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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 7

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 357/10, Beschluss v. 09.11.2010, HRRS 2011 Nr. 7


BGH 3 StR 357/10 - Beschluss vom 9. November 2010 (LG Hannover)

Urteilsgründe (Darstellungsmangel; Beweiswürdigung; eingehende Erörterung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage; Stützung durch weitere Beweismittel; obligatorische Mitteilung).

§ 267 StPO; § 261 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Begründet der Tatrichter die Glaubhaftigkeit der Darstellungen eines zentralen Zeugen ausdrücklich auch mit deren Bestätigung durch weitere Zeugenaussagen und sonstige Beweismittel, so ist es unerlässlich, dass diese die Aussage stützenden Aussagen und Beweismittel wenigstens in ihrem Kerngehalt im Urteil mitgeteilt werden.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 1. Dezember 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen aus einem rechtskräftigen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und einem Monat verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt aufgrund der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils. Auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.

1. Das Landgericht hat folgendes festgestellt:

Der Zeuge H. und zwei Mittäter zwangen im Dezember 2002 den Angeklagten unter Vorhalt von Waffen, mit ihnen in einen Wald zu fahren. Dort bedrohten sie ihn mit dem Tode und schlugen mit Gegenständen auf ihn ein, sodass er zwei Zähne verlor. Anschließend zwang H. den Angeklagten durch Bedrohung mit einer Waffe dazu, ihn oral zu befriedigen. Außerdem verlangte er von ihm die Zahlung von 20.000 €. In der Folgezeit litt der Angeklagte unter Alpträumen und Angstzuständen.

Am 10. Mai 2008 trafen der Angeklagte und H. an einer Kreuzung in Ha. mit ihren Fahrzeugen aufeinander. Der Angeklagte erkannte H., der seinerseits den Angeklagten nicht wahrnahm, und folgte dessen Pkw. Als H. sein Fahrzeug am Straßenrand angehalten hatte und sein Beifahrer I. ausgestiegen war, wollte der Angeklagte die sich ihm bietende Gelegenheit nutzen und H. töten. Er hielt mit seinem Fahrzeug neben dem Pkw des H. an und schoss viermal auf den Hals- und Oberkörperbereich des in seinem Fahrzeug sitzenden Geschädigten H., der durch drei Schüsse potentiell lebensbedrohliche Verletzungen erlitt. Der Angeklagte, der glaubte, den apathisch zusammengesackten Geschädigten getötet zu haben, fuhr mit quietschenden Reifen davon.

2. Der Angeklagte hat das objektive unmittelbare Tatgeschehen eingeräumt. Abweichend von den Feststellungen hat er sich zum Tatvorgeschehen jedoch dahingehend eingelassen, H. habe ihn an der Kreuzung erkannt, hasserfüllt angeblickt sowie mit seiner rechten Hand eine Pistole angedeutet, die er auf ihn gerichtet und mehrmals hintereinander betätigt habe. Anschließend sei dieser verbotswidrig von der Linksabbiegespur auf die von ihm benutzte Geradeausspur gewechselt und habe sich vor ihn gesetzt. Er habe geglaubt, H. werde auf ihn schießen und zum Anhalten zwingen. Aus tiefer Verzweiflung habe er daraufhin den Geschädigten durch Schüsse kampfunfähig machen wollen.

a) Das Landgericht hat seine Überzeugung, der Angeklagte habe den Geschädigten H. an der Kreuzung erkannt, während ihn dieser nicht gesehen habe, auf die gleichlautenden Aussagen der Zeugen H. und I. gestützt. Deren Glaubhaftigkeit hat es damit begründet, die Zeugen hätten ruhig und sachlich ohne Belastungstendenzen ausgesagt, Widersprüche zwischen ihren polizeilichen Aussagen und ihren Angaben in der Hauptverhandlung beträfen nur die Tatvorgeschichte und sie seien erkennbar bemüht gewesen, sich an Details zu erinnern; hinzu komme, dass die Aussagen der Zeugen H. und I. ihrerseits Unterstützung fänden in den Angaben der Zeugen Hi., E., B., S., He., K., So. und Sch., soweit sie jeweils ihren eigenen Wahrnehmungen unterlagen, in den Ausführungen des Sachverständigen Dr. G., in den in Augenschein genommenen Lichtbildern von den Fahrzeugen sowie in den aufgefundenen Spuren (Einschusslöcher, Glasbruchspuren, Anzahl und Lage der Patronenhülsen) und den weiteren ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen. Die Aussagen der Zeugen H. und I. würden auch nicht durch das Gutachten des Sachverständigen M. in Frage gestellt.

b) Dies hält den sachlichrechtlichen Angriffen der Revision nicht stand. Das Urteil leidet an einem durchgreifenden Darstellungsmangel.

Der Angeklagte war zum Tatkerngeschehen geständig. Dessen rechtliche Beurteilung als versuchter Heimtückemord könnte hinsichtlich der objektiven oder subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke allerdings dann einer abweichenden Bewertung unterliegen, wenn die vom Angeklagten behaupteten Vorgänge im Tatvorfeld bei und nach dem Anhalten der Fahrzeuge an der Straßenkreuzung stattgefunden hätten; sie hätten zumindest Auswirkungen auf den Schuldgehalt der Tat.

Das Landgericht ist indes auch zu dem Tatvorgeschehen den Angaben der Zeugen H. und I. gefolgt, dass sie den Angeklagten vor der Schussabgabe nicht bemerkt hätten; diese seien unter anderem deswegen glaubhaft, weil sie in Teilbereichen durch sonstige Beweisergebnisse bestätigt worden seien. Ob diese Überlegung des Landgerichts rechtsfehlerfrei ist, kann der Senat jedoch nicht überprüfen. Denn das Landgericht hat es unterlassen darzulegen, in welchen Punkten die weiteren Zeugen und sonstigen Beweismittel die Angaben der Zeugen H. und I. zum Tatvorgeschehen bestätigt haben bzw. zu einer derartigen Bestätigung überhaupt in der Lage gewesen sind. Das Urteil teilt das insoweit gewonnene Beweisergebnis nicht einmal in Ansätzen mit. Dies war hier aber unerlässlich. Denn auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann hierzu nichts hergeleitet werden; dieser spricht im Gegenteil dafür, dass die Aussagen der Zeugen H. und I. zum Tatvorgeschehen nicht durch weitere Beweisergebnisse bestätigt worden sind.

Der Sachverständige Dr. G. ist Rechtsmediziner und konnte Angaben nur zu den Verletzungen des Geschädigten und deren Gefährlichkeit machen. Die Lichtbilder von den Fahrzeugen sowie die Spuren vom Tatort (Einschusslöcher, Glasbruchspuren, Anzahl und Lage der Patronenhülsen) lassen Rückschlüsse nur auf das unmittelbare Tatgeschehen zu, das der Angeklagte in vollem Umfang eingeräumt hat. Angaben von Zeugen zum unmittelbaren Tatgeschehen bestätigen sowohl die insoweit geständige Einlassung des Angeklagten als auch die Aussagen der Zeugen H. und I. und sind deshalb kein Grund, deren Angaben zu folgen, sie hätten an der Kreuzung den Angeklagten nicht wahrgenommen. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen und es ist eher fernliegend, dass die Zeugen Hi., E., B., S., He., K., So. und Sch. zum Geschehen an der Kreuzung Angaben gemacht haben, welche die Einlassung des Angeklagten widerlegen und die Aussagen der Zeugen H. und I. bestätigen.

Auf diesem Rechtsfehler beruht das angefochtene Urteil. Das Landgericht hat die Glaubhaftigkeit der Darstellungen der Zeugen H. und I. ausdrücklich auch mit deren Bestätigung durch weitere Zeugenaussagen und sonstige Beweismittel begründet. Der Senat vermag aus diesem Grunde nicht auszuschließen, dass es ohne diese vermeintliche Bestätigung den Angaben der Zeugen H. und I. nicht geglaubt hätte oder zumindest nach dem Zweifelssatz der Darstellung des Angeklagten gefolgt wäre. Zwar mag das festgestellte Verhalten des Zeugen H., nachdem er sein Fahrzeug am Straßenrand angehalten hatte, für seine Arglosigkeit sprechen; diesen Umstand hat das Landgericht indes nicht in seine Überzeugungsbildung miteinbezogen. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 7

Bearbeiter: Ulf Buermeyer