HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 919
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 462/18, Beschluss v. 03.05.2019, HRRS 2019 Nr. 919
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 6. April 2018 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „besonders“ schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel ist aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Rüge, dass der Angeklagte nach der Urteilsformel zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden sei, wohingegen sich aus dem Protokoll die Verhängung einer lediglich sechsjährigen Gesamtfreiheitsstrafe ergebe, erweist sich als unzulässig.
Zwar ist die Beanstandung, mit der vorgetragen wird, dass das Protokoll eine von der schriftlichen Fassung abweichende Urteilsformel enthalte, trotz der missverständlichen Überschrift „Verletzung materiellen Rechts“ als Verfahrensrüge auszulegen. Doch legt die Revision einen Verfahrensfehler begründende Tatsachen nicht dar (§ 344 Abs. 2 StPO). Sie trägt lediglich vor, dass der Angeklagte „ausweislich des Protokolls“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden sei. Zwar kann eine solche Formulierung auch als ein Hinweis auf das geeignete Beweismittel zu verstehen sein, ohne dass dadurch die Ernsthaftigkeit der Tatsachenbehauptung selbst in Frage gestellt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 1981 - 4 StR 496/81, StV 1982, 4, 5). Hier leitet die Revision die Fehlerhaftigkeit des Verfahrens jedoch ausdrücklich nur aus dem Protokoll ab, während sie zum tatsächlichen Geschehen keine Angaben macht. Die Behauptung, dass das verkündete Urteil tatsächlich auf eine sechsjährige Gesamtfreiheitsstrafe lautete, enthält das Revisionsvorbringen - auch sinngemäß - nicht.
Da die Rüge somit schon unzulässig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2011 - 4 StR 181/11, StV 2012, 73), kommt es nicht darauf an, dass eine Protokollberichtigung, die der Rüge den Boden entzogen hätte (zu den Anforderungen vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2007, GSt 1/06, BGHSt 51, 298, 316 f.) bisher nicht vorliegt.
2. Rechtlich unzutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es das Ergebnis des Gutachtens der aussagepsychologischen Sachverständigen lediglich zur Beurteilung der Aussagetüchtigkeit der Geschädigten, nicht hinsichtlich der kriteriengestützten Aussageanalyse heranziehen dürfe, da diese Analyse ihr wegen Art. 92 GG ausschließlich selbst zustehe und ein Rückgriff auf externe Sachkunde insoweit die Gefahr einer unzulässigen Delegierung richterlicher Befugnisse mit sich bringe. Zwar ist die Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage die ureigene Aufgabe des Tatgerichts, für die es in der Regel die ausreichende Sachkunde besitzt. Liegen allerdings Besonderheiten in der Person des Zeugen vor - worauf vorliegend die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens hinweist -, dann gebietet die Aufklärungspflicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 244 Rn. 74 mwN). Die Aussageanalyse, die unter anderem das Vorliegen sogenannter Realkennzeichen untersucht, ist aber Bestandteil eines wissenschaftlich fundierten Glaubhaftigkeitsgutachtens (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 170 ff.; Beschluss vom 30. Mai 2000 - 1 StR 582/99, NStZ 2001, 45, 46), den das Gericht aus Gründen der Aufklärungspflicht zur Kenntnis zu nehmen und dessen Inhalt es im Urteil darzulegen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 2002 - 2 StR 307/02, BGHR StPO § 261 Beweiskraft 4). Der Tatrichter ist an die sachverständige Bewertung, die im Übrigen die Beweiswürdigung nicht zu ersetzen vermag (BGH, Beschluss vom 4. September 2009 - 2 StR 307/02, aaO), zwar nicht gebunden; er kann sich aber dem Ergebnis der Begutachtung - wie in anderen Fällen auch - nach eigener Beurteilung anschließen.
Auf dieser rechtsfehlerhaften Auffassung beruht das Urteil indes nicht, da das Landgericht seine Bewertung der Aussage der Nebenkläger mit der der Sachverständigen „verglichen und insoweit keine Unterschiede festgestellt“ hat.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 919
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 317
Bearbeiter: Christian Becker