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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 468

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 24/18, Beschluss v. 19.04.2018, HRRS 2018 Nr. 468


BGH 3 StR 24/18 - Beschluss vom 19. April 2018 (LG Düsseldorf)

Rechtsfehlerhaftes Absehen von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang zum übermäßigen Genuss berauschender Mittel; symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat; weitere Ursachen der Tatbegehung).

§ 64 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang zum übermäßigen Genuss berauschender Mittel i.S.d. § 64 StGB und einer Anlasstat ist bereits dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit zu der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten beigetragen hat. Dass außer dem Hang weitere Persönlichkeitsmängel eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen, steht dem erforderlichen symptomatischen Zusammenhang nicht entgegen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 18. Oktober 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen; jedoch wird der Urteilstenor dahingehend ergänzt, dass der Angeklagte im Übrigen freigesprochen ist.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten und wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Entscheidung des Landgerichts, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die Annahme des sachverständig beratenen Landgerichts, dass „für den tatrelevanten Zeitraum ein Hang iSd § 64 StGB nicht vorgelegen habe“ (UA S. 27), begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach den getroffenen Feststellungen besteht bei dem Angeklagten bereits seit jugendlichem Alter eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit von Opiaten und Heroin; daneben konsumiert er seit Jahren Alkohol im Übermaß. Er absolvierte im Jahr 1997 eine Alkoholentwöhnungstherapie und war von 2004 bis 2006 in einer Entziehungsanstalt; beides führte nicht zum Erfolg. Im Tatzeitraum wurde er mit Polamidon substituiert. Zumindest zwei der Anlasstaten beging der Angeklagte unter dem Einfluss von Alkohol und verschiedenen Drogen und Medikamenten. Entgegen der Wertung des Landgerichts besteht daher ein „Hang“ des Angeklagten zum übermäßigen Genuss berauschender Mittel im Sinne des § 64 Satz 1 StGB (vgl. zum Begriff BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 2011 - 3 StR 429/10, juris Rn. 4; vom 6. Februar 2018 - 3 StR 629/17, juris Rn. 12).

b) Das Landgericht ist zudem - mit teils widersprüchlichen Erwägungen - von einem zu engen und deshalb rechtsfehlerhaften Verständnis von dem erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstaten ausgegangen. Insoweit gilt:

aa) Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstat ist. Vielmehr ist ein solcher Zusammenhang bereits dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2009 - 3 StR 191/09, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 5). Dass außer dem Hang weitere Persönlichkeitsmängel eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen, steht dem erforderlichen symptomatischen Zusammenhang nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1996 - 2 StR 470/96, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1).

bb) Soweit das Landgericht ausgeführt hat, dass die Persönlichkeitsdefizite des Angeklagten tatbestimmend gewesen seien und seine Betäubungsmittelabhängigkeit „allenfalls einen tatbegleitenden Faktor“ darstellte, steht dies - ebenso wie die Erwägung, dass sich die Taten „mit situativen Befindlichkeiten des Angeklagten“ erklären ließen - bereits im Widerspruch zu den Feststellungen zum Tatgeschehen. Danach geriet der Angeklagte bei dem schweren Raub und der damit einhergehenden Körperverletzungshandlung „aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur in Verbindung mit dem bestehenden Mischintoxikationszustand“ in einen hochgradigen Reizzustand, in dem er sich zur Wegnahme des Bargeldes unter Gewaltanwendung entschloss. Auf ihn wirkten zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von 1,77 ‰ und ein Drogengemisch von Polamidon, Diazepam, Resten von Cannabis und einem flupirtinhaltigen Medikament „so enthemmend und aggressionsfördernd“ ein, dass er nur noch eingeschränkt in der Lage war, sein Verhalten zu steuern (UA S. 20). Damit ist ein hinreichender Zusammenhang zwischen seinem Hang und zumindest dieser Tat belegt.

c) Anhaltspunkte dafür, dass der vielfach, auch einschlägig vorbestrafte Angeklagte nicht gefährlich im Sinne des § 64 Satz 1 StGB ist, sind nicht ersichtlich. Da auch die für die Anordnung der Maßregel erforderlichen Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB), zu der sich das Urteil nicht verhält, nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden.

d) Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9; Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107); er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.

2. Die Urteilsformel bedarf der Ergänzung, da der Teilfreispruch vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin E. (II.4. der Urteilsgründe) dort nicht enthalten ist. Die Kostenentscheidung („So weit der Angeklagte freigesprochen wurde…") und die Ausführungen zum Teilfreispruch in den Urteilsgründen belegen, dass es sich nur um ein offensichtliches Versehen handelt, das einer Berichtigung im Revisionsverfahren zugänglich ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 468

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 204

Bearbeiter: Christian Becker