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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 325

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 378/18, Beschluss v. 11.12.2018, HRRS 2019 Nr. 325


BGH 3 StR 378/18 - Beschluss vom 11. Dezember 2018 (LG Mainz)

Betäubungsmittelstrafrecht (Bestimmen eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens; Verhältnis von Abgabe und Beihilfe zum Handeltreiben; Ausübung der tatsächlichen Verfügungsgewalt; ohne Eigennutz erbrachte Tatbeiträge); anwendbares Recht bei in verschiedenen Altersstufen begangenen Straftaten; rechtsfehlerhafte Nichterörterung der Unterbringungsvoraussetzungen (Hang zum übermäßigen Konsum berauschender Mittel).

§ 29 BtMG; § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG; § 32 JGG; § 64 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die in § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG geregelte Tathandlungsvariante des Bestimmens eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens ist als eine Anstiftung zur Beihilfe zum Handeltreiben zu verstehen, die durch diesen Straftatbestand zu der eigentlichen Haupttat erhoben und mit einem eigenen Strafrahmen versehen wird. Der Täter kann den Minderjährigen auch zur Förderung seines eigenen Handeltreibens bestimmen. Daneben scheidet eine Strafbarkeit des selbst handeltreibenden Täters wegen Bestimmens eines Minderjährigen zur Veräußerung von Betäubungsmitteln aus, auch wenn dieser sie uneigennützig - unter Abführung der Erlöse - für den Handeltreibenden an dessen Abnehmer verkauft.

2. Betäubungsmittel gibt ab, wer die tatsächliche Verfügungsgewalt - ohne rechtsgeschäftliche Grundlage und ohne Gegenleistung - einem Dritten überträgt, der über das Betäubungsmittel frei verfügen kann. Dienen solche ohne Eigennutz erbrachten Tatbeiträge jedoch dem von einem anderen veranlassten profitorientierten Betäubungsmittelumsatz, liegt keine Abgabe, sondern eine Beihilfe zum Handeltreiben des nach Gewinn oder sonstigen persönlichen Vorteilen strebenden anderen nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG, § 27 Abs. 1 StGB vor.

3. Welches Recht einheitlich auf mehrere in verschiedenen Altersstufen begangene Straftaten anzuwenden ist, richtet sich danach, wo deren Schwergewicht liegt. Dem Tatgericht kommt diesbezüglich ein Beurteilungsspielraum zu. Für die Entscheidung haben die numerische Anzahl und die äußere Schwere der Taten keine entscheidende Bedeutung; beides kann nur als Anzeichen für die Beurteilung wirken. Im Mittelpunkt der Prüfung steht vielmehr die Frage, ob eine frühere Straftat zugleich auslösende Bedeutung für spätere Straftaten hat und sich letztere gewissermaßen als in dieser früheren bereits angelegt darstellen. Lässt sich nicht eindeutig erkennen, dass das Schwergewicht bei der vom Angeklagten als Heranwachsender begangenen und nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Straftat liegt, so ist für alle Taten allgemeines Strafrecht anzuwenden.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 9. Mai 2018

im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte schuldig ist

in den Fällen II. 1. und II. 2. der Urteilsgründe des Bestimmens eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige und mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln,

im Fall II. 9. der Urteilsgründe des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln.

mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben

im gesamten Strafausspruch,

soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „versuchten Bestimmens eines Minderjährigen, Betäubungsmittel zu veräußern, in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige und mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln“ (Fall II. 1. der Urteilsgründe), wegen „Bestimmens eines Minderjährigen, Betäubungsmittel zu veräußern, in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige und mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln“ (Fall II. 2. der Urteilsgründe) sowie wegen „gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in acht Fällen“ (Fälle II. 3. bis II. 10. der Urteilsgründe) unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen verkaufte der am 1994 geborene Angeklagte in den Jahren 2015 und 2016 im Raum O. Rauschgift, um damit Gewinn zu erzielen und seinen eigenen Drogenkonsum zu finanzieren. Dabei beging er die zehn abgeurteilten Taten, darunter auch die folgenden drei:

1. Der Angeklagte fragte die am 1999 geborene Zeugin U., ob sie für ihn Drogen verkaufen wolle. Diese erklärte sich hierzu bereit. Am 6. Mai 2016 übergab er der - wie er wusste - 16-Jährigen in Umsetzung dieser Absprache mindestens acht Gramm Marihuana, das zu einzelnen Konsumeinheiten verpackt war (Fall II. 1.).

2. Auf Frage des Angeklagten erklärte sich die Zeugin U. außerdem dazu bereit, für ihn in der Schule Drogen zu verkaufen. In Umsetzung dieser Absprache übergab der Angeklagte der 16-Jährigen am 13. Mai 2016 erneut Marihuana, und zwar mindestens sechs Gramm Blüten im Schwarzmarkwert von 120 €. Die Zeugin U. bot das in einzelne Verkaufseinheiten zu je mindestens 0,5 Gramm vorportionierte Cannabis Mitschülern zum Kauf an. Sie verkaufte der Zeugin H. jedenfalls 0,5 Gramm für 10 € (Fall II. 2.).

3. An einem nicht näher feststellbaren Tag im Jahr 2015 veräußerte der Angeklagte an die am 2000 geborene Zeugin H., von der ihm bekannt war, dass sie noch keine 18 Jahre alt war, ein Gramm Marihuana für 10 € (Fall II. 9.). Dieser Tat - wie auch den sonstigen Taten (Fälle II. 3. bis II. 8. sowie II. 10.) - lag der Wille des Angeklagten zugrunde, sich durch den Verkauf einzelner Konsumeinheiten an Minderjährige mit szenetypischem Gewinnaufschlag eine Einnahmequelle von einigem Gewicht und einiger Dauer zu verschaffen.

II.

1. Der Schuldspruch in den Fällen II. 1. und II. 2 kann nicht bestehen bleiben. Die Urteilsfeststellungen tragen nicht die Verurteilung des Angeklagten wegen des (jeweils tateinheitlich zu der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige sowie dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln begangenen) versuchten bzw. vollendeten Bestimmens eines Minderjährigen zur Veräußerung von Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB bzw. § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG. Anstelle dessen ist er auf der Grundlage der Feststellungen in beiden Fällen des (vollendeten) Bestimmens eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ebenfalls gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG schuldig.

a) Es sind folgende rechtliche Maßstäbe anzulegen:

Die in § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG geregelte Tathandlungsvariante des Bestimmens eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens ist als eine Anstiftung zur Beihilfe zum Handeltreiben zu verstehen, die durch diesen Straftatbestand zu der eigentlichen Haupttat erhoben und mit einem eigenen Strafrahmen versehen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 7. August 2014 - 3 StR 17/14, NStZ 2015, 347, 348; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 30a Rn. 49, 59). Der Täter kann den Minderjährigen auch zur Förderung seines eigenen Handeltreibens bestimmen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2018 - 3 StR 482/17, StV 2018, 482; KPV BtMG/Patzak, 8. Aufl., § 30a Rn. 41). Daneben scheidet eine Strafbarkeit des selbst handeltreibenden Täters wegen Bestimmens eines Minderjährigen zur Veräußerung von Betäubungsmitteln aus, auch wenn dieser sie uneigennützig - unter Abführung der Erlöse - für den Handeltreibenden an dessen Abnehmer verkauft.

Nur ein solches Verständnis von § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs betreffend das Verhältnis der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG, § 27 Abs. 1 StGB zu der Abgabe von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG (zur einheitlichen Auslegung der in beiden Straftatbeständen gleichlautenden Merkmale s. MüKoStGB/O?lakc?o?lu, 3. Aufl., § 30a BtMG Rn. 52; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 30a Rn. 58). Denn eine Veräußerung ist eine durch entgeltliches Rechtsgeschäft qualifizierte Form der Abgabe (vgl. BGH, Beschluss vom 3. August 1990 - 3 StR 245/90, BGHSt 37, 147, 151; Weber aaO, § 29 Rn. 1059, 1098); sie erfordert nur zusätzlich eine Gegenleistung auf rechtsgeschäftlicher Grundlage (vgl. MüKoStGB/O?lakc?o?lu aaO, § 29 BtMG Rn. 815 ff.; Weber aaO, § 29 Rn. 1059, 1113).

Für das Verhältnis der Beihilfe zum Handeltreiben sowie der Abgabe gilt: Zwar gibt Betäubungsmittel ab, wer die tatsächliche Verfügungsgewalt - ohne rechtsgeschäftliche Grundlage und ohne Gegenleistung - einem Dritten überträgt, der über das Betäubungsmittel frei verfügen kann. Dienen solche ohne Eigennutz erbrachten Tatbeiträge jedoch dem von einem anderen veranlassten profitorientierten Betäubungsmittelumsatz, liegt keine Abgabe, sondern eine Beihilfe zum Handeltreiben des nach Gewinn oder sonstigen persönlichen Vorteilen strebenden anderen nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG, § 27 Abs. 1 StGB vor (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 1998 - 4 StR 403/98, NStZ-RR 1999, 89; ferner BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 3 StR 305/09, juris Rn. 6).

b) Gemessen an den aufgezeigten rechtlichen Maßstäben bezog sich das Bestimmen durch den Angeklagten nicht auf eine von der Zeugin U. vorzunehmende und vorgenommene Veräußerung, auch wenn sie „ohne Eigennutz“ (UA S. 10) Marihuana für den Angeklagten verkaufen sollte und verkaufte. Vielmehr hat sich der Angeklagte in beiden Fällen wegen Bestimmens eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln strafbar gemacht, indem der Angeklagte die Zeugin jeweils dazu anstiftete, ihn bei seinem Rauschgifthandel zu unterstützen. Mit der Übergabe der Drogen an die Zeugin entfaltete er nach den Feststellungen zugleich eine auf den Umsatz gerichtete Handelstätigkeit. Die geförderte Haupttat war daher nicht nur im Fall II. 2., sondern auch im Fall II. 1. vollendet, weshalb es unschädlich ist, dass sich das Urteil nicht zu einem freiwilligen Rücktritt verhält. Darüber hinaus lässt sich den Urteilsgründen entnehmen, dass die Zeugin U. mit doppeltem Gehilfenvorsatz tätig war; es versteht sich in Anbetracht der festgestellten Tatumstände von selbst, dass sie die zentralen Merkmale der Haupttat, namentlich den wesentlichen Unrechtsgehalt und die wesentliche Angriffsrichtung, zumindest für möglich hielt und billigte.

c) Der Senat kann hinsichtlich des Schuldspruchs analog § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst dahin entscheiden, dass der Angeklagte in den Fällen II. 1. und II. 2. des Bestimmens eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige und mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln schuldig ist. Die Vorschrift des § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte hiergegen nicht anders hätte verteidigen können (s. KK/Gericke, StPO, 7. Aufl., § 354 Rn. 15). Im Fall II. 1. stellt diese Umstellung zwar eine Schuldspruchverschärfung dar; hieran ist der Senat indes durch das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht gehindert (vgl. KK/Gericke aaO, § 358 Rn. 18).

2. Auch der Schuldspruch im Fall II. 9. hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach den Feststellungen war der Angeklagte zum Tatzeitpunkt - nicht ausschließbar - noch keine 21 Jahre alt, sodass eine gewerbsmäßige Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige nach § 29a Abs. 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG tatbestandlich ausscheidet. Die Feststellungen belegen jedoch ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG.

Der Senat kann den Schuldspruch analog § 354 Abs. 1 StPO dahin ändern, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig ist. Denn in einer neuen Hauptverhandlung sind keine weitergehenden Feststellungen zum Tatzeitpunkt zu erwarten. § 265 StPO steht auch dieser Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte hiergegen ebenso wenig anders hätte verteidigen können.

3. Da der Angeklagte im Fall II. 9. - nicht ausschließbar - noch keine 21 Jahre alt war, begegnet der Strafausspruch insgesamt durchgreifenden rechtlichen Bedenken; denn die (allgemeine) Strafkammer hat nicht gemäß § 32 i.V.m. § 105 Abs. 1 JGG die - einheitliche - Anwendung von Jugendstrafrecht geprüft.

a) Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung nicht bedacht, dass der Angeklagte die im Fall II. 9. abgeurteilte Tat als Heranwachsender (§§ 1, 105 JGG) beging. Daher wäre jedenfalls zu erörtern gewesen, ob er gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG zur Zeit dieser Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, sodass an sich Jugendstrafrecht anzuwenden wäre.

b) Auch die für die sonstigen Straftaten verhängten Einzelstrafen können nicht bestehen bleiben. Zwar ergeben die Feststellungen, dass der Angeklagte bei Begehung dieser Taten das 21. Lebensjahr vollendet hatte. Sollte im Fall II. 9. an sich Jugendstrafrecht anzuwenden sein, so würde die Verurteilung teils zu Jugend-, teils zu Erwachsenenstrafe aber gegen § 32 i.V.m. § 105 Abs. 1 JGG verstoßen. Danach ist es nicht statthaft, bei gleichzeitiger Aburteilung von Taten, auf die teils Jugendstrafrecht, teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, sowohl auf Jugendstrafe als auch auf Erwachsenenstrafe zu erkennen. Vielmehr ist entsprechend dem Schwergewicht der Taten entweder nur nach Jugendstrafrecht oder nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen.

Welches Recht einheitlich auf mehrere in verschiedenen Altersstufen begangene Straftaten anzuwenden ist, richtet sich danach, wo deren Schwergewicht liegt. Dem Tatgericht kommt diesbezüglich ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2009 - 3 StR 171/09, juris Rn. 11; ferner BGH, Urteil vom 29. Juli 1992 - 2 StR 20/92, BGHR JGG § 32 Schwergewicht 3 [tatrichterliches Ermessen]). Für die Entscheidung haben die numerische Anzahl und die äußere Schwere der Taten keine entscheidende Bedeutung; beides kann nur als Anzeichen für die Beurteilung wirken. Im Mittelpunkt der Prüfung steht vielmehr die Frage, ob eine frühere Straftat zugleich auslösende Bedeutung für spätere Straftaten hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1989 - 1 StR 266/89, bei Böhm NStZ 1989, 523; vom 18. Juni 2009 - 3 StR 171/09, aaO) und sich letztere gewissermaßen als in dieser früheren bereits angelegt darstellen (vgl. Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 32 Rn. 11 f.). Lässt sich nicht eindeutig erkennen, dass das Schwergewicht bei der vom Angeklagten als Heranwachsender begangenen und nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Straftat liegt, so ist für alle Taten allgemeines Strafrecht anzuwenden.

Die Beurteilung, wo das Schwergewicht der Straftaten liegt, ist im Wesentlichen Tatfrage (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2009 - 3 StR 171/09, juris Rn. 11). Werden - wie hier - entsprechende Überlegungen deshalb nicht angestellt, weil der Tatrichter übersehen hat, dass die Anwendbarkeit des Jugendgerichtsgesetzes in Betracht kommt, können nicht eigene Erwägungen des Revisionsgerichts an deren Stelle treten (zum Ganzen s. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2015 - 4 StR 59/15, NStZ 2016, 101 mwN).

4. Das Urteil erweist sich überdies insoweit als rechtsfehlerhaft, als eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Das Landgericht hat die Maßregel nicht unerörtert lassen dürfen.

Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte etwa im Alter von 15 Jahren mit dem täglichen Konsum von Amphetamin begann. Später nahm er jeden Tag Cannabis. Ab dem 18. Lebensjahr kam der tägliche Konsum von Kokain und Ecstacy hinzu. Nach einer zehntägigen Entgiftung zum Jahreswechsel 2013/2014 lebte der Angeklagte fünf Monate abstinent; eine weitere Entgiftung Ende 2014 brach er vorzeitig ab. Nach Verbüßung eines Jugendarrests stellte er den Drogenmissbrauch zunächst ein, „begann“ indes ab Sommer 2015 „wieder in gewisser Regelmäßigkeit mit dem Konsum von Cannabis, allerdings ohne ein abhängiges Konsummuster zu entwickeln“ (UA S. 3). Der Angeklagte beging die abgeurteilten Straftaten auch zur Finanzierung des eigenen Drogenkonsums, war vor seiner Inhaftierung zuletzt mehr als acht Monate arbeitslos und trat vielfach strafrechtlich - insbesondere auch wegen Betäubungsmitteldelikten - in Erscheinung.

In Anbetracht dessen hätte es einer Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedurft. Allein die Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe seit Sommer 2015 kein „abhängiges Konsummuster“ - mehr - entwickelt, steht dabei der Annahme eines Hangs, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen (§ 64 Satz 1 StGB), nicht entgegen. Für einen solchen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (zu den Voraussetzungen s. auch BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2018 - 3 StR 645/17, juris Rn. 8; vom 17. Mai 2018 - 3 StR 166/18, juris Rn. 12). Letzteres wäre unter den gegebenen Umständen näher zu beleuchten gewesen.

5. Im Übrigen hat die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

III.

Der Strafausspruch sowie die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterliegen somit der Aufhebung. In diesem Umfang bedarf die Sache - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - erneuter Verhandlung und Entscheidung. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die etwaige Nachholung einer solchen Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Der Angeklagte hat die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2018 - 3 StR 563/17, juris Rn. 9; vom 20. Juni 2018 - 4 StR 187/18, juris Rn. 5).

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Jugendkammer gemäß §§ 32, 105 Abs. 1 JGG zur Anwendung von Jugendstrafrecht gelangen und zugleich die Maßregel des § 64 StGB i.V.m. § 7 Abs. 1, § 105 Abs. 1 JGG anordnen, so wird sie nach § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG zu prüfen haben, ob von weitergehenden jugendstrafrechtlichen Sanktionen abzusehen ist. Sollte die Jugendkammer eine solche Sanktion verhängen, wird sie nach § 105 Abs. 1, 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 JGG die Einbeziehung der Vorverurteilung zu prüfen haben (hierzu s. BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 - 3 StR 189/18, juris Rn. 11).

2. Es erscheint rechtlich bedenklich, wenn - wie hier - bei der Bestimmung des Strafmaßes nach allgemeinem Strafrecht nicht alle bei der Strafrahmenwahl berücksichtigten strafmildernden Umstände in die Strafzumessung im engeren Sinne einfließen, sondern insoweit nur ein Teil dieser Umstände nochmals benannt wird.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 325

Externe Fundstellen: NStZ 2019, 417; StV 2020, 393

Bearbeiter: Christian Becker