HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 703
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 338/21, Urteil v. 05.05.2022, HRRS 2022 Nr. 703
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 12. Mai 2021 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten, seiner einzigen Bezugsperson, bestanden immer wiederkehrende Konflikte, die allein der Angeklagte durch sein dissoziales und aggressives Verhalten schürte. Obwohl er das Tatopfer vielfach verbal attackierte und körperlich misshandelte, verbrachte es viel Zeit mit ihm und sorgte sich immer wieder um ihn.
In der Tatnacht kam es erneut zu einem sich über Stunden hinziehenden Streit zwischen beiden, den der Angeklagte konstellierte und im Verlauf dessen sich der Geschädigte zwar mit Worten zur Wehr setzte, aber im Übrigen passiv verhielt. Aufgrund der Auseinandersetzung, deren Grund unklar blieb, verwies ein Zeuge um Mitternacht die zwei Männer seiner Wohnung, in der sie in den Tagen zuvor übernachtet hatten. Im Vordergrund ihres Streitgesprächs stand anschließend, dass der Geschädigte nicht bereit war, den ihm von dem Zeugen überlassenen Schlüssel für dessen Appartement an den Angeklagten herauszugeben, und dieser nunmehr über keinen Schlafplatz mehr verfügte.
Gegen 3 Uhr griff der Angeklagte auf einem öffentlichen Weg seinen Begleiter ohne jegliche Provokation mit einem scharf schneidenden Werkzeug - vermutlich einem Messer - an. Spätestens als der bereits zweifach verletzte Geschädigte zurückwich, fasste der Angeklagte aus „letztlich nicht feststellbarem, aber jedenfalls nichtigem Anlass“ den Entschluss, ihn zu töten, und stach ihm kräftig in die linke Brust. Die Klinge durchdrang das Herz, so dass das Opfer kurze Zeit später verstarb.
Die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils anhand der Revisionsrechtfertigung hat keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben. Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
1. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts erweisen sich die vom Landgericht zum Anlass der Tat getroffenen Feststellungen auch insoweit als widerspruchsfrei, als es die Ursache des der Tötung vorausgegangenen Streits nicht im Einzelnen hat feststellen können, aber gleichwohl davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte sein Opfer jedenfalls aus nichtigem Anlass tötete. Die Strafkammer hat diesen Umstand daher straferschwerend berücksichtigen dürfen (zu einer solchen Tatmotivation als zulässiger Strafschärfungsgrund vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2017 - 2 StR 30/16, NStZ-RR 2017, 336; MüKoStGB/Maier, 4. Aufl., § 46 Rn. 205).
Das Urteil unterscheidet den konkreten Anlass der Tat von dem Grund für die wiederkehrenden Konflikte und demjenigen für den sich in der Tatnacht über Stunden erstreckenden Streit. Die Strafkammer hat diese Vorgänge nicht im Einzelnen aufzuklären vermocht. Im Hinblick auf das tatauslösende Motiv hat sie zu ihrer Überzeugung einen Tatanlass ausgeschlossen, der sich nicht als nichtig darstellte. Sie hat damit der Sache nach angenommen, mögliche Beweggründe, die beim Angeklagten schließlich den Tatentschluss hervorriefen, seien nur solche, die zur Tötung in einem außergewöhnlichen Missverhältnis stünden; ein anderer, menschlich nachvollziehbarer Tatantrieb scheide aus. Ein Widerspruch ist darin nicht zu sehen.
2. Die vom Landgericht zum tatauslösenden Motiv getroffenen Feststellungen werden von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen (zu den rechtlichen Maßstäben der revisionsgerichtlichen Überprüfung vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20, NJW 2021, 2896 Rn. 29 f. mwN). Die Urteilsgründe verhalten sich ausführlich dazu, auf welcher Grundlage die Strafkammer ihre Überzeugung gewonnen hat (UA S. 47 ff., 50 ff.); hierauf ist weder das schriftliche Revisionsvorbringen noch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts eingegangen.
a) Nach den Darlegungen im Rahmen der Beweiswürdigung kommt als Tatanlass die vom Geschädigten erklärte Weigerung in Betracht, den Wohnungsschlüssel des Zeugen herauszugeben. Nach der von der Strafkammer aufgrund Zeugenbeweis gewonnenen Überzeugung dominierte jedenfalls das Herausgabeverlangen des Angeklagten zwischenzeitlich das Streitgespräch. Allerdings hat das Landgericht nicht feststellen können, dass er dem Opfer allein deswegen den tödlichen Stich versetzte. In den Urteilsgründen ist im Einzelnen ausgeführt, ein Anhalt dafür, dass das tatauslösende Motiv im Zusammenhang mit dem Asylverfahren des Angeklagten oder mit von ihm und dem Geschädigten ausgeführten Betäubungsmittelgeschäften stehe, sei nicht vorhanden.
Dass ein anderer Tatanlass, der nicht als nichtig zu beurteilen wäre, auszuschließen sei, hat die Strafkammer aus dem insbesondere durch Zeugenbeweis belegten Verhalten der beiden Männer in der Tatnacht und in den Monaten zuvor gefolgert. Sie hat dabei namentlich auf folgende Umstände abgestellt: Die wiederkehrenden Konflikte beruhten stets auf einseitigen Aggressionen des Angeklagten. Er „schürte“ sie auch sonst aus nichtigen Anlässen, ohne dass das Opfer hierfür eine Ursache setzte. In der Tatnacht bestimmte ebenfalls allein er das Geschehen. Er „konstellierte“ dessen „Eskalation“, während der Geschädigte ihn weder angriff noch provozierte, sondern bis zuletzt schlicht „an seiner Seite blieb“. Dies rechtfertige die einheitliche Bewertung der die einzelnen Konflikte auslösenden Motive.
Für die Feststellung, dass der Angeklagte über dissoziale Persönlichkeitsanteile verfügt und allgemein zu aggressivem Verhalten neigt, hat das Landgericht eine Stütze in den Angaben der psychiatrischen Sachverständigen gefunden (UA S. 59). Die nur einseitigen Tätlichkeiten in der Tatnacht hat es unter anderem in den Bekundungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen bestätigt gesehen (UA S. 48 f.).
b) All dies lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Die Schlüsse, die das Landgericht gezogen hat, sind möglich und beruhen auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage. Weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst ist es geboten, zugunsten des Angeklagten Sachverhaltsvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen kein konkreter Anhalt besteht (s. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2021 - 3 StR 441/20, juris Rn. 33 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 703
Bearbeiter: Christian Becker