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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1004

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 182/17, Beschluss v. 26.07.2017, HRRS 2017 Nr. 1004


BGH 3 StR 182/17 - Beschluss vom 26. Juli 2017 (LG Trier)

Subjektiver Tatbestand des Diebstahls (Zueignungsabsicht bei der Wegnahme von anschließend wieder weggeworfenen Behältnissen ohne den erwarteten werthaltigen Inhalt); Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen - auch bzgl. der Erfolgsaussichten - bei Erwägung einer Unterbringung.

§ 64 StGB; § 242 StGB § 246a StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Enthält ein Behältnis, das der Täter in seinen Gewahrsam bringt, nicht die vorgestellte werthaltige Beute, auf die es ihm bei der Tat allein ankommt, und entledigt er sich - nachdem er dies festgestellt hat - deswegen des Behältnisses sowie des ggf. darin befindlichen, ihm nutzlos erscheinenden Inhalts, so kann er mangels Zueignungsabsicht bezüglich der erlangten Beute nicht wegen eines vollendeten, sondern nur wegen versuchten (fehlgeschlagenen) Diebstahls bestraft werden.

2. Der Tatrichter ist grundsätzlich verpflichtet, einen Sachverständigen anzuhören, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Betracht kommt und deshalb eine Anordnung dieser Maßregel konkret zu erwägen ist (§ 246a Satz 2 StPO). Diese muss sich auch auf die Behandlungsaussichten beziehen (§ 246a Abs. 1 StPO). Nur wenn der Tatrichter die Maßregelanordnung allein in Ausübung seines Ermessens nicht treffen will und diese Entscheidung von sachverständigen Feststellungen unabhängig ist, ist er von dieser Verpflichtung befreit.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 30. Januar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

im Fall II. Fall 2 der Urteilsgründe,

im Ausspruch über die Gesamtstrafe,

soweit eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in fünf Fällen und versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Im Fall II. Fall 2 der Urteilsgründe hat der Schuldspruch keinen Bestand.

a) Das Landgericht hat insoweit folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte brach mit einem unbekannten Mittäter in ein Wohnhaus ein, durchsuchte es und entwendete einen Schmuckkoffer mit Modeschmuck im Gesamtwert von 125 €. Ein Nachbar der Geschädigten fand den Koffer samt Inhalt einen Tag später im Wald, sodass sie diesen letztlich zurückbekam.

b) Auf der Grundlage dieser Feststellungen kann die Verurteilung wegen vollendeten Wohnungseinbruchdiebstahls in diesem Fall keinen Bestand haben; denn sie tragen nicht die Annahme, dass der Angeklagte und sein Tatgenosse bezüglich des Schmuckkoffers samt Modeschmuck die nach § 242 Abs. 1 StGB erforderliche Zueignungsabsicht hatten.

Enthält ein Behältnis, das der Täter in seinen Gewahrsam bringt, nicht die vorgestellte werthaltige Beute, auf die es ihm bei der Tat allein ankommt, und entledigt er sich - nachdem er dies festgestellt hat - deswegen des Behältnisses sowie des ggf. darin befindlichen, ihm nutzlos erscheinenden Inhalts, so kann er mangels Zueignungsabsicht bezüglich der erlangten Beute nicht wegen eines vollendeten, sondern nur wegen versuchten (fehlgeschlagenen) Diebstahls bestraft werden (BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 - 3 StR 173/16, juris Rn. 5; vom 1. Februar 2000 - 4 StR 564/99, NStZ 2000, 531 f.; vom 9. Juli 2013 - 3 StR 174/13, NStZ-RR 2013, 309; jeweils mwN; LK/Vogel, StGB, 12. Aufl., § 242 Rn. 162). So liegt es möglicherweise hier. Da der Nachbar den Schmuckkoffer samt dem Modeschmuck (ersichtlich in Tatortnähe) fand, liegt es nahe, dass der Angeklagte und sein Mittäter sich dessen entledigten, weil es sich hierbei nicht um die erhoffte wertvolle Beute handelte. Da Feststellungen zum konkreten Inhalt der Zueignungsabsicht der beiden bei der Tatbegehung fehlen, insbesondere nichts dafür dargetan ist, dass diese sich auf den Schmuckkoffer an sich oder jegliche darin befindlichen Sachen bezog, ist somit ein vollendeter Diebstahl nicht belegt.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass zu den Vorstellungen des Angeklagten und seines Mittäters bei Wegnahme des Schmuckkoffers weitere Feststellungen getroffen werden können, ist das Urteil insoweit aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Aufhebung des Schuldspruches in diesem Fall führt zum Wegfall der hierfür bemessenen Einzelstrafe sowie zur Aufhebung der Gesamtstrafe.

2. Auch die Entscheidung, den Angeklagten nicht in einer Entziehungsanstalt unterzubringen, ist rechtsfehlerhaft.

a) Das Landgericht hat - insoweit den Angaben des Angeklagten folgend - festgestellt, dass dieser die Taten zur Finanzierung seiner Heroinsucht begangen hat. Von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es gleichwohl abgesehen, weil eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht nicht bestehe. Der Angeklagte verweigere die Exploration und zeige keine Therapiebereitschaft. Diese könne auch nicht geweckt werden, da der Angeklagte selbst mit Hilfe von Methadon vom Heroinkonsum weggekommen sei, in der Justizvollzugsanstalt keine Entzugserscheinungen gezeigt habe und ihm deshalb die Überzeugung fehle, überhaupt drogenabhängig zu sein. Aufgrund fehlender Erfolgsaussicht sei die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht gefordert gewesen.

b) Diese Begründung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Tatrichter ist grundsätzlich verpflichtet, einen Sachverständigen anzuhören, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Betracht kommt und deshalb eine Anordnung dieser Maßregel konkret zu erwägen ist (§ 246a Satz 2 StPO). Diese muss sich auch auf die Behandlungsaussichten beziehen (§ 246a Abs. 1 StPO). Nur wenn der Tatrichter die Maßregelanordnung allein in Ausübung seines Ermessens nicht treffen will und diese Entscheidung von sachverständigen Feststellungen unabhängig ist, ist er von dieser Verpflichtung befreit (BGH, Beschluss vom 20. September 2011 - 4 StR 434/11, NStZ 2012, 463, 464; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 246a Rn. 8; beide mwN). Verweigert der Angeklagte seine Untersuchung, so gestattet dies nicht den Verzicht auf eine gutachterliche Stellungnahme (LR/Becker aaO Rn. 9).

Vorliegend ergeben die Ausführungen im Urteil, dass das Landgericht eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in Betracht gezogen, mithin also erwogen hat. Damit war es auch gehalten, einen Sachverständigen beizuziehen. Dieses Verfahrenserfordernis konnte es nicht durch eine eigene Beurteilung der Erfolgsaussicht ersetzen, für die es sich nach dem Gesetz gerade sachverständiger Hilfe bedienen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 1999 - 4 StR 231/99 juris Rn. 4; vom 20. Januar 2004 - 4 StR 464/03, NStZ-RR 2004, 204, 205). Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob ausnahmsweise dann von einer Begutachtung abgesehen werden darf, wenn eine grundsätzlich in Betracht kommende Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht in Erwägung gezogen wird, weil nach den Umständen des Einzelfalls das Fehlen einer hin9 10 reichenden Erfolgsaussicht auf der Hand liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2011 - 4 StR 434/11, NStZ 2012, 463, 464 mwN zum Meinungsstand). Denn hierfür sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich.

Über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss somit - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2009 - 3 StR 458/08, NStZ 2009, 261). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 f.).

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1004

Externe Fundstellen: NStZ 2018, 334

Bearbeiter: Christian Becker