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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 553

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 62/11, Beschluss v. 15.03.2011, HRRS 2011 Nr. 553


BGH 3 StR 62/11 - Beschluss vom 15. März 2011 (LG Lüneburg)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Aufklärungshilfe (Präklusion); intertemporales Strafrecht (milderes Recht; Meistbegünstigungsgrundsatz).

§ 46b Abs. 3 StGB; § 31 BtMG aF; § 29a Abs. 1 BtMG; § 1 StGB; § 2 Abs. 1, Abs. 3 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Überleitungsvorschrift des Art. 316d EGStGB bestimmt zwar, dass § 46b StGB und § 31 BtMG in der Fassung des 43. StrÄndG nicht auf Verfahren anzuwenden sind, in denen vor dem 1. September 2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden ist. Sie bedeutet jedoch nicht, dass im Umkehrschluss die neuen Vorschriften ohne weiteres auf Verfahren anzuwenden sind, in denen die Eröffnung des Hauptverfahrens nach dem 1. September 2009 beschlossen worden ist.

2. Für die Frage des in nach dem 1. September 2009 eröffneten Hauptverfahren anwendbaren Rechts gelten die allgemeinen Regeln, nach denen grundsätzlich das zur Tatzeit geltende materielle Recht Anwendung findet (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB), sofern das neuere Recht in seiner Gesamtheit keine für den Angeklagten günstigere Regelung darstellt.

3. Führte die Anwendung der Neuregelung der Aufklärungshilfe zu einer Versagung einer nach alter Rechtslage gegebenen Milderungsmöglichkeit nach § 31 BtMG, so ist zu erörtern, ob die Voraussetzungen der Aufklärungshilfe nach § 31 S. 1 Nr. 1 BtMG a.F. vorlagen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 2. November 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe,

b) im Gesamtstrafenausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen dreier Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fälle II. 1. bis 3. der Urteilsgründe) und wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge (Fall II. 4. der Urteilsgründe), zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Die in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen haben keinen Bestand; dies führt zur Aufhebung des Urteils auch im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

1. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:

"Das Landgericht hat die gegen den Angeklagten verhängten Einzelstrafen ... dem Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen. Obwohl der Angeklagte ... Angaben über seinen Lieferanten mit dem Namen 'O. ' gemacht hatte (UA S. 22), hat die Strafkammer eine Aufklärungshilfe im Sinne des § 31 BtMG für ausgeschlossen erachtet, weil diese Angaben erst im Rahmen der Hauptverhandlung erfolgt sind, weswegen eine Strafmilderung gemäß § 31 Satz 2 BtMG wegen § 46b Abs. 3 StGB nicht in Betracht komme.

Dies hält ... rechtlicher Prüfung nicht stand.

Auf die Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung zu den Betäubungsmittelgeschäften zwischen März 2009 und Juni 2009 ist § 31 BtMG in der zur Tatzeit geltenden Fassung, d.h. ohne Präklusionsregelung, anwendbar (BGH Beschl. vom 27. April 2010 - 3 StR 79/10). Die Überleitungsvorschrift des Art. 316d EGStGB bestimmt zwar, dass § 46b StGB und § 31 BtMG in der Fassung des 43. StrÄndG nicht auf Verfahren anzuwenden sind, in denen vor dem 1. September 2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden ist. Sie bedeutet jedoch nicht, dass im Umkehrschluss die neuen Vorschriften ohne weiteres auf Verfahren anzuwenden sind, in denen die Eröffnung des Hauptverfahrens nach dem 1. September 2009 beschlossen worden ist. Für die Frage des auf diese Verfahren anwendbaren Rechts gelten vielmehr die allgemeinen Regeln, nach denen grundsätzlich das zur Tatzeit geltende materielle Recht Anwendung findet (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB), sofern das neuere Recht in seiner Gesamtheit keine für den Angeklagten günstigere Regelung darstellt (BGH Beschl. vom 27. April 2010 - 3 StR 79/10). Da die Neuregelung zu einer Versagung einer nach alter Rechtslage gegebenen Milderungsmöglichkeit nach § 31 BtMG führt, wäre hier zu erörtern gewesen, ob die Voraussetzungen der Aufklärungshilfe nach § 31 S. 1 Nr. 1 BtMG a.F. vorlagen. Da nähere Ausführungen zu den Angaben des Angeklagten bezüglich 'O. ' fehlen, ist dem Revisionsgericht die Überprüfung verwehrt, ob die Voraussetzungen des § 31 BtMG unabhängig von der Frage der Präklusion zu Recht verneint worden sind.

Auf dem dargelegten Rechtsfehler kann das Urteil auch beruhen. ... Es ist ... nicht auszuschließen, dass es [das Landgericht] im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 31 Nr. 1 BtMG a.F. - entweder aufgrund der Bejahung eines minderschweren Falles (§ 29a Abs. 2 BtMG) oder der Anwendung des nach § 31 Nr. 1 BtMG a.F., § 49 Abs. 2 StGB gemilderten Strafrahmens - ... niedrigere Freiheitsstrafen und eine insgesamt niedrigere Gesamtstrafe verhängt hätte."

Dem schließt sich der Senat an.

2. Auch im Übrigen sind die Erwägungen, mit denen das Landgericht in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe minder schwere Fälle nach § 29a Abs. 2 BtMG verneint hat, nicht frei von Rechtsfehlern. So hat das Landgericht insoweit zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, er habe das Marihuana als Nichtkonsument in Verkehr gebracht, der für sich Drogenkonsum strikt ablehne. Damit hat es unzulässig das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes als straferschwerend gewertet (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 1990 - 2 StR 390/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 11). Ebenso begegnet es durchgreifenden Bedenken, dass das Landgericht seine Ablehnung minder schwerer Fälle entscheidend auch mit den jeweils gehandelten Wirkstoffmengen begründet hat, obwohl diese nur 20 g THC im ersten und je 40 g THC in den beiden anderen Fällen betrugen, somit insgesamt deutlich im unteren Bereich verblieben.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 553

Bearbeiter: Ulf Buermeyer