HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 854
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 52/20, Beschluss v. 10.06.2020, HRRS 2020 Nr. 854
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. Oktober 2019 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 18 Satz 2 VereinsG aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Landgericht hat zum Tatvorwurf festgestellt, dass sich der Angeklagte am Abend des 25. Mai 2016 in Berlin-Kreuzberg einem spontanen Aufzug gegen die Bombardierung kurdischer Städte durch das türkische Militär anschloss. Gegen 22 Uhr rief eine größere Gruppe von Demonstranten, darunter der Angeklagte, begleitet von rhythmischem Klatschen mehrmals „PKK“. Durch bestandskräftige Verfügung des Bundesministers des Inneren vom 22. November 1993 war die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) mit einem vereinsrechtlichen Verbot belegt worden.
2. Das Landgericht hat sich nicht von einer Kenntnis des Angeklagten zu überzeugen vermocht, „dass die PKK in Deutschland verboten und das Rufen von 'PKK' nicht erlaubt ist“ (UA S. 5). Diese fehlende Kenntnis hat es dahin beurteilt, dass der Angeklagte ohne Vorsatz handelte und somit nicht den subjektiven Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG verwirklichte.
Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand. Auf der Grundlage der - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegt hat - rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist gegen die rechtliche Beurteilung, der Angeklagte habe undolos gehandelt, nichts zu erinnern.
1. Eine Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 18 Satz 2 VereinsG kann in einer propagandistischen Betätigung eines Außenstehenden für den mit dem Verbot (§ 3 Abs. 1 VereinsG) belegten ausländischen Verein bestehen (s. BGH, Urteil vom 13. Juni 2019 - 3 StR 133/19, juris Rn. 9 ff. mwN). Erforderlich ist ein vorsätzliches Verhalten (§ 15 StGB), wobei dolus eventualis genügt. Der Vorsatz muss sich auf die Existenz des vollziehbaren vereinsrechtlichen Betätigungsverbots erstrecken. Dies setzt voraus, dass der Täter - zumindest in laienhafter Parallelwertung - eine hinreichend deutliche Vorstellung davon hat. Der Irrtum über das Bestehen des Verbots ist daher Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 StGB), nicht Verbotsirrtum (§ 17 Satz 1 StGB). Im Einzelnen:
a) Die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG stellt ein Blankettstrafgesetz dar. Denn sie beschreibt das tatbestandliche Unrecht nicht vollständig selbst, sondern verweist auf ein vollziehbares Verbot im Sinne des § 18 Satz 2 VereinsG und damit auf die behördliche Verbotsverfügung, die auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 1 VereinsG ergangen ist. Das vereinsrechtliche Betätigungsverbot füllt das Blankett aus und vervollständigt damit den Straftatbestand. Zwar beschränkt sich - worauf die Beschwerdeführerin im Ausgangspunkt zutreffend hinweist - bei einem Blankettstrafgesetz der Vorsatz grundsätzlich auf die Kenntnis der Umstände, die zu dem aus Blankett und blankettausfüllender Norm „zusammengelesenen“ Gesamttatbestand gehören, und nur die Unkenntnis dieser Umstände begründet einen Tatbestandsirrtum, wohingegen ein Irrtum über Bestehen, Gültigkeit, Anwendbarkeit, Inhalt und Reichweite der blankettausfüllenden Norm als solcher allenfalls einen Verbotsirrtum darstellen kann (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 1995 - 1 StR 242/95, NStZ-RR 1996, 24, 25; Beschluss vom 15. November 2012 - 3 StR 295/12, NZWiSt 2013, 113; LK/Vogel/Bülte, StGB, 13. Aufl., § 16 Rn. 37 aE). Bei § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG handelt es sich jedoch um ein Blankettstrafgesetz, das sich nicht auf eine gesetzliche oder untergesetzliche Norm, sondern auf ein durch Verwaltungsakt verfügtes Verbot bezieht und dessen Tatbestand selbst die Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot zum Gegenstand hat. Für Strafnormen, die den Verstoß gegen eine solche behördliche Einzelanordnung regeln, gilt, dass deren Existenz vom Vorsatz umfasst sein muss und somit ein Irrtum hierüber § 16 Abs. 1 StGB unterfällt (vgl. LK/Vogel/Bülte aaO, Rn. 38; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 15 Rn. 102).
Dieses Verständnis entspricht einhelliger Ansicht in der Kommentarliteratur zu § 20 VereinsG (s. Groh, VereinsG, § 20 Rn. 22; MüKoStGB/Heinrich, 3. Aufl., § 20 VereinsG Rn. 48; Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl., § 20 VereinsG Rn. 81; Seidl in Albrecht/Roggenkamp, VereinsG, § 20 Rn. 31; Erbs/Kohlhaas/Wache, Strafrechtliche Nebengesetze, 228. Lfg. [Stand: Januar 2020], § 20 VereinsG Rn. 30). Für weitere vergleichbar gefasste Straftatbestände ist ebenfalls anerkannt, dass sich der Vorsatz auf das durch Einzelanordnung verfügte Verbot beziehen muss, so beispielsweise für das Fahren ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG im Fall eines gerichtlichen (§ 44 StGB) oder behördlichen (§ 25 StVG) Fahrverbots (s. BayObLG, Beschluss vom 20. September 1999 - 1 St RR 215/99, NStZ-RR 2000, 122; BeckOK StVR/Bollacher, § 21 StVG Rn. 63 mwN) oder für den Verstoß gegen ein strafgerichtliches Berufsverbot (§ 70 Abs. 4 StGB, § 132a Abs. 1 Satz 2 StPO) gemäß § 145c StGB (s. BGH, Beschluss vom 26. Januar 1989 - 1 StR 740/88, BGHR StGB § 16 Abs. 1 Umstand 1).
Dass die behördliche Verbotsverfügung - wenngleich sie sich gegen den ausländischen Verein richtet - Handlungsverbote für jedermann begründet, rechtfertigt keine abweichende Bewertung. Hierfür besteht kein sachlicher Grund. Auch in der Rechtsprechung und im Schrifttum wird in ähnlichen Fällen keine derartige Differenzierung vorgenommen: So gilt für das Recht der Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten, dass derjenige in einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum (§ 11 Abs. 1 OWiG) handelt, der ein ahndungsbegründendes Verkehrszeichen (Allgemeinverfügung) übersieht oder optisch unrichtig wahrnimmt (s. die Nachw. aus der Rspr. der OLG bei Burmann/Heß/ Hühnermann/Jahnke, StVR, 26. Aufl., § 39 StVO Rn. 64; ferner KK/Rengier, OWiG, 5. Aufl., § 11 Rn. 14). Für den Straftatbestand der Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei gemäß § 84 StGB, der gleichermaßen durch ein Nichtmitglied verwirklicht werden kann (vgl. Absatz 2 Alternative 2), geht die Kommentarliteratur übereinstimmend davon aus, dass der Vorsatz die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit der Partei oder ihre Eigenschaft als Ersatzorganisation umfassen muss (vgl. etwa LK/Laufhütte, 12. Aufl., § 84 Rn. 25; MüKoStGB/Steinmetz, 3. Aufl., § 84 Rn. 21 f.; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 84 Rn. 22).
b) Für den subjektiven Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG genügt dolus eventualis. Dass sich der Vorsatz auf das vollziehbare vereinsrechtliche Betätigungsverbot erstrecken muss, bedeutet nicht, dass die positive Kenntnis des Täters von der behördlichen Verbotsverfügung notwendig wäre. Auf deren sachlichen Inhalt braucht sich der Vorsatz ohnehin nicht zu beziehen (s. Erbs/Kohlhaas/Wache, Strafrechtliche Nebengesetze, 228. Lfg. [Stand: Januar 2020], § 20 VereinsG Rn. 30).
Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass der Täter mindestens in laienhafter Parallelwertung eine hinreichend deutliche Vorstellung von der Existenz des Betätigungsverbots hat (zu § 84 StGB vgl. LK/Laufhütte, 12. Aufl., § 84 Rn. 25; NKStGB/Paeffgen, 5. Aufl., § 84 Rn. 21). Dies ist der Fall, wenn er es für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass der Verein, für den er sich betätigt, in Deutschland mit einem Verbot belegt ist, es sich folglich um eine hier „verbotene Vereinigung“ handelt (vgl. MüKoStGB/Heinrich, 3. Aufl., § 20 VereinsG Rn. 48).
2. Gemessen an den aufgezeigten Maßstäben hat das Landgericht rechtsfehlerfrei den subjektiven Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG - infolge eines vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtums - verneint.
Zwar ist in den Urteilsgründen im Rahmen der „Feststellungen zur Tat“ lediglich geschildert, dem Angeklagten sei nicht bekannt gewesen, dass auch eine „werbende Tätigkeit für die PKK aufgrund der Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Inneren vom 22. November 1993 in Deutschland verboten“ sei (UA S. 3 f.). Hiernach käme in Betracht, dass der Angeklagte bloß einem Irrtum über die Reichweite des Verbots und damit allenfalls einem das Unrechtsbewusstsein berührenden Verbotsirrtum unterlegen war. Im Rahmen der „Beweiswürdigung“ sind jedoch - nach dem Grundsatz der Einheit der Urteilsgründe beachtliche (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 1987 - 1 StR 110/87, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Feststellungen 1; KK/Gericke, StPO, 8. Aufl., § 337 Rn. 27) - Feststellungen nachgetragen. Nach den dortigen Ausführungen hat das Landgericht dem Angeklagten auch insoweit „geglaubt“, als er seiner Einlassung zufolge „keine Kenntnis davon“ hatte, „dass die PKK in Deutschland verboten ... ist“ (UA S. 5). Die für diese Feststellung angeführten beweiswürdigenden Erwägungen sind dahin zu verstehen, dass die Strafkammer ebenso wenig hat die Überzeugung gewinnen können, dass der Angeklagte hinsichtlich des vollziehbaren vereinsrechtlichen Betätigungsverbots mit bedingten Vorsatz im oben dargelegten Sinne handelte.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 854
Externe Fundstellen: NJW 2020, 2652; NStZ 2020, 682; NStZ-RR 2021, 28; StV 2021, 241; StV 2021, 509
Bearbeiter: Christian Becker