HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 988
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 117/11, Urteil v. 30.06.2011, HRRS 2011 Nr. 988
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 31. August 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen A. II. 1. a) ii) und b) dd) Nr. 2, 3, 6, 8 und 10 der Urteilsgründe,
- in den Aussprüchen über die Gesamtfreiheitsstrafe und die Gesamtgeldstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 20 Fällen [A. II. 1. a) ii) Nr. 1 bis 8; b) dd) Nr. 1 bis 12 der Urteilsgründe] zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Wegen Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ohne Verschreibung an Verbraucher in 90 Fällen (A. II. 2. der Urteilsgründe) hat es daneben auf eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen erkannt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten eingelegten, auf die Rügen der Verletzung des materiellen und des formellen Rechts gestützten Revision die Bemessung der Einzelstrafen in 13 der Betrugstaten [A. II. 1. a) ii); b) dd) Nr. 2, 3, 6, 8 und 10 der Urteilsgründe] und der Gesamtfreiheitsstrafe. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrüge kommt es nicht mehr an.
1. Das Landgericht hat, soweit die Anfechtung reicht, folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Der seinerzeit als selbständiger Apotheker tätige Angeklagte fasste Anfang des Jahres 2006 den Entschluss, sich durch betrügerische Rezeptabrechnungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen aus wiederholter Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen. Zu seinen Kunden gehörte Y. Z., dessen Kinder S., Ah. und A. von Kinderärzten des Universitätsklinikums M. seit Januar 2006 regelmäßig das täglich zu spritzende wachstumsfördernde Hormonpräparat "Humatrope" verschrieben bekamen. Das Präparat wird von L. -Pharma für den europäischen Markt hergestellt und zum Netto-Verkaufspreis von 5.566,13 € je Zehnerpackung Ampullen à 12 mg vertrieben. Statt von L.-Pharma oder von zugelassenen Pharmagroßhändlern bezog der Angeklagte seinem Tatplan entsprechend das von ihm an die Familie Z. abgegebene (Original-)Präparat aber in der überwiegenden Anzahl der Fälle für 1.200 bis 1.500 € je Zehnerpackung auf dem grauen Arzneimittelmarkt. Die von ihm dort erworbenen Produkte waren uneingeschränkt tauglich; ihr günstiger Preis erklärte sich aus einem teilweisen Verstreichen der Verfallsfrist und aus der "rechnungslosen" Lieferung.
Von der zuständigen AOK N. ließ sich der Angeklagte die Abgabe dieser Präparate indes - abzüglich der anfallenden Rabatte und Skonti - in allen Fällen nach Maßgabe des Verkaufspreises der L.-Pharma erstatten. Ihm war bekannt, dass die Abgabe von Medikamenten, die ohne Rechnung auf dem grauen Markt erworben waren, nach den sozialrechtlichen Vorschriften von vornherein keinen Anspruch des Apothekers gegen die gesetzlichen Krankenkassen auslöst. Zur Täuschung der für die Auszahlungsanordnung zuständigen Kassenmitarbeiter, die, wie er wusste, die Berechtigung von Ansprüchen auch manuell zumindest stichprobenartig anhand der eingereichten Rezepte überprüfen, nutzte er den Umstand aus, dass auf den ärztlichen Verordnungen die an L.-Pharma für deren Direktlieferungen vergebene sogenannte Pharmazentralnummer bereits aufgedruckt war. Wie dem Angeklagten bewusst war, gingen die Mitarbeiter der Kasse bei Einreichung einer solchen Verordnung davon aus, dass der Apotheker das Präparat auch auf dem entsprechenden vorschriftsmäßigen Wege beschafft hatte.
Auf diese Weise rechnete der Angeklagte gegenüber der AOK N. in den Jahren 2006 und 2007 - verteilt auf acht einzelne Abrechnungsmonate - die Abgabe von insgesamt 18 Packungen "Humatrope" an die Familie Z. mit dem Direktverkaufspreis der L.-Pharma ab, obwohl er diese tatsächlich auf dem grauen Arzneimittelmarkt bezogen hatte [Fälle A. II. 1. a) ii) der Urteilsgründe]. Nach Abzug der anfallenden Rabatte und Skonti entstand der AOK N. hieraus ein Gesamtschaden von 103.685 €.
Entsprechend rechnete der Angeklagte in fünf Abrechnungsmonaten des Jahres 2008 fünf weitere Verschreibungen des Präparats ab [Fälle A. II. 1. b) dd), Nr. 2, 3, 6, 8 und 10 der Urteilsgründe]. In diesen Fällen reichte er die Rezepte zwar jeweils zusammen mit Verordnungen ein, auf die er - wie in den übrigen sieben Taten - keine Medikamente an Patienten abgegeben hatte, sei es im Einvernehmen mit diesen, sei es aufgrund fingierter Rezepte eines mit ihm zusammenwirkenden Arztes. Die Höhe des den Krankenkassen hieraus entstandenen Schadens wird indes auch hier maßgeblich durch das teure, von der AOK N. erstattete Präparat "Humatrope" bestimmt; er beträgt insgesamt 58.219 €.
b) Bei der Bemessung der Einzelstrafen für die dargestellten 13 Betrugstaten hat das Landgericht unter anderem strafmildernd berücksichtigt, dass es sich bei den Abrechnungen für die vom Angeklagten auf dem grauen Markt bezogenen Einheiten des Präparats "Humatrope" lediglich um sozialrechtliche Formalverstöße gehandelt habe. Bei deren Einkauf über L.-Pharma oder zugelassene Großhändler hätte die AOK N. die betrügerisch erwirkten Zahlungen leisten müssen. Medizinische Nachteile seien durch die Taten nicht entstanden. Weder habe der Angeklagte den Kindern der Familie Z. das von ihnen benötigte Medikament (im Zusammenwirken mit dem Vater) vorenthalten noch hätten gegen die auf dem grauen Markt beschafften Präparate aus medizinischer Sicht Bedenken bestanden.
c) Die Feststellung, der Angeklagte habe das der Familie Z. verschriebene Präparat, soweit er es nicht von L. -Pharma oder zugelassenen Großhändlern bezogen habe, jeweils auf dem grauen Arzneimittelmarkt eingekauft, stützt das Landgericht auf dessen geständige Einlassung, von deren Unrichtigkeit in diesem Punkt es sich nicht hat überzeugen können. Z. und die Kinder hätten in der Hauptverhandlung von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Die Befragung der Mitarbeiter des Angeklagten sei insoweit unergiebig geblieben. Aufgezeichnete Telefongespräche, in denen sich Z. mit dem Angeklagten und dem früheren Mitangeklagten C. über die Abgabe von "Spritzen" und Geldzahlungen des Angeklagten unterhalten habe, ließen keinen eindeutigen Schluss darauf zu, dass die Abgabe des Präparats lediglich vorgetäuscht worden sei, zumal Z. an Diabetes gelitten habe. In dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren habe dieser derartige Vorwürfe bestritten. Der Angeklagte habe bereits im Ermittlungsverfahren bei der Polizei als Beschuldigter ausgesagt; zwischen seiner Einlassung in der Hauptverhandlung und seinen Angaben im Ermittlungsverfahren seien "keine wesentlichen Widersprüche festzustellen".
2. Die Beschwerdeführerin rügt zu Recht, dass die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die den Kindern der Familie Z. verordneten Medikamente, soweit er sie nicht von L.-Pharma direkt bezogen habe, auf dem grauen Arzneimittelmarkt eingekauft und tatsächlich an die Patienten abgegeben, einer sie tragenden lückenlosen Beweiswürdigung entbehrt.
Wie das Urteil mitteilt, hat sich der Angeklagte bei der oben erwähnten polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren dahin eingelassen, er habe "etwa Mitte 2006" Besuch von einem Pharmavertreter erhalten. Dieser habe ihn darauf hingewiesen, aus einer Datenbank werde ersichtlich, dass in seiner - des Angeklagten - Apotheke "regelmäßig" das Medikament "Humatrope" verkauft werde. Er könne ihm das Medikament, allerdings mit einer geringeren Haltbarkeitsdauer, zu einem deutlich günstigeren Preis beschaffen. Andererseits hat das Landgericht festgestellt, dass den Kindern der Familie Z. dieses Präparat seit Januar 2006 regelmäßig verschrieben wurde und dass den vom Angeklagten abgerechneten Verordnungen vom 17. Januar und 18. April 2006 über insgesamt fünf Einheiten "Humatrope" zu je 6.659,80 € [Fälle A. II. 1. a) ii) Nr. 1 und 2 der Urteilsgründe] gerade kein Direktbezug des Medikaments von L.-Pharma zuzuordnen ist. Von einem (teilweisen) Direktbezug geht das Landgericht vielmehr erst in Bezug auf die Folgeverordnung vom 11. Juli 2006 aus. Mit diesem Widerspruch hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen, denn er ist geeignet, grundsätzliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Einlassung des Angeklagten zu erwecken.
Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich das Landgericht bei Beachtung dieses Widerspruchs in den Aussagen des Angeklagten von der Unglaubhaftigkeit seiner Angaben über den Bezug des Medikaments überzeugt und infolgedessen in den fraglichen Fällen auf höhere Einzelstrafen erkannt hätte, da ein von ihm als bestimmend erachteter mildernder Strafzumessungsgesichtspunkt nicht vorgelegen hätte. Dies führt zur Aufhebung dieser Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe.
3. Der Aufhebung unterliegt auch die vom Landgericht wegen der 90 Fälle der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verhängte Gesamtgeldstrafe. Zwar hat die Beschwerdeführerin ihr Rechtsmittel auf den Ausspruch über die Einzelstrafen in den 13 Betrugsfällen und die Gesamtfreiheitsstrafe beschränkt. Diese Beschränkung ist insoweit jedoch unwirksam und damit unbeachtlich, denn die genannten Einzelstrafen und die hierauf beruhende Gesamtfreiheitsstrafe stehen mit der gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB gesondert festgesetzten Geldstrafe in einem untrennbaren Zusammenhang, der eine losgelöste Beurteilung in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht ausschließt. Erwüchse die Verurteilung zu Geldstrafe unabhängig von den Strafaussprüchen im Übrigen in Rechtskraft, so könnten die weggefallenen Strafen nicht neu bemessen werden, ohne das Urteil insgesamt der Gefahr innerer Widersprüche auszusetzen. Deutlich wird dies schon dadurch, dass der neue Tatrichter aus Rechtsgründen nicht gehindert wäre, insoweit ebenfalls auf Geldstrafe zu erkennen, was entgegen § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB eine Mehrzahl isolierter (Gesamt-)Geldstrafen zur Folge hätte. Vor allem aber hat der Tatrichter seine Entscheidung, ob er nach dieser Vorschrift gesondert auf Geldstrafe erkennt, danach zu treffen, welche Ahndung der Taten er insgesamt für schuldangemessen hält (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1998 - 1 StR 132/98, StV 1999, 598; Urteil vom 27. Juni 1990 - 3 StR 169/90, NJW 1990, 2897; Urteil vom 17. Januar 1989 - 1 StR 730/88, BGHR StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung 1).
Ob die rechtskräftig verhängten Einzelgeldstrafen in eine Gesamtstrafe einzubeziehen sind, bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 988
Bearbeiter: Ulf Buermeyer