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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1093

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 99/11, Beschluss v. 04.08.2011, HRRS 2011 Nr. 1093


BGH 3 StR 99/11 - Beschluss vom 4. August 2011 (LG Oldenburg)

Unzureichender Hinweis auf straferhöhende Umstände.

§ 265 Abs. 2 StPO

Entscheidungstenor

1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 14. Juli 2010 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Fall II. 2. der Urteilsgründe,

b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt, im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete und auf Verfahrensrügen sowie sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.

1. Die Verurteilung im Fall II. 2. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Insoweit hat die Revision mit einer Verfahrensbeanstandung Erfolg. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

In der Anklage war dem Beschwerdeführer insoweit vorgeworfen worden, er sei im Sommer 2007 mit der Nebenklägerin, seiner Tochter C., sowie deren Halbschwester J. in das Haus eines Bekannten gefahren. Dort habe er sich abends zu der im Bett liegenden Nebenklägerin begeben und sie an der Scheide gestreichelt sowie an dieser geleckt; als er seine andere Tochter herankommen hörte, habe er sofort aufgehört (Vergehen nach § 176 Abs. 1 StGB).

Nach den Feststellungen stellte sich der Angeklagte im Sommer 2007 im Haus des Bekannten abends vor das Bett, zog die Decke weg und C.s Schlafanzughose herunter, leckte an ihrer Scheide, ließ sodann seine eigene Hose herunter und veranlasste C., seinen Penis in den Mund zu nehmen, so lange, bis er J. die Treppe heraufkommen hörte (Verbrechen nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB).

Von dem vom Anklagevorwurf abweichenden Geschehen hat sich das Landgericht überzeugt, nachdem die Nebenklägerin diese Handlung des Angeklagten, von der sie schon von Anfang an berichtet hatte, sowohl bei der Sachverständigen als auch in der Hauptverhandlung mit dem Aufenthalt in dem Haus des Bekannten verbunden hatte.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers konnte das Landgericht den Sachverhalt ohne eine Nachtragsanklage aburteilen. Es handelt sich wegen der Individualisierung durch Tatort, Tatzeit und die das Geschehen begleitenden Umstände um die nämliche Tat, die auch Gegenstand der Anklage war.

Zutreffend rügt die Revision hingegen, dass das Landgericht den Angeklagten nicht ausreichend auf straferhöhende Umstände (§ 265 Abs. 2 StPO) hingewiesen hat. Die Strafkammer hat insoweit folgenden Hinweis erteilt: "Es ergeht noch der Hinweis, dass im Fall Ziffer 2. der Anklage auch der schwere sexuelle Missbrauch gem. § 176a Abs. II Nr. 1 StGB in Betracht kommt. Der Oralverkehr der Nebenklägerin beim Autofahren, Ziffer 4 + 5 der Anklage, evtl. Vorfälle des Oralverkehrs sind nicht Gegenstand der Anklage." Die hiergegen vom Beschwerdeführer erhobene - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts zulässige - verfahrensrechtliche Beanstandung hat Erfolg. Der erteilte Hinweis ermöglichte es dem Angeklagten nicht, seine Verteidigung hinreichend auf den verschärften Tatvorwurf einzustellen; denn er stellte nicht dar, aufgrund welcher Tatsachen das Landgericht den Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB als möglicherweise verwirklicht ansah (siehe dazu Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 265 Rn. 31 mwN).

Auf diesem Verfahrensfehler beruht der Schuldspruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe. Denn selbst wenn sich durch die vorangegangene Beweisaufnahme und den sonstigen Verlauf der Hauptverhandlung für den Angeklagten und seinen Verteidiger hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben haben sollten, dass im Fall 2. der Anklage auch die Verurteilung wegen des Vollzugs eines Oralverkehrs in Betracht kommen könnte, musste sich ihnen nach dem Inhalt des Hinweises gerade der gegenteilige Eindruck aufdrängen. Da das Landgericht hinsichtlich der Fälle 4 und 5 der Anklage (rechtsfehlerhaft) eine Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern als unzulässig darstellte, weil der insoweit jeweils festgestellte Oralverkehr nicht "Gegenstand der Anklage" gewesen sei, mussten der Angeklagte und sein Verteidiger nicht damit rechnen, dass das Landgericht im Gegensatz hierzu im Fall 2 der Anklage den in der Anklageschrift ebenfalls nicht erwähnten, erst in der Hauptverhandlung zutage getretenen Oralverkehr zur Grundlage einer Verurteilung nah § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB machen werde. Es ist daher nicht auszuschließen, dass sie sich im Falle eines korrekt erteilten Hinweises anders und erfolgreicher gegen den verschärften Tatvorwurf hätten verteidigen können.

2. Mit der Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 2. der Urteilsgründe entfällt die entsprechende Einzel- und damit die Einsatzstrafe. Dies zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich. Die anderen Einzelstrafen können bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, dass deren jeweilige Höhe von der Einsatzstrafe beeinflusst war.

3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1093

Externe Fundstellen: NStZ 2012, 50; NStZ-RR 2011, 381; StV 2012, 71

Bearbeiter: Ulf Buermeyer