HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 587
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 305/19, Urteil v. 06.02.2020, HRRS 2020 Nr. 587
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 18. Dezember 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
Mit dem zugelassenen Antrag im Sicherungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten zur Last gelegt, im Zustand der Schuldunfähigkeit versucht zu haben, ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen dient, in Brand zu setzen oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zu zerstören.
1. Hierzu hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
Der Beschuldigte ist seit annähernd zehn Jahren an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt. Er befand sich am Tattag in einer floriden Phase seiner Erkrankung und litt unter optischen und akustischen Halluzinationen. Unter anderem stellte er sich vor, dass sich in seiner Wohnung Fruchtfliegen unterhielten und sein Verhalten kommentierten. Nachdem ihm eines der Insekten ins Auge geflogen war, fürchtete er, dass eine Vielzahl von Fliegen durch sein Auge in seinen Körper eindringen und sich ausbreiten könnten. Deshalb entschloss er sich, die Fruchtfliegen „auszuräuchern“. Hierzu zündete er einige in der Hand gehaltene Papierblätter an, so dass sich eine Flamme und Rauch bildeten. Um weiteren Rauch zu erzeugen, warf der Beschuldigte die Blätter auf einen am Boden liegenden Papierstapel. Die oberste Schicht des Stapels fing Feuer, das rasch wieder erlosch. Fortan glühte der Stapel nur noch. Dabei entstand, wie vom Beschuldigten erhofft, erneut Rauch. Eine objektive Gefahr, dass das Feuer oder die Glut die Wohnung in Brand setzen, bestand nicht.
Zwei Nachbarinnen nahmen den Rauchgeruch im Hausflur des Mehrfamilienhauses wahr und suchten lautstark nach der Feuerquelle. Hierdurch fühlte sich der Beschuldigte gestört. Um eine Konfrontation mit den Frauen zu vermeiden, zog er seine Wohnungstür hinter sich zu und verließ das Haus. Die von einer Nachbarin daraufhin herbeigerufene Feuerwehr fand den Papierstapel glühend vor. Ein Feuerwehrmann löschte die Glut mit einem Fußtritt. Auf dem PVC-Bodenbelag unter dem Stapel hatte sich aufgrund der Hitze ein Fleck gebildet; weitere Schäden entstanden nicht.
2. Die Strafkammer hat sich nicht von einem Brandstiftungsvorsatz des Beschuldigten überzeugt. Es liege lediglich eine Sachbeschädigung am PVC-Boden vor, begangen im Zustand der Steuerungsunfähigkeit. Diese Tat könne eine Gefahr, dass der Beschuldigte infolge seiner Erkrankung künftig schwere Straftaten begehen werde, welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich gefährden, nicht begründen.
1. Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die getroffenen Feststellungen lassen offen, ob der Beschuldigte mit bedingtem Brandstiftungsvorsatz handelte.
a) Die Feststellungen der Strafkammer zum subjektiven Vorstellungsbild des Beschuldigten sind lückenhaft. Sie erschöpfen sich in der Mitteilung, der Beschuldigte habe „Rauch erzeugen“ wollen; ihm sei „es auch nicht darauf an[gekommen], ein Feuer zu legen, welches in der Folge leicht auf wesentliche Gebäudeteile hätte überspringen können und sollen“ (UA S. 8). Damit hat das Landgericht lediglich einen direkten Brandstiftungsvorsatz abgelehnt.
Ob der Beschuldigte mit bedingtem Vorsatz zur Brandlegung handelte, der - als natürlicher Vorsatz - ausreichend wäre, bleibt auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen unklar. Denn dafür hätte sich die Strafkammer auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie der Beschuldigte die Feuergefahr beim Verlassen seiner Wohnung konkret einschätzte. Die Urteilsgründe lassen insbesondere offen, ob er eine Brandlegung im Sinne des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB für möglich hielt und diese zur Erreichung seines Ziels, die Fruchtfliegen „auszuräuchern“ und gleichzeitig den Nachbarinnen aus dem Weg zu gehen, billigend in Kauf nahm, oder ob er erkannte, dass objektiv keine Feuergefahr für das Wohnhaus bestand, und er deshalb auf einen glimpflichen Ausgang vertraute.
b) Die Beweiswürdigung zum subjektiven Tatbestand der schweren Brandstiftung leidet daneben an durchgreifenden Mängeln. Denn die Strafkammer hat das Fehlen des Brandstiftungsvorsatzes des Beschuldigten allein damit begründet, dass objektiv keine Brandgefahr für wesentliche Gebäudeteile bestanden habe. Dies begegnet folgenden rechtlichen Bedenken:
aa) Der Versuch ist auch in der Form des untauglichen Versuchs strafbar (§ 23 Abs. 3 StGB). Dessen Wesen ist dadurch gekennzeichnet, dass er nicht gelingen kann, weil objektiv die tatsächlichen Voraussetzungen für den Erfolgseintritt fehlen, während der Täter diese irrig für gegeben hält. Die Strafbarkeit des Versuchs setzt nur voraus, dass die Tat, so wie der Täter sie sich vorstellt, alle Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes erfüllt, mag seine Vorstellung auch von gegebenen Tatsachen oder vom Verlauf von der Wirklichkeit abweichen (BGH, Urteil vom 9. Juli 1954 - 1 StR 677/53, BGHSt 6, 251, 256). Welches Vorstellungsbild sich der Beschuldigte vom Tatablauf machte, lässt sich deshalb nicht allein anhand des hier nachträglich festgestellten objektiven Misserfolgs beurteilen. Dies ist bei einem im Zustand der Schuldunfähigkeit Handelnden wie dem Beschuldigten nicht anders zu beurteilen als bei einem voll zurechnungsfähigen Straftäter. Will das Tatgericht beim untauglichen Versuch Rückschlüsse vom objektiven Tatablauf auf das subjektive Vorstellungsbild des Täters ziehen, kommt es darauf an, ob die objektive Ungefährlichkeit für ihn bei der Tatausführung erkennbar war. Hierzu verhalten sich die Urteilsgründe indes nicht.
bb) Vielmehr hat das Landgericht seine Überzeugung von der Ungefährlichkeit des Feuers aus der Expertise eines Brandsachverständigen und den Angaben eines Feuerwehrmannes gewonnen. Beide haben die Tat aus der Rückschau nicht für geeignet gehalten, einen Wohnungsbrand zu verursachen. Der Sachverständige habe aus den Asche- und Papierresten geschlossen, dass sich die offene Flamme nur auf die oberste Schicht des Papierstapels erstreckt habe. Der anschließende Prozess des Verglühens hätte ohne äußere Einwirkungen nicht wieder in eine offene Flamme übergehen können. Der Feuerwehrmann habe erläutert, dass ein Papierstapel nach seiner beruflichen Erfahrung nicht lange brenne und auch nicht von sich aus weiterbrenne. Zu der hier entscheidenden Frage, ob die objektive Ungefährlichkeit des Feuers für einen Laien wie den Beschuldigten zu dem maßgeblichen Zeitpunkt, in dem er die Wohnung verließ, erkennbar war, haben sich ausweislich der Urteilsgründe beide nicht verhalten. Die Strafkammer hat aus ihren Aussagen gleichwohl gefolgert, dass „ein geistig Gesunder keine konkrete Gefahr des Überspringens eines Feuers auf wesentliche Gebäudeteile erkannt [hätte], da eine solche Gefahr nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gerade nicht bestand“ (UA S. 8). Damit hat sie sich ihre Überzeugung auf einer unzureichenden Beweisgrundlage gebildet.
cc) Schließlich erweist sich die Beweiswürdigung als lückenhaft. Das Landgericht hat mehrere Beweisanzeichen festgestellt, die Bedeutung für das subjektive Vorstellungsbild des psychisch kranken Beschuldigten haben könnten, ohne diese in der Prüfung des natürlichen Vorsatzes in den Blick zu nehmen. So bleibt unerörtert, ob eine unbeaufsichtigte Glut in einer Wohnung einem Laien nicht per se gefährlich erscheint. Es kommt hinzu, dass sich der glühende Papierstapel auf einem nicht feuerfesten Untergrund und in unmittelbarer Nähe zu einem leicht brennbaren Sofa befand. Die Glut war immerhin so stark, dass zweimal der Rauchmelder auslöste und der Brandgeruch im Hausflur zu vernehmen war. Überdies ist nicht erörtert, ob die krankheitsbedingte Vorstellung des Beschuldigten, die Fruchtfliegen „ausräuchern“ zu müssen, für ihn derart übermächtig war, dass sie gegebenenfalls bestehende Bedenken überlagerte.
2. Das Urteil beruht auf diesen Rechtsfehlern (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei ihrer Gefährlichkeitsprognose im Rahmen des § 63 StGB zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn sie sich rechtsfehlerfrei mit dem subjektiven Vorstellungsbild des Beschuldigten auseinandergesetzt hätte.
3. Infolgedessen ist das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2019 - 3 StR 133/19, juris Rn. 26; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 353 Rn. 15a mwN).
Sollte das neue Tatgericht ebenfalls zu der Feststellung gelangen, dass der Beschuldigte ohne einen natürlichen Eventualvorsatz im Hinblick auf die Brandstiftung handelte, wird es - nachdem die Staatsanwaltschaft mittlerweile das besondere öffentliche Interesse an der Verfolgung der Sachbeschädigung bejaht hat - zu bedenken haben, dass angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falls auch die Verwirklichung allein dieses Straftatbestands geeignet sein könnte, eine Gefährlichkeit des Beschuldigten im Sinne des § 63 StGB zu begründen.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 587
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 203
Bearbeiter: Christian Becker