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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 553

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 404/16, Beschluss v. 21.02.2017, HRRS 2017 Nr. 553


BGH 3 StR 404/16 - Beschluss vom 21. Februar 2017 (LG Verden)

Sachlich-rechtlich fehlerhafte Beweiswürdigung (Aussage-gegen-Aussage-Konstellation; Behauptung weiterer Straftaten; Auswirkungen auf die Glaubhaftigkeit der Aussage der Belastungszeugin; Erörterungsbedürftigkeit).

§ 261 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Es ist im Rahmen einer sachlich-rechtlich fehlerfreien Beweiswürdigung generell erforderlich, dass das Tatgericht alle Umstände, die geeignet sind, seine Entscheidung zu beeinflussen, erkennt und in seine Überlegungen miteinbezieht. Das ist aber insbesondere dann unabdingbar, wenn der Tatrichter seine Feststellungen zum Tatkerngeschehen allein auf die Angaben des (vermeintlichen) Tatopfers stützt und daher seine Urteilsfindung maßgeblich von der Beantwortung der Frage abhängt, ob diesem zu glauben ist oder nicht. Hat der einzige Belastungszeuge zudem weitere Straftaten behauptet, von denen sich das Gericht nicht zu überzeugen vermag, so bedarf die Auswirkung auf die Glaubhaftigkeit der weiteren Aussagen näherer Erörterung.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 17. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt; die Vollstreckung der Strafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

Nach den Feststellungen des Landgerichts erzwang der Angeklagte, der seit 2011 mit der Nebenklägerin zusammenlebte, an einem Tag im Juni oder Juli 2014 den Geschlechtsverkehr mit ihr, indem er sich zu ihr aufs Bett legte, sie gewaltsam auf den Bauch drehte, sich auf sie legte und sich so schwer machte, dass sie flach auf dem Bett lag. Anschließend spreizte er die Beine der Nebenklägerin und drang trotz heftiger Gegenwehr mit seinem Penis vaginal in sie ein.

Die Verurteilung des - den Tatvorwurf bestreitenden - Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.

Die Beweiswürdigung ist allerdings Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 31. Mai 2016 - 3 StR 86/16, juris Rn. 11).

So liegt es hier; die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft. Denn den Urteilsgründen kann nicht entnommen werden, dass das Tatgericht alle Umstände, die geeignet waren, seine Entscheidung zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen miteinbezogen hat. Dies ist zwar generell erforderlich, insbesondere aber dann unabdingbar, wenn der Tatrichter - wie vorliegend - seine Feststellungen zum Tatkerngeschehen allein auf die Angaben des (vermeintlichen) Tatopfers stützt und daher seine Urteilsfindung maßgeblich von der Beantwortung der Frage abhängt, ob diesem zu glauben ist oder nicht. Hat der einzige Belastungszeuge zudem weitere Straftaten behauptet, von denen sich das Gericht nicht zu überzeugen vermag, so gewinnt das in diesem Rahmen besonderer Bedeutung und bedarf näherer Erörterung (BGH, Urteil vom 20. Februar 2014 - 3 StR 289/13, juris Rn. 14 mwN).

Dem Angeklagten war neben der Vergewaltigung zur Last gelegt worden, die Nebenklägerin in der Zeit von September bis Dezember 2013 in zehn Fällen mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung körperlich misshandelt zu haben, indem er sie wenigstens zehn Mal in eine Decke einwickelte, so dass sie die Arme nicht mehr bewegen konnte, mit ganzer Kraft ein Kissen bzw. eine andere Decke auf ihr Gesicht drückte, sich auf sie setzte und sie derart stark würgte, dass sie befürchtete, sterben zu müssen, wobei er zumindest in einem Fall mit dem beschuhten Fuß auf sie eintrat (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, § 53 StGB). Der Angeklagte hat auch diese Vorwürfe bestritten. Das Landgericht hat insoweit - auch gestützt auf die Aussage der Zeugin K. - festgestellt, dass der Angeklagte die Nebenklägerin in mindestens zehn Fällen auf dem Sofa in eine Decke einwickelte, sich auf sie setzte und ihr mehrmals ein Kissen auf das Gesicht drückte. Sie hat ferner festgestellt, dass er einmal nach der Nebenklägerin trat. Den Freispruch hat das Landgericht damit begründet, dass eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen ausscheide, weil nicht feststellbar gewesen sei, ob die Nebenklägerin Schmerzen erlitten habe, als der Angeklagte ihr das Kissen auf das Gesicht gedrückt und sie getreten habe.

Welche Erwägungen dem zugrunde liegen, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Daraus ergibt sich nicht, warum das Landgericht abweichend von den Anklagevorwürfen nicht zu der Feststellung gelangt ist, dass der Angeklagte das Kissen „mit ganzer Kraft“ auf das Gesicht der Nebenklägerin drückte und sie „derart stark würgte, dass sie befürchtete, sterben zu müssen“. Dies lässt besorgen, dass die Strafkammer den Angaben der Nebenklägerin zur Intensität und zu den Folgen dieser Übergriffe keinen Glauben geschenkt hat, ohne zu erkennen, dass sich daraus Zweifel auch an der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage zu dem Vergewaltigungsgeschehen ergeben konnten.

Auf diesem Erörterungsmangel beruht das angefochtene Urteil, denn der Senat vermag angesichts der besonderen Beweiskonstellation nicht auszuschließen, dass das Landgericht zu einer abweichenden Überzeugungsbildung gelangt wäre, wenn es die Gründe für den Teilfreispruch in seine Erwägungen zum Vorwurf der Vergewaltigung miteinbezogen hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 553

Externe Fundstellen: StV 2018, 195

Bearbeiter: Christian Becker