HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 375
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 BGs 82/12, Beschluss v. 09.02.2012, HRRS 2012 Nr. 375
Auf Antrag des Generalbundesanwalts wird der Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 14. November 2011 - 3 BGs 12/11 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Vollzug der Untersuchungshaft wird gemäß § 119 Abs. 1 StPO wie folgt geregelt: 1. [...]
2. [...]
3. [...]
4. [...]
5. [...]
6. [...]
7. [...]
8. [...]
9. [...]
10. [...]
11. [...]
12. [...]
13. Im Übrigen gelten für den Beschuldigten die im Niedersächsischen Justizvollzugsgesetz (NJVollzG) allgemein getroffenen Regelungen, sofern sie diesem Beschluss nicht entgegenstehen.
14. [...]
Durch Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 14. November 2011 - 3 BGs 12/11 - sind dem Beschuldigten gemäß § 119 Abs. 1 StPO Beschränkungen in der Untersuchungshaft auferlegt worden, die allesamt der Sicherung des Verfahrens dienen und damit den Zweck der Untersuchungshaft betreffen. Der Generalbundesanwalt hat wegen der Fortentwicklung des Verfahrensstandes eine Anpassung dieser Beschränkungen beantragt. Diesem Antrag entsprechend werden hiermit die dem Beschuldigten auferlegten Beschränkungen wie aus dem Tenor ersichtlich geändert und neu gefasst. Dieser Beschluss tritt an die Stelle des vorgenannten Beschlusses vom 14. November 2011.
Für verfahrenssichernde Anordnungen im Zusammenhang mit dem Vollzug der Untersuchungshaft des Beschuldigten G. in der Justizvollzugsanstalt S. (Niedersachsen) ist ausschließlich der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zuständig (§ 169 Abs. 1 Satz 2, § 126 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6, § 142a GVG, § 129a StGB). Die dem Beschuldigten in der Untersuchungshaft aufgrund des Zwecks der Untersuchungshaft aufzuerlegenden Beschränkungen bestimmen sich nach § 119 StPO und nicht nach den Vorschriften des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes (NJVollzG), insbesondere den §§ 133 ff. NVollzG.
1. Allerdings ist gemäß § 134a Abs. 1 NJVollzG Gericht im Sinne des den Vollzug der Untersuchungshaft betreffenden Teils dieses Gesetzes das für die Haftprüfung (§ 117 StPO) zuständige Gericht; handelt es sich hierbei nicht um ein Gericht des Landes Niedersachsen, so ist nach § 134 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk sich der Gefangene in Untersuchungshaft befindet.
Neben dieser die gerichtliche Zuständigkeit betreffenden Regelung enthält das NJVollzG Vorschriften, die unmittelbar den Zweck der Untersuchungshaft betreffen. So können dem Gefangenen etwa gemäß § 135 Abs. 2 NJVollzG Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert.
2. Die vorstehend genannten Bestimmungen vermögen weder in formeller Hinsicht etwas an der ausschließlichen Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs zu ändern, noch führen sie sachlich dazu, dass sich die zur Sicherung des Verfahrens dienenden Beschränkungen in der Untersuchungshaft hier nicht nach § 119 StPO, sondern nach den Vorschriften des NJVollzG zu richten hätten.
a) Zwar vertritt das Oberlandesgericht Celle (StV 2010, 194) - als für das Amtsgericht L., in dessen Bezirk sich die Justizvollzugsanstalt befindet, in der der Beschuldigte derzeit einsitzt, zuständiges Obergericht - die Auffassung, dass sich Anordnungen zur Ausgestaltung der Untersuchungshaft in Niedersachsen alleine nach den §§ 135 ff NJVollzG richten und § 119 StPO nF in Niedersachsen keine Anwendung finde. Diese Auffassung vermag indes nicht zu überzeugen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass dem niedersächsischen Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz zur Schaffung von Regelungen, die den Zweck der Untersuchungshaft unmittelbar betreffen, ebenso fehlt wie die Gesetzgebungskompetenz für eine Änderung der haftrichterlichen Zuständigkeit, namentlich der hier maßgeblichen Zuständigkeit in Ermittlungsverfahren, die in die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof und damit hinsichtlich der vor Anklageerhebung zu treffenden gerichtlichen Maßnahmen in die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs fallen.
b) Seit dem 1. September 2006 ist nach der Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034) das Recht des Untersuchungshaftvollzugs - nicht hingegen das die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft sowie die Auferlegung von der Verfahrenssicherung dienenden Beschränkungen betreffende gerichtliche Verfahrensrecht - ausschließlich Sache der Länder. Der Bundesgesetzgeber kann im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung - nach wie vor - solche Maßnahmen regeln, die den Zweck der Untersuchungshaft (Abwehr von Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahren) betreffen (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 119 Rn. 2; BeckOKStPO/Krauß, Stand: 15. Oktober 2011, § 119 Rn. 1 f.; König, NStZ 2010, 185 f.; Paeffgen, StV 2009, 46; Kazele, StV 2010, 258; OLG Oldenburg, StV 2008, 195, 196). Von dieser Gesetzgebungsbefugnis hat der Bundesgesetzgeber bereits durch § 119 Abs. 3 Alt. 1 StPO aF vor der oben genannten Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG und anschließend durch die seit dem 1. Januar 2010 geltende Neufassung des § 119 StPO Gebrauch gemacht, so dass sich Beschränkungen, die wegen des Zwecks der Untersuchungshaft erforderlich sind, nach § 119 StPO nF richten (siehe nur OLG Köln, NStZ 2011, 55; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2010, 294; OLG Oldenburg, aaO S. 196 f.; Meyer-Goßner, aaO; BeckOKStPO/Krauß, aaO Rn. 1a und 2; König, aaO; Paeffgen, aaO; Kazele, aaO).
c) Hiervon ist ersichtlich auch der Gesetzgeber ausgegangen. So lassen sich der Entstehungsgeschichte der oben genannten Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (vgl. nur BTDrs. 16/813, S. 9 und 12) keine Hinweise darauf entnehmen, dass hierdurch dem Haftrichter Kompetenzen entzogen werden sollten (ebenso Kazele, aaO S. 260; Paeffgen, aaO.). Aus den Materialien des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts (vgl. insbesondere BTDrs. 16/11644, S. 1, 12, 23 ff.) ergibt sich vielmehr eindeutig, dass der Gesetzgeber davon ausging, in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes falle auch nach der Föderalismusreform noch die zuvor in § 119 Abs. 3 Alt. 1 StPO aF geregelte Anordnung solcher Beschränkungen, die zur Erreichung des Zwecks der Untersuchungshaft erforderlich sind. Der Gesetzgeber wollte mithin die insoweit bestehenden Kompetenzen des Haftrichters im Zuge der Föderalismusreform ersichtlich nicht einschränken.
Soweit die Landesgesetze - wie hier das NJVollZG - bezüglich der Regelung von Maßnahmen, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert, von der Strafprozessordnung, namentlich von § 119 StPO, abweichende Regelungen enthalten, ist entsprechendes Landesrecht im Hinblick auf die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG unwirksam (Krauß, aaO Rn. 1a mwN; vgl. hierzu auch die zum NJVollzG bereits erfolgten Vorlagen gemäß Art. 100a Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht, die mangels Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage indes für unzulässig erklärt worden sind [BVerfGE 121, 233; BVerfG, Beschluss vom 20. November 2008 - 2 BvL 16/08, juris]).
Die im Tenor genannten Beschränkungen sind aufgrund des Zwecks der Untersuchungshaft notwendig und auch verhältnismäßig.
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 375
Externe Fundstellen: NJW 2012, 1158; NStZ 2012, 705; StV 2012, 416
Bearbeiter: Ulf Buermeyer