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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 897

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, 3 ZB 3/22, Beschluss v. 16.05.2023, HRRS 2023 Nr. 897


BGH 3 ZB 3/22 - Beschluss vom 16. Mai 2023

Rechtsbeschwerde gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG; Durchsuchung zur Sicherung der Abschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers (Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte; keine abdrängende Sonderzuweisung nach Bundes- oder Landesrecht; keine Zuständigkeit wegen Landesverwaltungsgesetz).

§ 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG; 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO; § 58 AufenthG; § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG; § 208 LVwG SH

Leitsätze des Bearbeiters

Für den Antrag auf richterliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung zur Sicherung der Abschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO eröffnet.

Entscheidungstenor

1. Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 16. Mai 2022 wird verworfen.

2. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

1. Der Betroffene, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste am 27. August 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Zuvor hatte er bereits in Griechenland Asyl beantragt, und ihm war dort eine Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Mit Bescheid vom 17. September 2019 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Asylantrag als unzulässig ab und drohte ihm die Abschiebung an. Seit dem 15. Oktober 2019 ist er vollziehbar ausreisepflichtig.

Nachdem der Betroffene seiner Verpflichtung, aus der Bundesrepublik auszureisen, nicht freiwillig nachgekommen war, plante die beteiligte Behörde, ihn am 11. Mai 2022 nach Griechenland abzuschieben. Zur Sicherung dieser Abschiebung beantragte sie am 2. Mai 2022 bei dem Amtsgericht Flensburg, die Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen zu dessen Ergreifung anzuordnen.

2. Mit Beschluss vom 5. Mai 2022 hat sich das angerufene Gericht für „sachlich unzuständig“ erklärt und die Sache an das Verwaltungsgericht Schleswig verwiesen. Zur Begründung hat es angeführt, mangels abdrängender Sonderzuweisung für Durchsuchungen nach § 58 Abs. 6 AufenthG sei der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.

Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts hat die beteiligte Behörde „Beschwerde“ eingelegt. Das Oberlandesgericht hat das als sofortige Beschwerde behandelte Rechtsmittel mit Beschluss vom 16. Mai 2022 mit der Maßgabe verworfen, dass der Rechtsweg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit für unzulässig erklärt wird. Die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung hat es zugelassen.

3. Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts wendet sich die beteiligte Behörde mit ihrer Rechtsbeschwerde. Sie beantragt, diesen sowie den Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und dem Antrag auf Gestattung der Wohnungsdurchsuchung stattzugeben, hilfsweise die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Die gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist statthaft. Das Oberlandesgericht hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zugelassen. Die beteiligte Behörde hat ein Rechtsschutzinteresse an der Entscheidung über die Verweisung. Das Verstreichen des anvisierten Abschiebungstermins kann allenfalls im nicht beim Senat anhängigen Hauptsacheverfahren Bedeutung erlangen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 ZB 6/21, NVwZ 2023, 190 Rn. 8 mwN; ferner BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 1 B 65.22, NVwZ 2023, 166 Rn. 2).

2. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

Für den Antrag auf richterliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen zum Zweck der Sicherung der Abschiebung ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO eröffnet.

a) Bei der beantragten Wohnungsdurchsuchung zur Sicherung der Abschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 ZB 6/21, NVwZ 2023, 190 Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 1 B 65.22, NVwZ 2023, 166 Rn. 4 f.).

b) Eine abdrängende Sonderzuweisung durch Bundesrecht gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO liegt nicht vor. Insbesondere ist § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht einschlägig, da es sich bei einer Durchsuchung, auch wenn sie dem Zweck der Ergreifung des Betroffenen dient, um ihn unmittelbar danach abzuschieben, nicht um eine Freiheitsentziehung handelt. § 58 Abs. 10 AufenthG ist ebenfalls keine Zuweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit zu entnehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 ZB 6/21, NVwZ 2023, 190 Rn. 12 f., 17; BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 1 B 65.22, NVwZ 2023, 166 Rn. 7 f.).

c) Auch eine abdrängende Sonderzuweisung durch Landesrecht gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO kommt nicht in Betracht. Denn bei einer auf § 58 Abs. 6 AufenthG gestützten Durchsuchung handelt es sich nicht um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit nach Landesrecht, sondern um eine auf eine bundesgesetzliche Rechtsgrundlage gestützte Maßnahme. Aus der Kompetenz der Länder, in Ausführung von Bundesrecht als eigene Angelegenheit das zugehörige Verwaltungsverfahren zu regeln, folgt nichts Anderes (aA noch Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 22. Juli 2020 - 4 O 25/20, NVwZ-RR 2020, 900 Rn. 5). Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG eröffnet eine entsprechende Kompetenz nur im Bereich des Verwaltungsverfahrens, nicht aber für die Bestimmung des Gerichtszweigs und die Ausgestaltung des Prozesses vor den Gerichten. Insoweit sind die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren berührt, die der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unterfallen (s. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 ZB 6/21, NVwZ 2023, 190 Rn. 18 f.; ferner BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 1 B 65.22, NVwZ 2023, 166 Rn. 9; Hessischer VGH, Beschluss vom 12. Dezember 2022 - 7 B 2023/22.A, DVBl 2023, 425 Rn. 5; unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung nunmehr auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 23. November 2022 - 13 ME 276/22, NVwZ 2023, 181 Rn. 2).

d) Über § 58 Abs. 10 AufenthG kann schließlich nicht auf § 208 Abs. 4 Satz 3 LVwG SH zurückgegriffen werden, der die Zuständigkeit der Amtsgerichte für richterlich angeordnete Wohnungsdurchsuchungen vorsieht.

aa) Gemäß § 58 Abs. 10 AufenthG bleiben nur weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, unberührt. Landesrechtliche Vorschriften finden demnach lediglich Anwendung, wenn sich aus dem Landesrecht über § 58 Abs. 6 bis 9 AufenthG hinausgehende Befugnisse für Wohnungsdurchsuchungen ergeben (s. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 ZB 6/21, NVwZ 2023, 190 Rn. 21 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 1 B 65.22, NVwZ 2023, 166 Rn. 10 ff.).

bb) Die gefahrenabwehrrechtlichen Regelungen zur Wohnungsdurchsuchung in Schleswig-Holstein enthalten keine weitergehenden Eingriffsbefugnisse (s. zu den vergleichbaren Vorschriften des niedersächsischen Landesrechts BGH, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 ZB 6/21, NVwZ 2023, 190 Rn. 25 mwN). § 208 LVwG SH sieht für die zuständige Polizei- und Ordnungsbehörde keine Kompetenzen für die Durchsuchung von Wohnungen zum Zweck des Auffindens eines der Abschiebung zuzuführenden Ausländers vor, die nicht bereits in § 58 Abs. 6 bis 9 AufenthG enthalten sind. Zwar lässt § 208 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b LVwG SH ein Betreten der Wohnung auch zur Nachtzeit zu, wenn sich Personen darin aufhalten, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen, während das Aufenthaltsgesetz eine Wohnungsdurchsuchung gemäß § 58 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zur Nachtzeit nur ermöglicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Ausländer der Abschiebung entziehen wird. § 208 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b LVwG SH erfasst aber bereits nach seinem Wortlaut lediglich das Betreten, nicht aber die Durchsuchung der Wohnung. Er dient der Durchführung von Kontrollen und nicht der Durchsetzung der Ausreisepflicht. Das bloße Betreten der Wohnung ist zudem von der abdrängenden Rechtswegzuweisung in § 208 Abs. 4 Satz 3 LVwG SH nicht erfasst.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 GNotKG.

Von der Festsetzung des Gegenstandswerts von Amts wegen wird abgesehen. Gemäß § 33 Abs. 1 RVG wird der Wert für die anwaltliche Tätigkeit nur auf Antrag festgesetzt, wenn es an einem für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Wert fehlt.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 897

Bearbeiter: Fabian Afshar