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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 772

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 444/10, Beschluss v. 05.07.2011, HRRS 2011 Nr. 772


BGH 3 StR 444/10 - Beschluss vom 5. Juli 2011 (LG Hildesheim)

Betrug; Vermögensschaden; Fingierung einer Forderung zur Durchsetzung einer tatsächlich bestehenden, nicht durchsetzbaren Forderung; Bewertung einer noch nicht fälligen Forderung; Kompensation eines Vermögensverlusts.

§ 263 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein Vermögensnachteil im Sinne des § 263 StGB liegt nicht vor, wenn mit dem Verlust eines Vermögenswerts zugleich ein den Verlust aufwiegender Vermögenszuwachs begründet wird. Ein solcher Vermögenszuwachs tritt ein, soweit das Vermögen von einer Verbindlichkeit in Höhe des Verlusts befreit wird. Dies gilt selbst dann, wenn die Verbindlichkeit schwer zu beweisen wäre.

2. Es ist grundsätzlich möglich, dass ein Gläubiger sich im Rahmen eines Rechtsgeschäfts, auf Grund dessen ihm kein Anspruch zusteht, einen Vermögensvorteil verschafft, um sich damit für einen aus einem anderen Rechtsgeschäft bestehenden Anspruch zu befriedigen. Es muss aber durch die Tat unmittelbar eine Befreiung von dem bestehenden Anspruch eintreten. Hierfür ist es erforderlich, dass der Handelnde das durch rechtswidrige Mittel, etwa Täuschung, Erlangte zu seinem bestehenden Anspruch in Beziehung gebracht hat, um auszuschließen, dass der Schuldner sowohl auf den bestehenden als auch auf den fingierten Anspruch leistet.

3. Die fehlende Fälligkeit einer - vorzeitig erfüllten - Verbindlichkeit führt nicht schon für sich allein zu einem Vermögensnachteil. Denn eine geminderte Werthaltigkeit gegenüber dem Nominalbetrag kann jedenfalls nicht pauschal angenommen werden, sondern muss entsprechend den Umständen des Einzelfalls festgestellt werden. Bedarf es nur noch eines Federstrichs, um die Fälligkeit herbeizuführen, wird der Nominalwert kaum unterschritten sein; anders liegt es, wenn hierfür noch besonderer Aufwand zu betreiben ist.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Nebenbeteiligten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 2. Oktober 2009, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat gegen die Nebenbeteiligte eine Geldbuße wegen "gemeinschaftlichen Betruges in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue" (§ 30 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG i.V.m. § 263 Abs. 1, § 266 Abs. 1 2. Fall, § 25 Abs. 2, §§ 27, 52 StGB) ihres vormaligen Geschäftsführers, des Angeklagten D., in Höhe von 100.000 € festgesetzt. Zugleich hat es als Entschädigung für die überlange Dauer des Verfahrens ausgesprochen, dass 25.000 € dieses Bußgeldes als vollstreckt gelten.

Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel der Nebenbeteiligten hat Erfolg.

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift dazu ausgeführt:

" ... Die Strafkammer hat zwar einen konkreten Nachteil in Höhe von 4.907.533,97 DM brutto (UA S. 194) konkret benannt. Das genügt den rechtlichen Anforderungen hier jedoch nicht. Es handelt sich dabei nämlich um den Vermögensabfluss wegen der Zahlung auf eine tatsächlich nicht erbrachte Leistung (Grundsanierung von Baustraßen im Spätherbst 1997), dem nach Auffassung der Kammer eine 'dem Grunde nach' berechtigte Forderung des Vertragspartners wegen einer erbrachten Leistung (Herstellung der Baustraßen im Frühjahr/Sommer 1997) gegenüber stand. Nach den Feststellungen ist nicht auszuschließen, dass die Geschädigte durch die Tat von der Gegenforderung befreit wurde, dass mithin eine Schadenskompensation eingetreten ist. Soweit sich dem Urteil eine Begründung für die Auffassung der Kammer, eine Schadenskompensation sei nicht erfolgt, entnehmen lässt (UA S. 185), ist sie rechtlich nicht tragfähig. Den wirtschaftlichen Wert der Gegenforderung hat die Kammer nicht festgestellt, entsprechende Beweisanträge auf Einholung von Sachverständigengutachten hat sie abgelehnt. Nach den lückenhaft in den Urteilsgründen enthaltenen Anhaltspunkten lässt sich nicht ausschließen, dass der Wert der Gegenforderung die Höhe des Vermögensabflusses überstiegen hat. ...

1. Den Urteilsgründen, die unter der Überschrift 'Tatgeschehen' (UA S. 51 - 108) eine Vielzahl von nicht auf den abstrakten Tatbestand bezogenen Tatsachen enthalten (vgl. dazu Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 267 Rn. 5 m.w.N.) und die rechtliche Würdigung nur fragmentarisch an einzelnen Stellen der Beweiswürdigung (insbesondere S. 185 f.) und der Strafzumessung (UA S. 195 f.) aufscheinen lassen (vgl. Meyer-Goßner aaO § 267 Rn. 17 m.w.N.), sind im Kern folgende strafrechtlich relevante Umstände zu entnehmen:

Der Angeklagte D. war als Geschäftsführer der Nebenbeteiligten, der P. Baugesellschaft mbH, die mit einem weiteren Unternehmen als 'Arbeitsgemeinschaft T.' (UA S. 24; im Folgenden: Arge) zusammen arbeitete, an dem verfahrensgegenständlichen Geschehen beteiligt. Im Dezember 1996 vergab die Planungsgesellschaft Bahnbau Deutsche Einheit (PBDE) der Deutschen Bahn AG im Rahmen des Projekts 'Bahnstrecke Hannover/Berlin' (UA S. 31ff.) für eine Teilstrecke einen Bauauftrag mit Schwerpunkt Erdarbeiten an die Arge (UA S. 24). Bereits Anfang 1997 kam es zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu einer Auseinandersetzung darüber, in welchem Umfang der Hauptvertrag die Erstellung von Baustraßen außerhalb der Bahntrasse abdeckte, die der Auftraggeber forderte (UA S. 28f.). Der Mitangeklagte R. erstellte insoweit für die Arge vor Durchführung der Arbeiten ein Nachtragsangebot (Z 19) vom 17. März 1997 mit Leistungsverzeichnis vom 14. Juli 1997 (UA S. 36 - 39), ergänzt durch einen 'Nachtrag' vom 27. März 1997 (UA S. 41 - 45). Der Auftraggeber lehnte eine Vergütung für die bis Juli 1997 auf seine Anordnung (UA S. 34) fertig gestellten Baustraßen mehrfach eindeutig ab, da diese Leistung von der Vergütung gemäß Hauptvertrag abgedeckt sei, zuletzt mit Schreiben vom 3. Februar 1998 (UA S. 41, 45, 50, 51).

Das Landgericht ist zu Gunsten der Angeklagten davon ausgegangen, dass die Rechtsauffassung des Auftraggebers unzutreffend sei und ein Anspruch der Arge 'dem Grunde nach' bestand (UA S. 52, 159). Dies ist zwar rechtsfehlerhaft, denn das Gericht hat auf eine Auslegung des Vertrags verzichtet und stattdessen eine Unterstellung vorgenommen, der Sache nach also den Zweifelsgrundsatz angewendet, obwohl Auslegung und Anwendung des Rechts einschließlich vertraglicher Verhältnisse zu seinen Kernaufgaben zählt, denen es sich bei Entscheidungsrelevanz nicht entziehen darf und hinsichtlich der die Anwendung des Zweifelssatzes nicht zulässig ist (vgl. Schoreit in KK-StPO 6. Aufl. § 261 Rdnr. 61 m.w.N.). Da der Fehler sich aber zu Gunsten der Nebenbeteiligten auswirkt, ist er revisionsrechtlich hinzunehmen.

Nach den Feststellungen 'überzeugte' der Angeklagte D. die für die PBDE tätigen Mitangeklagten Dr. S. und O. im Februar oder März 1998 von der Berechtigung der Ansprüche der Arge (UA S. 52). Der Mitangeklagte Dr. S. war als 'Realisierungsmanager' für die PBDE tätig (UA S. 31ff.), der Mitangeklagte O. war Leiter der Bauüberwachungszentrale (BÜZ) der PBDE (UA S. 14f., 25 - 28). Diese beiden Mitangeklagten waren an der im Ergebnis ablehnenden Prüfung der Nachtragsforderungen der Arge beteiligt gewesen (UA S. 41, 45, 50, 51). Dennoch legt die Strafkammer nicht dar, welche Gründe der 'Überzeugungsbildung' zu Grunde lagen und warum die Angeklagten die übergeordneten und entscheidungsberechtigten Personen der PBDE für nicht gleichermaßen einsichtsfähig hielten (UA S. 53, 56), so dass sie auf den Plan verfielen, der aus ihrer Sicht berechtigten Forderung durch Fingierung eines Alternativsachverhalts (Grundsanierung der Baustraßen im Spätherbst 1997, die nicht stattgefunden hatte) zur Durchsetzung zu verhelfen (UA S. 56). Da dies die Angeklagten nicht beschwert, ist es im Revisionsverfahren ebenso hinzunehmen wie der Umstand, dass die Kammer jegliche Erörterung der Bedeutung der Zahlung der Nebenbeteiligten in Höhe von 395.063,29 DM an den Mitangeklagten Dr. S. für 'Ingenieurleistungen' im Dezember 1998 unterlässt.

Die Angeklagten gingen davon aus, dass im Falle eines erfolgreichen Austauschs der 'wahren' (UA S. 57) durch die fiktive Anspruchsgrundlage der Punkt 'Vergütung der Leistungen im Zusammenhang mit den Baustraßen' erledigt sei (UA S. 57). Die Arge sollte nach dem Plan einen Betrag in der Größenordnung von 4,2 Millionen DM (netto) erhalten. Bei dieser "vergleichsweise" (UA S. 53) bestimmten Summe spielte eine Rolle, dass eine Prüfung der Massen- und Einheitspreise nicht durchgeführt werden sollte, da sonst der fiktive Charakter des Sachverhalts 'Grundsanierung' aufgefallen wäre (UA S. 53, 56). Eine 'Überzahlung' der Arge nahmen die Angeklagten nach Auffassung der Strafkammer in Kauf (UA S. 57).

Entsprechend der Vorgaben des Mitangeklagten O. wurde daraufhin von der BÜZ eine befürwortende Stellungnahme erarbeitet. Diese stellte den neuen Sachverhalt 'Grundsanierung' allerdings nicht isoliert, sondern in unauflösbarem Zusammenhang mit dem Nachtragsangebot Z 19 vom 17. März 1997 als 'Mehraufwand Baustraßenbau' dar und benutzte dessen Leistungsverzeichnis - unter Vornahme von Abschlägen - als Grundlage der Berechnung (UA S. 59 - 76, 97 - 101). Auf der Grundlage dieser Stellungnahme wurde während der Nachtragsverhandlung vom 22. Juni 1998 die Vertragsänderung (VÄ) 14 unter teilweiser Heraufsetzung einzelner Positionen empfohlen (UA S. 77 - 86). In der Folge wurde auch durch die mit der externen juristischen Plausibilitätsprüfung beauftragte Kanzlei Prof. Dr. H. mit ihrer Stellungnahme vom 9. Juli 1998 darauf abgestellt, die Nachtragsforderung der Arge sei berechtigt, weil entgegen dem Hauptvertrag die Baustraßen außerhalb der Trassen zu erbauen gewesen waren (UA S. 102). Die Vergabekommission der PBDE genehmigte die Vertragsänderung (VÄ) 14 'entsprechend dem Nachtragsangebot der Arge vom 14. März 1997' (UA S. 106). Der 'Auftrag' wurde von der Arge am 18. August 1998 bestätigt (UA S. 107), am 2. September wurde auf eine Abschlagsrechnung der Arge gezahlt (UA S. 107), im Januar 2000 auf die Schlussrechnung der Arge die endgültige Abrechnung vorgenommen (UA S. 108).

... Nach ständiger Rechtsprechung ist unter Nachteil bzw. Vermögensschaden jede durch die Tathandlung verursachte Vermögenseinbuße zu verstehen, die Vermögensminderung ist nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung auf Grund eines Vergleichs des Vermögensstandes vor und nach der Tat unter lebensnaher wirtschaftlicher Betrachtungsweise festzustellen (Fischer aaO [Fischer, StGB, 58. Aufl. § 266 Rdnr. 115] sowie § 263 Rdnrn. 110ff. m.w.N.). Ein Nachteil liegt deshalb nicht vor, wenn zugleich ein den Verlust aufwiegender Vermögenszuwachs begründet wird (vgl. BGHSt 15, 342, 343 f.; BGH NJW 1975, 1234, 1235; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 14, 55; BGH StraFo 2010, 301). Ein solcher Vermögenszuwachs tritt beispielsweise ein, soweit das Vermögen von einer Verbindlichkeit in Höhe des Verlusts befreit wird. Dies gilt selbst dann, wenn die Verbindlichkeit schwer zu beweisen wäre (BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 46). Es ist daher grundsätzlich möglich, dass ein Gläubiger sich im Rahmen eines Rechtsgeschäfts, auf Grund dessen ihm kein Anspruch zusteht, einen Vermögensvorteil verschafft, um sich damit für einen aus einem anderen Rechtsgeschäft bestehenden Anspruch zu befriedigen (vgl. BGH wistra 1982, 68 f.; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 46). Es muss aber durch die Tat unmittelbar eine Befreiung von dem bestehenden Anspruch eintreten. Hierfür ist es erforderlich, dass der Handelnde das durch rechtswidrige Mittel, etwa Täuschung, Erlangte zu seinem bestehenden Anspruch in Beziehung gebracht hat, um auszuschließen, dass der Schuldner sowohl auf den bestehenden als auch auf den fingierten Anspruch leistet (vgl. BGH wistra 1982, 68 f.; BGH NStZ-RR 1997, 298).

3. a) Vorliegend hat die Strafkammer keine Schadenskompensation im Hinblick auf die von ihr als 'dem Grunde nach' berechtigt angesehene Forderung der Arge wegen der Herstellung der Baustraßen angenommen. Sie hat dies damit begründet, ein entsprechender Vergütungsanspruch sei mangels Vorlage einer prüffähigen Rechnung noch nicht entstanden und habe auch nicht mehr entstehen können, da die Angeklagten eine Prüfung zwecks Verdeckung ihrer Täuschung verhinderten (UA S. 185). Diese Erwägung ist in zweifacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Zum einen war der Anspruch entstanden. Gemäß § 1 Nr. 3 der hier anwendbaren VOB/B war die Arge auf Verlangen des Auftraggebers verpflichtet, auch Mehrleistungen gegenüber dem Hauptvertrag auszuführen, wofür ihr nach § 2 Nr. 5 VOB/B eine Vergütung zustand. Die PBDE hatte die Ausführung der Baustraßen außerhalb der Trasse ausdrücklich verlangt (UA S. 34, 40, 71). Mit der Ausführung der angeordneten Leistung (UA S. 45) war der Vergütungsanspruch der Arge entstanden, die Vorlage einer prüffähigen Rechnung gemäß § 14 Nr. 1 VOB/B war nur Voraussetzung der Fälligkeit des Anspruchs, nicht aber seiner Entstehung (vgl. Kapellmann/Messerschmidt VOB 3. Aufl. § 2 VOB/B § 2 Rdnr. 177, § 14 Rdnr. 2; Kuß VOB 2. Aufl. § 14 VOB/B Rdnr. 7). Entsprechendes gilt, wenn die Straßenerstellung als zusätzliche Leistung im Sinne von §§ 1 Abs. 4, 2 Abs. 6 VOB/B anzusehen wäre.

Dass zum anderen nach dem Tatplan eine prüffähige Rechnung für den 'wahren' (UA S. 57) Anspruch nicht mehr gestellt, dieser Anspruch somit nicht mehr fällig und geltend gemacht werden sollte, schließt die Kompensationsfähigkeit nicht aus, sondern schafft hierfür gerade die Voraussetzung, nämlich das Sich-Begeben der Forderung seitens des von der Tat Begünstigten. Hätte die Arge auf die Geltendmachung des Anspruchs nicht verzichtet, hätte sie zur Tatzeit eine prüffähige Rechnung noch erstellen können. Durch ihre rechtsfehlerhaften Erwägungen hat die Strafkammer sich den Weg zur Erörterung der rechtlich maßgeblichen Kriterien für das Vorliegen einer Schadenskompensation versperrt.

b) Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Vermögensab- und -zufluss sowie ein 'In-Beziehung-Bringen' der fingierten und der - nach Auffassung des Landgerichts - 'dem Grunde nach' berechtigten Forderung, die eine Doppelbelastung des Auftraggebers ausschließt, wird durch die Feststellungen nahegelegt. Zum einen wäre eine Erörterung angebracht gewesen, ob bereits mit der Tatvereinbarung, wonach der Angeklagte D. bei Erlangung eines Bestellscheins für den fingierten Sachverhalt keine weiteren Schritte im Hinblick auf den 'wahren Anspruchsgrund' unternehmen würde (UA S. 57), ein Verzicht der Arge durch den für sie handelnden Angeklagten gelegen hat. Zum anderen hätte die Kammer sich vor allem damit auseinandersetzen müssen, ob nicht im Abschluss der Vertragsänderung (VÄ) 14 durch die Arge ein vertraglich vereinbarter Verzicht auf weitere Forderungen aus dem Komplex 'Baustraßen' lag. Indem mit der VÄ 14 ausdrücklich auf das Nachtragsangebot Z 19 vom 17. März 1997 Bezug genommen und die Gesamtentwicklung des Sachverhalts 'Baustraßenbau' zur Begründung der Nachtragszahlung herangezogen wurde, lag es nicht fern, hierin eine abschließende vertragliche Gesamtregelung dieses Sachverhalts zu sehen. Dass im Nachhinein eine erneute Geltendmachung der mit dem Änderungsangebot Z 19 erhobenen Forderung zusätzlich zu der gerade auch hierauf gestützten Forderung aus der Vertragsänderung (VÄ) 14 in Betracht hätte kommen können, erscheint fernliegend. Auch Formulierungen der Kammer wie 'wahrer Anspruchsgrund' (UA S. 57) deuten dahin, dass es bei der Tat nicht um die Begründung einer neuen Forderung, sondern allein um die Durchsetzung der berechtigten Forderung unter Vortäuschung eines fiktiven Sachverhalts ging.

c) Der grundsätzlichen Kompensationsgeeignetheit des Vergütungsanspruchs für die Herstellung der Baustraßen steht auch dessen mangelnde Fälligkeit nicht entgegen. Zwar scheint sich im Hinblick auf den Schuldspruch aus einer Entscheidung des 5. Strafsenats vom 27. August 2003 [gemeint: Beschluss vom 13. Juni 2001 - 5 StR 78/01] (BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 51) anderes zu ergeben. In jenem Fall, in dem der Angeklagte in Höhe seiner noch nicht fälligen Honoraransprüche als Liquidator unter Missbrauch seiner Vertretungsbefugnis Entnahmen getätigt und das Landgericht zwar nicht das Honorar, aber den Nutzungsausfall in voller Höhe als Schaden gewertet hatte, hat der BGH nur den Strafausspruch aufgehoben. Den Schuldspruch hat er nicht beanstandet, da die Entnahme mangels Fälligkeit der Honorarforderungen nicht der materiellen Rechtsordnung entsprochen habe. In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs wurde allerdings ausdrücklich offen gelassen, ob anderes zu gelten hat, wenn die Forderung des Täters die Höhe der abgeflossenen liquiden Geldmittel beträchtlich übersteigt, was im vorliegenden Fall (wie noch zu erörtern) nicht auszuschließen ist. Darüber hinaus ist fraglich, ob an der seinerzeitigen Gewichtung der Fälligkeit nach der - mit Gesetzeskraft versehenen - Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts [Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170] noch festzuhalten ist. Die bereits früher in der Literatur vertretene Auffassung, dass die fehlende Fälligkeit einer vorzeitig erfüllten Verbindlichkeit nicht schon für sich allein zu einem Vermögensnachteil führe (vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 266 Rdnr. 59), bekommt vor dem Hintergrund der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Nachteilsermittlung anhand wirtschaftlicher Kriterien (BVerfG aaO Rdnrn. 113 f.) zusätzliches Gewicht. Angesichts der in den letzten Jahrzehnten festzustellenden Gegebenheiten des Wirtschaftslebens (Handel mit Optionen, 'Futures' etc.) erscheint die Auffassung, noch nicht fällige Forderungen hätten keinen wirtschaftlichen Wert, als nicht (mehr) vertretbar. Eine geminderte Werthaltigkeit gegenüber dem Nominalbetrag kann nicht pauschal angenommen werden, sondern muss entsprechend den Umständen des Einzelfalls festgestellt werden. Bedarf es nur noch 'eines Federstriches' um die Fälligkeit herbeizuführen, dürfte der Nominalwert kaum unterschritten sein; anders ist es, wenn hierfür noch besonderer Aufwand zu betreiben ist. Vorliegend wäre zu berücksichtigen, dass das Nachtragsangebot vom 17./27. März 1997 sich lediglich als vorläufige Schätzung vor Durchführung der Baumaßnahme darstellte. In welchem Umfang der Arge prüffähige Unterlagen zur Fertigung einer Schlussrechnung zur Verfügung gestanden haben, hat die Kammer nicht festgestellt. Immerhin waren die Baustraßen zur Zeit der Tatvollendung (Vertragsschluss im August 1998 - UA S. 106f.; Zahlung im September 1998 -UA S. 107) noch nicht zurückgebaut (Rückbautermin: Oktober 1998 - UA S. 47). Allerdings führt der Umstand, dass die Forderung bestritten war, gemeinsame Feststellungen (§ 14 Nr. 2 VOB/B) nicht erstellt waren und die Arge die Beweislast für den Nachweis der Höhe ihrer Forderung zu tragen hatte (vgl. Kapellmann aaO § 2 VOB/B Rdnr. 228 m.w.N.) zu einer gewissen Minderung des wirtschaftlichen Werts ihrer Forderung, den näher zu bestimmen auf Grund der lückenhaften Urteilsgründe nicht möglich ist.

d) Auch die Frage, von welchem Nominalbetrag der Forderung der Arge auszugehen ist, lässt das Urteil mangels Aufklärung durch die Strafkammer offen. Nach den Zahlen aus dem Nachtragsangebot der Arge ist nicht auszuschließen, dass dieser - selbst bei erheblicher Reduktion nach Prüfung - die Höhe des von der Kammer festgestellten Vermögensverlustes nicht unerheblich überschritt. Die Arge hat nämlich - soweit hier relevant - einen Forderungsbetrag in Höhe von 6.788.382,48 DM netto (=7.874.523,66 DM brutto) angemeldet, während die Zahlung der DB AG - soweit hier relevant - nur die Höhe von 4.230.649,79 DM netto (=4.907.553,97 DM brutto) betrug (UA S. 194). (Die Summe des Nachtragsangebots ergibt sich aus den folgenden, in den Urteilsgründen genannten Zahlen: Aufstellung vom 14. März 1997: 7.154.113,07 DM netto (UA S. 39), zzgl. weiterer Positionen gemäß Aufstellung vom 27. März 1997: 834.935,71 DM netto (UA S. 42 f.), abzgl. Position Geotextil statt Geogitter: 756.316,20 DM netto (UA S. 44) abzgl. der von der Kammer als strafrechtlich nicht relevant angesehenen Position Baustraßenunterhaltung: 444.350,03 DM netto; Summe: 6.788.382,48 DM netto = 7.874.523,66 DM brutto bei 16 % MWSt.).

Feststellungen dazu, in welcher Höhe Abschläge von diesen Zahlen vorzunehmen wären, enthält das Urteil nicht. Anhaltspunkte hierzu ergeben sich auch nicht daraus, dass nach den Feststellungen in einer internen Aufstellung der Arge über offene Forderungen vom 28. April 1997 die Position Baustraßen nur mit 3.448.489 DM netto beziffert ist (UA S. 46). Zum einen befinden sich an dieser Stelle die handschriftlichen Bemerkungen 'auch in Bauumstellung' und 'Betrachtung Hr. D. 6 Mio.' (UA S. 46), zum anderen zieht die Kammer hieraus keinerlei Schlussfolgerungen, so dass revisionsrechtlich eine Bewertung nicht möglich ist.

4. Auch die Darstellung eines weiteren, unter Umständen strafbaren Sachverhalts in den Urteilsgründen (Heraufsetzung des Entgelts für den Posten 'Oberbodenandeckung' laut Nachtragsangebot der Arge vom 25. Mai 1998 um mehr als 150.000 DM), steht der Aufhebung des Urteils nicht entgegen. Dieser Sachverhalt wird nämlich von Anklage und Eröffnungsbeschluss mit keinem Wort erwähnt und ist damit nicht Verfahrensgegenstand. Dementsprechend findet er in den Abschnitten 'subjektive Tatseite', 'rechtliche Würdigung' und 'Strafzumessung' keine Berücksichtigung, wenn er auch in den Urteilsabschnitten 'Tatgeschehen' (UA S. 87 - 93) und 'Beweiswürdigung' (UA S. 139 - 151) umfangreich dargestellt wird."

Dem schließt sich der Senat an.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 772

Bearbeiter: Ulf Buermeyer