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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 934

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 159/12, Urteil v. 06.09.2012, HRRS 2012 Nr. 934


BGH 3 StR 159/12 - Urteil vom 6. September 2012 (LG Hannover)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (paranoidhalluzinatorische Psychose); Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung (Berücksichtigung täterschonender nichtstrafrechtlicher Maßnahmen erst auf Vollstreckungsebene).

§ 63 StGB; § 67b StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 1. Dezember 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Nebenklägerin mit sachlich-rechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte etwa seit dem Jahr 2005 an einer chronifizierten paranoidhalluzinatorischen Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie mit einem psychotischen Wahnsystem und ausgeprägten inhaltlichen und formalen Denkstörungen. Er wurde deshalb seit 2004 mehrfach stationär psychiatrisch und zuletzt ambulant mit einer Depotmedikation des Neuroleptikums Risperdal Consta behandelt. Nach eigenmächtiger Beendigung der Medikation geriet der Beschuldigte etwa ab November 2010 in eine akute Phase seiner Erkrankung. In der von Unruhe und paranoiden Wahnsymptomen geprägten Situation bildete er sich ein, die Bank, bei der er ein Konto unterhielt, würde sein Geld unterschlagen. Er geriet in einen Angstzustand und wollte bei der Staatsanwaltschaft Hannover eine Strafanzeige erstatten. Als ihm an einem Spätnachmittag im Eingangsbereich des Dienstgebäudes von einer auf dem Heimweg befindlichen Staatsanwältin mitgeteilt wurde, er könne zu diesem Zeitpunkt wohl keinen Staatsanwalt mehr erreichen, bekam der Beschuldigte den Eindruck, er werde nunmehr von einer "falschen Staatsanwältin" um sein Geld betrogen. Er umklammerte die Frau und brachte sie zu Boden. Dort fixierte er sie sodann mit den Händen an einem um den Hals gebundenen Schal und hielt diesen fest. Erst nach etwa zwei Minuten gelang es der Frau, sich zu befreien. Beim Erscheinen einer Kollegin entfernte sich der Angeklagte aus dem Gebäude. Das Opfer erlitt eine Hautabschürfung im Gesicht, eine leichte Zerrung im Bereich der linken Halsseite sowie Prellungen in mehreren Körperregionen.

Das Landgericht hat sachverständig beraten angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten aufgrund seiner Erkrankung sicher aufgehoben war. Eine Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat es abgelehnt, weil die hierfür erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Erkrankung zukünftig weitere vergleichbare Taten begehen werde und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei, nicht festgestellt werden könne. Maßgebend hierfür sei zum einen, dass der Beschuldigte trotz seiner seit Jahren bestehenden Krankheit lediglich durch die Begehung von Leistungserschleichungen (§ 265a StGB) auffällig geworden sei. Zum anderen habe er sich nach der Tat in eine engmaschige medikamentöse und psychosozial begleitende Betreuung begeben, er besitze jetzt eine gesicherte Einsicht in seine Krankheit und deren Behandlungsbedürftigkeit. Zwar sei bei dem Beschuldigten in unbehandeltem Zustand krankheitsbedingt mit weiteren, der Anlasstat vergleichbaren rechtswidrigen Taten zu rechnen. Das Risiko, dass der Beschuldigte seine Behandlung abbreche, sei indes minimal. Zudem würde angesichts der erlangten Stabilität des Beschuldigten eine unbefristete Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widersprechen.

2. Das Urteil hält, wie auch der Generalbundesanwalt dargelegt hat, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Zutreffend geht das Landgericht zwar davon aus, dass wegen der Schwere des mit einer Anordnung nach § 63 StGB verbundenen Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen können (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 17. August 1977 - 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248; Urteil vom 15. August 2007 - 2 StR 309/07, NStZ 2008, 210, 212). Weiter muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der Täter infolge seines Zustands weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2004 - 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73).

Ohne Rechtsfehler ist auch die Annahme der Strafkammer, dass es sich bei dem tätlichen Angriff des Beschuldigten auf die Nebenklägerin bereits um eine Straftat der mittleren Kriminalität handelt, die als erhebliche Tat im Sinne von § 63 StGB einzustufen ist.

b) Hingegen lässt das Landgericht bei der Einschätzung der Wahrscheinlichkeit weiterer Taten außer Acht, dass der Sachverständige - dem es sich angeschlossen hat - der Ansicht war, das Krankheitsbild des Beschuldigten bedürfe intensiver medizinischer Behandlung und eine Gefährlichkeit des Beschuldigten könne nur dann verneint werden, wenn und solange sich dieser in konsequenter Behandlung befindet und die Einnahme der notwendigen Medikamente beaufsichtigt und sichergestellt wird.

Für die Entscheidung, ob die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen ist, ist es indes unerheblich, ob die von dem Beschuldigten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung abgewendet werden kann. Ein solches täterschonendes Mittel - seine Wirksamkeit vorausgesetzt - erlangt vielmehr Bedeutung erst für die Frage, ob die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67b StGB zur Bewährung auszusetzen ist. Nur auf diese Weise wird der von dem Beschuldigten ausgehenden Gefahr effektiv entgegengewirkt und die Allgemeinheit ausreichend geschützt, denn wegen der Möglichkeit, die Bewährung zu widerrufen, wird Druck auf den gefährlichen Täter ausgeübt und eine wirksame Kontrolle darüber ermöglicht, ob die medizinische Behandlung zur Gefahrenbeseitigung tatsächlich ausreicht (BGH, Urteil vom 23. Februar 2000 - 3 StR 595/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 28; Urteil vom 20. Februar 2008 - 5 StR 575/07, R&P 2008, 225 jeweils mwN).

Dass die Strafkammer die Möglichkeit, eine Unterbringung des Beschuldigten zur Bewährung auszusetzen, nicht in ihre Überlegungen einbezogen hat, ergibt sich zuletzt auch daraus, dass sie die Verhältnismäßigkeitsprüfung nur in Bezug auf eine zu vollstreckende Unterbringung angestellt hat.

3. Ãœber die Unterbringung und deren Vollstreckung muss deshalb erneut entschieden werden.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 934

Bearbeiter: Christian Becker