HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 546
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 550/15, Beschluss v. 05.04.2016, HRRS 2016 Nr. 546
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 8. September 2015 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Beschwerdeführers. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts traf sich der Angeklagte am Freitag, den 20. Februar 2015, mit dem sich für dieses Wochenende im Hafturlaub befindenden Zeugen S. Gemeinsam fuhren beide zu einer von der Familie des Angeklagten angemieteten Wohnung in D. In der Wohnung fragte der Angeklagte S. nach dem Aufenthalt des gemeinsamen Bekannten H. und erklärte, dieser schulde ihm aus einem Drogengeschäft 120.000 €. Nachdem S. erwidert hatte, dass er nicht wisse, wo sich H. aufhalte, forderte der Angeklagte mit der Begründung, er habe H. seinerzeit über ihn, S., kennengelernt, die Zahlung nunmehr von Letzterem ein. Dieser lehnte das Ansinnen ab. Der Angeklagte verlangte daraufhin immer bestimmter die Zahlung und erklärte schließlich, S. solle seinen Bruder im Kosovo anrufen, damit dieser sein Haus verkaufe, um die geforderte Summe aufzubringen. Ihm war bewusst, dass er keinen Anspruch auf Zahlung gegenüber S. hatte.
Nachdem S. sich weiterhin weigerte, entschloss sich der Angeklagte, seinen zuvor gefassten Tatplan umzusetzen und diesen am Verlassen der Wohnung zu hindern, um den verlangten Geldbetrag - gegebenenfalls unter Einsatz von Drohungen und Gewalt - zu erhalten. Zunächst brachte er S. gegen 18:00 Uhr unter einem Vorwand dazu, sich von ihm Hände und Füße fesseln zu lassen. Sodann beharrte der Angeklagte auf die Begleichung der Schuld des H., wobei er den Betrag im weiteren Verlauf auf 200.000 € erhöhte. Da S. es weiterhin ablehnte, für die Schuld des H. einzustehen und seinen Bruder im Kosovo anzurufen, ging der Angeklagte dazu über, diesen zu knebeln sowie dessen Mund und Nase mit Klebeband zu umwickeln. Er bekräftigte seine Forderungen mit Schlägen gegen den Kopf und äußerte diverse Drohungen. Da dies erfolglos blieb und S. den Anruf bei seinem Bruder immer noch nicht tätigen wollte, traktierte er ihn weiter mit Schlägen und begann, ihm unter Verwendung einer Säge, einer Rohrzange und einer Feinmechaniker-Zange Verletzungen zuzufügen. Betroffen waren insbesondere die Schienbeine und die Zehennägel des linken Fußes, die der Angeklagte mit den Zangen versuchte herauszureißen. Trotz der Misshandlungen und Drohungen weigerte er sich jedoch, dem Verlangen des Angeklagten nachzukommen.
Dieser verließ mehrfach die Wohnung. Am Nachmittag des 21. Februar 2015 erklärte er schließlich, S. habe noch eine Stunde Bedenkzeit, danach werde er dessen Sohn holen; dieser sei dann „dran“, sofern er nicht einlenke. Nachdem der Angeklagte die Wohnung verlassen hatte, gelang es S., sich von den Fesseln zu befreien und - nach fast 24 Stunden des gewaltsamen Festhaltens - durch ein Fenster der im Erdgeschoss gelegenen Wohnung zu flüchten.
2. Die Verfahrensrüge bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Hingegen hält der Schuldspruch wegen tateinheitlichen erpresserischen Menschenraubes (§ 239a Abs. 1 StGB) materiellrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Zutreffend ist die Strafkammer zwar davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte seines Opfers bemächtigt hatte. Die Urteilsgründe belegen jedoch nicht, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, die von ihm geschaffene Lage zu einer (besonders schweren räuberischen) Erpressung auszunutzen. Zwischen der Bemächtigungslage und der beabsichtigten Erpressung muss ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang in der Weise bestehen, dass der Täter das Opfer (oder einen Dritten) während der Dauer der Zwangslage erpressen will. Denn der Zweck der Regelung des § 239a StGB besteht gerade darin, das Entführen oder Sichbemächtigen deshalb besonders unter Strafe zu stellen, weil der Täter seine Drohung während der Dauer der Zwangslage jederzeit realisieren kann und das Opfer aus Sorge um sein Wohl die erstrebte Vermögensverfügung noch während des Bestehens der Bemächtigungslage vornehmen wird (BGH, Beschlüsse vom 28. November 1995 - 4 StR 641/95, BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sichbemächtigen 5; vom 19. Juni 2007 - 3 StR 124/07, StraFo 2007, 429 mwN).
Diese Voraussetzungen belegen die Urteilsgründe nicht. Sie ergeben nicht, dass es dem Angeklagten darauf ankam, die angewendete Gewalt und die ausgesprochenen Drohungen dazu zu benutzen, dem Opfer die verlangte Geldleistung bereits während der Bemächtigungslage vollständig oder auch nur teilweise abzupressen. Hiergegen spricht insbesondere, dass der Angeklagte den Geschädigten schon vor der Fesselung aufgefordert hatte, seinen Bruder im Kosovo anzurufen und zum Hausverkauf zu bewegen. Danach war ihm bewusst, dass es diesem nicht möglich war, die - während des Geschehens überdies noch um 80.000 € erhöhte - Forderung kurzfristig zu begleichen. Dass der Angeklagte vor diesem Hintergrund plante, S. bis zur Realisierung des Hausverkaufs und der hierdurch ermöglichten Begleichung seiner Forderung festzuhalten, lässt sich den Urteilsgründen auch in ihrem Gesamtzusammenhang nicht entnehmen. Hiergegen spricht nicht nur der Zeitraum, den das vom Angeklagten angestrebte Vorgehen in Anspruch genommen hätte, sondern auch, dass sich der Geschädigte für das Wochenende im Hafturlaub befand und seine nicht rechtzeitige Rückkehr in die Justizvollzugsanstalt B. naheliegend umgehend Ermittlungen nach seinem Aufenthalt ausgelöst hätte. Schließlich verhalten sich die getroffenen Feststellungen auch nicht dazu, ob der Angeklagte während der Bemächtigungslage zumindest eine Teilleistung erstrebte.
3. Die Aufhebung erfasst auch die in Tateinheit stehenden, für sich betrachtet rechtsfehlerfrei festgestellten Delikte der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung und der gefährlichen Körperverletzung. Von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind hingegen die Feststellungen zum objektiven Geschehen; sie können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende, zu den bisherigen nicht im Widerspruch stehende Feststellungen bleiben möglich.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 546
Bearbeiter: Christian Becker