HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 304
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 ZB 6/19, Beschluss v. 17.12.2020, HRRS 2021 Nr. 304
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts Mönchengladbach vom 8. August 2019 wird als unzulässig verworfen.
Die Betroffene hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Am 9. Februar 2019 versuchte die namentlich nicht bekannte Betroffene, gemeinsam mit weiteren sechs Personen auf dem Gelände des Tagebaus G. einen Braunkohlebagger zu besetzen. Eine Identifizierung der Betroffenen war nicht möglich, da sie sich weigerte, Angaben zu ihrer Person zu machen, sie keine Ausweispapiere bei sich führte und ihre Fingerkuppen verklebt waren.
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht Erkelenz am gleichen Tag die Freiheitsentziehung der in der Verfahrensakte als „BES 02 Fotos in pol. Akte“ bezeichneten Betroffenen auf Grund des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) zum Zweck der Feststellung ihrer Identität für zulässig erklärt und die Fortdauer des Gewahrsams bis längstens 14. Februar 2019 um 12:00 Uhr angeordnet.
Gegen diese Entscheidung hat ein Rechtsanwalt unter der Angabe, von der Betroffenen beauftragt worden zu sein, am 11. Februar 2019 Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat. Nach der Entlassung der Betroffenen aus dem Gewahrsam am 14. Februar 2019 hat der Rechtsanwalt am 22. Februar 2019 darauf angetragen festzustellen, dass die Ingewahrsamnahme rechtswidrig war.
Mit Beschluss vom 8. August 2019 hat das Landgericht Mönchengladbach den Antrag der Betroffenen als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Rechtsmittel sei unzulässig, da die Beschwerdeführerin namentlich nicht bezeichnet und ihre Identität auch nicht auf andere Weise ermittelbar sei.
Mit ihrer Rechtsbeschwerde wendet sich die Betroffene gegen den Beschluss des Landgerichts und beantragt dessen Aufhebung.
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist unzulässig. Das Rechtsmittel ist nicht formgerecht eingelegt worden.
1. Für die Form der Einlegung der Rechtsbeschwerde gibt § 71 Abs. 1 Satz 2 FamFG vor, dass die Rechtsmittelschrift die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet ist, und die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde, enthalten muss.
Darüber hinaus entspricht es ständiger Rechtsprechung und der einhelligen Auffassung im Schrifttum, dass anzugeben ist, für wen das Rechtsmittel eingelegt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 1953 - IV ZB 94/52, BGHZ 8, 299, 301 ff.; BayObLG, Beschluss vom 27. Juli 1978 - BReg. 3 Z 100/76, BayObLGZ 1978, 235, 237; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 71 Rn. 19; Schulte-Bunert/Weinreich/Roßmann, FamFG, 6. Aufl., § 64 Rn. 14; BeckOK FamFG/Obermann, 37. Edition, § 64 Rn. 19; Rackl, Das Rechtsmittelrecht nach dem FamFG, S. 67). Über die Person des Rechtsmittelführers darf kein Zweifel bestehen. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde setzt dies Gewissheit über seine Identität einschließlich seines Namens voraus (vgl. etwa Keidel/ Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 71 Rn. 19; Schulte-Bunert/Weinreich/Roßmann, FamFG, 6. Aufl., § 64 Rn. 14). Zwar muss dieser in der Rechtsmittelschrift nicht explizit aufgeführt werden; auch bedarf es nicht zwingend der Angabe einer ladungsfähigen Anschrift (vgl. Prütting/Helms/Abramenko, FamFG, 5. Aufl., § 64 Rn. 17). Jedoch muss die Identität des Beschwerdeführers zumindest anhand der dem Rechtsmittelgericht vorliegenden Unterlagen ermittelbar sein (vgl. Keidel/MeyerHolz, FamFG, 20. Aufl., § 71 Rn. 19 mwN). Dies ergibt sich aus Folgendem:
a) Die Gewissheit über die Identität des Rechtsmittelführers ist zunächst aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geboten, wenn sich die angefochtene Entscheidung gegen mehrere Betroffene richtet, von denen unklar ist, welcher von ihnen das Rechtsmittel eingelegt hat (vgl. hierzu etwa BGH, Beschluss vom 29. Juni 1956 - V ZR 20/56, NJW 1956, 1600, 1601; OLG Celle, Beschluss vom 24. August 2010 - 10 UF 130/10, juris; Schulte-Bunert/Weinreich/Roßmann, FamFG, 6. Aufl., § 64 Rn. 14); in diesen Fällen dient die namentliche Benennung des Beschwerdeführers in erster Linie der Vermeidung von Verwechslungsgefahr.
b) Sie ist darüber hinaus in der hier vorliegenden Konstellation erforderlich, in der nur eine Person als Rechtsmittelführer in Betracht kommt. Auch in diesem Fall darf aus Gründen der Rechtssicherheit die Identität des Beschwerdeführers keinem Zweifel unterliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 1956 - V ZR 20/56, NJW 1956, 1600, 1601; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 71 Rn. 19). Denn das Verfahrensrecht knüpft eine Vielzahl von Rechten und Pflichten an dessen Person, deren Gewährung und Einhaltung nur sichergestellt werden kann, wenn dessen Identität bekannt ist. So kann etwa nur einer bestimmten Person das rechtliche Gehör gewährt werden. Auch ist nur in Bezug auf eine bestimmte Person die Frage des Ausschlusses eines Richters kraft Gesetzes oder wegen Befangenheit zu beantworten. Ferner kann nur eine bestimmte Person mit Kosten belastet werden und auf Grund ihrer persönlichen Verhältnisse Verfahrenskostenhilfe in Anspruch nehmen. Nur für eine bestimmte Person kann die Verfahrensfähigkeit und damit auch die Wirksamkeit einer etwa erteilten Verfahrensvollmacht geprüft werden. Auch die Prüfung der Beschwerdebefugnis, die ihrerseits Voraussetzung für die Prüfung der Sache ist, ist nur möglich, wenn Klarheit über die Identität des Betroffenen besteht (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 1953 - IV ZB 94/52, BGHZ 8, 299, 301 f.; vom 29. Juni 1956 - V ZR 20/56, NJW 1956, 1600, 1601; Schulte-Bunert/Weinreich/Roßmann, FamFG, 6. Aufl., § 64 Rn. 14). Schließlich erfordert das Amtsermittlungsprinzip, dass die Person des Rechtsmittelführers dem Gericht bekannt ist, weil er sonst selbst als Zeuge hinzugezogen werden könnte (BayObLG, Beschluss vom 27. Juli 1978 - Breg. 3 Z 100/76, BayObLGZ 1978, 235, 237).
2. Nach diesen Maßstäben ist die Rechtsbeschwerde der Betroffenen nicht formgerecht eingelegt worden, da über ihre Person Zweifel bestehen. Ihre Identität ist nicht bekannt. Aus der Verfahrensakte geht lediglich hervor, dass es sich um eine weibliche Person handelt. Weitere Einzelheiten, insbesondere Name und Geburtsdatum, sind nicht ersichtlich. Ihre Identität ist für das Rechtsbeschwerdegericht auch nicht anhand der vorliegenden Unterlagen ermittelbar.
Der Umstand, dass sie theoretisch - etwa anhand der gefertigten Lichtbilder - identifizierbar wäre, reicht entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde nicht aus. Soweit sich aus der Verfahrensakte ergibt, dass es sich um eine weibliche Person handelt, die am 9. Februar 2019 in polizeilichen Gewahrsam genommen und als „Beschuldigte 02" vernommen wurde, von der Lichtbilder gefertigt sowie am 13. Februar 2019 Fingerabdrücke genommen wurden, lässt dies keine hinreichenden Schlüsse auf die Identität der Betroffenen zu. Weder die Lichtbilder noch die Fingerabdrücke konnten einer bestimmten Person zugeordnet werden. Auch der Umstand, dass die Betroffene ausweislich des Vorbringens ihres Rechtsbeistands über diesen erreichbar sei, führt zu keiner anderen Bewertung. Maßgeblich ist insofern entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde nicht, dass die Person grundsätzlich von anderen Menschen unterscheidbar ist, sie muss vielmehr für das mit der Sache befasste Gericht positiv identifizierbar sein.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass in der hier vorliegenden Fallgestaltung die Weigerung, Angaben zur Identität zu machen, gerade die Grundlage für die beanstandete Freiheitsentziehung war. Unabhängig von der Frage, ob das Interesse der Betroffenen an Anonymität von Rechts wegen überhaupt schutzwürdig ist, unterscheidet sich die Sachlage im Rechtsmittelverfahren vom Ausgangssachverhalt. Während es bei der Weigerung der Offenlegung der Identität gegenüber den Polizeikräften darum ging, Widerstand gegen eine exekutive Maßnahme einer Behörde zu leisten, verfolgt die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde das Ziel, zu ihrem Nachteil ergangene Entscheidungen einer judikativen Überprüfung zu unterziehen. Die Offenlegung der Identität im Rahmen des rechtlichen Verfahrens gegenüber dem zur Entscheidung berufenen Gericht verletzt auch nicht das in Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf effektiven Rechtsschutz. Jedenfalls für den Fall, dass die freiheitsentziehende Maßnahme bereits beendet worden ist, gebührt dem Rechtsschutzinteresse des Betroffenen gegenüber den allgemeinen verfahrensrechtlichen Maßstäben kein Vorrang.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Gegenstandswerts des Rechtsbeschwerdeverfahrens auf § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 304
Bearbeiter: Christian Becker