HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 79
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 432/18, Beschluss v. 31.10.2018, HRRS 2019 Nr. 79
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 8. Juni 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen befand sich der Beschuldigte zur Behandlung einer paranoiden Schizophrenie in einer Klinik. Dort hörte er Stimmen, die ihm befahlen, Menschen zu würgen. Aufgrund dessen griff er am 31. Juli 2017 eine körperlich deutlich unterlegene Mitpatientin an und „würgte diese von hinten durch Anlegen des rechten Armes um ihren Hals“ mit „festem Griff“. Die Mitpatientin erlitt durch den Vorfall „stärkere psychische Beschwerden“. Bereits in der Vergangenheit hatte es - jedenfalls seit Anfang 2011 - eine Vielzahl ähnlicher Würgeangriffe des Beschuldigten auf andere Personen gegeben.
Die sachverständig beratene Strafkammer hat ausgeführt, aufgrund einer akuten Exazerbation seiner seit Jahren bestehenden paranoiden Schizophrenie sei die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bei der Tat aufgehoben gewesen (§ 20 StGB). Zudem seien von ihm in der Zukunft vergleichbare oder schwerwiegendere Taten zu erwarten, weshalb er für die Allgemeinheit gefährlich sei: Bei dem Beschuldigten sei mit einer zukünftigen Fortsetzung des Deliktsmechanismus mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu rechnen. Dabei sei unkalkulierbar, mit welchem Krafteinsatz der Beschuldigte hierbei im Einzelfall vorgehen werde und ob er seine Handlung auch bis zum Tod des jeweiligen Opfers fortsetzen würde. Dies sei allein davon abhängig, was ihm die Stimmen in der jeweiligen Situation vorgäben.
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von ihm drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2017 - 3 StR 535/16, juris Rn. 7).
Im Rahmen der vom Tatgericht zu treffenden Prognoseentscheidung sind bei Taten, die gegen höchstpersönliche Rechtsgüter gerichtet sind, insbesondere bei Körperverletzungsdelikten, nur solche Taten als erheblich im Sinne des § 63 Satz 1 StGB anzusehen, die geeignet erscheinen, den Rechtsfrieden empfindlich bzw. schwer zu stören sowie das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen, und damit zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind. Das kommt bei Gewalt- und Aggressionsdelikten regelmäßig in Betracht, ist indes stets anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu prüfen. Einfache Körperverletzungen im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB, die - wie einfache Ohrfeigen, das Ziehen an den Haaren, ein Stoß gegen die Brust oder ein Kniff ins Gesäß - nur mit geringer Gewaltanwendung verbunden sind und die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich vorausgesetzten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit lediglich unwesentlich überschreiten, reichen grundsätzlich nicht aus. Nicht erforderlich ist hingegen, dass Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer körperlich oder seelisch „schwer“ geschädigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 - 3 StR 174/18, juris Rn. 12).
b) Die im Urteil vorgenommene Gefährlichkeitsprognose hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
Soweit die Strafkammer von zukünftigen Taten ausgegangen ist, die in ihrer Schwere der Anlasstat vergleichbar sind, ermöglicht dies dem Senat nicht die Überprüfung, ob bei diesen Taten die Erheblichkeitsschwelle des § 63 Satz 1 StGB überschritten sein wird. Denn die Kammer hat die Anlasstat als Bezugspunkt ihrer Prognose so rudimentär dargestellt, dass deren konkrete Auswirkungen auf die Geschädigte unklar bleiben; die bruchstückhaften Feststellungen belegen noch nicht einmal das Vorliegen der vom Landgericht angenommenen vollendeten Körperverletzung.
Die Kammer hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob das Würgen für die Geschädigte mit einer Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens oder der körperlichen Unversehrtheit (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 223 Rn. 4 mwN; ferner BGH, Urteil vom 15. September 2010 - 2 StR 400/10, juris Rn. 3, 6, 14 zum sog. „Schwitzkasten“) bzw. mit einer Schädigung der Gesundheit (vgl. Fischer, aaO Rn. 8 mwN) verbunden war. Zwar liegen körperliche Beeinträchtigungen wie Luftnot oder Schmerzen bei einem Würgeangriff nicht fern; da sich die Urteilsgründe aber weder im Hinblick auf die Anlasstat noch im Hinblick auf die Vielzahl der weiteren festgestellten Würgeattacken in der Vergangenheit zu derartigen körperlichen Beeinträchtigungen verhalten, zudem auch nicht festgestellt ist, dass die früheren Angriffe je zu Verurteilungen bzw. zu Freisprüchen oder Verfahrenseinstellungen wegen Schuldunfähigkeit geführt haben, kann der Senat nicht ohne Weiteres zugrunde legen, dass körperliche Beeinträchtigungen eingetreten sind. Soweit die Strafkammer festgestellt hat, die Mitpatientin habe durch den Vorfall „stärkere psychische Beschwerden“ erlitten, so reicht dies für die Annahme einer Körperverletzung ebenfalls nicht aus. Denn diese Feststellung belegt keinen pathologischen, somatisch-objektivierbaren Zustand (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2015 - 4 StR 548/14, NStZ 2015, 269 mwN).
Soweit die Strafkammer in prognostischer Hinsicht davon ausgegangen ist, der Krafteinsatz bei zukünftigen Würgeangriffen könne sich - im Vergleich zur Anlasstat - steigern und der Würgevorgang sogar bis zum Eintritt des Todes des Opfers fortgesetzt werden, hat sie nicht alle relevanten Faktoren in ihre Prognose eingestellt. Denn sie hat nicht in Bedacht genommen, dass für den Zeitraum von mehr als sieben Jahren seit der ersten Würgeattacke Anfang 2011 nicht festgestellt ist, dass die Geschädigten der Würgeangriffe überhaupt körperliche Beeinträchtigungen davontrugen, und sich den Feststellungen auch keine konstellativen Faktoren entnehmen lassen, die nunmehr auf eine Steigerung der Angriffsintensität hindeuten könnten.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 79
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 173
Bearbeiter: Christian Becker