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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 15

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 379/14, Urteil v. 30.10.2014, HRRS 2015 Nr. 15


BGH 3 StR 379/14 - Urteil vom 30. Oktober 2014 (LG Schwerin)

Rechtsfehlerfreies Unterbleiben der Unterbringungsanordnung (tatrichterliche Auseinandersetzung mit divergierenden Sachverständigengutachten).

§ 261 StPO; § 267 StPO; § 63 StGB

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 17. Dezember 2013 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit "vorsätzlicher" Körperverletzung sowie wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, mit der sie - gestützt auf eine Verfahrensbeanstandung und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts - das Urteil angreift, soweit der Angeklagte nicht in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden ist. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte an einer leichten Intelligenzminderung und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, narzisstischen und Borderlinezügen sowie Tendenzen zur Selbstunsicherheit und Abhängigkeit. Mit Urteil vom 28. September 1995 wurde er wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch von Kindern zum Nachteil eines achtjährigen Mädchens zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und es wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dies war bereits die zweite Verurteilung wegen einer Sexualstraftat zu Lasten eines minderjährigen Mädchens. Die Unterbringung dauert noch an, jedoch wurden dem Angeklagten zunehmend Lockerungen gewährt. Ab dem 1. Januar 2011 wurde er in eine Wohngruppe des Diakoniewerks C. beurlaubt, wo er mehrere Tage der Woche verbrachte. In der Wohngruppe lebte auch S., mit der der Angeklagte seit Februar 2011 liiert und seit Dezember 2011 verlobt ist. Beide äußerten im August 2011 erstmals den Wunsch zusammenzuziehen, was die Klinik und das Diakoniewerk jedoch ablehnten; dies geschah auch vor dem Hintergrund, dass die 10-jährige Tochter von S. aus einer vorangegangenen Beziehung wieder mit ihr zusammenziehen sollte und Mädchen dieses Alters Opfer der Sexualstraftaten des Angeklagten geworden waren. Der Angeklagte und seine Verlobte haben seit Oktober 2012 einen gemeinsamen Sohn.

In der Tagesstätte des Diakoniewerks, die der Angeklagte ab Januar 2012 immer nur freitags aufsuchte, nahm seit Ende Dezember 2011 die Nebenklägerin verschiedene Therapieangebote wahr. Sie bewohnte eine Wohnung in einem Haus der Diakonie für betreutes Wohnen. Der Kontakt zwischen ihr und dem Angeklagten ging über bloß oberflächliche Begegnungen nicht hinaus.

Am 26. April 2012 fand eine Gesprächskonferenz statt, bei der es um die private und berufliche Zukunft des Angeklagten gehen sollte, unter anderem auch um das beabsichtigte Zusammenziehen mit seiner Verlobten, das von der Klinik in U. indes nach wie vor nicht befürwortet wurde. Am Vorabend dieses Tages suchte der Angeklagte gegen 22.30 Uhr die Nebenklägerin in ihrer Wohnung auf. Nach einem "netten" Gespräch bat sie den Angeklagten um 23 Uhr, nunmehr zu gehen. Dieser forderte zum Abschied eine Umarmung; die Nebenklägerin kam dem nur widerwillig nach. Als der Angeklagte den Druck der Umarmung erhöhte, bat sie ihn im lauten Ton, er solle aufhören und nach Hause gehen. Der Angeklagte packte sie nunmehr am Hals und schob sie gewaltsam auf das Bett. Er setzte sich auf ihren Unterleib, öffnete seine Hose und wollte auch ihr die Hose ausziehen, um an ihr gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Er hielt sie weiterhin am Hals, schwang die Faust und teilte ihr mit, dass er jetzt wolle und dass etwas passiere, wenn sie nicht ruhig bleibe. Die Nebenklägerin hatte Angst um ihr Leben, fürchtete, einen epileptischen Anfall zu erleiden und bekam Atemnot. Der Angeklagte gestattete ihr nach mehrfachen Bitten, sich aufzusetzen, hielt sie aber weiterhin fest. Da die Nebenklägerin fürchtete, der Angeklagte werde ihr beim Geschlechtsverkehr erhebliche Schmerzen zufügen und sie erneut in Luftnot bringen, fragte sie ihn - um dem zu entrinnen - unter dem Eindruck der Gewalt stehend, ob er von ihr ablasse, wenn sie ihn oral befriedigen würde. Der Angeklagte ließ sich darauf ein; er hielt sie weiterhin an einer Hand fest und drückte ihren Kopf während des Oralverkehrs herunter, bis er in ihren Mund ejakulierte. Anschließend schwang er erneut seine Faust und drohte ihr, es werde etwas passieren, wenn sie etwas sage. Beim Verlassen der Wohnung ließ er sich schließlich ihr Schweigen per Handschlag versprechen; die Nebenklägerin kam dem aus Angst nach, vertraute sich aber am Folgetag einem Bekannten an und erstattete am 2. Mai 2012 Anzeige bei der Polizei. Seitdem befindet sich der Angeklagte wieder in Vollziehung seiner Unterbringung in der Klinik in U. .

Das Landgericht hat den Angeklagten nach Anhörung von zwei Sachverständigen für voll schuldfähig erachtet. Dabei hat es - dem Sachverständigen Prof. Dr. K. folgend - insbesondere darauf abgestellt, dass die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten die Tat - auch im Zusammenspiel mit einer leichten alkoholbedingten Enthemmung - nicht wesentlich beeinflusst habe. Eine subjektive Zuspitzung der Situation, wie sie bei den Vortaten angenommen worden war, sei vor der Tat nicht eingetreten; insbesondere habe der Angeklagte keine existenzbedrohenden Ängste verspürt, sondern sich vielmehr in einer im Unterschied zu den vergangenen Jahren aussichtsreichen Position befunden. Auch die Tat als solche stelle sich angesichts der zahlreichen, auf eine erhaltene Steuerungsfähigkeit hindeutenden Handlungen nicht als Ausdruck abgeleiteter Frustration, Wut oder Existenzangst dar. Demgegenüber habe der Sachverständige Prof. Dr. B. letztlich allein aus der Diagnose der kombinierten Persönlichkeitsstörung auf die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit geschlossen. Damit habe der Sachverständige die erforderliche Unterscheidung zwischen der Erkrankung und der sich anschließenden Frage, ob die Erkrankung sich tatbezogen auf die Schuldfähigkeit ausgewirkt hat, nicht vorgenommen. Den weiteren Ausführungen des Sachverständigen, weil der Angeklagte die Tat trotz der Gefährdung seines Rehabilitationserfolges begangen habe, sich also nicht habe bremsen können, deute dies darauf hin, dass er sich nicht habe steuern können, sei schon deshalb nicht zu folgen, weil dieser Schluss letztlich auf jeden - auch gesunden - Wiederholungstäter zutreffen könne.

2. Die - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - wirksam auf den Strafausspruch sowie die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.

a) Die Verfahrensrüge ist bereits unzulässig, weil die Staatsanwaltschaft die von ihr in Bezug genommene, von einer Zeugin in der Hauptverhandlung überreichte Aktennotiz vom 30. April 2012 nicht vorträgt. Dem Senat ist es deshalb nicht möglich zu überprüfen, ob sich aus dieser Aktennotiz die den Feststellungen zu Grunde gelegten Beobachtungen der Klinikärztin in U. ergeben, was der Rüge der Verletzung des § 261 StPO den Boden hätte entziehen können und deshalb nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zum notwendigen Vortrag der Verfahrensrüge gehörte (vgl. LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 78 mwN).

b) Im aufgezeigten Umfang der Anfechtung deckt auch die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge keinen Rechtsfehler zu Lasten oder zu Gunsten (vgl. § 301 StPO) des Angeklagten auf. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend ausgeführt hat, hat das Landgericht die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen der divergierenden Gutachten in der Beweiswürdigung dargestellt, sich ausführlich mit ihnen auseinandergesetzt und sie überprüft sowie eingehend begründet, warum es sich der Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. K. und nicht derjenigen des Sachverständigen Prof. Dr. B. angeschlossen hat. Die Ausführungen der Staatsanwaltschaft, mit denen sie diese Würdigung der Strafkammer angreift, zeigen keine durchgreifenden Rechtsfehler, insbesondere keine Lücken oder Widersprüche in der Beweiswürdigung auf, sondern erschöpfen sich der Sache nach in dem Versuch, die eigene Würdigung der Beweise an die Stelle derjenigen des Tatgerichts zu setzen; damit kann die Staatsanwaltschaft in der Revision nicht durchdringen.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 15

Bearbeiter: Christian Becker