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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 530

Bearbeiter: Goya Tyszkiewicz

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 392/11, Beschluss v. 14.02.2012, HRRS 2012 Nr. 530


BGH 3 StR 392/11 - Beschluss vom 14. Februar 2012 (LG Duisburg)

Raub (Zueignungsabsicht); räuberische Erpressung (Vermögensvorteil); nachträgliche Gesamtstrafe.

§ 249 Abs. 1 StGB; § 253 StGB; § 255 StGB; § 55 StGB; § 354 Abs. 1 StPO; § 265 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Es fehlt an dem für eine Aneignung erforderlichen Willen, den Bestand seines Vermögens oder den eines Dritten zu ändern und folglich an einer für eine Strafbarkeit wegen Raubes erforderlichen Zueignungsabsicht, wenn das Nötigungsmittel nur zur Erzwingung einer Gebrauchsanmaßung eingesetzt oder wenn die fremde Sache nur weggenommen wird, um sie "zu zerstören", "zu vernichten", "preiszugeben", "wegzuwerfen", "beiseite zu schaffen", "zu beschädigen", sie als Druckmittel zur Durchsetzung einer Forderung zu benutzen oder um den Eigentümer durch bloßen Sachentzug zu ärgern.

2. Der bloße Besitz einer Sache bildet nur dann einen für die Strafbarkeit wegen räuberischer Erpressung notwendigen Vermögensvorteil, wenn ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, etwa weil er zu wirtschaftlich messbaren Gebrauchsvorteilen führt, die der Täter oder ein Dritter für sich nutzen will. Daran fehlt es nicht nur in den Fällen, in denen der Täter die Sache unmittelbar nach Erlangung vernichten will, sondern auch dann, wenn er den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt.

3. Dies gilt auch für eine Durchsuchung des Speichers und das Kopieren der dabei aufgefundenen Bilddateien im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs eines Handys.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 28. April 2011, soweit es ihn betrifft,

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung verurteilt ist;

b) aufgehoben

- mit den zugehörigen Feststellungen im Ausspruch über die Einzelstrafe wegen Raubes; der Ausspruch entfällt,

- im Rechtsfolgenausspruch im Übrigen unter Aufrechterhaltung der zugehörigen Feststellungen; insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch wegen Raubes (§ 249 Abs. 1 StGB) hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Nach den insoweit rechtfehlerfrei getroffenen Feststellungen entwand der Angeklagte dem Geschädigten gegen dessen Widerstand ein Mobiltelefon, um im Speicher des Geräts nach Beweisen für die Art der Beziehung zwischen dem Geschädigten und der Schwester des Mitangeklagten zu suchen. Ob der Geschädigte das Gerät zurückerlangen würde, war ihm dabei gleichgültig. Später übertrug er darin gespeicherte Bilddateien auf sein eigenes Handy, um sie an Dritte zu verschicken.

b) Danach hat sich der Angeklagte nicht eines Verbrechens des Raubes, sondern nur einer Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) schuldig gemacht, denn er handelte nicht, wie § 249 Abs. 1 StGB voraussetzt, in der Absicht, das Mobiltelefon sich oder einem Dritten zuzueignen. Weder wollte er sich den Substanz- oder Sachwert des Geräts aneignen noch hat er dessen Wert durch den vorübergehenden Gebrauch gemindert (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 1968 - 4 StR 398/68, GA 1969, 306, 307 zur fehlenden Aneignungskomponente bei der Wegnahme zwecks Inhaftierung; S/S-Eser/Bosch, StGB, 28. Aufl., § 242 Rn. 53, 55; NK-StGB-Kindhäuser, 3. Aufl., § 242 Rn. 82; LK/Vogel, StGB, 12. Aufl., § 242 Rn. 150). Es fehlt an dem für eine Aneignung erforderlichen Willen des Täters, den Bestand seines Vermögens oder den eines Dritten zu ändern, wenn er das Nötigungsmittel nur zur Erzwingung einer Gebrauchsanmaßung einsetzt (Fischer, StGB, 59. Aufl., § 249 Rn. 19a) oder wenn er die fremde Sache nur wegnimmt, um sie "zu zerstören", "zu vernichten", "preiszugeben", "wegzuwerfen", "beiseite zu schaffen", "zu beschädigen", sie als Druckmittel zur Durchsetzung einer Forderung zu benutzen oder um den Eigentümer durch bloßen Sachentzug zu ärgern (vgl. BGH, Urteile vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 701; vom 26. September 1984 - 3 StR 367/84, NJW 1985, 812, 813 jeweils mwN; OLG Köln, Beschluss vom 6. Mai 1997 - Ss 226/97 - 93, NJW 1997, 2611). Dass die vom Angeklagten beabsichtigte Durchsuchung des Speichers und das Kopieren der dabei aufgefundenen Bilddateien im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs der Sache lag, ändert hieran nichts, denn dies führte nicht zu deren Verbrauch (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. Dezember 1991 - RReg 4 St 158/91, juris, zum Kopieren und Verwerten von auf Diskette gespeicherten Daten; Cramer, CR 1997, 693, 696; LK/Vogel, StGB, 12. Aufl., § 242 Rn. 154).

c) Auch eine - bei fehlender Zueignungsabsicht mögliche (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386) - Strafbarkeit wegen räuberischer Erpressung (§ 253 Abs. 1, § 255 StGB) kommt vorliegend nicht in Betracht, denn der Angeklagte handelte nicht in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern. Bloßer Besitz einer Sache bildet einen Vermögensvorteil nur dann, wenn ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, etwa weil er zu wirtschaftlich messbaren Gebrauchsvorteilen führt, die der Täter oder der Dritte für sich nutzen will. Daran fehlt es nicht nur in den Fällen, in denen der Täter die Sache unmittelbar nach Erlangung vernichten will, sondern auch dann, wenn er den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt (vgl. nur BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10 mwN, NStZ 2011, 699, 701; BGH, Beschluss vom 19. August 1987 - 2 StR 394/87, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 1 zu einem Fall der Wegnahme zwecks Beweisvereitelung).

2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet auch die Annahme des Landgerichts, das beschriebene Tatgeschehen stehe zu der vom Angeklagten weiter begangenen gefährlichen Körperverletzung in Tatmehrheit (§ 53 StGB). Nach den auch insoweit rechtsfehlerfreien Feststellungen stürzten sich während des um das Mobiltelefon entstandenen "Gerangels" der Mitangeklagte und weitere Personen auf den Geschädigten und prügelten gemeinsam mit nicht identifizierbaren harten Gegenständen auf diesen ein; hieran beteiligte sich sodann auch der Angeklagte. Danach hängen die Nötigungshandlung und die weiteren gemeinsamen Angriffe auf die körperliche Integrität des Geschädigten räumlich und zeitlich so eng zusammen, dass sich das Geschehen insgesamt als natürliche Handlungseinheit darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2000 - 4 StR 313/00, juris, bei Taten mit dem sie gemeinsam verbindenden Moment, das Opfer zur "Rede zu stellen"; Fischer, StGB, 59. Aufl., Vor § 52 Rn. 4 mwN).

3. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich bei zutreffender rechtlicher Bewertung des Geschehens nicht wirksamer hätte verteidigen können. Die Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der Einzelstrafe wegen Raubes und zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.

4. Auch die wegen gefährlicher Körperverletzung ausgesprochene Einzelstrafe hat keinen Bestand. Zwar hätte das Landgericht diese Strafe nicht milder bemessen, hätte es, statt vom Hinzutreten eines rechtlich selbständigen Verbrechens des Raubes auszugehen, zutreffend die gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung gesehen. Indes wurde der Angeklagte ausweislich der Urteilsgründe am 2. September 2010 - nach der verfahrensgegenständlichen Tat - wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Zum Stand der Vollstreckung dieser Strafe, die nach § 55 Abs. 1 StGB mit der hier ausgesprochenen grundsätzlich gesamtstrafenfähig ist, hat das Landgericht nichts mitgeteilt. Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass ein allein dem Tatrichter vorbehaltener Härteausgleich in Betracht kommt (BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2011 - 3 StR 110/11, juris; vom 2. März 2010 - 3 StR 496/09, NStZ-RR 2010, 202, 203; vom 20. Oktober 2009 - 3 StR 386/09, StraFo 2010, 74). Die bisherigen, der Bemessung dieser Einzelstrafe zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht berührt und können deshalb bestehen bleiben. Der neue Tatrichter kann insoweit ergänzende Feststellungen treffen, die hierzu nicht in Widerspruch stehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 530

Externe Fundstellen: NStZ 2012, 627; StV 2012, 465

Bearbeiter: Goya Tyszkiewicz