HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 1042
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 372/14, Beschluss v. 16.09.2014, HRRS 2014 Nr. 1042
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 26. März 2014 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Geschehen der Tat vom 25. Juli 2013 aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision führt zur Aufhebung dieser Anordnung.
Nach den Feststellungen hielt sich der nicht vorbestrafte, 53 Jahre alte Beschuldigte, der keinen festen Wohnsitz hatte, am 25. Juli 2013 in einer Schutzhütte an einem Wanderweg im Auetal auf. Sein Pfadfindermesser lag auf einem Tisch vor der Hütte. Als eine Fahrradfahrerin und deren joggende Tochter die Hütte passieren wollten, stellte er sich diesen unvermittelt in den Weg. Er beleidigte die Frau in aggressiver Weise und forderte sie unter der Drohung, sie ansonsten aufzuschlitzen, zu sexuellen Handlungen auf. Die Frau versuchte zu flüchten; er hielt jedoch ihr Fahrrad am Gepäckträger fest und schrie unentwegt weiter. Als ein der Frau gehörender Hund anschlug und den Beschuldigten anbellte, ließ dieser das Fahrrad kurz los. Dies nutzte die Frau, um schnellstmöglich davonzufahren. Der Beschuldigte lief ihr noch 30 bis 40 Meter hinterher, gab die Verfolgung dann aber auf. In der Folgezeit befand er sich weiterhin auf freiem Fuße, bis am 17. Dezember 2013 die Untersuchungshaft und sodann am 20. Dezember 2013 seine einstweilige Unterbringung angeordnet wurde. Die Strafkammer hat die Tat als versuchte schwere sexuelle Nötigung gewertet (§ 177 Abs. 1 und 3, §§ 22, 23 StGB) und einen strafbefreienden Rücktritt ausgeschlossen.
1. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn das Landgericht hat jedenfalls nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass von dem Beschuldigten in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, juris Rn. 5; vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5).
b) Das Landgericht hat - dem Gutachten des Sachverständigen folgend - angenommen, dass der Beschuldigte an einer endogenen Psychose aus dem "schizophrenen Formenkreis" leidet (ICD-10 F20.0 bzw. 23.0). Sein Verhalten sei durch eine wahnhafte Verkennung und Verarbeitung der Realität sowie ein wahnhaftes Verfolgungserleben gekennzeichnet. Seine Stimmung sei wechselhaft, er verhalte sich unvermittelt gereizt sowie aggressiv und werde verbal übergriffig und beleidigend. Es ist weiter davon ausgegangen, die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten seien aufgrund seiner Erkrankung aufgehoben gewesen (§ 20 StGB). Den Zusammenhang zwischen der Erkrankung des Beschuldigten und der Tat hat die Strafkammer nicht näher dargelegt. Zur Gefährlichkeit des Beschuldigten hat sie ausgeführt, die Krankheit des Beschuldigten werde sich weiter verschlechtern. Der Beschuldigte erlebe die Außenwelt als ausgesprochen feindselig. Es bestehe daher die Gefahr, dass er es aufgrund seines Verfolgungswahns für erforderlich halte, sich gegen andere Personen zur Wehr zu setzen und diese anzugreifen. Auch gravierende Straftaten könnten nicht ausgeschlossen werden. Die Gefahr schwerwiegender Straftaten bestehe dabei nicht nur abstrakt, wenngleich eine konkrete Wahrscheinlichkeitsprognose schwierig sei.
c) Diese Begründung trägt die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.
Dabei kann dahinstehen, ob die Schuldunfähigkeit des Beschuldigten hier ausnahmsweise sowohl auf die fehlende Einsichts- als auch die nicht vorhandene Steuerungsfähigkeit gestützt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, BGHR StGB § 20 Steuerungsfähigkeit 2 mwN auch zu den Besonderheiten der Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit bei einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie). Ebenfalls bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Störung und der Tat dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hinreichend entnommen werden kann, obwohl die Tat nach den Feststellungen der sexuellen Befriedigung des Beschuldigten diente, sein Krankheitsbild indes vor allem solche Verhaltensweisen erwarten lässt, die einen vermeintlichen Angriff auf den Beschuldigten abwehren sollen. Es fehlt jedenfalls an einer ausreichenden Darlegung der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten. Dabei erscheint bereits zweifelhaft, ob die Strafkammer sich insoweit an dem nach ständiger Rechtsprechung erforderlichen Grad einer hohen Wahrscheinlichkeit orientiert hat. Jedenfalls durfte sie sich nicht damit begnügen auszuführen, die Gefahr bestehe zwar nicht nur abstrakt, eine konkrete Wahrscheinlichkeitsprognose sei jedoch schwierig. Damit bleibt das vom Tatgericht zu beurteilende Maß der vom Beschuldigten zukünftig ausgehenden Gefahr offen. Dieser Mangel wiegt hier umso schwerer, als der Beschuldigte vor der Tat und danach, obgleich er sich noch etwa ein halbes Jahr in Freiheit befand, zwar auffällige, übergriffige Verhaltensweisen an den Tag legte, jedoch keine in den Bereich der mittleren Kriminalität reichenden Straftaten beging.
2. Die Sache bedarf deshalb im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 1042
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2015, 43
Bearbeiter: Christian Becker