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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 541

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 483/15, Urteil v. 10.03.2016, HRRS 2016 Nr. 541


BGH 3 StR 483/15 - Urteil vom 10. März 2016 (LG Hannover)

Sachlich-rechtlich nicht zu beanstandende Beweiswürdigung beim freisprechenden Urteil; kein Erfordernis der Dokumentation von Beweiswürdigung und Gang der Hauptverhandlung in den Urteilsgründen; Schuldunfähigkeit (fahrlässige actio libera in causa).

§ 261 StPO; § 267 StPO; § 20 StGB

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 22. Juni 2015 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

Das Landgericht hatte den Angeklagten durch Urteil vom 17. Juni 2014 - entsprechend der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage - wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge sowie mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge zur Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil durch Beschluss vom 27. November 2014 (3 StR 458/14, NStZ 2015, 331) mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Das Landgericht hatte nicht geprüft und erörtert, ob der Angeklagte strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten war, obwohl diese Prüfung auf Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlich geboten war.

Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr freigesprochen. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte - vom Generalbundesanwalt nicht vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet im Einzelnen die Beweiswürdigung des Landgerichts sowie die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

1. Die Anklage hatte dem Angeklagten zur Last gelegt, am Montag, den 2. Dezember 2013, zwischen 5:00 und 6:00 Uhr morgens mittels einer von ihm auf diesen Zeitraum programmierten Zeitschaltuhr in seinem Kellerraum des Mehrfamilienhauses, das er als Mieter bewohnte, eine elektrische Camping-Herdplatte aufgeheizt zu haben, auf der er zuvor mit Brandbeschleuniger benetzte Papiere abgelegt hatte. Der Angeklagte habe durch das auf diese Weise entzündete Feuer erreichen wollen, einen von ihm neben der Herdplatte abgelegten Gasdruckbehälter, der mit 21 Litern eines Butan-Propan-Gasgemisches gefüllt war, durch Erhitzen zur Explosion zu bringen. Dabei habe der Angeklagte angesichts einer von ihm als ungerechtfertigt empfundenen fristlosen Kündigung seines Mietverhältnisses aus Rachsucht die vollständige oder teilweise Zerstörung des Wohnhauses infolge der Explosion des Gasgemisches und damit den Tod der zur Tatzeit im Hause befindlichen 13 Hausbewohner zumindest billigend in Kauf genommen. Hierzu sei es nicht gekommen, da ein Hausbewohner infolge des entstandenen Rauches auf das Brandgeschehen aufmerksam geworden sei und die Feuerwehr informiert habe. Diese habe die in dem Kellerraum des Angeklagten bereits in Brand geratenen Gegenstände zeitnah löschen und den Gasdruckbehälter aus den Kellerräumen entfernen können. Dessen Inhalt habe sich bereits auf 85 °C und damit soweit aufgeheizt gehabt, dass eine Explosion des in dem Gasdruckbehälter enthaltenen Gasgemisches unmittelbar bevorgestanden habe.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten aufgrund der neuen Hauptverhandlung wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit im Tatzeitpunkt (§ 20 StGB) freigesprochen. Es hat hierzu folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte entwickelte spätestens Ende November 2013 den Plan, sich mittels Entzündung von Einweggrills in seiner Wohnung mit Kohlenmonoxyd umzubringen. Da er die Versorgung seiner Katze sicherstellen, zugleich aber nicht zu früh auf seinen Suizid aufmerksam machen wollte, um nicht gerettet zu werden und möglicherweise als Pflegefall zu enden, kam ihm der Gedanke, den Schalter in seinem Schlafzimmer zu nutzen, der die Stromversorgung seines Kellerraumes regelte. Durch einen Brand mit Rauchentwicklung in seinem Kellerraum sollte nach seinem (sicheren) Tod die Aufmerksamkeit der Mitbewohner sowie der Feuerwehr auf diesen Raum und danach auch auf seinen Tod sowie auf seine Katze gelenkt werden.

Drei Tage vor dem Brand, am Freitag, den 29. November 2013, steckte der Angeklagte in die Steckdose seines Kellerraumes eine durch Eindrücken von kleinen Reitern programmierte Zeitschaltuhr sowie in diese ein Verlängerungskabel, in dessen Steckdose er den Stecker der elektrischen Herdplatte einführte. Anschließend vergewisserte er sich davon, dass die Herdplatte heiß wurde und schob diese unter einen Stapel von Prospekten, Zeitschriften und Kartonage. Einen konkreten Zeitpunkt für die Entfachung des Feuers hatte der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewählt.

In der Nacht des 2. Dezember 2013, vor 6:30 Uhr, stellte der Angeklagte - nach dem Genuss erheblicher Mengen von Alkohol und Cannabis - den Schalter in seinem Schlafzimmer auf „Ein“, sodass die Steckdose in seinem Kellerraum mit Strom versorgt wurde. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass es nunmehr durch die Aufheizung der Herdplatte und Entzündung des über dieser befindlichen Papiers im Kellerraum zu einem Brand kommen könnte, und er billigte dies. Er rechnete dabei mit einem Ausbrennen seines Kellerraumes sowie mit Brandschäden dort und im Kellerflur sowie mit einem Rauchaustritt aus dem Kellerraum ins Treppenhaus und die Flure des Wohnhauses. Davon, dass der Angeklagte den Gastank zur Explosion bringen wollte und handelte, um sich an den übrigen Hausbewohnern zu rächen, konnte sich das Landgericht nicht überzeugen. Den Gastank habe er in seinem unübersichtlichen Kellerraum nicht gesehen und auch nicht an ihn gedacht. Ferner sei die dem Angeklagten zur Last gelegte Verwendung eines Brandbeschleunigers nicht belegbar.

Wie die Zeitschaltuhr im Keller programmiert war und mit welcher zeitlichen Verzögerung nach Beginn der Stromzufuhr zu der Steckdose im Kellerraum die Erhitzung der Herdplatte begann, konnte die Strafkammer nicht aufklären. Sie vermochte daher nicht festzustellen, zu welchem genauen Zeitpunkt der Angeklagte in der Tatnacht den Schalter in seinem Schlafzimmer umlegte und damit die Steckdose in seinem Kellerraum mit Strom versorgte und aus diesem Grund nicht ausschließen, dass der Angeklagte den Strom gegen 0:00 Uhr des 2. Dezember 2013 eingeschaltet hatte, als die bei ihm vorhandene Blutalkoholkonzentration - vom Blutentnahmezeitpunkt zurückgerechnet - 3,4 ‰ betragen hatte. Vor diesem Hintergrund blieb zur Überzeugung des Landgerichts ungeklärt, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten beim Betätigen des Schalters voll erhalten, erheblich eingeschränkt oder aufgehoben war.

II.

Die aufgrund der Sachbeschwerde der Staatsanwaltschaft vorzunehmende umfassende Überprüfung des Urteils hat im Ergebnis keinen zum Vorteil des Angeklagten wirkenden durchgreifenden Rechtsfehler erbracht.

1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insofern gilt:

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Diesem obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung hat sich darauf zu beschränken, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, was in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall ist, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überspannte Anforderungen gestellt werden. Sind derartige Rechtsfehler nicht feststellbar, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder gar naheliegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 27. Oktober 2015 - 3 StR 199/15, juris Rn. 16 mwN, und vom 6. Dezember 2007 - 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146, 147).

b) Daran gemessen unterliegt die Beweiswürdigung des Landgerichts keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie erweist sich insbesondere nicht in rechtsfehlerhafter Weise als lückenhaft oder widersprüchlich.

aa) Das Landgericht ist auf der Grundlage eines fundierten und widerspruchsfreien Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen davon ausgegangen, dass infolge der beim Angeklagten in der Tatnacht vorhandenen Mischintoxikation aus Cannabis und Alkohol nicht ausgeschlossen werden könne, dass bei einer Betätigung des Schalters gegen 0:00 Uhr des Tattages seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe seine Blutalkoholkonzentration 3,4 ‰ betragen. Seine am Folgetag um 13:13 Uhr entnommene Blutprobe habe auch einen recht hohen Wert von THC ergeben. Wann der Angeklagte den Stromschalter betätigt hatte, konnte das Landgericht nicht sicher feststellen; es konnte auch nicht ausschließen, dass der Angeklagte den Schalter um Mitternacht betätigte und das Feuer infolge der Programmierung der zwischengeschalteten Zeitschaltuhr erst (mehrere Stunden) später entstand. Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.

bb) Soweit die Beschwerdeführerin beanstandet, das Landgericht habe in den Urteilgründen die früheren Angaben des Angeklagten im Verlaufe des Ermittlungsverfahrens nicht mitgeteilt, sodass nicht überprüfbar ist, ob seine Annahme zutreffe, er habe sich konstant eingelassen, kann dies dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen. Die schriftlichen Urteilsgründe dienen nicht dazu, die Beweisaufnahme und den Gang des Verfahrens zu dokumentieren, sondern müssen lediglich die wesentlichen Umstände darstellen, die der Überzeugungsbildung des Tatgerichts zugrunde liegen (§ 267 Abs. 1 Satz 2, § 261 StPO; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 267 Rn. 11 ff.). Die Beanstandung, der Angeklagte habe sich früher nicht oder anders eingelassen als zuletzt, wird durch die - im Rahmen der Sachrüge allein maßgeblichen - Urteilsgründe nicht belegt. Dies gilt auch für den Einwand der Revision, der Angeklagte habe seine Einlassung an den Ermittlungsstand angepasst. Eine Verfahrensrüge hat die Beschwerdeführerin nicht erhoben.

cc) Entgegen der Ansicht der Revision lassen die Urteilsgründe auch nicht besorgen, das Landgericht habe im Rahmen seiner ausführlichen Beweiswürdigung keine Gesamtschau aller Beweisanzeichen vorgenommen. Das Landgericht hat vielmehr die erhobenen Beweise umfassend gewürdigt und dabei auch die Einlassung des Angeklagten kritisch überprüft. Rechtsfehler sind insoweit nicht erkennbar.

dd) Entsprechendes gilt für die Auseinandersetzung des Landgerichts mit der beim Angeklagten gegebenen Motivlage. Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil ausführlich. Das Landgericht kommt aufgrund möglicher Schlüsse zu plausiblen Ergebnissen. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

2. Die Verneinung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten nach den Grundsätzen der fahrlässigen actio libera in causa ist im Ergebnis ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwar begegnet die Begründung des Landgerichts hierfür, es seien keine sicheren Feststellungen zum Tatzeitpunkt und zur (auf diesen bezogenen) Steuerungsfähigkeit des Angeklagten möglich, rechtlichen Bedenken. Denn für die actio libera in causa kommt es (allein) darauf an, ob der Angeklagte - wofür die Feststellungen sprechen könnten - zum Zeitpunkt der Planung und Vorbereitung des Brandes, der die Brandlegung in der Tatnacht in allen Einzelheiten entsprach, schuldfähig und strafrechtlich verantwortlich war. Jedoch geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass nach Lage der Dinge allenfalls eine fahrlässige actio libera in causa in Betracht gekommen wäre. Der Senat kann indes auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen sicher ausschließen, dass die Voraussetzungen einer fahrlässigen Brandstiftung gemäß § 306d StGB vorgelegen haben, insbesondere etwa eine teilweise Zerstörung des Mehrfamilienhauses im Sinne von § 306 Abs. 1 StGB gegeben war.

3. Auch die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB durch die - auch insoweit sachverständig beratene - Schwurgerichtskammer begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie hält sich vielmehr im Rahmen der allein vom Tatgericht vorzunehmenden Beurteilung der festgestellten Umstände. Soweit die Revision eine hiervon abweichende eigene Bewertung ins Feld führt, vermag dies einen revisionsrechtlich bedeutsamen Rechtsfehler nicht aufzuzeigen.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 541

Bearbeiter: Christian Becker