als schwere räuberische Erpressung beurteilt (s. den dortigen Tenor zu Tatkomplex 5, BGH, Urteil vom 30. November 1995 - 5 StR 465/95, juris vor Rn. 1). Soweit er auf den weitergehenden, auf Erlangung einer höheren Summe gerichteten fehlgeschlagenen Versuch einer Erpressung eingegangen ist, hat sich dies nicht auf die konkurrenzrechtliche Bewertung von Versuch und Vollendung, sondern auf die Abgrenzung der Tat von dem anschließenden Geschehen bezogen.
Danach ist der Angeklagte in Bezug auf den konkreten Lebenssachverhalt allein der räuberischen Erpressung, nicht noch einer versuchten solchen schuldig. Die Tat ist angesichts der vom Geschädigten geleisteten Teilzahlung vollendet. Soweit der Angeklagte nicht die gesamte erstrebte Beute erhielt, gibt dies der Tat in rechtlicher Hinsicht kein anderes Gepräge. Insbesondere ist eine Aufnahme des Versuchsdelikts in den Tenor nicht erforderlich, um das begangene Unrecht zum Ausdruck zu bringen. Der Senat hat den Schuldspruch daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO geändert und die versuchte räuberische Erpressung entfallen lassen.
b) Hinsichtlich der Tat unter II. 6. der Urteilsgründe hat sich der Angeklagte gleichfalls wegen räuberischer Erpressung statt wegen Erpressung in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung strafbar gemacht, so dass der Schuldspruch insoweit ebenso zu ändern ist.
Nach den dazu vom Landgericht getroffenen Feststellungen forderte der Angeklagte einen anderen Geschädigten zu Geldüberweisungen unter der Drohung auf, dass er ansonsten kompromittierende Bilder veröffentlichen und dem Arbeitgeber zur Verfügung stellen sowie dem Angegangenen körperliche Gewalt antun werde. Aus Angst davor, dass diese Ankündigung umgesetzt werde, überwies der Bedrohte im März 2022 dreimal je 250 €. Im Folgenden leistete er trotz weiterer Forderungen keine Zahlungen mehr.
Mithin drohte der Angeklagte in diesem Fall ebenso mit gegenwärtiger Leibesgefahr im Sinne des § 255 StGB. Gegenwärtig kann auch eine Dauergefahr sein, die wie hier innerhalb eines längeren Zeitraums jederzeit in einen Schaden umschlagen kann; das angedrohte schädigende Ereignis muss nicht unmittelbar bevorstehen (s. BGH, Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 390/11, juris; Urteil vom 9. Oktober 2014 - 4 StR 208/14, NStZ 2015, 36 f.). Nach dem Zusammenhang bezog sich die Androhung körperlicher Gewalt zudem nicht lediglich auf unbedeutende Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1955 - 4 StR 8/55, BGHSt 7, 252, 254; Beschluss vom 18. August 2020 - 5 StR 318/20, juris Rn. 17 mwN). Die Drohung hatte mehrere Zahlungen zur Folge. Angesichts der folglich vollendeten räuberischen Erpressung kommt hier daneben eine Verurteilung wegen eines in Tateinheit damit begangenen, auf höhere Zahlungen desselben Opfers gerichteten räuberischen Erpressungsversuches aus den bereits dargelegten Gründen nicht in Betracht.
c) Der Strafausspruch hat Bestand.
Dieser bleibt von den Änderungen des Schuldspruchs unberührt, da angesichts der sonstigen Erwägungen auszuschließen ist, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung geringere Einzelstrafen oder eine niedrigere Gesamtstrafe festgesetzt hätte. Den Umstand als solchen, dass der Angeklagte nicht allein die jeweils erlangten Überweisungen, sondern darüber hinaus weitere Geldbeträge forderte, hat das Landgericht unabhängig davon strafschärfend heranziehen dürfen, ob jeweils zu dem vollendeten Delikt ein Versuch in Tateinheit hinzutritt.
Soweit die Strafkammer im Übrigen bei der Bestimmung der Einzelstrafen für die Taten unter II. 1. bis II. 3. sowie II. 5. zu Lasten des Angeklagten erwogen hat, er habe bei Begehung der Taten - von Juli bis September 2021 - unter laufender Bewährung gestanden, wird dies zwar durch die Feststellungen nicht getragen. Diese verhalten sich nicht zur Dauer der Bewährungszeit einer seit dem 23. Juni 2017 rechtskräftigen früheren Freiheitsstrafe. Der mitgeteilte Straferlass zum 18. Oktober 2021 könnte darauf hindeuten, dass die Bewährungszeit bereits im Juni 2021 endete. Allerdings beruht das Urteil unter den hier gegebenen Umständen mit Blick auf das Gewicht der weiteren Strafzumessungsgesichtspunkte nicht auf der etwaig zu Unrecht herangezogenen Erwägung (vgl. näher zu dem Rechtsfehler BGH, Beschlüsse vom 6. September 2016 - 3 StR 283/16, StV 2018, 358 Rn. 3 mwN; vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 282/16, StraFo 2017, 16), zumal die Vorstrafe selbst, die überdies noch nicht förmlich erlassen war, Berücksichtigung finden kann.
Schließlich greifen die in der Revisionsbegründung gegen die Strafzumessung vorgebrachten Bedenken aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher dargelegten Gründen nicht durch.
d) Das Landgericht hat im Rahmen des Adhäsionsausspruchs unter anderem „festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, dem Adhäsionskläger alle infolge der vom Angeklagten im Zeitraum Juli 2021 bis März 2022 zu Lasten des Adhäsionsklägers begangenen Taten erwachsenen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, sofern sie nicht auf einen Träger der Sozialversicherung übergegangen ist“. Dieser Ausspruch ist dahin zu ändern, dass er sich lediglich auf künftig entstehende Schäden bezieht.
Die Strafkammer hat über die Zahlung für bereits entstandene materielle Schäden und Schmerzensgeld anderweitig entschieden. Wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, handelt es sich bei dem hier in Rede stehenden Ausspruch um die „begehrte Feststellung zukünftiger möglicher Schäden“. Die Erstreckung allein auf künftige Schäden ist in der Urteilsformel entsprechend zum Ausdruck zu bringen. Dies holt der Senat nach (§ 354 Abs. 1 StPO analog). Die Voraussetzungen für die Feststellung der Ersatzpflicht als solche sind vor dem Hintergrund der noch nicht abgeschlossenen Behandlung der psychischen Folgen gegeben (vgl. grundsätzlich BGH, Beschluss vom 12. November 2019 - 3 StR 436/19, BGHR StPO § 406 Feststellungsurteil 1 Rn. 3 ff.).
4. Angesichts des geringen Teilerfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4, § 472a Abs. 2 Satz 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1156
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede