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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 309

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 543/14, Beschluss v. 08.01.2015, HRRS 2015 Nr. 309


BGH 3 StR 543/14 - Beschluss vom 8. Januar 2015 (LG Mainz)

Fehlende Auseinandersetzung mit der möglicherweise eingeschränkten oder ausgeschlossenen Unrechtseinsicht bei an Schizophrenie mit massiven Wahnvorstellungen leidender Angeklagter.

§ 20 StGB; § 21 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 7. August 2014 aufgehoben; die objektiven Feststellungen zu den Anlasstaten bleiben jedoch aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung, versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Beleidigung, versuchter räuberischer Erpressung sowie wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision der Angeklagten mit der allgemeinen Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet die Angeklagte spätestens seit 2002 an einer Schizophrenie, die bei ihr zu massiven Wahnvorstellungen geführt hat. Die Angeklagte ist der Überzeugung, ihre Mutter und deren Lebensgefährte würden sie um ihr väterliches Erbe betrügen. Sie habe eine Erbschaft in Höhe von 400.000 € erlangt. Hierzu gehöre auch das Weingut der Familie. Tatsächlich ist ihr dieses Weingut bereits 1996 übertragen worden. Sie war indes krankheitsbedingt zur ordnungsgemäßen Verwaltung nicht in der Lage. Wegen finanzieller Schwierigkeiten musste der Betrieb Ende des Jahres 2002 verlustbringend veräußert werden. Obwohl seit 2002 arbeitslos, behauptet die Angeklagte, sie sei erfolgreich beruflich tätig. Aufgrund dieser Fehlvorstellungen wurde die Angeklagte in der Vergangenheit gegenüber Familienangehörigen aggressiv. Sie forderte von ihnen fortdauernd "finanzielle Zuwendungen aus der ihr nach ihrer Vorstellung zustehenden Erbschaft ein und versuchte, diese Forderungen auch regelmäßig durch verbale Drohungen sowie körperliche Gewalt durchzusetzen" (UA S. 7).

Gegenstand der Verurteilung sind vier Übergriffe im ersten Halbjahr 2013. Die Angeklagte trat den Lebensgefährten ihrer Mutter mit den Füßen in den Unterleib und beleidigte ihn (Fall II. 1); sie forderte - teilweise unter Beschimpfungen - von ihrer Mutter zweimal vergeblich Geld und drohte ihr dabei, sie werde sie ansonsten töten (Fälle II. 2 und 3). Zuletzt überfiel sie ihre Mutter, würgte diese am Hals und drückte sie schmerzhaft mittels eines Torflügels gegen die Hauswand. Sie versuchte, der Mutter einen wertvollen Brillantring vom Finger zu reißen, was ihr wegen der Gegenwehr und des Hinzutretens des Lebensgefährten nicht gelang (Fall II. 4).

Das Landgericht hat sachverständig beraten festgestellt, dass bei der Angeklagten zu den Tatzeitpunkten jeweils krankheitsbedingt eine allgemeine aggressive Verstimmung, eine erhebliche Antriebssteigerung mit einer deutlich erhöhten Reaktionsbereitschaft im Rahmen sozialer Interaktionen und wahnhafte Gedankeninhalte vorlagen. Insbesondere in den Fällen II. 2 bis 4 sei "die wahnhafte Vorstellung der Angeklagten, sie solle um ihr Erbe betrogen werden und ihr stünden erhebliche Geldansprüche gegen die Zeugin A. [die Mutter] zu, bestimmendes Motiv ihres Handelns" gewesen (UA S. 15). Es ist deshalb von einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB ausgegangen.

2. Die Feststellungen des Landgerichts zum objektiven Geschehen beruhen auf einer fehlerfreien Beweiswürdigung. Auch die Beurteilung der Taten als solche der mittleren Kriminalität und deshalb bei Wiederholungsgefahr ausreichend für die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

3. Schuld- und Rechtsfolgenausspruch können indes nicht bestehen bleiben, weil die Annahme von - wenn auch eingeschränkt - erhalten gebliebener Schuldfähigkeit angesichts des festgestellten psychischen Zustands und der Tatmotivation der Angeklagten nicht belegt ist.

Schizophrenie ist eine Bezeichnung für eine Gruppe psychischer Erkrankungen, die durch charakteristische Störungen des Denkens, des Antriebs, der Wahrnehmung, der Affektivität, des Ich-Erlebens und des Verhaltens gekennzeichnet sind (vgl. hierzu und zum Folgenden Kröber/Lau in Kröber/Dölling/Leygraf/Saß, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Band 2, S. 312 f., 327 ff.). In ihrer häufigsten Erscheinungsart, der paranoid-halluzinatorischen Form, ist die Schizophrenie mit wahnhaften Vorstellungen und - zumeist akustischen - Halluzinationen verbunden. Eine akute psychotische Symptomatik im Sinne einer exazerbierten schizophrenen Psychose geht mit einer Aufhebung der Fähigkeit zur Realitätswahrnehmung und zur Realitätsprüfung und einer massiven Veränderung grundlegender Denkfunktionen einher. Die Realitätswahrnehmung kann dabei so tiefgreifend verändert sein, dass die Einsichtsfähigkeit in das Rechtswidrige des Handelns nicht mehr gegeben ist.

Das Landgericht hat die Wahnvorstellungen der Angeklagten für drei der Taten als handlungsleitend eingeschätzt. Gleiches liegt auch für die vierte Tat nicht fern, da der Lebensgefährte der Mutter in das Wahnsystem der Angeklagten einbezogen war. Es ist deshalb möglich, dass die Erkrankung der Angeklagten bereits deren Einsichtsfähigkeit in das Unrecht der Taten erheblich vermindert oder gar ausgeschlossen hat. Hiermit hätte sich die Strafkammer auseinandersetzen müssen. Da Schuldunfähigkeit der Angeklagten bei den Taten nicht auszuschließen ist, muss über den Schuldspruch und die gesamten Rechtsfolgen der Taten erneut entschieden werden.

Die objektiven Feststellungen zu den einzelnen Taten können bestehen bleiben.

4. Der neue Tatrichter wird zu erwägen haben, ob er mit der Begutachtung einen anderen Sachverständigen beauftragt. Für den Fall, dass er erneut zur Annahme von (eingeschränkter) Schuldfähigkeit gelangt, macht der Senat darauf aufmerksam, dass die Strafrahmenbestimmung bei § 223 StGB im angegriffenen Urteil (UA S. 16 und 17) ebenso rechtsfehlerhaft ist wie die strafschärfende Würdigung fehlender Reue (UA S. 18) bei einer die Taten bestreitenden Angeklagten (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2014 - 1 StR 589/13, NStZ 2014, 396, 397).

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 309

Bearbeiter: Christian Becker