HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 308
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 541/14, Beschluss v. 03.02.2015, HRRS 2015 Nr. 308
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 19. Juni 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zur Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts glaubte der Angeklagte, der seit dem Sommer des Jahres 2013 an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie litt, dass aus der Wohnung unter der seinen ständig Fangesänge für den Fußballverein Werder Bremen ("Werder-Lieder") zu hören seien. Die Wohnung war ab September des Jahres 2013 an Frau K., das spätere Tatopfer, vermietet. Der Angeklagte ging davon aus, sie und ihre Vormieterin hätten sich verschworen, um ihn mit diesen Liedern zu belästigen; in diesem Zusammenhang war er der wahnhaften Vorstellung, durch die Verwendung einer besonderen Tapete, die kurz vor dem Einzug von Frau K. angebracht worden sei, würden die Schallwellen in seine Wohnung geleitet.
Am 5. Dezember 2013 beschloss der Angeklagte deshalb, Frau K. zur Rede zu stellen. Dazu lauerte er ihr im Außenbereich des Gebäudes auf und folgte ihr, als sie von der Arbeit nach Hause kam, unbemerkt bis in deren Wohnung. Er wollte nur in Ruhe mit Frau K. reden, führte aber gleichwohl ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von zwölf Zentimetern mit sich, um seinem Opfer erforderlichenfalls "ein bisschen Angst zu machen". Zudem trug er Handschuhe, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Als Frau K. des Angeklagten in ihrer Wohnung gewahr wurde, erschrak sie und schrie auf. Der Angeklagte befahl ihr, ruhig zu sein und hielt ihr den Mund zu. Er forderte, dass sie in Zukunft die Musik nicht mehr so laut stellen solle und drohte ihr dabei mit dem Messer. Er hielt sie währenddessen am Arm fest; sie konnte sich indes losreißen und fing erneut an zu schreien. Daraufhin stach der Angeklagte, der mit der Situation überfordert war und wollte, dass sie aufhörte zu schreien, mehrfach mit dem Messer in ihre Brust- und Bauchgegend. Dabei erkannte er die Lebensgefährlichkeit seines Handelns, wollte sein Opfer zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht töten.
Nach einem sich anschließenden Gerangel lagen Frau K. und der Angeklagte auf dem Bett; der Angeklagte realisierte nach einer längeren, nicht im Einzelnen zu bestimmenden Zeit, in der er nach seiner Vorstellung ein "relativ normales Gespräch" mit ihr führte, dass Frau K. immer noch lebte und bekam Angst, dass er wegen der vorangegangenen Messerstiche nicht unerheblich bestraft werden könnte, wenn er sie jetzt nicht tötete. Daraufhin würgte er sie für mehrere Minuten. Dabei hatte er nunmehr das Ziel und den Willen, sein Opfer zu töten und dadurch die vorangegangene gefährliche Körperverletzung zu verdecken. Nachdem Frau K. bewusstlos geworden war, fügte er ihr mit dem Messer weitere Stiche in den Hals, den Oberkörper und in den Oberarm zu. Sie verstarb an einer Kombination aus Ersticken und Verbluten.
2. Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung durch eine schriftliche Erklärung seines Verteidigers dahin eingelassen, er habe bei den ersten Stichen die Situation beenden wollen und damit gerechnet, dass diese Stiche tödlich sein könnten.
a) Auf der Grundlage dieser Einlassung kommt in Betracht, dass der Angeklagte, als er sein Opfer mit direktem Tötungsvorsatz würgte und sodann erneut auf es einstach, lediglich die bereits - mit bedingtem Tötungsvorsatz - begonnene Tötung vollenden, nicht aber eine andere Straftat verdecken wollte (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 1990 - 5 StR 102/90, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 5 mwN; Beschluss vom 10. Mai 2000 - 1 StR 617/99, NStZ 2000, 498). In diesem Fall würde die Annahme eines Verdeckungsmordes jedenfalls mit der gegebenen Begründung ausscheiden.
b) Die Beweiswürdigung der Strafkammer, aufgrund derer sie zu dem Ergebnis gelangt ist, der Angeklagte habe entgegen seiner Einlassung erst später, nachdem er sich mit Frau K. auf dem Bett unterhalten hatte, den Vorsatz gefasst, sie zu töten, hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand:
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, widersprüchlich oder unklar ist oder gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt, namentlich aber auch dann, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2011 - 2 StR 521/10, juris Rn. 10 mwN). Der Zweifelssatz ist eine Entscheidungsregel, die dem Gericht vorschreibt, wie zu entscheiden ist, wenn es bei der Tatsachenfeststellung Zweifel hat (LR/Kühne, StPO, 26. Aufl., Einl. I Rn. 49 mwN). Verurteilt es den Angeklagten, obwohl es Zweifel an seiner Täterschaft hat, ist der Grundsatz "in dubio pro reo" verletzt (LR/Franke aaO, § 337 Rn. 133 mwN). So verhält es sich hier:
Das Landgericht führt eingangs des Abschnitts, in dem es sich mit der entgegenstehenden Einlassung des Angeklagten auseinandersetzt, aus, es habe "(zumindest bedingten) Tötungsvorsatz" nicht feststellen können. Im Anschluss daran befasst es sich mit den für und gegen einen Tötungsvorsatz sprechenden Beweisanzeichen und legt dabei unter anderem dar, wegen der Unmöglichkeit festzustellen, welche Stiche der Angeklagte mit welcher Stichtiefe seinem Opfer vor dem Würgevorgang zugefügt hatte, könne "eine den Tötungsvorsatz nahelegende Heftigkeit der Tatausführung [...] nicht mit der notwendigen Sicherheit angenommen werden". Abschließend legt die Strafkammer das Ergebnis nieder, dass sie "aus den vorgenannten Gründen [...] bei Vornahme der Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände nicht die für eine Verurteilung notwendige Sicherheit dafür" habe erlangen können, dass der Angeklagte bereits die ersten Stiche mit (bedingtem) Tötungsvorsatz führte.
Damit hat die Strafkammer das anfängliche Vorliegen des Tötungsvorsatzes in Anwendung des Zweifelssatzes verneint. Dies ist rechtsfehlerhaft: Das Landgericht hat so den Grundsatz "in dubio pro reo" verletzt, indem es auf einer Tatsachengrundlage, von deren Vorliegen es nicht zweifelsfrei überzeugt war, nicht etwa zu dem für den Angeklagten günstigeren Schuldspruch wegen einer einheitlichen Tat des Totschlags gelangt ist, sondern zu der für den Angeklagten nachteiligen rechtlichen Würdigung, er habe bei dem Würgevorgang und bei den späteren Stichen die vorangegangene gefährliche Körperverletzung verdecken wollen und so ein Mordmerkmal verwirklicht.
3. Der Schuldspruch wegen Mordes erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis rechtsfehlerfrei. Zwar kann - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - die zu verdeckende Tat auch eine solche sein, die gegen Leib und Leben gerichtet ist (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 1987 - 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116). Um eine andere Straftat im Sinne von § 211 Abs. 2 Var. 9 StGB handelt es sich jedoch - wie dargelegt - nicht, wenn der Täter nur diejenige Tat verdecken will, die er gerade begeht, was etwa dann der Fall ist, wenn während einer einheitlichen Tötungshandlung die Verdeckungsabsicht nur noch als weiteres Motiv für die Tötung hinzutritt. Auch ein zäsurloser Übergang vom bedingten zum unbedingten Tötungsvorsatz würde die zeitlich davorliegenden Teile einer einheitlichen Tötungshandlung nicht als eine andere Straftat erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2000 - 1 StR 617/99, NStZ 2000, 498). Voraussetzung der Annahme eines Verdeckungsmordes ist in diesen Fällen deshalb in aller Regel, dass zwischen einem (erfolglosen) ersten, mit Tötungsvorsatz vorgenommen Angriff und einer erneuten, nunmehr mit Verdeckungsabsicht begangenen Tötungshandlung eine deutliche zeitliche Zäsur liegt (vgl. MüKo-StGB/Schneider, 2. Aufl., § 211 10 11 Rn. 229 mwN; BGH, Urteile vom 12. Juni 2001 - 5 StR 432/00, NStZ 2002, 253; vom 12. Dezember 2002 - 4 StR 297/02, NJW 2003, 1060).
Ob eine solche Zäsur hier gegeben ist, kann der Senat aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Das Landgericht ist zwar von einer "längere[n] [...] zeitliche[n] Zäsur" ausgegangen, hat aber deren Ausmaß - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - letztlich offen gelassen, indem es ausgeführt hat, sie lasse sich im Einzelnen nicht mehr bestimmen. Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann der Senat nicht entnehmen, ob zwischen den ersten Stichen und den späteren Tathandlungen des Angeklagten ein Einschnitt gegeben war, der die Annahme, bei den Stichen habe es sich um eine andere Tat im Sinne von § 211 Abs. 2 Var. 9 StGB gehandelt, rechtfertigen könnte.
4. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Für die Frage, ob der Angeklagte bereits bei den ersten Stichen mit Tötungsvorsatz handelte, könnte es von Bedeutung sein, ob - so die bisherigen Feststellungen - er von vornherein zur Vermeidung von Fingerabdrücken Handschuhe anzog; dies würde sich nicht ohne Weiteres mit seiner Einlassung decken, er habe sein späteres Opfer nur in Ruhe zur Rede stellen wollen.
Es kann auf eine Zäsur zwischen den ersten Stichen und den schließlich zum Tod von Frau K. führenden Tathandlungen hindeuten, dass der Angeklagte - jedenfalls aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen - sein wesentliches Tatmittel dergestalt änderte, dass er - zunächst - von weiteren Stichen absah und sein Opfer minutenlang würgte und so den Tod durch Ersticken - in Kombination mit Verbluten infolge der multiplen Stichverletzungen - herbeiführte (vgl. dazu MüKo-StGB/Schneider, aaO; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2000 - 1 StR 617/99, NStZ 2000, 498, 499).
Sollte das neue Tatgericht bei der Strafzumessung die Brutalität der Tatbegehung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigen wollen, wird es sich mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob diese nicht auch auf dem zur erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit führenden Zustand des Angeklagten beruhte und ob ihm dies deshalb in vollem Umfang vorwerfbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 5 StR 69/14, NStZ-RR 2014, 140).
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 308
Externe Fundstellen: NStZ 2015, 458; StV 2015, 693
Bearbeiter: Christian Becker