HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 785
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 67/19, Beschluss v. 20.03.2019, HRRS 2019 Nr. 785
Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Ein Verzicht des Angeklagten auf die Herausgabe sichergestellter Bargelderlöse aus Betäubungsmittelgeschäften hindert deren Einziehung gemäß § 73 Abs. 1, § 73a Abs. 1 StGB nicht.
Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob an (ggf.) entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.
1. Das Landgericht hat die Angeklagten unter anderem wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung von Vorstrafen jeweils zu Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Außerdem hat es die Einziehung sichergestellter Bargeldbeträge angeordnet, gegen den Angeklagten O. in Höhe von 23.400 € und gegen den Angeklagten N. in Höhe von 850 €. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung materiellen Rechts, der Angeklagte N. beanstandet außerdem das Verfahren.
Gegenstand des Anfrageverfahrens sind allein die Einziehungsentscheidungen.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen handelt es sich bei den sichergestellten Bargeldbeträgen um Erlöse aus den abgeurteilten, im Hinblick auf den Angeklagten O. darüber hinaus auch aus anderen Betäubungsmittelgeschäften. Die Einziehungsentscheidungen hat die Strafkammer dementsprechend auf § 73 Abs. 1 StGB, in Bezug auf den Angeklagten O. zudem auf § 73a Abs. 1 StGB gestützt.
2. Der Senat beabsichtigt, die Revisionen der Angeklagten zu verwerfen. Die von dem Angeklagten N. erhobene Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die auf die Sachrügen gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
Rechtsfehlerfrei sind insbesondere die Einziehungsanordnungen. Dem steht nicht entgegen, dass die Angeklagten in der Hauptverhandlung auf eine Herausgabe der sichergestellten Bargeldbeträge verzichtet haben. In den hier in Rede stehenden Fällen der Einziehung von Erträgen aus Betäubungsmittelverkäufen gemäß § 73 Abs. 1, § 73a Abs. 1 StGB darf das Tatgericht zwar einerseits von einer Einziehungsanordnung absehen, wenn der Angeklagte auf die Herausgabe der sichergestellten Erträge verzichtet hat. Es ist dem Tatgericht aber andererseits unbenommen, die Einziehung ungeachtet der Verzichtserklärung anzuordnen. Im Einzelnen:
a) Zum alten Recht der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung war anerkannt, dass der Verzicht auf die Herausgabe sichergestellter Gegenstände durch den Angeklagten die Anordnung der Einziehung oder des Verfalls entbehrlich machte; eine gerichtliche Einziehungs- bzw. Verfallsentscheidung wurde in solchen Fällen als überflüssig angesehen (vgl. BGH, Urteile vom 16. Juli 1965 - 6 StE 1/65, BGHSt 20, 253, 257; vom 27. Juli 2005 - 2 StR 241/05, juris Rn. 13; Beschlüsse vom 18. November 2015 - 2 StR 399/15, NStZ-RR 2016, 83; vom 6. Juni 2017 - 2 StR 490/16, juris Rn. 2; vom 11. Oktober 2017 - 2 StR 365/17, juris Rn. 5).
Erklärt sich der Angeklagte mit einer „außergerichtlichen“ Einziehung sichergestellter Gegenstände einverstanden bzw. verzichtet er auf deren Herausgabe, so wird darin auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung ein unwiderruflicher Verzicht auf etwaige Herausgabeansprüche gesehen, woraus auch immer diese sich ergeben könnten. Der Angeklagte gibt eine etwaige ihm zustehende Rechtsposition auf, um den Strafverfolgungsbehörden unter Verzicht auf alle Förmlichkeiten sofort eine Verwertung der betreffenden Gegenstände zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 16. Juli 1965 - 6 StE 1/65, BGHSt 20, 253, 257; BayObLG, Beschluss vom 8. Juli 1996 - 4 St RR 76/96, NStZ-RR 1997, 51; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. September 1992 - 2 Ws 405/92, NStZ 1993, 452; KG, Beschluss vom 18. Juli 2005 - 5 Ws 256/05, NStZ-RR 2005, 358, 359).
Die danach für zulässig erachtete „außergerichtliche“ bzw. „formlose“ Einziehung von Gegenständen im Wege einer Verzichtserklärung seitens des Angeklagten hat erhebliche praktische Bedeutung erlangt (BT-Drucks. 18/9529, S. 61; Rönnau, Die Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2. Aufl., Rn. 422); sie gehört mittlerweile „zum Gerichtsalltag“ (Thode, NStZ 2000, 62). Denn die „formlose“ Vermögensabschöpfung stellt aus Sicht des erkennenden Gerichts in verschiedener Hinsicht eine beachtliche Verfahrensvereinfachung dar (vgl. Rönnau, aaO Rn. 425). Insbesondere bedarf es, falls - wie hier in Bezug auf den Angeklagten O. - die erweiterte Einziehung von Geldbeträgen in Betracht kommt, keiner Überzeugungsbildung des Gerichts, ob die Erlöse, auf deren Herausgabe der Angeklagte verzichtet hat, überhaupt aus einer anderen rechtswidrigen Tat herrühren (§ 73a Abs. 1 StGB). Dadurch wird unter Umständen eine umfangreiche Beweisaufnahme entbehrlich (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 1965 - 6 StE 1/65, BGHSt 20, 253, 257).
Die Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung durch das am 1. Juli 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) hat an der Zulässigkeit der gerichtlichen Praxis nichts geändert, im Falle einer Verzichtserklärung des Angeklagten von einer Einziehungsentscheidung abzusehen. Dies lässt sich dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers entnehmen.
In der Gesetzesbegründung ist ausdrücklich klargestellt worden, dass die „in der Praxis verbreitete 'formlose' Vermögensabschöpfung“ durch die Neuregelung nicht eingeschränkt werden sollte. Die strafrechtliche Vermögensabschöpfung sollte vielmehr von „rechtlichen Unwägbarkeiten“ und „zeitraubenden zivilrechtlichen Fragen“ entlastet werden, die aus der Sicht des Gesetzgebers maßgeblich dazu beigetragen hatten, dass das bisherige Recht die wirksame Abschöpfung strafrechtswidrig erlangter Vermögenswerte nur unzureichend gewährleistete (BT-Drucks. 18/9525, S. 2, 46, 61). Die mit dem Reformmodell verbundenen Vereinfachungen entsprechen Sinn und Zweck des Gesetzes, die in erster Linie darin bestehen, eine effektive Vermögensabschöpfung sicherzustellen. Die Vermögensabschöpfung sollte dem Tatgericht möglichst einfach gemacht werden, damit sie tatsächlich praktiziert und damit klargestellt wird, dass Straftaten „sich nicht lohnen“ dürfen (Köhler, NStZ 2017, 497, 498).
Diesem Anliegen dient auch die „formlose“ Vermögensabschöpfung, weshalb es ohne Weiteres nachvollziehbar ist, dass der Gesetzgeber sie nicht einschränken wollte (s. dazu im Einzelnen BGH, Urteil vom 13. Dezember 2018 - 3 StR 307/18, juris Rn. 10 ff., zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
b) Daraus folgt indes nicht, dass es dem Tatgericht im Falle einer Verzichtserklärung verwehrt ist, die Einziehung anzuordnen. Die vom Gesetzgeber intendierte möglichst effektive strafrechtliche Vermögensabschöpfung spricht vielmehr dafür, dass es dem Tatgericht auch bei einem Verzicht des Angeklagten auf die Herausgabe sichergestellter Gegenstände unbenommen sein soll, eine Einziehungsanordnung zu treffen, falls es die gesetzlichen Voraussetzungen dafür als erfüllt ansieht. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist darin nicht zu erkennen, selbst wenn der Einziehungsentscheidung im Einzelfall lediglich klarstellende Bedeutung zukommen mag.
Das gilt jedenfalls in den hier in Rede stehenden Fällen einer Einziehung sichergestellter Bargelderlöse aus Betäubungsmittelgeschäften gemäß § 73 Abs. 1, § 73a Abs. 1 StGB, auf deren Herausgabe der Angeklagte verzichtet hat. In solchen Fällen hat eine Einziehungsanordnung in der Regel nicht nur klarstellende Funktion, ihre Rechtswirkungen gehen vielmehr über diejenigen der Verzichtserklärung hinaus. Denn der Angeklagte kann durch seine Verzichtserklärung regelmäßig nur seinen Besitz, nicht jedoch das Eigentum an dem Bargeld auf den Staat übertragen. Eigentum an dem Geld hat er selbst nicht erworben, weil beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht nur das Verpflichtungsgeschäft gemäß § 134 BGB nichtig ist, sondern auch die der Erfüllung dienenden Verfügungsgeschäfte, also die Übereignung der betreffenden Drogen und - falls nicht die Voraussetzungen der §§ 946 ff. BGB vorliegen - die Übereignung des als Kaufpreis gezahlten Geldes (vgl. Staudinger/Sack/Seibl, BGB [2017], § 134 Rn. 222 mwN). Eigentümer des Geldes ist in der Regel nach wie vor der Käufer der Betäubungsmittel.
Demgegenüber stellt die gerichtliche Einziehungsanordnung in jedem Fall sicher, dass der Staat das Eigentum an sichergestellten Bargelderlösen aus Betäubungsmittelgeschäften erlangt. Das ergibt sich aus § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB nF. Danach geht das Eigentum an einem Gegenstand, dessen Einziehung angeordnet worden ist, mit der Rechtskraft der Entscheidung auf den Staat über, falls der Gegenstand - wie hier - nicht dem Betroffenen, sondern einem anderen gehört, der ihn in Kenntnis der Tatumstände für die Tat gewährt hat. In Anbetracht der weitergehenden Rechtsfolgen, die mit einer Einziehungsentscheidung verbunden sind, stellt es sich nicht als unverhältnismäßig dar, wenn das Tatgericht ungeachtet einer Verzichtserklärung des Angeklagten gemäß § 73 Abs. 1 bzw. § 73a Abs. 1 StGB die Einziehung sichergestellter Bargelderlöse aus Betäubungsmittelverkäufen anordnet.
3. Der beabsichtigten Entscheidung steht nach dem Verständnis des Senats Rechtsprechung des 5. Strafsenats entgegen.
a) Der 5. Strafsenat hat - insoweit im Einklang mit der Auffassung des Senats - entschieden, dass es auch nach der Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung einer Einziehungsanordnung in den hier in Rede stehenden Fällen von Verkaufserlösen aus Betäubungsmittelgeschäften nicht „bedarf“, wenn der Angeklagte wirksam auf deren Rückgabe verzichtet hat (BGH, Urteil vom 10. April 2018 - 5 StR 611/17, NJW 2018, 2278; Beschluss vom 12. September 2018 - 5 StR 400/18, juris Rn. 13). Der Senat versteht diese Rechtsprechung dahin, dass in solchen Fällen eine Einziehungsanordnung nicht nur entbehrlich, sondern wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerhaft sein soll. Der 5. Strafsenat hat dazu ausgeführt:
Eine trotz wirksamen Verzichts angeordnete Einziehung sei unverhältnismäßig. Habe ein Angeklagter wirksam den aus seinem früheren Besitz erwachsenden Herausgabeanspruch bezüglich des durch Drogengeschäfte erlangten Geldes aufgegeben, so ginge dessen Einziehung ins Leere. Mehr als das Besitzrecht könne dem Angeklagten auch nach § 73 StGB nicht entzogen werden, weil er gemäß § 134 BGB kein Eigentum an dem Kauferlös habe erwerben können. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass es ohne formale Einziehungsentscheidung zu keinem staatlichen Eigentumserwerb käme (§ 75 StGB). Das treffe in Anbetracht der Erwerbsmöglichkeiten nach bürgerlichem Recht, insbesondere im Hinblick auf § 948 BGB, in dieser Allgemeinheit nicht zu. Außerdem sei der Einwand bei einer Konstellation wie der hier in Rede stehenden ohne praktische Bedeutung. Schließlich nähme ein anderes Gesetzesverständnis einem Angeklagten die Möglichkeit, sich - durch eine entsprechende Verzichtserklärung glaubhaft dokumentiert - von seiner Tat zu distanzieren und das Tatgericht so unter dem Gesichtspunkt gezeigter Reue zu einer milderen Strafe zu bewegen (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2018 - 5 StR 611/17 aaO).
b) Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Die Auffassung, dass eine Einziehungsentscheidung in den hier in Rede stehenden Fällen „ins Leere“ ginge, weil dem Angeklagten auch dadurch „mehr als das Besitzrecht“ nicht entzogen werden könne, wird der Bedeutung des § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB nicht gerecht, wonach allein die Einziehungsanordnung sicherstellt, dass das Eigentum an dem Gegenstand in jedem Fall auf den Staat übergeht. Die Rechtswirkungen einer Einziehungsanordnung gehen ungeachtet ihrer möglicherweise geringen praktischen Bedeutung und einer im Einzelfall denkbaren Übertragung des Eigentums an dem Kaufgeld auf den Betäubungsmittelhändler durch Vermischung (§§ 947, 948 BGB) über diejenigen einer Verzichtserklärung des Angeklagten hinaus.
Das Gesetzesverständnis, wonach die Verzichtserklärung einer Einziehungsanordnung nicht entgegensteht, nimmt dem Angeklagten nicht die Möglichkeit, sich durch den Verzicht auf die Taterlöse glaubhaft von seiner Tat zu distanzieren und das Tatgericht so unter dem Gesichtspunkt gezeigter Reue zu einer milderen Strafe zu bewegen. Dies ergibt sich schon daraus, dass eine Verzichtserklärung des Angeklagten der Entscheidung des Gerichts stets vorausgeht. Strafmilderung kann sich der Angeklagte nur erhoffen, falls er sich spätestens im Verlauf der Hauptverhandlung bereitfindet, auf die Taterlöse zu verzichten. Falls das Tatgericht geneigt ist, der Verzichtserklärung des Angeklagten strafmildernde Bedeutung beizumessen, so kann es dies unabhängig davon tun, ob es sich im Rahmen der Urteilsfindung letztlich dazu entschließt, ungeachtet der Verzichtserklärung die Einziehung anzuordnen. So hat auch im vorliegenden Fall das Landgericht in Bezug auf beide - geständigen - Angeklagten ausdrücklich strafmildernd gewertet, dass sie auf die sichergestellten Bargeldbeträge verzichteten und dadurch „zusätzlich Reue“ erkennen ließen.
4. Der Senat fragt deshalb beim 5. Strafsenat an, ob an der - nach dem Verständnis des Senats entgegenstehenden - Rechtsprechung festgehalten wird, und bei den anderen Strafsenaten, ob an gegebenenfalls entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird, § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 785
Externe Fundstellen: StV 2019, 738
Bearbeiter: Christian Becker