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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1126

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 401/17, Beschluss v. 05.10.2017, HRRS 2017 Nr. 1126


BGH 3 StR 401/17 - Beschluss vom 5. Oktober 2017 (LG Oldenburg)

Keine Begründung der Unglaubwürdigkeit eines zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen unter Berufung auf dessen zulässiges Schweigen im Ermittlungsverfahren.

§ 52 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die Unglaubwürdigkeit eines zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen darf nicht daraus hergeleitet werden, dieser habe im Ermittlungsverfahren geschwiegen und erst in der Hauptverhandlung entlastende Angaben gemacht. Würde die Tatsache, dass ein Zeugnisverweigerungsberechtigter von sich aus (zunächst) nichts zur Aufklärung beigetragen hat, geprüft und gewertet, so könnte er von seinem Schweigerecht nicht mehr unbefangen Gebrauch machen, weil er befürchten müsste, dass daraus später nachteilige Schlüsse zu Lasten des Angeklagten gezogen würden (vgl. bereits BGH HRRS 2016 Nr. 187).

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 31. März 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung von früher gegen die Angeklagten verhängten Strafen zu Gesamtfreiheitsstrafen von vier Jahren und vier Monaten (H.) sowie drei Jahren und acht Monaten (R.) verurteilt. Die dagegen gerichteten, auf Verfahrensbeanstandungen sowie die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachbeschwerde Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Die Verurteilung der Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist.

a) Die Angeklagten haben zu dem Anklagevorwurf, am 9. Januar 2016 zusammen mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten K. an einem Überfall auf einen Kiosk in B. beteiligt gewesen zu sein, bei dem K. die in dem Kiosk beschäftigte Verkäuferin dem gemeinsamen Tatplan entsprechend mit einem Schreckschussrevolver bedrohte und dadurch zur Herausgabe von Bargeld in Höhe von 260 Euro veranlasste, keine Angaben gemacht. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Tatbeteiligung der Angeklagten im Wesentlichen auf die entsprechenden Angaben von K. gestützt. Der Zeugenaussage des Vaters des Angeklagten R., wonach dieser ihn zur Tatzeit in einer Therapieeinrichtung in E. besuchte, hat die Strafkammer nicht geglaubt. Sie hat dies insbesondere mit folgenden Erwägungen begründet:

Der Vater des Angeklagten R. habe „nicht annähernd plausibel erklären“ können, „warum er erst jetzt entsprechende Angaben gemacht habe“, obwohl er, wie er selbst eingeräumt habe, bereits kurze Zeit nach der Tat erfahren haben wolle, dass sein Sohn an der Tat beteiligt gewesen sein könnte. Dies sei umso weniger verständlich, als er eingeräumt habe, zunächst selbst geglaubt zu haben, dass sein Sohn an dem Überfall beteiligt gewesen sei. Er habe seinen Sohn dann aber - mindestens etliche Monate vor der Hauptverhandlung - darauf angesprochen, dass dieser ihn am Tattage doch besucht habe. Die Frage, warum er seinen Sohn dann „nicht bereits vorher durch Mitteilung des mutmaßlichen Alibis bei der Polizei“ entlastet habe, habe der Zeuge „nicht plausibel erklären“ können.

b) Diese Würdigung der Aussage des Vaters des Angeklagten R. verstößt gegen den vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung hervorgehobenen Grundsatz, dass die Unglaubwürdigkeit eines zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen aus Rechtsgründen nicht daraus hergeleitet werden darf, dieser habe im Ermittlungsverfahren geschwiegen und erst in der Hauptverhandlung seine entlastenden Angaben gemacht; denn selbst die Verweigerung des Zeugnisses hätte nicht zum Nachteil des Angeklagten R. gewertet werden dürfen. Würde die Tatsache, dass ein Zeugnisverweigerungsberechtigter von sich aus (zunächst) nichts zur Aufklärung beigetragen hat, geprüft und gewertet, so könnte er von seinem Schweigerecht nicht mehr unbefangen Gebrauch machen, weil er befürchten müsste, dass daraus später nachteilige Schlüsse zu Lasten des Angeklagten gezogen würden (BGH, Urteil vom 2. April 1987 - 4 StR 46/87, BGHR StPO § 52 Abs. 1 Verweigerung 1; Beschlüsse vom 13. August 2009 - 3 StR 168/09, NStZ 2010, 101, 102; vom 8. Dezember 2015 - 3 StR 298/15, NStZ 2016, 301).

c) Auf diesem Rechtsfehler beruht der Schuldspruch in Bezug auf beide Angeklagten. Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung auch im Hinblick auf den Angeklagten H. zu einem anderen Beweisergebnis gelangt wäre.

2. Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Das Landgericht hat die gegen den Angeklagten R. verhängte Gesamtfreiheitsstrafe unter Einbeziehung einer durch Urteil vom 13. Juli 2016 wegen einer am 30. September 2014 begangenen Tat verhängten und noch nicht erledigten Freiheitsstrafe gebildet. Das stößt im Hinblick auf § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB insoweit auf rechtliche Bedenken, als R. zwischenzeitlich am 3. Februar 2015 sowohl vom Amtsgericht Brake als auch vom Amtsgericht Nordenham zu Geldstrafen verurteilt wurde und sich den Urteilsgründen der diesbezügliche Vollstreckungsstand nicht entnehmen lässt.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1126

Externe Fundstellen: StV 2018, 786

Bearbeiter: Christian Becker