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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 791

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 400/18, Beschluss v. 20.02.2019, HRRS 2019 Nr. 791


BGH 3 StR 400/18 - Beschluss vom 20. Februar 2019 (LG Oldenburg)

Keine Rechtfertigung von Erwerb und Besitz einer später zu Verteidigungszwecken eingesetzten Schusswaffe (unmittelbares Zusammenfallen des Waffendelikts mit einer durch Notwehr gerechtfertigten Verletzungshandlung; Notstand; gegenwärtige Gefahr); Konkurrenzen.

§ 32 StGB; § 34 StGB; § 35 StGB; § 52 StGB; § 52 WaffG

Leitsatz des Bearbeiters

Ein Verstoß gegen das Waffengesetz ist gerechtfertigt, soweit er unmittelbar mit einer ihrerseits durch Notwehr gerechtfertigten, mittels der Waffe begangenen Verletzungshandlung zusammenfällt. Erwerb und Besitz der Waffe vor der Notwehrlage sind hingegen nur dann gerechtfertigt, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes (etwa nach § 34 StGB) gegeben sind.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 23. Februar 2018

im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte

des unerlaubten Erwerbs einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer solchen Waffe schuldig ist und

im Übrigen freigesprochen wird;

im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verabredete der Nebenkläger N. C. mit dem Angeklagten ein Treffen in dessen Geschäftsräumen, bei dem der Nebenkläger Auskünfte über eine Beteiligung des Geschäftspartners des Angeklagten an der vermuteten Tötung seines verschwundenen Sohnes erhalten und zugleich Schulden des Geschäftspartners einfordern wollte. Der Angeklagte fühlte sich von dem Nebenkläger bedroht und hatte dies bereits einige Tage zuvor der Polizei mitgeteilt. Etwa eine Stunde vor dem Eintreffen des Nebenklägers nahm er aus dem Schreibtisch seines Geschäftspartners dessen Pistole Walther P22, weil er - zutreffend - annahm, dass der Nebenkläger bewaffnet erscheinen würde, und eine Eskalation befürchtete. Als dieser und kurz darauf auch dessen Bruder Z. C. wie angekündigt gegen 18:00 Uhr eintrafen, forderte der aggressiv auftretende Nebenkläger die Begleichung von Schulden des Geschäftspartners des Angeklagten; dieser warf dem Nebenkläger vor, Schutzgeld zu fordern, und griff zum Telefon, um die Polizei zu rufen. Daraufhin riss ihm der Nebenkläger das Telefon aus der Hand, während sein Bruder ein auf dem Schreibtisch liegendes Klappmesser ergriff und es dem Angeklagten drohend vorhielt. Dieser wich zurück, zog die Pistole, schoss zweimal in den Boden und rief, dass sie verschwinden sollen. Dabei traf ein Streifschuss den Nebenkläger am Schienbein. Z. C. ging mit schnellen Schritten mit dem Messer auf den Angeklagten zu und forderte ihn auf, die Pistole fallen zu lassen. Nunmehr schoss der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz dreimal aus einer Entfernung von 50 bis 80 cm auf Z. C., um dessen lebensbedrohlichen Messerangriff abzuwehren. Während Z. C. von drei Schüssen tödlich getroffen zu Boden sank, griff nun auch der Nebenkläger zu seiner Pistole, die er in einer Ledertasche mitführte. Um dem erwarteten Angriff zuvorzukommen, versuchte der Angeklagte, auf den Nebenkläger zu schießen; weil seine Waffe jedoch wegen einer Funktionsstörung versagte, warf er sich auf den Nebenkläger und brachte ihn zu Boden. Als der Nebenkläger daraufhin den Angeklagten am Hals würgte, schlug dieser mit seiner Waffe auf ihn ein, bis es ihm schließlich gelang, den Nebenkläger am Boden zu fixieren und die Polizei zu rufen. Z. C. verstarb noch am Ort des Geschehens an den Folgen eines Herzdurchschusses. Der Nebenkläger erlitt neben der Verletzung am Schienbein multiple Gesichtsfrakturen und Riss- bzw. Quetschwunden im Gesicht.

Das Landgericht hat das gesamte festgestellte Verhalten des Angeklagten dahin gewertet, dass er sich wegen Führens einer Selbstladekurzwaffe nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG strafbar gemacht habe. Tateinheitlich hierzu habe er durch die Schüsse auf Z. C. und das weitere gewaltsame Einwirken auf den Nebenkläger tatbestandlich die Delikte des Totschlags, des versuchten Totschlags sowie der gefährlichen Körperverletzung verübt, die allerdings durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt seien.

2. Während die Annahme der Rechtfertigung der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte durch Notwehr rechtlicher Prüfung standhält, begegnen die Würdigung des Geschehens als Führen einer Selbstladekurzwaffe und die konkurrenzrechtliche Bewertung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Das Führen einer Waffe setzt nach Anlage 1 Abschnitt 2 Nr. 4 zum WaffG das Ausüben der tatsächlichen Gewalt über diese außerhalb der eigenen Wohn- und Geschäftsräume, des eigenen befriedeten Besitztums oder einer Schießstätte voraus. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nahm der Angeklagte die Pistole indes in den mit seinem Geschäftspartner betriebenen Geschäftsräumen in Besitz und setzte sie allein dort ein. Er erfüllte damit den Tatbestand des Erwerbs und tateinheitlichen Besitzes einer Selbstladekurzwaffe gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG.

b) Hinsichtlich des Einsatzes der Schusswaffe zum Zweck der Notwehr hat das Landgericht nicht bedacht, dass dem Angeklagten in der unmittelbaren Notwehrlage der Einsatz der unberechtigt in Besitz genommenen Pistole nicht verwehrt war, da ihm kein anderes zur Abwehr der Angriffe geeignetes Mittel zur Verfügung stand. Nach § 32 StGB waren daher nicht nur die fahrlässige Körperverletzung (durch die Schienbeinverletzung infolge der Warnschüsse in den Boden), der Totschlag, der versuchte Totschlag und die gefährliche Körperverletzung gerechtfertigt, sondern auch der Verstoß gegen das Waffengesetz, soweit er unmittelbar mit den Verletzungshandlungen zusammenfiel (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. August 2010 - 2 StR 118/10, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 10; vom 26. Oktober 1990 - 2 StR 310/90, juris Rn. 7).

c) Nicht gerechtfertigt sind indes der Erwerb und Besitz der Schusswaffe vor Eintritt der Notwehrlage. Insoweit lagen - entgegen der Revision - auch die Voraussetzungen eines rechtfertigenden (§ 34 StGB) oder entschuldigenden (§ 35 StGB) Notstands nicht vor. Denn zu dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte die Waffe an sich nahm, lag noch keine gegenwärtige Gefahr vor, die der Angeklagte nur durch das Aufnehmen der Waffe hätte abwenden können. Da der Nebenkläger sein Erscheinen und den voraussichtlichen Zeitpunkt telefonisch angekündigt hatte, bestand auch (noch) keine Lage, die unmittelbar in eine konkrete Gefahr hätte umschlagen können. Dem Angeklagten, der sich der abstrakten Gefahrenlage bewusst war, wäre es zu diesem Zeitpunkt möglich gewesen, dem Treffen aus dem Weg zu gehen. Der von der Revision vermissten Auseinandersetzung mit der Frage eines Irrtums über die Voraussetzungen des § 35 StGB bedurfte es nicht. Den Urteilsfeststellungen lässt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass der Angeklagte irgendwelche relevanten tatsächlichen Umstände nicht oder fälschlich angenommen haben könnte; angesichts des Tatgeschehens liegt ein solcher Irrtum auch sonst fern. Ein bloßer Bewertungsirrtum wäre von § 35 Abs. 2 StGB nicht erfasst (Fischer, StGB, 66. Aufl., § 35 Rn. 17).

d) Zwischen dem tateinheitlichen Erwerb und Besitz der Waffe einerseits und den durch ihren Einsatz begangenen - hier durch Notwehr gerechtfertigten - Straftaten (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG, § 212 Abs. 1 sowie § 212 Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, § 229 StGB) andererseits besteht - wie bereits mit der Anklageschrift vorgeworfen - Tatmehrheit (vgl. BGH, Urteile vom 16. März 1989 - 4 StR 60/89, BGHR StGB § 52 Abs. 1, Handlung, dieselbe 17; vom 15. April 1998 - 2 StR 670/97, juris Rn. 5). Die bloße Möglichkeitsvorstellung bei der Inbesitznahme der Waffe, diese später gegebenenfalls zur Verteidigung einzusetzen, vermag Erwerb und Besitz der Waffe nicht zu einem einheitlichen Tatgeschehen mit den mit der Waffe begangenen Delikten gegen Leib und Leben zu verknüpfen. Es bedurfte daher eines (Teil-) Freispruchs hinsichtlich der vorgeworfenen durch Notwehr gerechtfertigten Straftaten.

3. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte dagegen nicht anders hätte verteidigen können.

4. Die Änderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs, zumal das Landgericht wegen der irrigen Annahme nur einer materiellrechtlichen Tat den Schuldumfang auf die Phase des gerechtfertigten Handelns erstreckt hat.

5. Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück, da eine Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer nicht mehr begründet ist.

6. Die Kostenbeschwerde des Angeklagten ist damit gegenstandslos geworden.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 791

Externe Fundstellen: NStZ 2020, 358

Bearbeiter: Christian Becker