HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 960
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 BGs 262/12, Beschluss v. 18.09.2012, HRRS 2012 Nr. 960
Der Antrag der G. Ö. vom 21. Februar 2012, ihr Rechtsanwalt Dr. D., B., als Beistand zu bestellen, wird nach Anhörung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof zurückgewiesen.
Der Generalbundesanwalt führt gegen die Beschuldigte X. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts [...]
1. Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2012 beantragte Rechtsanwalt Dr. D. seine Beiordnung für T. Ö., die Tochter des Getöteten A. Ö. (siehe oben I. (3)), und für die Antragstellerin G. Ö., die das Tatopfer im Jahre 1980 in der Türkei nach türkischem Recht geheiratet hatte. Nach dem Umzug der Antragstellerin und des Tatopfers in die Bundesrepublik Deutschland wurde deren Eheschließung auch nach deutschem Recht vor dem Standesamt in N. vollzogen. Im Jahre 1998 erfolgte die Scheidung der Ehe durch rechtskräftiges Urteil des Familiengerichts N.
Während seitens des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichthof gegen den Antrag der Tochter des Getöteten Einwendungen nicht erhoben und insoweit durch Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 29. Februar 2012 (3 BGs 109/12) Rechtsanwalt Dr. D. als Beistand beigeordnet wurde, wies der Generalbundesanwalt die Antragstellerin G. Ö. darauf hin, dass nach Aktenlage die Eheleute Ö. geschieden und deshalb eine Nebenklageberechtigung nicht mehr gegeben sei. Rechtsanwalt Dr. D. bat den Generalbundesanwalt daraufhin, den Antrag zurückzustellen, um ihm Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Auf den daraufhin vorgelegten Schriftsatz vom 29. Februar 2012 wies der Generalbundesanwalt unter Bezugnahme auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 27. Mai 2003 (FamRZ 2004, 953 f.) auf fortbestehende Bedenken hin und gab Rechtsanwalt Dr. D. die Möglichkeit, ergänzend zu Art. 13, 54 und 58 des türkischen Gesetzes über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht (türk. IPRG) vorzutragen, da auch nach den Ausführungen im Schriftsatz vom 29. Februar 2012 von der Geltung deutschen Scheidungsrecht auszugehen sei. Eine - ablehnende - Stellungnahme des Generalbundesanwalts beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zum Beiordnungsantrag der Antragstellerin sollte einvernehmlich bis dahin zurückgestellt werden. Mit Schriftsatz vom 23. August 2012 hat Rechtsanwalt Dr. D. ergänzend Stellung genommen.
2. Der Generalbundesanwalt ist dem Antrag mit Stellungnahme vom 30. August 2012 entgegengetreten und hat zur Begründung ausgeführt:
"Für die Anwendung der §§ 395, 397a und 406g StPO ist von einer rechtskräftig geschiedenen Ehe des getöteten A. Ö. und der Antragstellerin auszugehen.
Beide Ehegatten waren türkische Staatsangehörige, auf deren Scheidungsantrag gemäß Art. 14 Abs. 1 Nr. 1, Art. 17 EGBGB materielles türkisches Recht Anwendung findet. Damit wird aber auch auf das türkische internationale Privatrecht und dessen Art. 13 verwiesen, nach dem das materielle Recht des Aufenthalts der Ehegatten anzuwenden ist. Die Eheleute Ö. waren beide in der Bundesrepublik Deutschland aufenthältig, so dass auf deutsches Scheidungsrecht zurückverwiesen wird (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2004, 953 f.). Dementsprechend ging die Antragstellerin auch in ihren Vernehmungen nach der Tat von einer geschiedenen Ehe aus (vgl. S. 2 f. vom 14. Juni 2001; S. 2, 6, 9 ff. vom 29. August 2001; S. 2 vom 17. September 2002). Ob für eine Wirksamkeit des deutschen Scheidungsurteils in der Türkei die im Schriftsatz vom 23. August 2012 angesprochene - türkische - Anerkennungsentscheidung rechtskräftig vorliegt, kann hier dahinstehen. Für die Frage der Nebenklageberechtigung nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO kann es nur darauf ankommen, ob eine Ehe nach deutschem Recht im Tatzeitpunkt bestand. Dies ist nach rechtskräftig ausgesprochener Scheidung nicht der Fall."
1. Für die beantragte Entscheidung ist gemäß § 406g Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 162 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zuständig.
2. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand für die Antragstellerin liegen nicht vor (§ 406g Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 397a Abs. 1 Nr. 2, § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO i.V.m. § 211 StGB).
a) Gemäß § 406g Abs. 1 Satz 1 StPO können nach § 395 zum Anschluss mit der Nebenklage Befugte sich auch vor Erhebung der öffentlichen Klage und ohne Erklärung eines Anschlusses eines Rechtsanwalts als Beistand bedienen oder sich durch diesen vertreten lassen. Für die Bestellung eines solchen Beistands gilt gemäß § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO die Vorschrift des § 397a StPO entsprechend. Nach § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO ist dem zur Nebenklage Berechtigten auf seinen Antrag ein Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen, wenn er Angehöriger eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten im Sinne des § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO ist. Angehöriger gemäß dieser Vorschrift ist derjenige, dessen Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner durch eine rechtswidrige Tat getötet wurden. Das Angehörigenverhältnis muss im Zeitpunkt des Verfahrens bestehen (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 395 Rn. 8 mwN).
b) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Entgegen der von ihr vertretenen Auffassung ist die Antragstellerin nicht (mehr) Ehegatte des Getöteten A. Ö. im Sinne des § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO.
Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, sie sei angesichts der Anwendbarkeit des türkischen internationalen Privatrechts trotz der durch das Familiengericht N. rechtskräftig ausgesprochenen Scheidung nach wie vor als Ehegatte des Getöteten im Sinne des § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO anzusehen. Denn das deutsche Scheidungsurteil entfalte in der Türkei aufgrund des Fehlens der nach türkischem Recht erforderlichen Anerkennungsentscheidung durch ein türkisches Gericht keine unmittelbare familienrechtliche Wirkung. Daher sei sie zum Zeitpunkt der Ermordung des Tatopfers A. Ö. von diesem "nicht rechtmäßig geschieden und im Umkehrschluss somit rechtskräftig verheiratet" gewesen. Zudem hätten sie und das Tatopfer sich nach der Scheidung wieder angenähert und sich zuletzt sogar eine gemeinsame größere Wohnung suchen wollen. Deshalb sei das Anerkennungsverfahren in der Türkei nicht weiterverfolgt worden.
Ob hinsichtlich des rechtskräftigen Scheidungsurteils des Familiengerichts Nürnberg eine Anerkennungsentscheidung durch ein türkisches Gericht, wie die Antragstellerin vorträgt, bisher nicht ergangen ist, kann dahinstehen. Denn im vorliegenden Fall ist auch bei - hier gegebener - Anwendbarkeit materiellen türkischen Rechts bereits mit der Rechtskraft des deutschen Scheidungsurteils von einem Fehlen der Ehegatteneigenschaft der Antragstellerin im Sinne der § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO auszugehen.
aa) Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur sind geschiedene Ehegatten nicht nebenklageberechtigt (siehe nur BVerfG, NJW 1993, 3316, 3317; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 395 Rn. 11; Senge in KK-StPO, 6. Aufl., § 395 Rn. 8; Meyer-Goßner, aaO; Weiner in BeckOK-StPO, Stand: 1. Juni 2012, § 395 Rn. 14a). Demgemäß kann ihnen auch nicht nach § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO ein Rechtsanwalt als Beistand bestellt werden.
bb) In Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt ist die Antragstellerin jedenfalls im Rahmen der hier maßgeblichen Vorschriften der § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 397a Abs. 1 Nr. 2, § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO als geschiedener Ehegatte anzusehen.
(1) Anders als der Generalbundesanwalt unter Berufung auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. Mai 2003 (FamRZ 2004, 953) meint, folgt dies allerdings nicht bereits aus einer Verweisung in Art. 13 Abs. 1 türk. IPRG (aF) auf das deutsche Recht. Denn diese Vorschrift, nimmt - ebenso wie die im Wesentlichen inhaltsgleiche Nachfolgeregelung in Art. 14 des türkischen Gesetzes Nr. 5718 vom 27. November 2007 über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht (türk. IPRG nF) - eine solche Verweisung nur unter bestimmten, hier nicht gegebenen Voraussetzungen vor.
Aufgrund der türkischen Staatsangehörigkeit der Antragstellerin und des Tatopfers war für deren Scheidung gemäß Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, Art. 17 Abs. 1 EGBGB materielles türkisches Recht anzuwenden. Mit der Verweisung auf dieses Recht gemäß den vorgenannten Bestimmungen des EGBGB wird auch auf das türkische internationale Privatrecht und damit auf dessen die Scheidung betreffenden Art. 14 türk. IPRG n.F. (und zuvor auf die Vorgängerregelung in § 13 türk. IPRG a.F.) verwiesen (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2011, 220 Rn. 16; OLG Frankfurt, aaO). Gemäß diesen Vorschriften unterliegen die Gründe und Folgen der Scheidung und Trennung - ebenso wie die allgemeinen Wirkungen der Ehe (Art. 13 Abs. 3 türk IPRG n.F. bzw. § 12 Abs. 2 türk. IPRG a.F.) - dem gemeinsamen Heimatrecht der Ehegatten. Nur wenn die Ehegatten - wie hier nicht der Fall - verschiedener Staatsangehörigkeit sind, wird das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts, bei Fehlen eines solchen türkisches Recht angewandt. Das Scheidungsstatut beurteilt sich mithin, wenn beide Ehegatten - wie hier - bei Zustellung der Scheidungsklage die türkische Staatsangehörigkeit besitzen, nach türkischem Recht (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2007 - XII ZB 17/04, NJW 2007, 3347 Rn. 13; OLG Hamm, aaO).
(2) Aus dieser Anwendung materiellen türkischen Rechts folgt indes für die Beurteilung der hier in Rede stehenden strafverfahrensrechtlichen Frage der Nebenklageberechtigung der Antragstellerin nicht, dass dem rechtskräftigen inländischen Scheidungsurteil nur bei Vorliegen einer Anerkennungsentscheidung durch ein türkisches Gericht Bedeutung zukäme.
(a) Allerdings bedarf ein Scheidungsurteil eines deutschen Gerichts, um in der Türkei Rechtswirksamkeit zu erlangen, einer förmlichen Anerkennung durch ein dortiges Gericht (Art. 58 türk. IPRG; BSGE 83, 200, 203; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14. Februar 2012 - L 18 R 677/10, juris Rn. 27; Savas, Türkisches Familienrecht in der anwaltlichen Praxis, 2011, § 11 Rn. 1; Kaplan in Rieck, Ausländisches Familienrecht, Türkei, Stand April 2009, Rn. 42 ff.).
(b) Gleichwohl kann ein solches Scheidungsurteil im Inland Gestaltungswirkung bereits mit seiner Rechtskraft erlangen.
(aa) Zu der Frage, inwiefern das Urteil eines deutschen Gerichts, durch das die Ehe zweier ausländischer Staatsangehöriger nach deren Heimatrecht geschieden wird, in Deutschland Gestaltungswirkung entfaltet, solange noch eine nach dem betreffenden Heimatrecht erforderliche Anerkennung durch eine Stelle dieses Staates fehlt, werden in der Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten (zum Meinungsstand vgl. BSGE, aaO).
Die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht insoweit, ohne dass bisher die hier gegebene Fallkonstellation hinsichtlich der Nebenklageberechtigung entschieden worden wäre, eine differenzierte Betrachtungsweise als sachgerecht an und differenziert nach dem rechtlichen Zusammenhang, in welchem sich die (Vor-) Frage der Gestaltungswirkung eines deutschen Scheidungsurteils stellt.
So hat der Bundesgerichtshof bei der Prüfung von nach ausländischem Recht zu beurteilenden Ehehindernissen auf die Anerkennung des Scheidungsurteils nach dem betreffenden Recht abgestellt (BGH, Beschlüsse vom 12. Februar 1964 - IV AR (VZ) 39/63, BGHZ 41, 136, 145 ff.; vom 19. April 1972 - IV AR (VZ) 7/72, NJW 1972, 1619 unter II). Bei der Anwendung ausländischen Erbrechts hingegen hat er dem Fehlen einer Anerkennung des deutschen Scheidungsurteils im Ausland keine Bedeutung beigemessen (BGH, Urteil vom 12. März 1981 - IVa ZR 111/80, NJW 1981, 1900 unter II). Auch bei der Beurteilung der Frage einer Ehenichtigkeit wegen angeblichen Fortbestehens der ersten Ehe hat der Bundesgerichtshof dem Fehlen einer (dort allerdings durch das ausländische Recht wegen Unauflöslichkeit der Ehe ausgeschlossenen) Anerkennung des deutschen Scheidungsurteils im Ausland keine entscheidende Bedeutung beigemessen und die erste Ehe letztlich aus der Sicht des deutschen Rechts durch rechtskräftiges Scheidungsurteil eines deutschen Gerichts für aufgelöst erachtet (BGH, Urteil vom 27. November 1996 - XII ZR 126/95, NJW 1997, 2114 unter 2 c bis e; vgl. auch KG, NJW-RR 1994, 774, 775 - zum Fall der Feststellung der Nichtehelichkeit durch ein rechtskräftiges deutsches Statusurteil ohne Vorliegen einer türkischen Anerkennungsentscheidung; vgl. hierzu auch LG Bonn, StAZ 1988, 354).
Das Bundessozialgericht hat in dem bereits erwähnten Urteil vom 13. Januar 1999 einen Witwenrentenanspruch angesichts des Vorliegens eines rechtskräftigen deutschen Scheidungsurteils trotz Fehlens einer türkischen Anerkennungsentscheidung verneint (BSGE, aaO S. 205). Es hat im Rahmen der auch von ihm für sachgerecht erachteten differenzierten Betrachtungsweise (BSGE, aaO S. 203) angenommen, dass die somit vorzunehmende Abwägung bei der Auslegung der für die Hauptfrage maßgeblichen Norm anzusetzen habe, in deren Zusammenhang sich die Vorfrage des Bestehens einer gültigen Ehe stelle (BSGE, aaO S. 204). Hierbei hat das Bundessozialgericht auch auf den Gesichtspunkt eines Inlands- bzw. Auslandsbezugs der Rechtsangelegenheit abgestellt und ausgeführt, das dort zugrunde liegende Verfahren weise einen starken Inlandbezug auf, da es eine Leistungsgewährung aus dem inländischen System der gesetzlichen Rentenversicherung betreffe. Zudem hätten der verstorbene Versicherte und dessen geschiedene Ehefrau im Zeitpunkt seines Todes im Inland gewohnt. Beide hätten im Hinblick auf die von ihnen selbst betriebene Ehescheidung durch ein deutsches Gericht auch nicht davon ausgehen können, dass sie weiterhin in einer gültige Ehe lebten (BSGE, aaO S. 205).
(bb) Im vorliegenden Fall führt die vorzunehmende differenzierte Betrachtungsweise zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin auch im Falle des Fehlens der Anerkennungsentscheidung durch ein türkisches Gericht nicht (mehr) als Ehegatte des Tatopfers A. Ö. anzusehen ist.
Dabei kann dahinstehen, ob dem vom Bundessozialgericht verwendeten Gesichtspunkt des Inlands- bzw. Auslandsbezug (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen, aaO Rn. 30) auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Nebenklageberechtigung gemäß § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO maßgebliche Bedeutung zukommt oder ob diesem Gesichtspunkt hier die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegensteht, wonach die in § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO bestimmte Regelung insofern Rechtssicherheit und auch Praktikabilität besorge, indem sie die Feststellung der Nebenklagebefugnis eindeutig treffen lasse und verhindere, dass zur Bestimmung des Kreises der Nebenklageberechtigten erst umfangreiche Aufklärungsbemühungen des Gerichts entwickelt werden müssten, um über die Nebenklagebefugnis zu entscheiden (BVerfG, aaO).
Denn auch unabhängig vom Vorliegen eines - hier schon wegen des langjährigen Aufenthalts der Antragstellerin und des Tatopfers in der Bundesrepublik Deutschland sowie des Umstands, dass beide sich mit ihrem Scheidungsbegehren an ein deutsches Gericht gewandt haben und es vorliegend um die Beteiligung als Nebenklägerin an einem im Inland geführten Strafverfahren geht, zu bejahenden - starken Inlandsbezugs führt bereits die Auslegung der für die Hauptfrage maßgeblichen Norm (vgl. hierzu BSGE, aaO S. 204) zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin nicht (mehr) als Ehegatte des Getöteten anzusehen ist.
Mit der Vorschrift des § 395 Abs. 1 Nr. 2 StPO soll den nahen Angehörigen des durch eine rechtwidrige Tat Getöteten (wie Ehegatten, Kindern und Geschwistern) ein Recht zur Nebenklage zugesprochen werden, um einen Anspruch auf Genugtuung und Entschädigung durch Beteiligung am Strafverfahren durchzusetzen (BVerfG, aaO mwN). Die Nebenklage schafft hierfür eine umfassende Beteiligungsbefugnis. Dem Nebenkläger wird Gelegenheit gegeben, im Verfahren seine persönlichen Interessen auf Genugtuung zu verfolgen (BGH, Urteil vom 23. Januar 1979 - 5 StR 748/78, BGHSt 28, 272, 273; Senge in KK-StPO, 6. Aufl., vor § 395 Rn. 1), insbesondere durch aktive Beteiligung das Verfahrensergebnis zu beeinflussen und sich gegen die Leugnung oder Verharmlosung der Verletzung des Tatopfers zu wehren (vgl. Meyer-Goßner, aaO, vor § 395 Rn. 1; Weiner, aaO Rn. 1 f.).
Der Sinn und Zweck des § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO sowie der § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO lässt es demnach nicht sachgerecht erscheinen, ein Genugtuungsinteresse der Antragstellerin und deren Möglichkeit einer aktiven Beteiligung am Strafverfahren noch über den Zeitpunkt der Rechtskraft des - hier bereits 14 Jahre zurückliegenden - inländischen Scheidungsurteils hinaus bis zu dem - unbestimmten - Zeitpunkt des Vorliegens einer türkischen Anerkennungsentscheidung anzunehmen. Durch das - hier sogar von der Antragstellerin selbst [...] beantragte - Scheidungsverfahren vor einem inländischen statt vor einem türkischen Gericht haben die Ehegatten, die zu diesem Zeitpunkt schon seit vielen Jahren in Deutschland lebten und arbeiteten, deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie das Scheidungsurteil des deutschen Gerichts für sich als maßgebend erachten und künftig nicht mehr von einem rechtlichen Fortbestand ihrer Ehe ausgehen wollten. Dem entsprechend hat auch die Antragstellerin selbst, wie sich aus ihren nach der Ermordung des Tatopfers erfolgten polizeilichen Vernehmungen ergibt und vom Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme mit Recht hervorgehoben wird, ihre Ehe als geschieden angesehen.
(c) Ob im Einzelfall besondere Umstände es bei einer Konstellation wie der vorliegenden ausnahmsweise rechtfertigen können, im Rahmen der § 406g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 397a Abs. 1 Nr. 2, § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO nicht auf die Rechtskraft des inländischen Scheidungsurteils, sondern auf die türkische Anerkennungsentscheidung abzustellen oder ob einer solchen Beurteilung der vom Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die letztgenannte Vorschrift angeführte Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und der Praktikabilität (BVerfG, aaO) entgegensteht, bedarf keiner Entscheidung. Denn solche Umstände hat die Antragstellerin weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich. Die von der Antragstellerin in ihren polizeilichen Vernehmungen und in der Begründung des vorliegenden Antrags geschilderten Umstände einer späteren Wiederannäherung der geschiedenen Ehegatten rechtfertigen eine Ausnahme in dem vorstehend genannten Sinne jedenfalls nicht.
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 960
Externe Fundstellen: NJW 2012, 3524
Bearbeiter: Christian Becker