HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 85
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 ARs 10/18, Beschluss v. 28.11.2018, HRRS 2019 Nr. 85
Die Vollziehung des Beschlusses des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 30. August 2018 wird bis zur Entscheidung des Senats über die Beschwerde des Antragsgegners gegen diesen Beschluss ausgesetzt.
1. Der 1. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages hat im Wesentlichen den Auftrag aufzuklären, welche Erkenntnisse die Sicherheits-, Strafverfolgungs- und Strafvollzugsbehörden und die Nachrichtendienste des Bundes und der Länder sowie die für den Vollzug des Asyl- und Aufenthaltsrechts zuständigen Behörden über den Attentäter des Anschlages auf dem Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 gewonnen hatten. Der Untersuchungsausschuss soll auch ermitteln, welche Erkenntnisse dem Bundesministerium des Innern, dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, dem Bundeskanzleramt sowie der Bundesregierung insgesamt zum Attentäter Anis Amri zu welchem Zeitpunkt vorlagen und ob sie den Deutschen Bundestag darüber zeitgerecht, umfassend und zutreffend benachrichtigten.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seinem Rechtsmittel gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 30. August 2018 (Az.: 1 BGs 408/18 - 1 ARs 1/18). Mit diesem ist auf Antrag der Beschwerdegegnerin angeordnet worden, der Untersuchungsausschuss habe nochmals über zwei Beweisanträge der Antragstellerin abzustimmen, beim Bundesministerium des Innern bzw. Bundeskanzleramt sämtliche Unterlagen beizuziehen, die diese dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Deutschen Bundestages der 18. Wahlperiode aufgrund dessen Beschlusses vom 16. Januar 2017 überlassen hatten; sollte der Antrag weiterhin von einem Viertel der Mitglieder des Ausschusses unterstützt werden, habe der Ausschuss ihm zumindest mehrheitlich zuzustimmen.
Der Beschwerdeführer beantragt, die Vollziehung dieses Beschlusses bis zur Entscheidung über die Beschwerde auszusetzen.
2. Der Antrag ist zulässig und begründet.
a) Für den gemäß Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG, § 36 Abs. 3 PUAG, § 307 Abs. 2 StPO statthaften Antrag besteht ein Rechtsschutzbedürfnis.
aa) Nach § 307 Abs. 1 StPO entfaltet die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung; ihr kommt kein Suspensiveffekt zu. Die vorläufige Aussetzung der Vollziehung kann allein im Verfahren nach § 307 Abs. 2 StPO erreicht werden.
bb) Nach seinem Wortlaut ordnet der Beschluss des Ermittlungsrichters die Vornahme von Handlungen an (vgl. § 241 BGB); danach hat die Entscheidung - ungeachtet ihrer rechtlichen Umsetzbarkeit - einen vollziehbaren Inhalt. Die nähere Auslegung der erstinstanzlichen Entscheidungsformel sowie die Überprüfung von deren Rechtmäßigkeit und Vollstreckungsfähigkeit ist dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten.
b) Der Antrag hat in der Sache Erfolg.
aa) Nach den allgemeinen Maßstäben ist die Aussetzung der Vollziehung nach § 307 Abs. 2 StPO eine gerichtliche Ermessensentscheidung. Erweist sich das Rechtsmittel bei vorläufiger Prüfung aller Voraussicht nach als unzulässig oder unbegründet, so ist es nicht sachgerecht, den Vollzug einer erstinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung auszusetzen. Ist dies nicht der Fall, so ist unter Berücksichtigung der maßgebenden Umstände des Einzelfalls abzuwägen, ob das Interesse an der sofortigen Vollziehung die dem Beschwerdeführer durch den Vollzug drohenden Nachteile überwiegt (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2016 - 3 ARs 20/16, NStZ-RR 2017, 53 mwN).
bb) Danach gilt im vorliegenden Fall:
Das Rechtsmittel des Beschwerdeführers ist weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet; der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist vielmehr bei der gebotenen vorläufigen Würdigung des Sach- und Streitstands offen. Im Rahmen der somit zu treffenden Rechtsfolgenabwägung überwiegen die Nachteile, die mit einem sofortigen Vollzug der Anordnung verbunden sind. Ausschlaggebend ist, dass bei einem Vollzug der ermittlungsrichterlichen Entscheidung die Hauptsache unabhängig von deren Ergebnis faktisch vorweggenommen würde (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2016 - 3 ARs 20/16, aaO S. 54). Demgegenüber erscheint ein Zuwarten bis zur Entscheidung des Senats über die Beschwerde weniger einschneidend. Eine besondere Eilbedürftigkeit ist nicht erkennbar; insbesondere droht kein Beweismittelverlust.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 85
Bearbeiter: Christian Becker