HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 470
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 41/10, Beschluss v. 11.03.2010, HRRS 2010 Nr. 470
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 11. August 2009 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel ist zum Schuld- und Strafausspruch aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Zur angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es Erfolg. Hierzu hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:
"Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kann aufgrund fehlender Feststellungen zur Gefahrprognose jedoch keinen Bestand haben.
Nach § 64 S. 1 StGB setzt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt insbesondere voraus, dass der Täter den Hang hat, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, er wegen einer auf seinen Hang zurückzuführenden rechtswidrigen Tat verurteilt wird und die Gefahr besteht, dass er auch in Zukunft infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Die sachverständig beratene Strafkammer hat den Hang des Angeklagten, Kokain im Übermaß zu sich zu nehmen, zutreffend angenommen. Die abgeurteilten Taten beruhten nach Ansicht des Sachverständigen, dem sich das Landgericht angeschlossen hat, auch auf dem übermäßigen Kokainkonsum (UA S. 40, 42). Die Feststellungen zu der Symptomtat - hier die zum Nachteil der Zeuginnen H. und K. begangenen Vergewaltigungen - sind insoweit jedoch nur formelhaft bejaht, indem die Strafkammer lediglich ausführt, dass ein ursächlicher und symptomatischer Zusammenhang bestehe (UA S. 41). Tragfähige Darlegungen zur Untermauerung dieser Bewertung fehlen.
Jedenfalls aber lassen die Urteilsgründe hinreichende Feststellungen zur Gefahrprognose vermissen. Die Ausführungen in den Urteilsgründen widersprechen sich zudem.
Ausweislich der Urteilsgründe hat der Sachverständige zur Gefahr der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten lediglich ausgeführt, dass 'dieser Hang des Angeklagten Grundlage für die Begehung weiterer gleichgelagerter Straftaten' sei (UA S. 41). Das Landgericht schließt sich dem an, ohne ausreichende Feststellungen zu treffen. An einer auf Tatsachen gestützten Darlegung der Gefahrprognose fehlt es. Bei einem Hang zum übermäßigen Kokainkonsum läge zwar die Prognose weiterer Straftaten aus der Beschaffungskriminalität oder gewichtige Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nahe. Für eine derartige Prognose fehlen jedoch hinreichende Feststellungen.
Die Urteilsgründe ergeben, dass die Strafkammer sich der Bewertung des Sachverständigen dahingehend angeschlossen hat, dass von dem Angeklagten im Kokainrausch weitere 'gleichgelagerte Straftaten' wie die abzuurteilenden Anlasstaten, also solche gegen die sexuelle Selbstbestimmung, zu erwarten sind, ohne dies näher zu begründen. Soweit das Landgericht darin die Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten sieht, steht dies im Widerspruch zu den Ausführungen zu dem Absehen von der Anordnung des Vorbehalts der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 1 StGB. Denn in diesem Zusammenhang stellt die Strafkammer fest, dass ein Hang des Angeklagten zu erheblichen Straftaten - gemeint sind hier auch solche gegen die sexuelle Selbstbestimmung - nicht bestehe (UA S. 43). Die abzuurteilenden Straftaten seien dadurch gekennzeichnet, dass die Frauen freiwillig die Wohnung des Angeklagten aufgesucht und Kontakt zum Drogen- und zum Prostituiertenmilieu unterhalten hätten. Aus den von den Zeuginnen geschilderten Tatabläufen sei keine Gewalttätigkeit und keine dissoziale Störung des Angeklagten ableitbar. Ein Hang zur Begehung von Straftaten ergebe sich zudem weder aus seinem Lebenslauf noch aus den bisherigen Delikten (UA S. 43). Der übermäßige Genuss von Kokain sei an sich kein 'regelmäßiger Grund' für sexuelle Delikte, jedenfalls begründe dies keinen 'daraus resultierenden Hang zu Straftaten' (UA S. 43).
Das Landgericht bejaht somit einerseits einen Hang zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 64 StGB, verneint aber andererseits eine Gefährlichkeit im Sinne des § 66 StGB mit der Begründung, dass der Hang zum übermäßigen Kokainkonsum eben keinen Hang zu Gewaltdelikten wie die abzuurteilenden Taten begründe."
Dem schließt sich der Senat an.
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 470
Bearbeiter: Ulf Buermeyer