HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 896
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 449/15, Beschluss v. 03.05.2016, HRRS 2016 Nr. 896
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 25. Februar 2015 aufgehoben
und die Angeklagte freigesprochen, soweit sie wegen Missbrauchs von Berufsbezeichnungen verurteilt worden ist. Insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last;
im gesamten Strafausspruch, jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Volksverhetzung sowie wegen Missbrauchs von Berufsbezeichnungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und sie im Übrigen freigesprochen. Gegen ihre Verurteilung wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
II. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat Rechtsfehler zu Ungunsten der Angeklagten nur mit Blick auf den Schuldspruch wegen Missbrauchs von Berufsbezeichnungen und auf den Strafausspruch ergeben; der Schuldspruch wegen Volksverhetzung erweist sich hingegen als rechtsfehlerfrei. Im Einzelnen:
1. Die Angeklagte hat sich gemäß § 130 Abs. 3 StGB wegen Volksverhetzung strafbar gemacht, indem sie eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 VStGB (Völkermord) bezeichneten Art in einer Weise öffentlich leugnete, die geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören. Über die Ausführungen des Generalbundesanwalts hinaus gilt insoweit Folgendes:
a) Leugnen ist das Bestreiten, Inabredestellen oder Verneinen einer historischen Tatsache. Es kann nur geleugnet werden, was wahr ist, weshalb das Bestreiten wissenschaftlich noch umstrittener Tatsachen nicht erfasst wird; das Bezweifeln oder Infragestellen einer Tatsache reicht nach herrschender Auffassung ebenfalls nicht aus (LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 130 Rn. 106 mwN; aA Stegbauer, NStZ 2000, 281, 284: Bezweifeln soll aus Gründen der ratio legis genügen). Ein Leugnen liegt auch bei verklausulierten Formulierungen vor, wenn die wahre Bestreitensabsicht eindeutig zum Ausdruck kommt (MüKoStGB/Schäfer, 2. Aufl., § 130 Rn. 80 f. mwN). Ob dies der Fall ist, muss im Wege der Auslegung der Äußerung auf ihren tatsächlichen Gehalt hin ermittelt werden; dies ist Sache des Tatgerichts (BGH, Urteil vom 15. März 1994 - 1 StR 179/93, BGHSt 40, 97, 101). Kommt dieses zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, etwa weil die Erwägungen des Tatgerichts lückenhaft sind oder gegen Sprach- und Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen; die rechtliche Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob allgemeine Auslegungsregeln verletzt worden sind (LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 91 f. mwN). Kriterien der Auslegung sind neben dem Wortlaut der Äußerungen und ihrem sprachlichen Kontext auch sämtliche nach außen hervortretenden Begleitumstände, namentlich etwa die erkennbare politische Grundhaltung der Zuhörer und ihr Vorverständnis, aber auch die nach dem objektiven Empfängerhorizont deutlich werdende Einstellung des sich Äußernden (BGH, aaO, S. 101 f.; Urteil vom 15. Dezember 2005 - 4 StR 283/05, NStZ-RR 2006, 305). Verbleiben Zweifel am Inhalt der Äußerung bzw. ist sie mehrdeutig, gebietet eine am Grundrecht der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ausgerichtete Auslegung, auf die günstigere Deutungsmöglichkeit abzustellen, wenn diese nicht ihrerseits ausgeschlossen ist (BVerfG, Beschluss vom 25. August 1994 - 1 BvR 1423/92, NJW 1994, 2934 mwN).
Nach diesen Maßgaben ist die Würdigung des Landgerichts, der Inhalt des von der Angeklagten gehaltenen Vortrags lasse - jedenfalls im Gesamtzusammenhang - keine andere Deutung zu, als dass sie erklärt habe, es habe den Holocaust nicht gegeben, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere den von der Strafkammer in der rechtlichen Würdigung zitierten Passagen ihres Vortrags, in denen sie zunächst einen Zusammenhang mit dem Delikt der Verleumdung gemäß § 186 StGB herstellte und ausführte, bei diesem sei es - anders als im Fall von § 130 Abs. 3 StGB - so, dass man die Wahrheit sagen dürfe, sodann das vermeintliche Fehlen jeglicher Feststellungen zum Holocaust hervorhob und ihren Vortrag mit dem Wunsch schloss, eine Welt zu schaffen, „in der man die Wahrheit sagen darf, ohne bestraft zu werden“, konnte das Landgericht - auch mit Blick auf die Anforderungen aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und den Zweifelssatz rechtsfehlerfrei - entnehmen, dass es der Angeklagten nicht darum ging, lediglich eingeschränkte Verteidigungsmöglichkeiten in Strafprozessen wegen Holocaustleugnung anzuprangern oder den Holocaust nur als historische Tatsache in Zweifel zu ziehen, sondern darum die - vermeintliche - Wahrheit zu sagen, dass es den Völkermord an Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht gegeben habe, und damit diese historische Tatsache zu leugnen.
b) Der Vortrag war auch geeignet, den öffentlichen Frieden im Sinne von § 130 Abs. 3 StGB zu stören. Dem steht nicht entgegen, dass er in der Schweiz gehalten wurde. Insoweit gilt:
aa) Das Tatbestandsmerkmal bezieht sich nur auf den öffentlichen Frieden in der Bundesrepublik Deutschland. Das ergibt sich aus Folgendem:
Ob ein deutscher Straftatbestand auf ausländische Verhältnisse anwendbar ist oder nicht, ist durch dessen Auslegung im Einzelfall zu bestimmen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 1979 - 1 StR 21/79, BGHSt 29, 85, 88). Ergibt diese, dass durch die Vorschrift ausschließlich inländische Rechtsgüter geschützt werden sollen, so kann der Täter nicht bestraft werden, wenn er durch seine Handlung ein solches nicht verletzt hat (BGH, Beschlüsse vom 26. Juli 1967 - 4 StR 38/67, BGHSt 21, 277, 280; vom 31. Juli 1979 - 1 StR 21/79, BGHSt 29, 85, 88). Der Unterscheidung zwischen inländischen und ausländischen Rechtsgütern kommt allerdings nur Bedeutung zu, wenn - wie hier - staatliche Interessen das Rechtsgut darstellen; insoweit gilt der Grundsatz, dass sich die in Betracht kommenden Straftatbestände des deutschen Strafrechts grundsätzlich nicht auf den Schutz der Belange fremder Staaten beziehen, wenn nicht der Gesetzgeber den Anwendungsbereich ausdrücklich auf ausländische staatliche Interessen oder diejenigen internationaler Organisationen ausdehnt (LK/Werle/Jeßberger aaO, Vor §§ 3 ff. Rn. 274 ff.; SK-StGB/Hoyer, 26. Lfg., Vor § 3 Rn. 34).
Im Rahmen des § 130 Abs. 1 StGB werden unter Teilen der Bevölkerung nur Teile der inländischen Bevölkerung verstanden (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 28. April 1970 - 2 Ss 41/70, NJW 1970, 1649 f.). Soweit eine solche Beschränkung den in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB weiter aufgeführten Angriffsobjekten nicht zu entnehmen ist, wird sie regelmäßig daraus hergeleitet, dass die Norm den innerstaatlichen öffentlichen Frieden schütze (vgl. MüKoStGB/Schäfer aaO, Rn. 31; LK/Krauß aaO, Rn. 28). Auch zu § 130 Abs. 3 StGB hat der Bundesgerichtshof ein entsprechendes Verständnis stillschweigend vorausgesetzt, indem er darauf abgestellt hat, dass es dem Täter darauf angekommen sei, dass seine Äußerungen einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland bekannt werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2000 - 1 StR 184/00, BGHSt 46, 212, 219). Dieser eingegrenzte Schutzbereich entspricht auch dem Verständnis des Gesetzgebers, der sich bei der Reformierung des § 130 Abs. 1 StGB im Jahr 2010 ausdrücklich auf die Regelung in Art. 1 Abs. 2 des „Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ bezogen hat, nach der es den Mitgliedstaaten freistehe, nur solche Handlungen unter Strafe zu stellen, die in einer Weise begangen werden, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu stören; daraus ergebe sich, dass die Tat weiterhin einen Inlandsbezug aufweisen müsse (BT-Drucks. 17/3124, S. 10 f.).
bb) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen befand sich unter den Zuhörern des Vortrags eine unbestimmte Vielzahl von Personen, die aus der Bundesrepublik Deutschland stammten; bereits dies genügt, um die Eignung der Tat zur Störung des öffentlichen Friedens in Deutschland zu belegen, denn diese Zuhörer kehrten im Anschluss an den Vortrag an ihren Wohnort in Deutschland zurück. Es kommt insoweit für die Eignung zur Friedensstörung insbesondere nicht darauf an, ob sie den Inhalt des Vortrags der Angeklagten weiter verbreiteten. Dass der Vortrag inhaltlich geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören, liegt auf der Hand; dies indiziert regelmäßig bereits die Begehung einer Tathandlung im Sinne von § 130 Abs. 3 StGB (MüKoStGB/Schäfer aaO, Rn. 86; vgl. auch BGH, Urteil vom 10. April 2002 - 5 StR 485/01, BGHSt 47, 278, 282).
c) Auf die Tat ist deutsches Strafrecht anwendbar.
aa) Dies folgt indes nicht aus § 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB, denn das Merkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens im Sinne von § 130 Abs. 3 StGB, das zur Einstufung der Vorschrift als einem potentiellen, abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikt (vgl. MüKoStGB/Schäfer aaO, Rn. 9 mwN) führt, umschreibt keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg, so dass eine Inlandstat über § 9 Abs. 1 Variante 3 oder 4 StGB nicht begründet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 2014 - 3 StR 88/14, BGHR StGB § 9 Erfolg 4 mwN zu § 86a StGB). Unabhängig von der Frage, ob die Regelung nicht nur auf Erfolgsdelikte im Sinne der allgemeinen Deliktslehre abstellt, ist jedenfalls an dem Ort, an dem - wie hier - die hervorgerufene abstrakte Gefahr in eine konkrete lediglich umschlagen kann, kein zum Tatbestand gehörender Erfolg eingetreten (ebenso S/S/Eser, StGB, 29. Aufl., § 9 Rn. 6a mwN; Satzger, NStZ 1998, 112, 114 f.; aA BGH, Urteil vom 12. Dezember 2000 - 1 StR 184/00, BGHSt 46, 212, 221). Erforderlich wäre insoweit vielmehr eine von der tatbestandsmäßigen Handlung räumlich und/oder zeitlich abtrennbare Außenweltsveränderung (Hilgendorf, NJW 1997, 1873, 1876), zu der es in den Fällen einer bloß potentiellen Gefahr indes gerade nicht kommen muss; eine solche ist mithin kein Tatbestandsmerkmal und kein zum Tatbestand gehörender Erfolg.
Dieser Auffassung kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, sie konterkariere die Bemühung, den Schutz bestimmter Rechtsgüter durch die Schaffung von abstrakten Gefährdungsdelikten zu erhöhen (so aber Heinrich, GA 1999, 72, 81), denn gerade die diesen Schutz ausmachende Vorverlagerung der Strafbarkeit kann Anlass sein, sie - schon mit Blick auf völkerrechtliche Fragen - nicht ausnahmslos auf Sachverhalte mit internationalem Bezug zu erstrecken. Die Gleichsetzung von abstrakt-konkreten mit konkreten Gefährdungsdelikten würde hier zudem im Ergebnis dazu führen, dass zwischen der Prüfung des Schutzbereichs der Norm und der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nicht mehr differenziert werden könnte. Denn wenn nur der öffentliche Friede in Deutschland geschützt ist, dessen Beeinträchtigung im Sinne eines Taterfolgs letztlich aber die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts begründen würde, ginge es jeweils um dieselbe Frage. Soweit eine Gegenmeinung im Schrifttum darauf abstellt, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 9 StGB durch das 2. Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969 (BGBl. I, S. 717) die bis dahin zu § 3 Abs. 3 StGB aF herrschende Auffassung zum Begehungsort abstrakter Gefährdungsdelikte nicht habe einschränken wollen (so LK/Werle/Jeßberger aaO, § 9 Rn. 33 mwN), verfängt diese Argumentation nicht, weil sich dieser etwaige gesetzgeberische Wille im Wortlaut der Neufassung nicht niedergeschlagen hat; im Gegenteil bringt dieser nunmehr zum Ausdruck, dass der Erfolg zum Tatbestand der Strafnorm gehören muss (ebenso Satzger aaO, S. 115 f.), was bei potentiellen Gefährdungsdelikten - wie dargelegt - nicht der Fall ist.
Der Senat kann diese Frage - wie geschehen - entscheiden, ohne ein Anfrageverfahren gemäß § 132 Abs. 3 GVG durchführen zu müssen. Zwar hat der 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 12. Dezember 2000 (1 StR 184/00, BGHSt 46, 212, 221) ausgeführt, dass bei der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und 3 StGB ein Taterfolg im Sinne von § 9 StGB auch dort eingetreten sei, wo die Tat ihre Gefährlichkeit entfalten könne, mithin ihre konkrete Eignung zur Friedensstörung in der Bundesrepublik Deutschland. Es kann offen bleiben, ob diese Entscheidung, die zur Tatbegehung über das Internet ergangen ist, auch im vorliegenden Fall Geltung beanspruchen könnte. Jedenfalls ist der Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs in der seit dem Jahr 2014 geltenden Fassung mittlerweile allein für Entscheidungen über Revisionen in Strafsachen gegen die Urteile der Strafkammern zuständig, sofern sie - unter anderem - Fälle der Volksverhetzung (§ 130 StGB) betreffen. Eine Anfrage- und gegebenenfalls Vorlagepflicht besteht deshalb nicht (BGH, Beschlüsse vom 9. November 2010 - 5 StR 394/10 u.a., BGHSt 56, 73, 90 f.; vom 20. Mai 2010 - 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180, 183; KK/Hannich, StPO, 7. Aufl., § 132 GVG Rn. 6 mwN).
bb) Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ergibt sich hier aber aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB: die Angeklagte ist Deutsche und die Tat war am Tatort mit Strafe bedroht. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass sich die Strafbarkeit in der Schweiz aus Art. 261 Abs. 4 Schweizer StGB - Rassendiskriminierung - ergibt. Die im Jahr 1995 in Kraft getretene Vorschrift lautet:
"(…) wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstoßenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht, (…) wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Die deutsche und die schweizerische Fassung unterscheiden sich nur sprachlich und selbst insoweit nur in geringem Maße. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob die Tat lediglich in irgendeiner Weise nach dem Recht am Tatort strafbar sein muss (so BGH, Urteil vom 29. Februar 1952 - 1 StR 767/51, BGHSt 2, 160, 161) oder ob zu verlangen ist, dass der deutsche und der ausländische Straftatbestand dieselbe Schutzrichtung verfolgen, mithin ein vergleichbares Rechtsgut vor vergleichbaren Angriffen abgeschirmt werden soll (so SK-StGB/Hoyer aaO, Rn. 38). Denn vorliegend ist die sogenannte Unrechtsparallelität der Normen gegeben. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Tathandlung - öffentliches Leugnen, (gröblich) Verharmlosen oder Billigen bzw. zu rechtfertigen Suchen - als auch für das geschützte Rechtsgut, unabhängig davon, ob Art. 261 Abs. 4 Schweizer StGB - wofür die Überschrift des Zwölften Titels des 2. Buches spricht, die „Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden“ lautet - vornehmlich den öffentlichen Frieden oder die Menschenwürde schützt (vgl. hierzu Niggli, Rassendiskriminierung, 2. Aufl., Rn. 321 ff., insbesondere 338 ff.). Denn in den Schutzbereich von § 130 Abs. 3 StGB ist neben dem öffentlichen Frieden die persönliche Würde sowie der persönliche Achtungsanspruch der Betroffenen gleichermaßen einbezogen (MüKoStGB/Schäfer aaO, Rn. 5 mwN). Soweit die deutsche Vorschrift mit der Eignung zur öffentlichen Friedensstörung ein weiteres Tatbestandsmerkmal bzw. Korrektiv enthält, folgt daraus allenfalls, dass ihr Anwendungsbereich enger ist. Entsprechendes gilt, soweit die Schweizer Regelung nicht auf Völkermorde unter der Herrschaft der Nationalsozialisten beschränkt ist.
Der Zusatz „aus einem dieser Gründe“ in Art. 261 Abs. 4 Schweizer StGB bezieht sich - entgegen der Auffassung der Revision - schon aus offenbaren sprachlichen Gründen nur auf das Handlungsmotiv aus Art. 261 Abs. 4 Hälfte 1 („wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion“), nicht aber auf die Handlungsmodalitäten, das Angriffsobjekt, die Handlung oder die Qualifikation der Weise der Begehung (vgl. Niggli aaO, Rn. 1690 ff.). Es kommt damit nicht darauf an, ob die Angeklagte beabsichtigte, eine Person oder eine Gruppe von Personen in einer gegen die Menschenwürde verstoßenden Weise zu diskriminieren oder herabzusetzen. Entsprechende Feststellungen des Landgerichts waren mithin entbehrlich.
d) Die anwendbare und tatbestandlich erfüllte Vorschrift des § 130 Abs. 3 StGB unterliegt entgegen der Auffassung der Revision keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und verstößt nicht gegen Art. 10 EMRK.
aa) § 130 Abs. 3 StGB kollidiert vorliegend nicht mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, weil der Schutzbereich dieses Grundrechts nicht eröffnet ist. Der Schutz von Tatsachenbehauptungen, um die es bei der Tathandlungsalternative des Leugnens allein geht, endet dort, wo diese zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung nichts beitragen könnten; so verhält es sich mit bewusst oder erwiesen unwahren Tatsachenbehauptungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. April 1994 - 1 BvR 23/94, BVerfGE 90, 241, 247 f.). Da es sich bei dem Massenvernichtungsunrecht, welches unter der Herrschaft des Nationalsozialismus der jüdischen Bevölkerung angetan wurde, um eine geschichtlich erwiesene Tatsache handelt (vgl. BVerfG aaO, S. 249; MüKoStGB/Schäfer aaO, Rn. 77 mwN), kann deren Inabredestellen nicht dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfallen.
Bedeutung beansprucht das Grundrecht der Meinungsfreiheit - wie unter 1. a) dargelegt - allein bei der Auslegung der Äußerung und damit bei der Bestimmung, ob überhaupt ein Leugnen gegeben ist.
bb) Die Vorschrift verstößt auch nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG.
Vereinzelt in der Literatur geäußerte Bedenken in Bezug auf die Weite der Tathandlungen (vgl. die Nachweise bei MüKoStGB/Schäfer aaO, Rn. 76 mwN; weitergehend Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 130 Rn. 8a), verfangen nicht. Die sprachliche Fassung des Tatbestands ist hinreichend deutlich und begrenzt, um auslegungsfähig zu sein (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08, NJW 2010, 47, 54 zu § 130 Abs. 4 StGB), die Vorschrift daher in der von der Rechtsprechung angewendeten restriktiven Auslegung (siehe oben Ziff. 1. a)) trennscharf zu handhaben.
Das sprachlich weit gefasste Merkmal des öffentlichen Friedens ist als ein Tatbestandsmerkmal zu verstehen, dessen Inhalt sich aus dem Normenzusammenhang eigens bestimmt. Es hat lediglich die Funktion eines Korrektivs. Grundsätzlich begründet bereits die Verwirklichung der anderen Tatbestandsmerkmale die Strafbarkeit, bei deren Erfüllung auch die Störung des öffentlichen Friedens (bzw. die Eignung hierzu) - wie dargelegt - vermutet werden kann. Eigenständige Bedeutung hat es daher nur in atypischen Situationen, wenn diese Vermutung auf Grund besonderer Umstände nicht trägt. Es handelt sich insoweit mithin nicht um ein strafbegründendes Tatbestandsmerkmal, sondern um eine Wertungsformel zur Ausscheidung nicht strafwürdig erscheinender Fälle (vgl. BVerfG aaO, S. 54 zu § 130 Abs. 4 StGB).
cc) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann die Meinungsfreiheit gemäß Art. 10 Abs. 1 EMRK wegen des sich aus Art. 17 EMRK ergebenden Missbrauchsverbots nicht in Fällen geltend gemacht werden, in denen es um die Leugnung des Holocausts und damit zusammenhängende Fragen geht (vgl. EGMR, Entscheidungen vom 13. Dezember 2005 - 7485/03, juris Rn. 49 mwN; vom 24. Juni 2003 - 65831/01, NJW 2004, 3691, 3692 f.).
2. Die gegen die Angeklagte wegen dieser Tat verhängte Einzelstrafe kann indes keinen Bestand haben, weil sich die Strafrahmenwahl des Landgerichts als rechtsfehlerhaft erweist. Insoweit gilt:
Die Strafkammer hat ohne nähere Ausführungen den Strafrahmen des § 130 Abs. 3 StGB zur Anwendung gebracht und dabei nicht in den Blick genommen, dass das Recht am Tatort mit Art. 261 Abs. 4 Schweizer StGB eine mildere Strafrahmenobergrenze (drei statt fünf Jahre Freiheitsstrafe) vorsieht. Die Anwendung des deutschen Strafrechts stellt sich im Rahmen des aktiven Personalitätsprinzips, das vorliegend als strafanwendungsrechtlicher Grundsatz verwirklicht wird (vgl. LK/Werle/Jeßberger aaO, § 7 Rn. 74), zwar als originäre Aufgabe der deutschen Gerichte und Strafverfolgungsbehörden und nicht etwa als - stellvertretend wahrgenommene - Aufgabe der Tatortgerichte dar. Gleichwohl kann das Tatortrecht auch bei der Beurteilung von gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB nach dem Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland verfolgbaren Taten grundsätzlich zugunsten des Täters berücksichtigt werden. Insbesondere muss das Tatgericht bei der Strafzumessung regelmäßig Rücksicht auf Art und Maß des Tatortrechts nehmen (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1996 - 5 StR 183/95, BGHSt 42, 275, 279 mwN).
Dies hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei der gebotenen Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze zu einer niedrigeren Strafe gelangt wäre, und hebt die verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf.
3. Der Schuldspruch wegen Missbrauchs von Berufsbezeichnungen gemäß § 132a StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.
a) Die Strafkammer hat hierzu festgestellt, die Angeklagte habe sich im Briefkopf eines Schriftsatzes, mit dem sie gegenüber dem Landgericht München II im Zwischenverfahren zu dem Anklagevorwurf der Volksverhetzung Stellung nahm, als Rechtsanwältin bezeichnet. Hinter der Bezeichnung brachte sie eine Fußnote an; der Fußnotentext am Ende der Seite lautete: „Seit 16. Dezember 2011 aus der Rechtsanwaltschaft der BRD ausgeschlossen wegen sog. 'Holocaust-Leugnung' vor Gericht“.
Das Landgericht hat in der rechtlichen Würdigung ausgeführt, die Angeklagte habe damit die Berufsbezeichnung - nach dem gegen sie ausgesprochenen Berufsverbot zu Unrecht - geführt. Die Hinzufügung der Fußnote und des erläuternden Textes ändere daran nichts, denn der Bezeichnung als Rechtsanwalt komme gerade im Schriftverkehr mit Gerichten große Bedeutung zu: Mit der Eigenschaft als Rechtsanwalt sei eine besondere Stellung verbunden; eine Person, die sich zu Unrecht so bezeichne, könne insbesondere etwa von den - die Schriftsätze nicht lesenden - Beschäftigten auf der Geschäftsstelle oder im Vertretungsfall auch von Richtern Auskünfte bekommen, die anderen Personen nicht erteilt würden.
b) Diese Feststellungen und Wertungen tragen die Verurteilung wegen Missbrauchs von Berufsbezeichnungen nicht.
Es ist bereits fraglich, ob die Angeklagte durch die Verwendung der Berufsbezeichnung im Briefkopf diese hier tatsächlich in dem Sinne führte, dass sie sie für sich in Anspruch nahm (vgl. insoweit LK/Krauß aaO, § 132a Rn. 59; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 132a Rn. 26). Denn es entspricht allgemeiner Meinung, dass der Tatbestand mit Blick auf das von ihm geschützte Rechtsgut einschränkend ausgelegt werden muss. Die Vorschrift soll das Vertrauen der Allgemeinheit in die tatbestandlich erfassten Amts- und Berufsbezeichnung, Titel und Abzeichen schützen und Einzelne davor bewahren, sich einer angemaßten Autorität gegenüberzusehen und hierdurch gegebenenfalls einen Schaden zu erleiden (vgl. BT-Drucks. 7/550, S. 361). Demgemäß verlangt die Rechtsprechung, dass das Führen der Bezeichnung in einer Art und Weise und unter Umständen geschehen muss, die die in Schutz genommenen Interessen der Allgemeinheit irgendwie berühren können (BGH, Beschlüsse vom 13. Mai 1982 - 3 StR 118/82, BGHSt 31, 61, 62 f.; vom 17. November 2011 - 3 StR 203/11, NStZ 2012, 700). Insofern sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Art und Häufigkeit der Verwendung sowie der Adressatenkreis der Äußerung.
Angesichts der nur einmaligen Verwendung auf einem Schriftsatz gegenüber dem Gericht, dessen Richter jedenfalls aufgrund der Anklageschrift bereits Kenntnis davon hatten, dass der Angeklagten die Zulassung entzogen worden war, erscheint die Annahme einer Beeinträchtigung der geschützten Interessen auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Landgerichts in seiner rechtlichen Würdigung bereits bedenklich, zumal die Angeklagte durch die hinzugefügte Fußnote selbst auf das Erlöschen ihrer Zulassung hinwies und dadurch die Gefahr eines ihr irrtümlich entgegengebrachten Vertrauens minimierte.
Mit diesem Zusatz brachte sie zudem zum Ausdruck, dass sie die Berufsbezeichnung nicht für sich in Anspruch nehmen wollte. Damit scheidet bei der gegebenen Sachlage aber jedenfalls die Annahme aus, die Angeklagte habe den Missbrauch der Bezeichnung „Rechtsanwältin“ vorsätzlich begangen, denn sie tat dies nicht, um damit ihr nicht zustehende Befugnisse oder erhöhtes Vertrauen in ihren Berufsstand zu erlangen (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 17. November 2011 - 3 StR 203/11, NStZ 2012, 700).
Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Verhandlung weitere Feststellungen getroffen werden können, aufgrund derer eine Verwirklichung des subjektiven Tatbestands bejaht werden könnte, und spricht die Angeklagte deshalb insoweit frei (§ 354 Abs. 1 StPO).
4. Nach dem Wegfall des Schuldspruchs wegen des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen wird das neue Tatgericht nur noch wegen der von der Angeklagten begangenen Volksverhetzung eine neue Einzelstrafe zuzumessen haben. Die zum Strafausspruch getroffenen Feststellungen werden von dem insoweit aufgezeigten Rechtsfehler (siehe oben Ziff. 2) nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 896
Externe Fundstellen: NStZ 2017, 146 ; StV 2018, 97
Bearbeiter: Christian Becker