HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 948
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 48/17, Beschluss v. 13.06.2017, HRRS 2017 Nr. 948
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 26. Oktober 2015 im Ausspruch über den Adhäsionsantrag aufgehoben, soweit die Beschwerdeführer als Gesamtschuldner verurteilt worden sind, den Adhäsionskläger von der Zahlung außergerichtlicher Kosten in Höhe von 492,54 € freizustellen; insoweit wird von der Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen.
Bezüglich des Angeklagten J. P. wird festgestellt, dass das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagten J. und Je. P. des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und gegen J. P. eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten sowie gegen Je. P. eine Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt. Die Angeklagte H. hat es wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen und dabei unter anderem die Angeklagten als Gesamtschuldner verurteilt, den Adhäsionskläger von der Zahlung außergerichtlicher Kosten in Höhe von 492,54 € freizustellen. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung materiellen Rechts; die Angeklagten J. und Je. P. beanstanden darüber hinaus auch das Verfahren. Die Rechtsmittel bleiben zum Schuld- und Strafausspruch ohne Erfolg. Auf die Revision des Angeklagten J. P. ist festzustellen, dass das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist. Der Adhäsionsausspruch kann in dem dargelegten Teil nicht bestehen bleiben.
Über die zutreffenden Darlegungen in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts hinaus bedarf lediglich Folgendes der Erörterung:
1. Die von den Angeklagten J. und Je. P. erhobene Beanstandung, § 244 Abs. 3, 4 und 6, § 261 StPO seien verletzt, weil die Strafkammer unter Beweis gestellte Umstände als wahr unterstellt und dabei das Beweisbegehren nicht vollständig ausgeschöpft habe, dringt nicht durch.
Zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts, der in diesem Zusammenhang u.a. darauf abgestellt hat, es fehle an einer ausreichend bestimmten Beweistatsache, soweit die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Weg-Zeit-Berechnung am Tattag beantragt worden sei, gilt:
Nicht ausreichend konkretisierte, unklare oder widersprüchliche Beweistatsachen dürfen zwar grundsätzlich nicht als wahr unterstellt werden. Enthält das Beweisbegehren derartige Behauptungen, so hat das Gericht vor der Wahrunterstellung darauf hinzuwirken, dass die Beweisbehauptung präzisiert oder ihr Sinn klargestellt wird. Unterlässt es dies jedoch und unterstellt das Vorbringen gleichwohl als wahr, so ist es an diese Zusage in derselben Weise gebunden, als wenn es sich hierbei um eine ausreichend konkretisierte Beweisbehauptung gehandelt hätte. Hieraus folgt zunächst, dass es sich in den Urteilsgründen nicht in Widerspruch zu der Wahrunterstellung setzen darf. Im Übrigen kann das Revisionsgericht angesichts der Zusage einer Wahrunterstellung nicht darauf abstellen, dass es dem Tatgericht möglich gewesen wäre, eine unzureichende Konkretisierung der Beweisbehauptung anzunehmen; vielmehr ist es im Falle einer Wahrunterstellung unerheblich, ob das Antragsvorbringen den Konkretisierungsanforderungen an eine Beweisbehauptung genügt (vgl. zu alldem BGH, Urteil vom 9. Mai 1994 - 5 StR 354/93, BGHSt 40, 169, 185; Beschluss vom 16. September 1997 - 5 StR 440/97, NStZ-RR 1998, 13, 14; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 304 mwN). Dies bedeutet, dass sich die revisionsrechtliche Überprüfung bei Behauptungen, deren Inhalt als wahr unterstellt wird, einheitlich nach den im Rahmen des § 244 Abs. 3 StPO geltenden Maßstäben vollzieht, nicht aber - wie sonst bei einem Vorbringen, das die Anforderungen an eine Beweisbehauptung wegen mangelnder Bestimmtheit nicht erfüllt - nach denjenigen des § 244 Abs. 2 StPO.
Dessen eingedenk hat die Strafkammer in den Urteilsgründen nicht gegen die zugesagte Wahrunterstellung verstoßen. Die Auslegung des Beweisvorbringens (zu dem hieran anzulegenden Maßstab vgl. etwa BGH, Urteile vom 13. August 1991 - 5 StR 263/91, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 23; vom 15. November 1994 - 1 StR 550/94, BGHR StPO § 244 Abs. 3 5 6 Satz 2 Wahrunterstellung 27; Beschluss vom 9. Januar 2008 - 5 StR 549/07, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 39) ergibt, dass das Landgericht dieses nicht in unzulässiger Weise eingeengt oder verändert hat. Der Beweisantrag, der der Wahrunterstellung zugrunde gelegen hat, enthält zunächst als Reaktion auf Hinweise des Gerichts in einem ersten Teil unter I. 1. und 2. Ausführungen dazu, weshalb aus Sicht der Verteidigung die Zeiträume von 10:02 Uhr bis 10:22 Uhr und 10:30 Uhr bis 11:00 Uhr nicht als Tatzeiträume in Betracht kamen, ohne dass insoweit Beweisangebote gemacht werden. Sodann folgen in einem neuen Abschnitt unter II. Ausführungen dahin, dass es ausgeschlossen sei, „nach der Wegstrecke Jet-Tankstelle bis zum Funkmast Barmen um 10:22:55 Uhr, gleichwohl im Zeitfenster 10:34 Uhr bis 10:43 Uhr den Tatortbereich zu erreichen“. Im Anschluss wird - ebenfalls noch unter II. - beantragt, zu der Frage, ob es dem Angeklagten Je. P. aufgrund der besonderen Umstände im Wuppertaler Straßenverkehr möglich gewesen sei, den Tatortbereich „im streitbefangenen Zeitfenster“ zu erreichen, ein Sachverständigengutachten einzuholen und weitere Beweise zu erheben. Damit belegen sowohl der Wortlaut des Antrags als auch dessen Sinnzusammenhang unter Berücksichtigung von Ablauf und Stand der Hauptverhandlung, dass die begehrte Beweiserhebung sich lediglich auf das Zeitfenster 10:34 Uhr bis 10:43 Uhr bezog. Nur soweit reicht folglich auch die Wahrunterstellung des Landgerichts. Nach den Urteilsfeststellungen begann der Überfall auf den Zeugen C. am 22. Juli 2014 erst gegen 11:00 Uhr, mithin außerhalb des in Rede stehenden Zeitraumes.
2. Die Strafzumessung betreffend die Angeklagte H. hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand. Zwar hat das Landgericht die Strafe dem nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Rahmen entnommen, ohne zu erörtern, ob die allgemeinen Strafmilderungsgründe und gegebenenfalls der vertypte Milderungsgrund des § 27 Abs. 2 StGB zur Annahme eines minder schweren Falles nach § 224 Abs. 1, letzter Halbsatz StGB hätten führen können. Die ausgesprochene Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt ist, ist aber jedenfalls angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO.
3. Der Angeklagte J. P. beanstandet in zulässiger Weise und in der Sache zu Recht, dass das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist, weil das Hauptverhandlungsprotokoll erst nahezu sieben Monate nach der Urteilsabsetzung fertig gestellt worden ist. Zur Kompensation dieses Umstands genügt aus den vom Generalbundesanwalt im Einzelnen dargelegten Gründen die Feststellung der Verfahrensverzögerung, die der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst vorgenommen hat.
4. Zu dem Adhäsionsausspruch hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:
„Allerdings begegnet die Entscheidung über den Adhäsionsantrag des Nebenklägers hinsichtlich des Ausspruchs über die Freistellung von der Zahlung außergerichtlicher Kosten in Höhe von 492,54 EUR durchgreifenden rechtlichen Bedenken und ist daher insoweit aufzuheben. Es fehlen Ausführungen dazu, um welche Kosten es sich konkret handelt und wodurch diese entstanden sind. Die Ausführungen auf UA S. 44 erlauben dem Senat nicht die Nachprüfung, ob der insoweit zuerkannte Anspruch auf materiellen Schadensersatz dem Grunde und der Höhe nach rechtsfehlerfrei bestimmt worden ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. Dezember 2011 - 4 StR 600/11). Daher ist insoweit gemäß § 406 Abs. 1 S. 3 StPO von einer Entscheidung abzusehen.“
Dem schließt sich der Senat an.
5. Die geringfügigen Erfolge der Rechtsmittel bieten keinen Anlass, die Verfahrenskosten oder die notwendigen Auslagen der Angeklagten auch nur teilweise der Staatskasse aufzuerlegen (§ 473 Abs. 4 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 948
Externe Fundstellen: NStZ 2018, 48; StV 2017, 790
Bearbeiter: Christian Becker