HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 122
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 109/17, Beschluss v. 17.10.2017, HRRS 2018 Nr. 122
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 14. September 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Volksverhetzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem hat es angeordnet, dass vier Monate der Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten, und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.
I.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen verschickte der Angeklagte drei von dem gesondert verurteilten I. verfasste Briefe und einen von einer Person namens L. verfassten Text in Kenntnis des jeweiligen Inhalts, indem er diese einscannte und sodann per E-Mail unaufgefordert an mindestens 500 Personen versandte, von denen ihm nur ein Teil bekannt war. Alle Briefe hatten einen die Bundesrepublik Deutschland oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpfenden Inhalt. In zwei Briefen sowie dem Text von L. (Taten II.1. und II.3. der Urteilsgründe) wurde zudem der Holocaust geleugnet.
Das Landgericht hat dies jeweils als schwere Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole gemäß § 90a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB, in zwei Fällen in Tateinheit mit Volksverhetzung nach "§ 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 und Abs. 5 (i.d.F. vom 16.03.2011) StGB“, gewertet.
1. Der Schuldspruch wegen schwerer Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole (§ 90a Abs. 3 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Das Landgericht ist zwar rechtsfehlerfrei zu der Bewertung gelangt, dass die von dem Angeklagten weitergeleiteten Texte einen die Bundesrepublik Deutschland beschimpfenden Inhalt im Sinne des § 90a Abs. 1 StGB aufweisen. Die Urteilsgründe belegen jedoch nicht, dass sich der Angeklagte durch die Taten absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze eingesetzt hat (§ 90a Abs. 3 StGB).
Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland sind gemäß § 92 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 StGB solche, die die Freiheit von fremder Botmäßigkeit aufheben, die staatliche Einheit beseitigen oder ein zur Bundesrepublik gehörendes Gebiet abtrennen wollen. Bestrebungen gegen Verfassungsgrundsätze entfaltet, wer einen der in § 92 Abs. 2 StGB enumerativ genannten Grundsätze beseitigen, untergraben oder außer Geltung setzen will (§ 92 Abs. 3 Nr. 3 StGB).
Hier lässt sich weder den Feststellungen noch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind. Das Landgericht hat lediglich im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt (UA S. 29 f.), dass die - nicht näher konkretisierte - Motivation des Angeklagten mit derjenigen des gesondert verfolgten I. übereinstimme und sich aus an I. gerichteten Briefen des Angeklagten ergebe, in denen dieser das Ende des „bundesdeutschen Krisensystems“ bzw. die „Endzeitstimmung“ in Bezug auf dieses „Regime“ befürwortet habe. Aus den Urteilsgründen ergibt sich außerdem, dass der Angeklagte die Legitimation der Bundesrepublik anzweifelt und den Fortbestand des Deutschen Reiches propagiert.
Dem mag sich zwar entnehmen lassen, dass der Angeklagte die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland von fremder Botmäßigkeit leugnet. Eigene oder von dem Angeklagten unterstützte aktivtätige Bemühungen im Sinne eines Hinarbeitens auf einen derartigen Zustand ergeben sich daraus jedoch nicht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 4. Mai 2016 - 3 StR 392/15, StV 2017, 379, 380). Auch eine etwaige durch die Briefe an I. vermittelte Vorfreude des Angeklagten auf einen Zusammenbruch oder ein Ende der Bundesrepublik in ihrer gegenwärtigen Form lässt keine eigenen Aktivitäten in diese Richtung erkennen. Solche werden auch nicht durch die hier in Rede stehende Verbreitung der Briefe von I. durch den Angeklagten belegt. Denn Grundtenor all dieser Briefe war, dass das Verbot der Holocaustleugnung als Sondergesetz gegen die Meinungsfreiheit verstoße und die darauf gestützte strafrechtliche Verfolgung ein Verbrechen sowie Willkür bedeute. Dass einer der in § 92 Abs. 2 StGB genannten Verfassungsgrundsätze beseitigt, außer Geltung gesetzt oder untergraben werden solle, ergibt sich daraus nicht. Schließlich vermögen auch die Ausführungen der Strafkammer im Rahmen der rechtlichen Würdigung, wonach sowohl der Angeklagte als auch I. „seit Jahren rechtsradikales Gedankengut verbreiten und die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekämpfen“ (UA S. 34), die Annahme des Qualifikationstatbestandes nicht zu tragen, weil diese Einschätzung nicht durch Tatsachen belegt ist.
b) Da nicht auszuschließen ist, dass weitergehende Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung des Angeklagten nach § 90a Abs. 3 StGB tragen, hebt der Senat den Schuldspruch wegen schwerer Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole auf. Dies erfasst notwendig auch die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Volksverhetzung in den Fällen II.1. und II.3. der Urteilsgründe, wenngleich das Landgericht insoweit rechtsfehlerfrei eine Leugnung des Holocaust im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB bejaht hat.
2. Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Die Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole gemäß § 90a Abs. 1 StGB ist - ebenso wie die Leugnung des Holocaust nach § 130 Abs. 3 StGB - ein persönliches Äußerungsdelikt. Die Wiedergabe fremder Äußerungen ist nur dann tatbestandsmäßig, wenn sich der Täter die Äußerung ausdrücklich oder konkludent derart zu eigen macht, dass er selbst beschimpft oder böswillig verächtlich macht. Ob sich der Täter eine Äußerung auf solche Weise zu eigen macht, gehört zur Auslegung, die aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist. Die Bewertung des Inhalts einer Äußerung richtet sich ebenso wie die Frage des Zu-Eigen-Machens nach deren objektivem Sinngehalt, der nach dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittsempfängers zu ermitteln ist. Dabei können neben dem Wortlaut und dem Kontext der Äußerung auch außerhalb derselben liegende Umstände Bedeutung erlangen (BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober 2002 - 3 StR 270/02, NStZ 2003, 145; vom 7. Februar 2002 - 3 StR 446/01, NStZ 2002, 592). Nicht erkennbar gewordene Umstände, beispielsweise eine weder in der Äußerung selbst noch in den Begleitumständen zum Ausdruck gekommene innere Einstellung des Täters, sind aus Sicht des Empfängerhorizonts dagegen ohne Belang (vgl. BGH, Urteile vom 23. August 1979 - 4 StR 207/79, juris Rn. 7; vom 20. Juli 1961 - 3 StR 21/61, NJW 1961, 1932, 1933; vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, juris Rn. 8 [zu § 130 StGB, insoweit in BGHR StGB § 130 Nr. 1 Bevölkerungsteil 3 nicht abgedruckt]; Beschluss vom 14. April 2015 - 3 StR 602/14, NStZ 2015, 512, 513 [zu § 130 Abs. 1 StGB]).
Insoweit könnte die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich die Äußerungen von I. zu eigen gemacht, in den Fällen I.1. und I.2. der Urteilsgründe auf rechtliche Bedenken stoßen. Denn das Landgericht hat seine Bewertung in diesen Fällen im Wesentlichen auf entsprechende Bemerkungen des Angeklagten in - erst nach der dritten Tat verfassten und den Feststellungen zufolge nicht veröffentlichten - Antwortbriefen an I. gestützt. Auch das erst im dritten Fall (Fall II.3. der Urteilsgründe) an die Empfänger der von ihm weitergeleiteten Texte gerichtete Begleitschreiben des Angeklagten ist für die Beurteilung der ersten beiden Fälle (Fälle II.1. und II.2. der Urteilsgründe) ohne Bedeutung, weil die Empfänger der weitergeleiteten Texte zum Zeitpunkt der ersten beiden Taten hiervon noch keine Kenntnis hatten.
b) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen kommt als Tathandlung sowohl im Rahmen des § 90a Abs. 1 StGB als auch im Rahmen des § 130 Abs. 3 StGB neben einem Verbreiten von Schriften auch ein öffentliches Beschimpfen bzw. öffentliches Leugnen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 2014 - 3 StR 88/14, NStZ 2015, 81, 83).
c) Falls die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wiederum zu dem Ergebnis gelangt, dass durch die von dem Angeklagten in den Fällen II.1. und II.3. weitergeleiteten Texte der Holocaust geleugnet wird (§ 130 Abs. 3 StGB) und sich der Angeklagte die Texte zu eigen gemacht hat, ergibt sich seine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung unmittelbar aus § 130 Abs. 3 StGB; eines Rückgriffs auf § 130 Abs. 5, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) StGB aF bedarf es insoweit nicht.
d) § 130 Abs. 5 StGB eröffnet u.a. für die weiteren Tathandlungen des Verbreitens und öffentlich Zugänglichmachens einer Schrift mit dem in § 130 Abs. 3 StGB bezeichneten Inhalt - die nicht zusätzlich den in § 130 Abs. 2 StGB beschriebenen Inhalt aufweisen muss - den Strafrahmen des Absatzes 2, der von Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe reicht.
e) Dem in Bezug auf § 90a StGB eingeschränkten Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist bei der Rechtsanwendung auf allen Ebenen Rechnung zu tragen. Es verlangt daher auch bei der Strafzumessung für eine verbotene Meinungsäußerung Beachtung (BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2002 - 3 StR 270/02, NStZ 2003, 145, 146 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 122
Externe Fundstellen: NStZ 2018, 589; StV 2018, 416
Bearbeiter: Christian Becker