HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 27
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 381/16, Beschluss v. 29.11.2016, HRRS 2017 Nr. 27
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 15. Juni 2016 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung dreier Einzelstrafen aus einem Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 29. März 2016 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge des Angeklagten gestützte Revision hat zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen überfiel der Angeklagte am 28. August 2015 eine Tankstelle, wobei er eine ungeladene Schreckschusspistole mit sich führte. Er bedrohte durch ein geöffnetes Fenster die Kassiererin, die sich in einem Kassenhäuschen befand. Diese kam jedoch seinem Verlangen nach Geld nicht nach; vielmehr schloss sie das Fenster und die Tür zu dem Kassenhäuschen. Der Angeklagte bemühte sich sodann, in das Kassenhäuschen zu gelangen. Da ihm dies jedoch nicht gelang, gab er sein Vorhaben auf und entfernte sich ohne Beute.
Während der Schuldspruch materiellrechtlicher Nachprüfung standhält, können der Strafausspruch und die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht bestehen bleiben.
1. Die Strafkammer hat wegen der hier abgeurteilten Tat auf eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten erkannt, diese dem nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 250 Abs. 1 StGB entnommen und dessen Mindeststrafe auf zwei Jahre beziffert. Dies ist rechtsfehlerhaft. Die Mindestfreiheitsstrafe des § 250 Abs. 1 StGB beträgt drei Jahre; sie ermäßigt sich gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf sechs Monate.
Auf diesem Rechtsfehler beruht der Strafausspruch; denn es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht auf eine mildere Strafe erkannt hätte, hätte es die Mindestfreiheitsstrafe des angewendeten Strafrahmens rechtsfehlerfrei mit sechs Monaten statt zwei Jahren angenommen. Die Strafkammer hat sich mit der erkannten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten insbesondere nicht so weit von der von ihr angenommenen Mindeststrafe entfernt, dass davon auszugehen ist, deren fehlerhafte Bestimmung habe sich auf die Bemessung der Strafe nicht ausgewirkt. Der Senat sieht im vorliegenden Fall auch keine ausreichende Grundlage für eine eigene Entscheidung über die Höhe der Strafe nach § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO.
2. Die Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung enthält ebenfalls einen durchgreifenden Rechtsfehler. Das Landgericht hat die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 StGB als erfüllt angesehen. Im Rahmen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, der verlangt, dass der Täter wegen Straftaten der in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, hat es auf die Verurteilungen durch das Landgericht Hannover vom 9. April 2008 und diejenige durch das Amtsgericht Hannover vom 29. März 2016 abgestellt. Dabei hat die Strafkammer nicht beachtet, dass der Angeklagte die hiesige Tat am 28. August 2015, mithin vor dem Urteil vom 29. März 2016 beging. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB erfordert jedoch, dass die Anlasstat nach Rechtskraft der zweiten Vorverurteilung begangen wurde. Betreffend die Vortaten, die Vorverurteilungen und die Anlasstat muss die Reihenfolge „Vortat - Vorverurteilung - Vortat - Vorverurteilung - Anlasstat“ eingehalten sein; denn es ist maßgebend, dass der Täter die Warnfunktion eines jeweils rechtskräftigen Strafurteils zweimal missachtete (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 26. Mai 2011 - 4 StR 650/10, NStZ 2011, 574, 575 zu § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF mwN).
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist es dem Senat als Revisionsgericht hier verwehrt, statt auf das Urteil vom 29. März 2016 auf dasjenige des Landgerichts Hannover vom 1. März 2004 abzustellen. Den Urteilsgründen lässt sich lediglich entnehmen, dass dort wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung zweier weiterer Vorverurteilungen auf eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten erkannt wurde. Weitere Einzelheiten zur Strafzumessung hat das Landgericht, das diese Vorverurteilung im Zusammenhang mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung erkennbar nicht im Blick gehabt hat, nicht mitgeteilt. Damit sind die Voraussetzungen, unter denen das Urteil vom 1. März 2004 als Vorverurteilung im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB in Betracht kommt (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 66 Rn. 26 mwN), nicht hinreichend dargetan. Zudem fehlt es vor dem Hintergrund der Regelung des § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB auch an einer umfassenden, bis zu dem betreffenden Urteil zurückgehenden Darlegung der Zeiten, in denen der Angeklagte auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist.
3. Die Sache bedarf somit zum gesamten Rechtsfolgenausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 27
Bearbeiter: Christian Becker