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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 916

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 254/19, Beschluss v. 11.07.2019, HRRS 2019 Nr. 916


BGH 3 StR 254/19 - Beschluss vom 11. Juli 2019 (LG Mönchengladbach)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Anordnungsvoraussetzungen; Anforderungen an die Darstellung in den Urteilsgründen; innere Tatseite).

§ 63 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Bei der Anordnung der unbefristeten Unterbringung nach § 63 StGB ist das Tatgericht neben der sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen (hierzu etwa BGH HRRS 2016 Nr. 107) auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen. Das betrifft grundsätzlich auch die inneren Merkmale des durch die Tat verwirklichten Straftatbestandes, insbesondere bei solchen Taten, bei denen die innere Willensrichtung dafür entscheidend ist, ob sie als Versuch eines Verbrechens oder als Vergehen zu werten sind oder wenn ein strafbefreiender Rücktritt in Betracht kommt.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Beschuldigten und Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 23. Januar 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat aufgrund zweier Antragsschriften sowie zweier zunächst beim Amtsgericht eingereichter und eröffneter Anklageschriften verhandelt, den Beschuldigten bzw. Angeklagten (im Folgenden Beschuldigten) freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen litt der Beschuldigte unter einer paranoid-halluzinatorischen Psychose des schizophrenen Formenkreises, die sich immer wieder durch Wahnvorstellungen, akustische Halluzinationen sowie Bedrohungs- und Verfolgungsideen äußerte. Bei allen näher festgestellten 13 Taten, die im Zeitraum vom 1. Juni 2015 bis zum 7. Dezember 2017 lagen, war die Fähigkeit des Beschuldigten zur Steuerung seiner Handlungen infolge der bei ihm zu den jeweiligen Zeitpunkten vorliegenden Wahndynamik sowie der auf ihn unmittelbaren Einfluss nehmenden akustischen Halluzinationen mit hoher Erlebnisintensität aufgehoben.

2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 3 StR 407/15, NStZ 2016, 144 f. mwN).

b) Nach den dargelegten Maßstäben ist den Urteilsgründen nicht sicher zu entnehmen, dass die Voraussetzungen für die Unterbringung vorliegen.

aa) Die Anordnung der Unterbringung setzt die Begehung einer rechtswidrigen Tat voraus, zu der grundsätzlich auch die inneren Merkmale des durch die Tat verwirklichten Straftatbestandes gehören. Dies gilt insbesondere bei solchen Taten, bei denen die innere Willensrichtung dafür entscheidend ist, ob sie als Versuch eines Verbrechens oder als Vergehen zu werten sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Oktober 2001 - 3 StR 305/01, juris Rn. 3; vom 24. September 2013 - 2 StR 338/13, StV 2014, 346 f.; s. auch zum natürlichen Vorsatz BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 3 StR 181/15, NStZ-RR 2015, 273, 274).

Zur inneren Tatseite enthält das Urteil keine Feststellungen. Dies steht insbesondere einer rechtlichen Einordnung des Geschehens am 7. Dezember 2017 entgegen, als der Beschuldigte - so die Urteilsfeststellungen - in einem Musikgeschäft zunächst unter Vorhalt eines Messers Geld forderte, dies aber nicht weiterverfolgte, nachdem der Angesprochene eine Herausgabe verweigert hatte. Damit ist unklar, ob der Tatbestand einer versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung erfüllt oder gegebenenfalls ein strafbefreiender Rücktritt anzunehmen und lediglich eine Bedrohung verwirklicht ist.

bb) Die Feststellung, dass der Beschuldigte bei allen Taten unter dem unmittelbaren Einfluss akustischer Halluzinationen mit hoher Erlebnisintensität stand, ist - von Einzelfällen abgesehen - weder durch die Beweiswürdigung noch durch die Gesamtumstände belegt. Zwar deuten lautstarke Selbstgespräche am 19. Oktober 2017, als er mit einem Hammer die Fensterscheibe eines Geschäftes einschlug, auf entsprechende Sinnestäuschungen hin. Dass bei sämtlichen anderen Vorfällen, insbesondere bei Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte mehrere Monate und rund zwei Jahre zuvor, ähnliche Fehlwahrnehmungen vorlagen, ergibt sich nicht ohne Weiteres (s. zum Erfordernis spezifisch tatbezogener Auseinandersetzung BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2018 - StR 639/17, juris Rn. 2; vom 18. Juli 2018 - 5 StR 287/18, juris Rn. 11 mwN; Urteil vom 30. März 2017 - 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165, 167).

Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass die entsprechenden Zeugen dazu Angaben gemacht haben. Soweit auf die Darlegung des medizinischen Sachverständigen in allgemeiner Weise abgestellt wird, der Beschuldigte habe sich „aus einem psychotisch paranoiden Verkennen der Situationen heraus in einer für ihn unmittelbar vorherrschenden akuten Bedrohungslage und unter unmittelbarem Einfluss der psychotischen Erlebnisveränderungen ohne Möglichkeiten einer eigenen Handlungskontrolle“ befunden, werden die zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen nicht näher mitgeteilt.

cc) Da das Landgericht nicht angibt, welche Straftatbestände es als verwirklicht angesehen hat, ist dem Senat eine Prüfung der Gefährlichkeitsprognose auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht möglich. Mangels jeglicher rechtlichen Würdigung der Taten kann der Senat nicht nachvollziehen, ob das Landgericht seiner Prognoseentscheidung eine zutreffende Wertung der Anlasstaten zugrunde gelegt hat (vgl. zur Bedeutung der Bewertung der Anlasstaten BGH, Beschlüsse vom 3. September 2015 - 1 StR 255/15, NStZ-RR 2016, 198, 199; vom 25. Februar 2014 - 4 StR 544/13, NStZ 2014, 269, 270; vom 27. August 2003 - 1 StR 327/03, NStZ-RR 2004, 10, 11). Dies gilt umso mehr, als sich die Einordnung - zumal mangels Angaben zur inneren Tatseite (s.o.) - nicht von selbst erschließt. So ist nicht nur ungewiss, wie das Landgericht das Geschehen am 7. Dezember 2017 rechtlich bewertet hat, sondern etwa auch, inwieweit es die Vorfälle, bei denen sich der Beschuldigte gegen seine Festnahme durch Polizeibeamte wehrte, möglicherweise als vorsätzliche Körperverletzung angesehen hat.

3. Die Sache bedarf aus den dargelegten Gründen insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Da das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entgegensteht, im Strafverfahren an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen, ist der - lediglich in Bezug auf die Tatvorwürfe der Anklageschriften gebotene - Freispruch ebenfalls aufzuheben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 8; KK/Gericke, StPO, 8. Aufl., § 358 Rn. 24).

Vor diesem Hintergrund kann dem neuen Tatgericht die freibeweisliche Prüfung überlassen bleiben, ob der von lediglich zwei Richtern unterschriebene Beschluss des Landgerichts vom 28. September 2018, mit dem das zuvor beim Amtsgericht geführte Verfahren übernommen sowie mit einem weiteren Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden ist, wirksam ist (vgl. zum Maßstab BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2016 - 2 StR 514/15, NStZ 2017, 55, 56; vom 17. Oktober 2013 - 3 StR 167/13, NStZ 2014, 400 f.).

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Hinsichtlich des Geschehens am 9. September 2017 hat der Geschädigte G. ausweislich des zu den Akten genommenen Formulars ausdrücklich keinen Strafantrag gestellt. Eine etwaige Körperverletzung zu seinem Nachteil kann daher nicht als Anlasstat herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 - 4 StR 472/82, BGHSt 31, 132), sofern nicht die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht.

b) Zur Verbreiterung der Prognosegrundlage kann es angezeigt sein, die Vorfälle in der einstweiligen Unterbringung näher aufzuklären.

c) Schließlich ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) im Allgemeinen ausdrücklich in Bedacht zu nehmen (s. BGH, Beschluss vom 23. September 2015 - 4 StR 371/15, juris Rn. 10).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 916

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 374; StV 2021, 243

Bearbeiter: Christian Becker